Schwarzstirniger Würger. Dorndreher oder Neuntödter.
Die Sippe der Neuntödter (Enneoctonus), zu welcher einige Forscher auch den schwarzstirnigen Würger zählen, kennzeichnet sich durch verhältnißmäßig kurzen und starken Schnabel mit kleinem Haken und durch verschiedene Färbung der beiden Geschlechter. Jn Deutschland wird diese Sippe durch zwei Arten vertreten, von denen die eine, der Dorndreher oder Neuntödter, Dornreich oder Finkenbeißer und Spießer etc. (Enneoctonus collurio) Jedermann bekannt sein dürfte. Das Männchen gehört zu unsern hübschesten Vögeln. Kopf, Hinterhals und Bürzel sind hellaschgrau; der Mantel ist braunroth, die Brust schwach rosenroth; ein oben und unten weit begrenzter Zügelstreif durch das Auge ist schwarz; die Hand- und Armschwingen sind bräunlich grauschwarz, schmal hellbraun gekantet, die Oberarmschwingen sind fast ganz rostbraun; an der Wurzel der Armschwingen steht ein kleines, lichtes Fleckchen, welches, wenn der Flügel ausgebreitet ist, eine sichtbare Binde bildet; die Mittel- federn des Schwanzes sind braunschwarz, die folgenden an der Wurzel, die äußersten bis zu Drei- viertel weiß und nur an der Spitze schwarz. Das Auge ist braun, der Schnabel schwarz, der Fuß grauschwarz. Das Weibchen ist sehr vom Männchen verschieden, oben rostgrau, auf der Unterseite auf weißlichem Grunde braun gewellt. Die Jungen ähneln ihm, zeigen aber auch auf der Oberseite lichte Fleckenzeichnung. Die Länge beträgt 7 Zoll, die Breite 111/2 Zoll.
Unter allen deutschen Würgern ist der Dorndreher der verbreitetste. Er bewohnt fast ganz Europa von Skandinavien und Rußland an bis Südfrankreich und Griechenland und ebenso das gemäßigte Sibirien. Jn Spanien gehört er zu den Seltenheiten; doch soll er hier in den nord- westlichen Provinzen als Standvogel gefunden werden. Gelegentlich seiner Winterreise durchstreift er ganz Nordostafrika: so ist er während unserer Wintermonate in den Urwaldungen der oberen Nilländer eine sehr häufige Erscheinung; er wartet dort bei sehr reichlichem Futter seine Mauser ab, welche in die Monate Dezember und Januar fällt. Bei uns zu Lande erscheint er selten vor dem Anfang des Mai und verweilt in der Regel nur bis Mitte Augusts.
Gebüsche aller Art, welche an Wiesen und Weideplätze grenzen, Gärten und Baum- pflanzungen sind seine Aufenthaltsorte. Dichte Hecken scheinen ihm ein unumgänglich noth- wendiges Erforderniß zum Wohlbefinden zu sein. Rottet man solche Hecken aus, so verläßt dieser Würger, selbst wenn er früher häufig war, die Gegend. Aber er ist genügsam, denn schon ein einziger dichter Busch im Felde befriedigt ihn vollständig. Er baut dann viele Jahre nach einander sein Nest immer an ein und dieselbe Stelle. Auch er behauptet den einmal gewählten Wohnplatz mit Hartnäckigkeit gegen jeden andern Vogel und namentlich gegen ein zweites Paar seiner Art.
