sehr einfache und gleichmäßige, obgleich in lebhaften Farben prunkende Mitglieder auch innerhalb dieses Kreises nicht fehlen. Bei vielen Arten unterscheiden sich die Geschlechter durch ihr Kleid, bei anderen ist kaum ein Unterschied wahrzunehmen: Dies gilt für die Gesammtheit, wie für die einzelnen Familien und Sippen. Das Jugendkleid weicht regelmäßig von dem der alten Vögel ab. Eine eigentliche Mauserung scheint bei allen Arten nur einmal im Jahre stattzufinden; es wechseln einzelne aber auch noch durch Abnutzung und Verfärbung des Gefieders ihre Tracht.
Der innere Bau bedarf kaum besonderer Schilderung; denn er stimmt in allem Wesentlichen mit dem der Sperlings- und Rabenvögel überein. Die Bildung des Stimmwerkzeugs, d. h. eben der Singmuskeln ist bei der großen Mehrzahl sehr gleichartig, bei einzelnen dagegen entschieden abweichend und eigenthümlich: damit steht dann eine besonders auffallende laute Stimme im Einklange.
Auch die Singvögel sind allverbreitete Geschöpfe. Sie bilden einen sehr wesentlichen Theil der gefiederten Einwohnerschaft aller Gürtel der Breite oder Höhe, aller Gegenden, aller Oertlichkeiten. Wo ihnen nur irgendwie die Möglichkeit zum Leben geboten ist, fehlen sie nicht; sie finden sich auf dem öden Felsenriff mitten im Eismeere ebensowohl, wie im Blumengeheg unserer Gärten, auf dem Gebirg, wie in der Ebene, im fruchtbarsten Gau, wie in der Wüste. Nach den Polen zu nimmt ihre Arten- zahl allerdings merklich ab; doch hat man auch von ihnen einzelne ebensoweit im Norden oben gefunden, wie andere Landvögel überhaupt. Sie sind Baumvögel; es genügt ihnen aber schon ein niederer Strauch oder ein kleines Büschchen zum Wohnorte. Nicht wenige herbergen auch im Schilfe und im Ried, einzelne selbst im Grase; andere ziehen nacktes Gestein jeder anderen Oertlich- keit vor. Die Nähe des Menschen meiden die wenigsten unter ihnen; gar manche bitten sich vielmehr bei dem Gebieter der Erde zu Gaste, indem sie vertraunvoll sein Haus und Gehöft, seinen Obst- oder Ziergarten aufsuchen.
Wohl darf man die Singvögel insgemein als liebenswürdige Geschöpfe bezeichnen. Sie sind hoch begabt und wissen ihre Begabung in bester Weise zu verwerthen. Fast ausnahmlos gewandt in Leibesübungen, beherrschen sie so ziemlich jedes Gebiet. Sie fliegen zwar nicht mit der Leichtigkeit der Raub- oder Sperrvögel, immerhin aber rasch und behend genug, wenn auch nicht gern über weite Strecken hinweg in einem Zuge; sie durchschlüpfen mit der Hurtigkeit einer Maus das dichteste Gezweig oder treiben auf ihm Gauklerkünste mancherlei Art; sie hüpfen mit leichten Sprüngen rasch über den Boden dahin; ja, einzelne von ihnen bemeistern sogar das Wasser in einer Weise, welche kaum ihres Gleichen hat: sie laufen jagend auf dem Grunde der Gewässer dahin oder durchfliegen ohne Bedenken den donnernd und schäumend zur Tiefe stürzenden Fall. Jhre Sinne scheinen vor- trefflich entwickelt und sehr gleichmäßig ausgebildet zu sein. Gesicht und Gehör stehen, wie gewöhnlich, oben an, Gefühl und Geschmack sind aber auch nicht verkümmert, und nur über den Geruch sind wir nicht recht im Reinen. Dem verhältnißmäßig sehr großen Gehirn entspricht der hohe Verstand, das tiefe Gemüth, die Lebendigkeit des Wesens, welche die große Mehrzahl aller Singvögel bekunden. Wer sie kennt, wird sie gewiß nicht geistesarm schelten; denn sie geben dem Verstehenden tagtäglich Beweise des Gegentheils. Auch ihr Gemüth wird Niemand in Abrede stellen können; denn ein Jeder von uns hat von ihm Etwas erfahren, sei es, indem er sah, wie eines der Mitglieder dieser Ordnung an Hilfsbedürftigen, Schwachen oder Kranken Barmherzigkeitsdienste übte, oder sei es auch nur, indem er mit Verständniß einem der herrlichen Lieder lauschte, durch welche gerade diese Vögel uns zu bezaubern wissen. Jhr Wesen aber mag verkannt werden können. Die Singvögel sind leiden- schaftlicher als viele ihrer Klassenverwandten. Eine fast ununterbrochene Regsamkeit ist der hervor- stechendste Zug in ihrem Betragen. Träumerischer Unthätigkeit entschieden abhold, bewegen sie sich, handeln sie ohne Unterlaß vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Jede Begabung wird erprobt, jede Befähigung geübt. Wirklich ruhig, bewegungslos sich verhalten, scheint ihnen ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Nur so lange sie schlafen, sind sie unthätig; wachend beschäftigen sie sich gewiß in irgendwelcher Weise, und wäre es auch nur, daß sie sich ihr Gefieder putzen. Ein großer Theil des Tages wird der Ernährung, ein kaum geringerer der edelsten aller Beschäftigungen, dem
Die Fänger. Singvögel.
