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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Guacharo.
gen, wie solche in den Andes sehr häufig vorkommen. Die Kunde, welche wir über das Leben und
Treiben des merkwürdigen Vogels erhalten haben, ist ziemlich ausführlich; doch bleibt immerhin noch
gar Manches aufzuklären. Gewiß ist, daß man keinen Vogel weiter kennt, welcher lebt, wie der
Guacharo. Dies wird aus dem Folgenden, welches eine Zusammenstellung der wichtigsten Angaben
von Humboldt, Funck und Groß ist, zur Genüge hervorgehen.

"Jn einem Lande", sagt Humboldt, "wo man so großen Hang zum Wunderbaren hat, ist
eine Höhle, aus der ein Strom entspringt, und in der Tausende von Nachtvögeln leben, mit deren
Fett man in den Missionen kocht, natürlich ein unerschöpflicher Gegenstand der Unterhaltung und des
Streites. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuß aus Land gesetzt, so hört er zum Ueber-
druß vom Augenstein von Araya, vom Landmann in Arenes, der sein Kind gesäugt, und von der
Höhle der Guacharos, die mehrere Meilen lang sein soll. Lebhafte Theilnahme an Naturmerkwür-
digkeiten erhält sich überall, wo in der Gesellschaft kein Leben ist, wo in trübseliger Eintönigkeit die
alltäglichen Vorkommnisse sich ablösen, bei denen die Neugierde keine Nahrung findet."

"Die Höhle, welche die Einwohner eine Fettgrube neunen, liegt nicht im Thal von Caripe selbst,
sondern drei kleine Meilen vom Kloster gegen West-Süd-West. Sie mündet in einem Seitenthale aus,
das der Sierra des Guacharo zuläuft. Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf, begleitet
von den indianischen Alcaden und den meisten Ordensmännern des Klosters. Ein schmaler Pfad
führte zuerst anderthalb Stunden lang südwärts über lachende, schön beraste Ebenen, dann wandten wir
uns westwärts an einem kleinen Flusse hinauf, der aus der Höhle hervorkommt. Man geht dreiviertel
Stunden lang aufwärts, bald im Wasser, das nicht tief ist, bald zwischen dem Fluß und einer Fels-
wand auf sehr schlüpfrigem morastigen Boden. Zahlreiche Erdfälle, umherliegende Baumstämme,
über welche die Maulthiere nur schwer hinüber kommen, machen dieses Stück des Weges sehr er-
müdend..."

"Wenn man am Fuß des hohen Guacharoberges nur noch vierhundert Schritte von der Höhle
entfernt ist, sieht man den Eingang noch nicht. Der Bach läuft durch eine Schlucht, die das Wasser
eingegraben, und man geht unter einem Felsenüberhang, so daß man den Himmel gar nicht sieht.
Der Weg schlängelt sich mit dem Fluß, und bei der letzten Biegung steht man auf einmal vor der
ungeheuern Mündung der Höhle. Der Anblick hat etwas Großartiges selbst für die Augen, die mit
der malerischen Seenerie der Hochalpen vertraut sind; denn der großartige tropische Pflanzenwuchs
verleiht der Mündung eines solchen Erdlochs ein ganz eigenes Gepräge. Die Guacharohöhle öffnet
sich an einer senkrechten Felsenwand. Der Eingang ist nach Süden gekehrt; es ist eine Wölbung 80
Fuß breit und 70 Fuß hoch. Auf dem Fels über der Grotte stehen riesenhafte Bäume; der Mamei
und der Genipabaum mit breiten, glänzenden Blättern strecken ihre Aeste gerade gen Himmel, wäh-
rend die des Courbaril und der Erythrina sich ausbreiten und ein dichtes grünes Gewölbe bilden.
Pothos mit saftigen Stengeln, Oralis und Orchideen von seltsamem Bau wachsen in den dürrsten
Felsspalten, während vom Winde geschaukelte Rankengewächse sich vor dem Eingange der Höhle zu
Gewinden verschlingen. Welch ein Gegensatz zwischen dieser Höhle und jenen im Norden, die von
Eichen und düsteren Lärchen beschattet sind!"