Jn seinem Betragen hat der Dorndreher große Aehnlichkeit mit andern Arten der Familie. Auch er ist ein dreister, muthiger, munterer, unruhiger Vogel, welcher selbst, wenn er sitzt, den Kopf beständig nach allen Seiten dreht und mit dem Schwanze auf und niederwippt. Die höchsten Spitzen der Büsche und Bäume bilden für ihn Warten, von denen aus er sein Jagdgebiet überschaut, und zu denen er nach jedem Ausflug mit großer Regelmäßigkeit zurückkehrt. Aufgejagt stürzt er sich von der Höhe bis gegen den Boden herab, fliegt tief über denselben dahin und schwingt sich erst dann wieder empor, wenn er von neuem sich setzen will. Auch er fliegt ungern weit in einem Zuge, ruht vielmehr auf jedem geeigneten Sitzplatze ein wenig aus und setzt erst dann seinen Weg fort. Die Lockstimme ist ein ziemlich deutlich hervorgestoßenes "Gägägäg" oder ein schwer zu beschreibendes "Sehe oder grä". Beide Laute werden verschieden betont und drücken bald freudige, bald ängstliche Gefühle aus. Aehnliche Töne dienen zur Warnung der unerfahrenen Jungen. Von einzelnen Männchen vernimmt man kaum andere Laute, während andere zu den ausgezeichnetsten Sängern zählen. Der Dorndreher nämlich besitzt eine wahrhaft überraschende Fähigkeit, anderer Vögel Stimmen nachzuahmen. "Jch habe einmal", sagt mein Vater, "diesen Vogel wundervoll singen hören. Ein Männchen, welches kein Weibchen bei sich hatte, saß auf der Spitze eines Busches und sang lange Zeit ziemlich laut und äußerst angenehm. Es trug Strophen von der Feld- und Baum- lerche, von der Grasmücke und andern Sängern vor. Die Töne der drei erstgenannten Arten kehrten oft wieder und waren so voll und unter einander gemischt, daß sie äußerst lieblich klangen." -- "Wenn
Schwarzſtirniger Würger. Dorndreher oder Neuntödter.
Die Sippe der Neuntödter (Enneoctonus), zu welcher einige Forſcher auch den ſchwarzſtirnigen Würger zählen, kennzeichnet ſich durch verhältnißmäßig kurzen und ſtarken Schnabel mit kleinem Haken und durch verſchiedene Färbung der beiden Geſchlechter. Jn Deutſchland wird dieſe Sippe durch zwei Arten vertreten, von denen die eine, der Dorndreher oder Neuntödter, Dornreich oder Finkenbeißer und Spießer ꝛc. (Enneoctonus collurio) Jedermann bekannt ſein dürfte. Das Männchen gehört zu unſern hübſcheſten Vögeln. Kopf, Hinterhals und Bürzel ſind hellaſchgrau; der Mantel iſt braunroth, die Bruſt ſchwach roſenroth; ein oben und unten weit begrenzter Zügelſtreif durch das Auge iſt ſchwarz; die Hand- und Armſchwingen ſind bräunlich grauſchwarz, ſchmal hellbraun gekantet, die Oberarmſchwingen ſind faſt ganz roſtbraun; an der Wurzel der Armſchwingen ſteht ein kleines, lichtes Fleckchen, welches, wenn der Flügel ausgebreitet iſt, eine ſichtbare Binde bildet; die Mittel- federn des Schwanzes ſind braunſchwarz, die folgenden an der Wurzel, die äußerſten bis zu Drei- viertel weiß und nur an der Spitze ſchwarz. Das Auge iſt braun, der Schnabel ſchwarz, der Fuß grauſchwarz. Das Weibchen iſt ſehr vom Männchen verſchieden, oben roſtgrau, auf der Unterſeite auf weißlichem Grunde braun gewellt. Die Jungen ähneln ihm, zeigen aber auch auf der Oberſeite lichte Fleckenzeichnung. Die Länge beträgt 7 Zoll, die Breite 11½ Zoll.
Unter allen deutſchen Würgern iſt der Dorndreher der verbreitetſte. Er bewohnt faſt ganz Europa von Skandinavien und Rußland an bis Südfrankreich und Griechenland und ebenſo das gemäßigte Sibirien. Jn Spanien gehört er zu den Seltenheiten; doch ſoll er hier in den nord- weſtlichen Provinzen als Standvogel gefunden werden. Gelegentlich ſeiner Winterreiſe durchſtreift er ganz Nordoſtafrika: ſo iſt er während unſerer Wintermonate in den Urwaldungen der oberen Nilländer eine ſehr häufige Erſcheinung; er wartet dort bei ſehr reichlichem Futter ſeine Mauſer ab, welche in die Monate Dezember und Januar fällt. Bei uns zu Lande erſcheint er ſelten vor dem Anfang des Mai und verweilt in der Regel nur bis Mitte Auguſts.
