"Schwer macht man sich einen Begriff von dem furchtbaren Lärm, den Tausende dieser Vögel im dunkeln Jnnern der Höhle machen. Er läßt sich nur mit dem Geschrei unserer Krähen vergleichen, die in den nordischen Tannenwäldern gesellig leben und auf Bäumen nisten, deren Gipfel einander berühren. Das gellende, durchdringende Geschrei der Guacharos hallt wieder vom Felsgewölbe, und aus der Tiefe der Höhle kommt es als Echo zurück. Die Jndianer zeigten uns die Nester der Vögel, indem sie Fackeln an eine lange Stange banden. Sie staken 60--70 Fuß hoch über unseren Köpfen, in trichterförmigen Löchern, von denen die Decke wimmelt. Je tiefer man in die Höhle hineinkommt, je mehr Vögel das Licht der Copalfackeln aufscheucht, desto stärker wird der Lärm. Wurde es ein paar Minuten ruhiger um uns her, so erschallte von weither das Klagegeschrei der Vögel, die in andern Zweigen der Höhle nisteten. Die Banden lösten sich im Schreien ordentlich ab."
"Der Guacharo verläßt die Höhle bei Einbruch der Nacht, besonders beim Mondschein. Er frißt sehr harte Samen, und die Jndianer behaupten, daß er weder Käfer noch Nachtschmetterlinge angehe; auch darf man nur die Schnäbel des Guacharo und des Ziegenmelkers vergleichen, um zu sehen, daß beider Lebensweise ganz verschieden sein muß."
"Jedes Jahr um Johannistag gehen die Jndianer mit Stangen in die Cueva del Guacharo und zerstören die meisten Nester. Man schlägt jedesmal mehrere tausend Vögel todt, wobei die Alten, als wollten sie ihre Brut vertheidigen, mit furchtbarem Geschrei den Jndianern um die Köpfe fliegen. Die Jungen, welche zu Boden fallen, werden auf der Stelle ausgeweidet. Jhr Bauchfell ist stark mit Fett durchwachsen, und eine Fettschicht läuft vom Unterleib zum After und bildet zwischen den Beinen des Vogels eine Art Knopf. Daß körnerfressende Vögel, die dem Tageslicht nicht ausgesetzt sind und ihre Muskeln wenig brauchen, so fett werden, erinnert an die uralten Erfahrungen beim Mästen der Gänse und des Viehs: man weiß, wie sehr dasselbe durch Dunkelheit und Ruhe beför- dert wird. Die europäischen Nachtvögel sind mager, weil sie nicht, wie der Guacharo, von Früchten, sondern vom dürftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der "Fetternte", wie man es in Caripe nennt, bauen sich die Jndianer aus Palmblättern Hütten am Eingang oder im Vorhof der Höhle. Wir sahen noch Ueberbleibsel derselben. Hier läßt man das Fett der jungen, frisch getödteten Vögel am Feuer aus, und gießt es in Thongefäße. Dieses Fett ist unter dem Namen Guacharoschmalz oder Oel bekannt. Es ist halbflüssig, hell und geruchlos, und so rein, daß man es länger als ein Jahr aufbewahren kann, ohne daß es ranzig wird. Jn der Klosterküche zu Caripe wurde kein anderes Fett gebraucht, als das aus der Höhle, und wir haben nicht bemerkt, daß die Speisen irgend einen unangenehmen Geruch oder Geschmack davon bekämen."
"Die Menge des gewonnenen Oels steht mit dem Gemetzel, das die Jndianer alle Jahre in der Höhle anrichten, in keinem Verhältniß. Man bekommt, scheint es, nicht mehr als 150--160 Flaschen (zu 44 Kubikzoll) ganz reines Fett; das übrige weniger helle wird in großen irdenen Gefäßen auf- bewahrt. Dieser Gewerbszweig der Eingebornen erinnert an das Sammeln des Taubenfetts in Carolina, von dem früher mehrere tausend Fässer gewonnen wurden. Der Gebrauch des Guacharo- fettes ist in Caripe uralt, und die Missionäre haben nur die Gewinnungsart geregelt. Die Mit- glieder einer indianischen Familie behaupten, von den ersten Ansiedlern im Thale abzustammen, und als solche, rechtmäßige Eigenthümer der Höhle zu sein; sie beanspruchen das Alleinrecht des Fettes, aber in Folge der Klosterzucht sind ihre Rechte gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem System der Missionäre haben die Jndianer Guacharoöl für das ewige Kirchenlicht zu liefern; das übrige, so behauptet man, wird ihnen abgekauft."