"Aber diese Pflanzenpracht schmückt nicht allein die Außenseite des Gewölbes; sie dringt sogar
in den Vorhof der Höhle ein. Mit Erstaunen sahen wir, daß 18 Fuß hohe, prächtige Heliconien mit
Pisangblättern, Pragapalmen und baumartige Arumaten die Ufer des Baches bis unter die Erde
säumten. Die Pflanzenwelt zieht sich in die Höhle von Caripe hinein, wie in die tiefen Felsspalten
in den Anden, in denen nur ein Dämmerlicht herrscht, und sie hört erst 30--40 Schritte vom Ein-
gang auf. Wir maßen den Berg mittelst eines Strickes, und waren gegen 430 Fuß weit gegangen,
ehe wir nöthig hatten, die Fackeln anzuzünden. Das Tageslicht dringt so weit ein, weil die Höhle
nur einen Gang bildet, der sich in derselben Richtung von Südost nach Nordwest hineinzieht. Da,
wo das Licht zu verschwinden anfängt, hört man das heisere Geschrei der Nachtvögel, die, wie die
Eingeborenen glauben, nur in diesen unterirdischen Räumen zu Hause sind."

Guacharo.
gen, wie ſolche in den Andes ſehr häufig vorkommen. Die Kunde, welche wir über das Leben und
Treiben des merkwürdigen Vogels erhalten haben, iſt ziemlich ausführlich; doch bleibt immerhin noch
gar Manches aufzuklären. Gewiß iſt, daß man keinen Vogel weiter kennt, welcher lebt, wie der
Guacharo. Dies wird aus dem Folgenden, welches eine Zuſammenſtellung der wichtigſten Angaben
von Humboldt, Funck und Groß iſt, zur Genüge hervorgehen.

„Jn einem Lande‟, ſagt Humboldt, „wo man ſo großen Hang zum Wunderbaren hat, iſt
eine Höhle, aus der ein Strom entſpringt, und in der Tauſende von Nachtvögeln leben, mit deren
Fett man in den Miſſionen kocht, natürlich ein unerſchöpflicher Gegenſtand der Unterhaltung und des
Streites. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuß aus Land geſetzt, ſo hört er zum Ueber-
druß vom Augenſtein von Araya, vom Landmann in Arenes, der ſein Kind geſäugt, und von der
Höhle der Guacharos, die mehrere Meilen lang ſein ſoll. Lebhafte Theilnahme an Naturmerkwür-
digkeiten erhält ſich überall, wo in der Geſellſchaft kein Leben iſt, wo in trübſeliger Eintönigkeit die
alltäglichen Vorkommniſſe ſich ablöſen, bei denen die Neugierde keine Nahrung findet.‟

„Die Höhle, welche die Einwohner eine Fettgrube neunen, liegt nicht im Thal von Caripe ſelbſt,
ſondern drei kleine Meilen vom Kloſter gegen Weſt-Süd-Weſt. Sie mündet in einem Seitenthale aus,
das der Sierra des Guacharo zuläuft. Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf, begleitet
von den indianiſchen Alcaden und den meiſten Ordensmännern des Kloſters. Ein ſchmaler Pfad
führte zuerſt anderthalb Stunden lang ſüdwärts über lachende, ſchön beraſte Ebenen, dann wandten wir
uns weſtwärts an einem kleinen Fluſſe hinauf, der aus der Höhle hervorkommt. Man geht dreiviertel
Stunden lang aufwärts, bald im Waſſer, das nicht tief iſt, bald zwiſchen dem Fluß und einer Fels-
wand auf ſehr ſchlüpfrigem moraſtigen Boden. Zahlreiche Erdfälle, umherliegende Baumſtämme,
über welche die Maulthiere nur ſchwer hinüber kommen, machen dieſes Stück des Weges ſehr er-
müdend…‟