Gebüſche aller Art, welche an Wieſen und Weideplätze grenzen, Gärten und Baum- pflanzungen ſind ſeine Aufenthaltsorte. Dichte Hecken ſcheinen ihm ein unumgänglich noth- wendiges Erforderniß zum Wohlbefinden zu ſein. Rottet man ſolche Hecken aus, ſo verläßt dieſer Würger, ſelbſt wenn er früher häufig war, die Gegend. Aber er iſt genügſam, denn ſchon ein einziger dichter Buſch im Felde befriedigt ihn vollſtändig. Er baut dann viele Jahre nach einander ſein Neſt immer an ein und dieſelbe Stelle. Auch er behauptet den einmal gewählten Wohnplatz mit Hartnäckigkeit gegen jeden andern Vogel und namentlich gegen ein zweites Paar ſeiner Art.
Jn ſeinem Betragen hat der Dorndreher große Aehnlichkeit mit andern Arten der Familie. Auch er iſt ein dreiſter, muthiger, munterer, unruhiger Vogel, welcher ſelbſt, wenn er ſitzt, den Kopf beſtändig nach allen Seiten dreht und mit dem Schwanze auf und niederwippt. Die höchſten Spitzen der Büſche und Bäume bilden für ihn Warten, von denen aus er ſein Jagdgebiet überſchaut, und zu denen er nach jedem Ausflug mit großer Regelmäßigkeit zurückkehrt. Aufgejagt ſtürzt er ſich von der Höhe bis gegen den Boden herab, fliegt tief über denſelben dahin und ſchwingt ſich erſt dann wieder empor, wenn er von neuem ſich ſetzen will. Auch er fliegt ungern weit in einem Zuge, ruht vielmehr auf jedem geeigneten Sitzplatze ein wenig aus und ſetzt erſt dann ſeinen Weg fort. Die Lockſtimme iſt ein ziemlich deutlich hervorgeſtoßenes „Gägägäg‟ oder ein ſchwer zu beſchreibendes „Sehe oder grä‟. Beide Laute werden verſchieden betont und drücken bald freudige, bald ängſtliche Gefühle aus. Aehnliche Töne dienen zur Warnung der unerfahrenen Jungen. Von einzelnen Männchen vernimmt man kaum andere Laute, während andere zu den ausgezeichnetſten Sängern zählen. Der Dorndreher nämlich beſitzt eine wahrhaft überraſchende Fähigkeit, anderer Vögel Stimmen nachzuahmen. „Jch habe einmal‟, ſagt mein Vater, „dieſen Vogel wundervoll ſingen hören. Ein Männchen, welches kein Weibchen bei ſich hatte, ſaß auf der Spitze eines Buſches und ſang lange Zeit ziemlich laut und äußerſt angenehm. Es trug Strophen von der Feld- und Baum- lerche, von der Grasmücke und andern Sängern vor. Die Töne der drei erſtgenannten Arten kehrten oft wieder und waren ſo voll und unter einander gemiſcht, daß ſie äußerſt lieblich klangen.‟ — „Wenn
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Würger zählen, kennzeichnet ſich durch verhältnißmäßig kurzen und ſtarken Schnabel mit kleinem
Haken und durch verſchiedene Färbung der beiden Geſchlechter. Jn Deutſchland wird dieſe Sippe
durch zwei Arten vertreten, von denen die eine, der Dorndreher oder Neuntödter, Dornreich oder
Finkenbeißer und Spießer ꝛc. (Enneoctonus collurio) Jedermann bekannt ſein dürfte. Das Männchen
gehört zu unſern hübſcheſten Vögeln. Kopf, Hinterhals und Bürzel ſind hellaſchgrau; der Mantel iſt
braunroth, die Bruſt ſchwach roſenroth; ein oben und unten weit begrenzter Zügelſtreif durch das Auge
iſt ſchwarz; die Hand- und Armſchwingen ſind bräunlich grauſchwarz, ſchmal hellbraun gekantet, die
Oberarmſchwingen ſind faſt ganz roſtbraun; an der Wurzel der Armſchwingen ſteht ein kleines,
lichtes Fleckchen, welches, wenn der Flügel ausgebreitet iſt, eine ſichtbare Binde bildet; die Mittel-
federn des Schwanzes ſind braunſchwarz, die folgenden an der Wurzel, die äußerſten bis zu Drei-
viertel weiß und nur an der Spitze ſchwarz. Das Auge iſt braun, der Schnabel ſchwarz, der Fuß
grauſchwarz. Das Weibchen iſt ſehr vom Männchen verſchieden, oben roſtgrau, auf der Unterſeite
auf weißlichem Grunde braun gewellt. Die Jungen ähneln ihm, zeigen aber auch auf der Oberſeite
lichte Fleckenzeichnung. Die Länge beträgt 7 Zoll, die Breite 11½ Zoll.