ſehr einfache und gleichmäßige, obgleich in lebhaften Farben prunkende Mitglieder auch innerhalb dieſes Kreiſes nicht fehlen. Bei vielen Arten unterſcheiden ſich die Geſchlechter durch ihr Kleid, bei anderen iſt kaum ein Unterſchied wahrzunehmen: Dies gilt für die Geſammtheit, wie für die einzelnen Familien und Sippen. Das Jugendkleid weicht regelmäßig von dem der alten Vögel ab. Eine eigentliche Mauſerung ſcheint bei allen Arten nur einmal im Jahre ſtattzufinden; es wechſeln einzelne aber auch noch durch Abnutzung und Verfärbung des Gefieders ihre Tracht.
Der innere Bau bedarf kaum beſonderer Schilderung; denn er ſtimmt in allem Weſentlichen mit dem der Sperlings- und Rabenvögel überein. Die Bildung des Stimmwerkzeugs, d. h. eben der Singmuskeln iſt bei der großen Mehrzahl ſehr gleichartig, bei einzelnen dagegen entſchieden abweichend und eigenthümlich: damit ſteht dann eine beſonders auffallende laute Stimme im Einklange.
Auch die Singvögel ſind allverbreitete Geſchöpfe. Sie bilden einen ſehr weſentlichen Theil der gefiederten Einwohnerſchaft aller Gürtel der Breite oder Höhe, aller Gegenden, aller Oertlichkeiten. Wo ihnen nur irgendwie die Möglichkeit zum Leben geboten iſt, fehlen ſie nicht; ſie finden ſich auf dem öden Felſenriff mitten im Eismeere ebenſowohl, wie im Blumengeheg unſerer Gärten, auf dem Gebirg, wie in der Ebene, im fruchtbarſten Gau, wie in der Wüſte. Nach den Polen zu nimmt ihre Arten- zahl allerdings merklich ab; doch hat man auch von ihnen einzelne ebenſoweit im Norden oben gefunden, wie andere Landvögel überhaupt. Sie ſind Baumvögel; es genügt ihnen aber ſchon ein niederer Strauch oder ein kleines Büſchchen zum Wohnorte. Nicht wenige herbergen auch im Schilfe und im Ried, einzelne ſelbſt im Graſe; andere ziehen nacktes Geſtein jeder anderen Oertlich- keit vor. Die Nähe des Menſchen meiden die wenigſten unter ihnen; gar manche bitten ſich vielmehr bei dem Gebieter der Erde zu Gaſte, indem ſie vertraunvoll ſein Haus und Gehöft, ſeinen Obſt- oder Ziergarten aufſuchen.