"Das Geschlecht der Guacharos wäre längst ausgerottet, wenn nicht mehrere Umstände zur Erhaltung desselben zusammenwirkten. Aus Aberglauben wagen sich die Jndianer selten weit in die Höhle hinein. Auch scheint derselbe Vogel in benachbarten, aber dem Menschen unzugänglichen Höhlen zu nisten. Vielleicht bevölkert sich die große Höhle immer wieder mit Kolonien, welche aus jenen kleinen Erdlöchern ausziehen; denn die Missionäre versicherten uns, bis jetzt habe die Menge der Vögel nicht merkbar abgenommen. Man hat junge Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht;
Die Fänger. Sperrvögel. Fettvögel.
„Schwer macht man ſich einen Begriff von dem furchtbaren Lärm, den Tauſende dieſer Vögel im dunkeln Jnnern der Höhle machen. Er läßt ſich nur mit dem Geſchrei unſerer Krähen vergleichen, die in den nordiſchen Tannenwäldern geſellig leben und auf Bäumen niſten, deren Gipfel einander berühren. Das gellende, durchdringende Geſchrei der Guacharos hallt wieder vom Felsgewölbe, und aus der Tiefe der Höhle kommt es als Echo zurück. Die Jndianer zeigten uns die Neſter der Vögel, indem ſie Fackeln an eine lange Stange banden. Sie ſtaken 60—70 Fuß hoch über unſeren Köpfen, in trichterförmigen Löchern, von denen die Decke wimmelt. Je tiefer man in die Höhle hineinkommt, je mehr Vögel das Licht der Copalfackeln aufſcheucht, deſto ſtärker wird der Lärm. Wurde es ein paar Minuten ruhiger um uns her, ſo erſchallte von weither das Klagegeſchrei der Vögel, die in andern Zweigen der Höhle niſteten. Die Banden löſten ſich im Schreien ordentlich ab.‟
„Der Guacharo verläßt die Höhle bei Einbruch der Nacht, beſonders beim Mondſchein. Er frißt ſehr harte Samen, und die Jndianer behaupten, daß er weder Käfer noch Nachtſchmetterlinge angehe; auch darf man nur die Schnäbel des Guacharo und des Ziegenmelkers vergleichen, um zu ſehen, daß beider Lebensweiſe ganz verſchieden ſein muß.‟
„Jedes Jahr um Johannistag gehen die Jndianer mit Stangen in die Cueva del Guacharo und zerſtören die meiſten Neſter. Man ſchlägt jedesmal mehrere tauſend Vögel todt, wobei die Alten, als wollten ſie ihre Brut vertheidigen, mit furchtbarem Geſchrei den Jndianern um die Köpfe fliegen. Die Jungen, welche zu Boden fallen, werden auf der Stelle ausgeweidet. Jhr Bauchfell iſt ſtark mit Fett durchwachſen, und eine Fettſchicht läuft vom Unterleib zum After und bildet zwiſchen den Beinen des Vogels eine Art Knopf. Daß körnerfreſſende Vögel, die dem Tageslicht nicht ausgeſetzt ſind und ihre Muskeln wenig brauchen, ſo fett werden, erinnert an die uralten Erfahrungen beim Mäſten der Gänſe und des Viehs: man weiß, wie ſehr daſſelbe durch Dunkelheit und Ruhe beför- dert wird. Die europäiſchen Nachtvögel ſind mager, weil ſie nicht, wie der Guacharo, von Früchten, ſondern vom dürftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der „Fetternte‟, wie man es in Caripe nennt, bauen ſich die Jndianer aus Palmblättern Hütten am Eingang oder im Vorhof der Höhle. Wir ſahen noch Ueberbleibſel derſelben. Hier läßt man das Fett der jungen, friſch getödteten Vögel am Feuer aus, und gießt es in Thongefäße. Dieſes Fett iſt unter dem Namen Guacharoſchmalz oder Oel bekannt. Es iſt halbflüſſig, hell und geruchlos, und ſo rein, daß man es länger als ein Jahr aufbewahren kann, ohne daß es ranzig wird. Jn der Kloſterküche zu Caripe wurde kein anderes Fett gebraucht, als das aus der Höhle, und wir haben nicht bemerkt, daß die Speiſen irgend einen unangenehmen Geruch oder Geſchmack davon bekämen.‟