„Wenn man am Fuß des hohen Guacharoberges nur noch vierhundert Schritte von der Höhle
entfernt iſt, ſieht man den Eingang noch nicht. Der Bach läuft durch eine Schlucht, die das Waſſer
eingegraben, und man geht unter einem Felſenüberhang, ſo daß man den Himmel gar nicht ſieht.
Der Weg ſchlängelt ſich mit dem Fluß, und bei der letzten Biegung ſteht man auf einmal vor der
ungeheuern Mündung der Höhle. Der Anblick hat etwas Großartiges ſelbſt für die Augen, die mit
der maleriſchen Seenerie der Hochalpen vertraut ſind; denn der großartige tropiſche Pflanzenwuchs
verleiht der Mündung eines ſolchen Erdlochs ein ganz eigenes Gepräge. Die Guacharohöhle öffnet
ſich an einer ſenkrechten Felſenwand. Der Eingang iſt nach Süden gekehrt; es iſt eine Wölbung 80
Fuß breit und 70 Fuß hoch. Auf dem Fels über der Grotte ſtehen rieſenhafte Bäume; der Mamei
und der Genipabaum mit breiten, glänzenden Blättern ſtrecken ihre Aeſte gerade gen Himmel, wäh-
rend die des Courbaril und der Erythrina ſich ausbreiten und ein dichtes grünes Gewölbe bilden.
Pothos mit ſaftigen Stengeln, Oralis und Orchideen von ſeltſamem Bau wachſen in den dürrſten
Felsſpalten, während vom Winde geſchaukelte Rankengewächſe ſich vor dem Eingange der Höhle zu
Gewinden verſchlingen. Welch ein Gegenſatz zwiſchen dieſer Höhle und jenen im Norden, die von
Eichen und düſteren Lärchen beſchattet ſind!‟

„Aber dieſe Pflanzenpracht ſchmückt nicht allein die Außenſeite des Gewölbes; ſie dringt ſogar
in den Vorhof der Höhle ein. Mit Erſtaunen ſahen wir, daß 18 Fuß hohe, prächtige Heliconien mit
Piſangblättern, Pragapalmen und baumartige Arumaten die Ufer des Baches bis unter die Erde
ſäumten. Die Pflanzenwelt zieht ſich in die Höhle von Caripe hinein, wie in die tiefen Felsſpalten
in den Anden, in denen nur ein Dämmerlicht herrſcht, und ſie hört erſt 30—40 Schritte vom Ein-
gang auf. Wir maßen den Berg mittelſt eines Strickes, und waren gegen 430 Fuß weit gegangen,
ehe wir nöthig hatten, die Fackeln anzuzünden. Das Tageslicht dringt ſo weit ein, weil die Höhle
nur einen Gang bildet, der ſich in derſelben Richtung von Südoſt nach Nordweſt hineinzieht. Da,
wo das Licht zu verſchwinden anfängt, hört man das heiſere Geſchrei der Nachtvögel, die, wie die
Eingeborenen glauben, nur in dieſen unterirdiſchen Räumen zu Hauſe ſind.‟