Wohl darf man die Singvögel insgemein als liebenswürdige Geſchöpfe bezeichnen. Sie ſind hoch begabt und wiſſen ihre Begabung in beſter Weiſe zu verwerthen. Faſt ausnahmlos gewandt in Leibesübungen, beherrſchen ſie ſo ziemlich jedes Gebiet. Sie fliegen zwar nicht mit der Leichtigkeit der Raub- oder Sperrvögel, immerhin aber raſch und behend genug, wenn auch nicht gern über weite Strecken hinweg in einem Zuge; ſie durchſchlüpfen mit der Hurtigkeit einer Maus das dichteſte Gezweig oder treiben auf ihm Gauklerkünſte mancherlei Art; ſie hüpfen mit leichten Sprüngen raſch über den Boden dahin; ja, einzelne von ihnen bemeiſtern ſogar das Waſſer in einer Weiſe, welche kaum ihres Gleichen hat: ſie laufen jagend auf dem Grunde der Gewäſſer dahin oder durchfliegen ohne Bedenken den donnernd und ſchäumend zur Tiefe ſtürzenden Fall. Jhre Sinne ſcheinen vor- trefflich entwickelt und ſehr gleichmäßig ausgebildet zu ſein. Geſicht und Gehör ſtehen, wie gewöhnlich, oben an, Gefühl und Geſchmack ſind aber auch nicht verkümmert, und nur über den Geruch ſind wir nicht recht im Reinen. Dem verhältnißmäßig ſehr großen Gehirn entſpricht der hohe Verſtand, das tiefe Gemüth, die Lebendigkeit des Weſens, welche die große Mehrzahl aller Singvögel bekunden. Wer ſie kennt, wird ſie gewiß nicht geiſtesarm ſchelten; denn ſie geben dem Verſtehenden tagtäglich Beweiſe des Gegentheils. Auch ihr Gemüth wird Niemand in Abrede ſtellen können; denn ein Jeder von uns hat von ihm Etwas erfahren, ſei es, indem er ſah, wie eines der Mitglieder dieſer Ordnung an Hilfsbedürftigen, Schwachen oder Kranken Barmherzigkeitsdienſte übte, oder ſei es auch nur, indem er mit Verſtändniß einem der herrlichen Lieder lauſchte, durch welche gerade dieſe Vögel uns zu bezaubern wiſſen. Jhr Weſen aber mag verkannt werden können. Die Singvögel ſind leiden- ſchaftlicher als viele ihrer Klaſſenverwandten. Eine faſt ununterbrochene Regſamkeit iſt der hervor- ſtechendſte Zug in ihrem Betragen. Träumeriſcher Unthätigkeit entſchieden abhold, bewegen ſie ſich, handeln ſie ohne Unterlaß vom frühen Morgen bis zum ſpäten Abend. Jede Begabung wird erprobt, jede Befähigung geübt. Wirklich ruhig, bewegungslos ſich verhalten, ſcheint ihnen ein Ding der Unmöglichkeit zu ſein. Nur ſo lange ſie ſchlafen, ſind ſie unthätig; wachend beſchäftigen ſie ſich gewiß in irgendwelcher Weiſe, und wäre es auch nur, daß ſie ſich ihr Gefieder putzen. Ein großer Theil des Tages wird der Ernährung, ein kaum geringerer der edelſten aller Beſchäftigungen, dem
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Die Fänger. Singvögel.
ſehr einfache und gleichmäßige, obgleich in lebhaften Farben prunkende Mitglieder auch innerhalb dieſes
Kreiſes nicht fehlen. Bei vielen Arten unterſcheiden ſich die Geſchlechter durch ihr Kleid, bei anderen
iſt kaum ein Unterſchied wahrzunehmen: Dies gilt für die Geſammtheit, wie für die einzelnen Familien
und Sippen. Das Jugendkleid weicht regelmäßig von dem der alten Vögel ab. Eine eigentliche
Mauſerung ſcheint bei allen Arten nur einmal im Jahre ſtattzufinden; es wechſeln einzelne aber auch
noch durch Abnutzung und Verfärbung des Gefieders ihre Tracht.
Der innere Bau bedarf kaum beſonderer Schilderung; denn er ſtimmt in allem Weſentlichen mit
dem der Sperlings- und Rabenvögel überein. Die Bildung des Stimmwerkzeugs, d. h. eben der
Singmuskeln iſt bei der großen Mehrzahl ſehr gleichartig, bei einzelnen dagegen entſchieden abweichend
und eigenthümlich: damit ſteht dann eine beſonders auffallende laute Stimme im Einklange.
Auch die Singvögel ſind allverbreitete Geſchöpfe. Sie bilden einen ſehr weſentlichen Theil der
gefiederten Einwohnerſchaft aller Gürtel der Breite oder Höhe, aller Gegenden, aller Oertlichkeiten.