„Die Menge des gewonnenen Oels ſteht mit dem Gemetzel, das die Jndianer alle Jahre in der Höhle anrichten, in keinem Verhältniß. Man bekommt, ſcheint es, nicht mehr als 150—160 Flaſchen (zu 44 Kubikzoll) ganz reines Fett; das übrige weniger helle wird in großen irdenen Gefäßen auf- bewahrt. Dieſer Gewerbszweig der Eingebornen erinnert an das Sammeln des Taubenfetts in Carolina, von dem früher mehrere tauſend Fäſſer gewonnen wurden. Der Gebrauch des Guacharo- fettes iſt in Caripe uralt, und die Miſſionäre haben nur die Gewinnungsart geregelt. Die Mit- glieder einer indianiſchen Familie behaupten, von den erſten Anſiedlern im Thale abzuſtammen, und als ſolche, rechtmäßige Eigenthümer der Höhle zu ſein; ſie beanſpruchen das Alleinrecht des Fettes, aber in Folge der Kloſterzucht ſind ihre Rechte gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem Syſtem der Miſſionäre haben die Jndianer Guacharoöl für das ewige Kirchenlicht zu liefern; das übrige, ſo behauptet man, wird ihnen abgekauft.‟
„Das Geſchlecht der Guacharos wäre längſt ausgerottet, wenn nicht mehrere Umſtände zur Erhaltung deſſelben zuſammenwirkten. Aus Aberglauben wagen ſich die Jndianer ſelten weit in die Höhle hinein. Auch ſcheint derſelbe Vogel in benachbarten, aber dem Menſchen unzugänglichen Höhlen zu niſten. Vielleicht bevölkert ſich die große Höhle immer wieder mit Kolonien, welche aus jenen kleinen Erdlöchern ausziehen; denn die Miſſionäre verſicherten uns, bis jetzt habe die Menge der Vögel nicht merkbar abgenommen. Man hat junge Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht;
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Die Fänger. Sperrvögel. Fettvögel.
„Schwer macht man ſich einen Begriff von dem furchtbaren Lärm, den Tauſende dieſer Vögel im
dunkeln Jnnern der Höhle machen. Er läßt ſich nur mit dem Geſchrei unſerer Krähen vergleichen,
die in den nordiſchen Tannenwäldern geſellig leben und auf Bäumen niſten, deren Gipfel einander
berühren. Das gellende, durchdringende Geſchrei der Guacharos hallt wieder vom Felsgewölbe, und
aus der Tiefe der Höhle kommt es als Echo zurück. Die Jndianer zeigten uns die Neſter der Vögel,
indem ſie Fackeln an eine lange Stange banden. Sie ſtaken 60—70 Fuß hoch über unſeren Köpfen,
in trichterförmigen Löchern, von denen die Decke wimmelt. Je tiefer man in die Höhle hineinkommt,
je mehr Vögel das Licht der Copalfackeln aufſcheucht, deſto ſtärker wird der Lärm. Wurde es ein paar
Minuten ruhiger um uns her, ſo erſchallte von weither das Klagegeſchrei der Vögel, die in andern
Zweigen der Höhle niſteten. Die Banden löſten ſich im Schreien ordentlich ab.‟
„Der Guacharo verläßt die Höhle bei Einbruch der Nacht, beſonders beim Mondſchein. Er frißt
ſehr harte Samen, und die Jndianer behaupten, daß er weder Käfer noch Nachtſchmetterlinge angehe;
auch darf man nur die Schnäbel des Guacharo und des Ziegenmelkers vergleichen, um zu ſehen, daß
beider Lebensweiſe ganz verſchieden ſein muß.‟
„Jedes Jahr um Johannistag gehen die Jndianer mit Stangen in die Cueva del Guacharo und
zerſtören die meiſten Neſter. Man ſchlägt jedesmal mehrere tauſend Vögel todt, wobei die Alten, als
wollten ſie ihre Brut vertheidigen, mit furchtbarem Geſchrei den Jndianern um die Köpfe fliegen.