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[679/0717] Guacharo. gen, wie ſolche in den Andes ſehr häufig vorkommen. Die Kunde, welche wir über das Leben und Treiben des merkwürdigen Vogels erhalten haben, iſt ziemlich ausführlich; doch bleibt immerhin noch gar Manches aufzuklären. Gewiß iſt, daß man keinen Vogel weiter kennt, welcher lebt, wie der Guacharo. Dies wird aus dem Folgenden, welches eine Zuſammenſtellung der wichtigſten Angaben von Humboldt, Funck und Groß iſt, zur Genüge hervorgehen. „Jn einem Lande‟, ſagt Humboldt, „wo man ſo großen Hang zum Wunderbaren hat, iſt eine Höhle, aus der ein Strom entſpringt, und in der Tauſende von Nachtvögeln leben, mit deren Fett man in den Miſſionen kocht, natürlich ein unerſchöpflicher Gegenſtand der Unterhaltung und des Streites. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuß aus Land geſetzt, ſo hört er zum Ueber- druß vom Augenſtein von Araya, vom Landmann in Arenes, der ſein Kind geſäugt, und von der Höhle der Guacharos, die mehrere Meilen lang ſein ſoll. Lebhafte Theilnahme an Naturmerkwür- digkeiten erhält ſich überall, wo in der Geſellſchaft kein Leben iſt, wo in trübſeliger Eintönigkeit die alltäglichen Vorkommniſſe ſich ablöſen, bei denen die Neugierde keine Nahrung findet.‟ „Die Höhle, welche die Einwohner eine Fettgrube neunen, liegt nicht im Thal von Caripe ſelbſt, ſondern drei kleine Meilen vom Kloſter gegen Weſt-Süd-Weſt. Sie mündet in einem Seitenthale aus, das der Sierra des Guacharo zuläuft. Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf, begleitet von den indianiſchen Alcaden und den meiſten Ordensmännern des Kloſters. Ein ſchmaler Pfad führte zuerſt anderthalb Stunden lang ſüdwärts über lachende, ſchön beraſte Ebenen, dann wandten wir uns weſtwärts an einem kleinen Fluſſe hinauf, der aus der Höhle hervorkommt. Man geht dreiviertel Stunden lang aufwärts, bald im Waſſer, das nicht tief iſt, bald zwiſchen dem Fluß und einer Fels- wand auf ſehr ſchlüpfrigem moraſtigen Boden. Zahlreiche Erdfälle, umherliegende Baumſtämme, über welche die Maulthiere nur ſchwer hinüber kommen, machen dieſes Stück des Weges ſehr er- müdend…‟ „Wenn man am Fuß des hohen Guacharoberges nur noch vierhundert Schritte von der Höhle entfernt iſt, ſieht man den Eingang noch nicht. Der Bach läuft durch eine Schlucht, die das Waſſer eingegraben, und man geht unter einem Felſenüberhang, ſo daß man den Himmel gar nicht ſieht. Der Weg ſchlängelt ſich mit dem Fluß, und bei der letzten Biegung ſteht man auf einmal vor der ungeheuern Mündung der Höhle. Der Anblick hat etwas Großartiges ſelbſt für die Augen, die mit der maleriſchen Seenerie der Hochalpen vertraut ſind; denn der großartige tropiſche Pflanzenwuchs verleiht der Mündung eines ſolchen Erdlochs ein ganz eigenes Gepräge. Die Guacharohöhle öffnet ſich an einer ſenkrechten Felſenwand. Der Eingang iſt nach Süden gekehrt; es iſt eine Wölbung 80 Fuß breit und 70 Fuß hoch. Auf dem Fels über der Grotte ſtehen rieſenhafte Bäume; der Mamei und der Genipabaum mit breiten, glänzenden Blättern ſtrecken ihre Aeſte gerade gen Himmel, wäh- rend die des Courbaril und der Erythrina ſich ausbreiten und ein dichtes grünes Gewölbe bilden. Pothos mit ſaftigen Stengeln, Oralis und Orchideen von ſeltſamem Bau wachſen in den dürrſten Felsſpalten, während vom Winde geſchaukelte Rankengewächſe ſich vor dem Eingange der Höhle zu Gewinden verſchlingen. Welch ein Gegenſatz zwiſchen dieſer Höhle und jenen im Norden, die von Eichen und düſteren Lärchen beſchattet ſind!‟ „Aber dieſe Pflanzenpracht ſchmückt nicht allein die Außenſeite des Gewölbes; ſie dringt ſogar in den Vorhof der Höhle ein. Mit Erſtaunen ſahen wir, daß 18 Fuß hohe, prächtige Heliconien mit Piſangblättern, Pragapalmen und baumartige Arumaten die Ufer des Baches bis unter die Erde ſäumten. Die Pflanzenwelt zieht ſich in die Höhle von Caripe hinein, wie in die tiefen Felsſpalten in den Anden, in denen nur ein Dämmerlicht herrſcht, und ſie hört erſt 30—40 Schritte vom Ein- gang auf. Wir maßen den Berg mittelſt eines Strickes, und waren gegen 430 Fuß weit gegangen, ehe wir nöthig hatten, die Fackeln anzuzünden. Das Tageslicht dringt ſo weit ein, weil die Höhle nur einen Gang bildet, der ſich in derſelben Richtung von Südoſt nach Nordweſt hineinzieht. Da, wo das Licht zu verſchwinden anfängt, hört man das heiſere Geſchrei der Nachtvögel, die, wie die Eingeborenen glauben, nur in dieſen unterirdiſchen Räumen zu Hauſe ſind.‟

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/717>, abgerufen am 22.11.2024.