Wo ihnen nur irgendwie die Möglichkeit zum Leben geboten iſt, fehlen ſie nicht; ſie finden ſich auf dem
öden Felſenriff mitten im Eismeere ebenſowohl, wie im Blumengeheg unſerer Gärten, auf dem Gebirg,
wie in der Ebene, im fruchtbarſten Gau, wie in der Wüſte. Nach den Polen zu nimmt ihre Arten-
zahl allerdings merklich ab; doch hat man auch von ihnen einzelne ebenſoweit im Norden oben
gefunden, wie andere Landvögel überhaupt. Sie ſind Baumvögel; es genügt ihnen aber ſchon ein
niederer Strauch oder ein kleines Büſchchen zum Wohnorte. Nicht wenige herbergen auch im
Schilfe und im Ried, einzelne ſelbſt im Graſe; andere ziehen nacktes Geſtein jeder anderen Oertlich-
keit vor. Die Nähe des Menſchen meiden die wenigſten unter ihnen; gar manche bitten ſich vielmehr
bei dem Gebieter der Erde zu Gaſte, indem ſie vertraunvoll ſein Haus und Gehöft, ſeinen Obſt-
oder Ziergarten aufſuchen.
Wohl darf man die Singvögel insgemein als liebenswürdige Geſchöpfe bezeichnen. Sie ſind
hoch begabt und wiſſen ihre Begabung in beſter Weiſe zu verwerthen. Faſt ausnahmlos gewandt in
Leibesübungen, beherrſchen ſie ſo ziemlich jedes Gebiet. Sie fliegen zwar nicht mit der Leichtigkeit
der Raub- oder Sperrvögel, immerhin aber raſch und behend genug, wenn auch nicht gern über
weite Strecken hinweg in einem Zuge; ſie durchſchlüpfen mit der Hurtigkeit einer Maus das dichteſte
Gezweig oder treiben auf ihm Gauklerkünſte mancherlei Art; ſie hüpfen mit leichten Sprüngen raſch
über den Boden dahin; ja, einzelne von ihnen bemeiſtern ſogar das Waſſer in einer Weiſe, welche
kaum ihres Gleichen hat: ſie laufen jagend auf dem Grunde der Gewäſſer dahin oder durchfliegen
ohne Bedenken den donnernd und ſchäumend zur Tiefe ſtürzenden Fall. Jhre Sinne ſcheinen vor-
trefflich entwickelt und ſehr gleichmäßig ausgebildet zu ſein. Geſicht und Gehör ſtehen, wie gewöhnlich,
oben an, Gefühl und Geſchmack ſind aber auch nicht verkümmert, und nur über den Geruch ſind wir
nicht recht im Reinen. Dem verhältnißmäßig ſehr großen Gehirn entſpricht der hohe Verſtand, das
tiefe Gemüth, die Lebendigkeit des Weſens, welche die große Mehrzahl aller Singvögel bekunden.
Wer ſie kennt, wird ſie gewiß nicht geiſtesarm ſchelten; denn ſie geben dem Verſtehenden tagtäglich
Beweiſe des Gegentheils. Auch ihr Gemüth wird Niemand in Abrede ſtellen können; denn ein Jeder
von uns hat von ihm Etwas erfahren, ſei es, indem er ſah, wie eines der Mitglieder dieſer Ordnung
an Hilfsbedürftigen, Schwachen oder Kranken Barmherzigkeitsdienſte übte, oder ſei es auch nur, indem
er mit Verſtändniß einem der herrlichen Lieder lauſchte, durch welche gerade dieſe Vögel uns zu
bezaubern wiſſen. Jhr Weſen aber mag verkannt werden können. Die Singvögel ſind leiden-
ſchaftlicher als viele ihrer Klaſſenverwandten. Eine faſt ununterbrochene Regſamkeit iſt der hervor-
ſtechendſte Zug in ihrem Betragen. Träumeriſcher Unthätigkeit entſchieden abhold, bewegen ſie ſich,
handeln ſie ohne Unterlaß vom frühen Morgen bis zum ſpäten Abend. Jede Begabung wird erprobt,
jede Befähigung geübt. Wirklich ruhig, bewegungslos ſich verhalten, ſcheint ihnen ein Ding der
Unmöglichkeit zu ſein. Nur ſo lange ſie ſchlafen, ſind ſie unthätig; wachend beſchäftigen ſie ſich
gewiß in irgendwelcher Weiſe, und wäre es auch nur, daß ſie ſich ihr Gefieder putzen. Ein großer
Theil des Tages wird der Ernährung, ein kaum geringerer der edelſten aller Beſchäftigungen, dem
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 690. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/730>, abgerufen am 22.11.2024.
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