Die Jungen, welche zu Boden fallen, werden auf der Stelle ausgeweidet. Jhr Bauchfell iſt ſtark
mit Fett durchwachſen, und eine Fettſchicht läuft vom Unterleib zum After und bildet zwiſchen den
Beinen des Vogels eine Art Knopf. Daß körnerfreſſende Vögel, die dem Tageslicht nicht ausgeſetzt
ſind und ihre Muskeln wenig brauchen, ſo fett werden, erinnert an die uralten Erfahrungen beim
Mäſten der Gänſe und des Viehs: man weiß, wie ſehr daſſelbe durch Dunkelheit und Ruhe beför-
dert wird. Die europäiſchen Nachtvögel ſind mager, weil ſie nicht, wie der Guacharo, von Früchten,
ſondern vom dürftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der „Fetternte‟, wie man es in Caripe
nennt, bauen ſich die Jndianer aus Palmblättern Hütten am Eingang oder im Vorhof der Höhle.
Wir ſahen noch Ueberbleibſel derſelben. Hier läßt man das Fett der jungen, friſch getödteten Vögel
am Feuer aus, und gießt es in Thongefäße. Dieſes Fett iſt unter dem Namen Guacharoſchmalz oder
Oel bekannt. Es iſt halbflüſſig, hell und geruchlos, und ſo rein, daß man es länger als ein Jahr
aufbewahren kann, ohne daß es ranzig wird. Jn der Kloſterküche zu Caripe wurde kein anderes
Fett gebraucht, als das aus der Höhle, und wir haben nicht bemerkt, daß die Speiſen irgend einen
unangenehmen Geruch oder Geſchmack davon bekämen.‟
„Die Menge des gewonnenen Oels ſteht mit dem Gemetzel, das die Jndianer alle Jahre in der
Höhle anrichten, in keinem Verhältniß. Man bekommt, ſcheint es, nicht mehr als 150—160 Flaſchen
(zu 44 Kubikzoll) ganz reines Fett; das übrige weniger helle wird in großen irdenen Gefäßen auf-
bewahrt. Dieſer Gewerbszweig der Eingebornen erinnert an das Sammeln des Taubenfetts in
Carolina, von dem früher mehrere tauſend Fäſſer gewonnen wurden. Der Gebrauch des Guacharo-
fettes iſt in Caripe uralt, und die Miſſionäre haben nur die Gewinnungsart geregelt. Die Mit-
glieder einer indianiſchen Familie behaupten, von den erſten Anſiedlern im Thale abzuſtammen, und
als ſolche, rechtmäßige Eigenthümer der Höhle zu ſein; ſie beanſpruchen das Alleinrecht des Fettes,
aber in Folge der Kloſterzucht ſind ihre Rechte gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem Syſtem
der Miſſionäre haben die Jndianer Guacharoöl für das ewige Kirchenlicht zu liefern; das übrige, ſo
behauptet man, wird ihnen abgekauft.‟
„Das Geſchlecht der Guacharos wäre längſt ausgerottet, wenn nicht mehrere Umſtände zur
Erhaltung deſſelben zuſammenwirkten. Aus Aberglauben wagen ſich die Jndianer ſelten weit in die
Höhle hinein. Auch ſcheint derſelbe Vogel in benachbarten, aber dem Menſchen unzugänglichen Höhlen
zu niſten. Vielleicht bevölkert ſich die große Höhle immer wieder mit Kolonien, welche aus jenen
kleinen Erdlöchern ausziehen; denn die Miſſionäre verſicherten uns, bis jetzt habe die Menge der
Vögel nicht merkbar abgenommen. Man hat junge Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht;
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 680. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/718>, abgerufen am 22.11.2024.
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