Unter allen deutſchen Würgern iſt der Dorndreher der verbreitetſte. Er bewohnt faſt ganz
Europa von Skandinavien und Rußland an bis Südfrankreich und Griechenland und ebenſo das
gemäßigte Sibirien. Jn Spanien gehört er zu den Seltenheiten; doch ſoll er hier in den nord-
weſtlichen Provinzen als Standvogel gefunden werden. Gelegentlich ſeiner Winterreiſe durchſtreift
er ganz Nordoſtafrika: ſo iſt er während unſerer Wintermonate in den Urwaldungen der oberen
Nilländer eine ſehr häufige Erſcheinung; er wartet dort bei ſehr reichlichem Futter ſeine Mauſer ab,
welche in die Monate Dezember und Januar fällt. Bei uns zu Lande erſcheint er ſelten vor dem
Anfang des Mai und verweilt in der Regel nur bis Mitte Auguſts.
Gebüſche aller Art, welche an Wieſen und Weideplätze grenzen, Gärten und Baum-
pflanzungen ſind ſeine Aufenthaltsorte. Dichte Hecken ſcheinen ihm ein unumgänglich noth-
wendiges Erforderniß zum Wohlbefinden zu ſein. Rottet man ſolche Hecken aus, ſo verläßt dieſer
Würger, ſelbſt wenn er früher häufig war, die Gegend. Aber er iſt genügſam, denn ſchon ein
einziger dichter Buſch im Felde befriedigt ihn vollſtändig. Er baut dann viele Jahre nach einander
ſein Neſt immer an ein und dieſelbe Stelle. Auch er behauptet den einmal gewählten Wohnplatz mit
Hartnäckigkeit gegen jeden andern Vogel und namentlich gegen ein zweites Paar ſeiner Art.
Jn ſeinem Betragen hat der Dorndreher große Aehnlichkeit mit andern Arten der Familie.
Auch er iſt ein dreiſter, muthiger, munterer, unruhiger Vogel, welcher ſelbſt, wenn er ſitzt, den Kopf
beſtändig nach allen Seiten dreht und mit dem Schwanze auf und niederwippt. Die höchſten Spitzen
der Büſche und Bäume bilden für ihn Warten, von denen aus er ſein Jagdgebiet überſchaut,
und zu denen er nach jedem Ausflug mit großer Regelmäßigkeit zurückkehrt. Aufgejagt ſtürzt er ſich
von der Höhe bis gegen den Boden herab, fliegt tief über denſelben dahin und ſchwingt ſich erſt dann
wieder empor, wenn er von neuem ſich ſetzen will. Auch er fliegt ungern weit in einem Zuge, ruht
vielmehr auf jedem geeigneten Sitzplatze ein wenig aus und ſetzt erſt dann ſeinen Weg fort. Die
Lockſtimme iſt ein ziemlich deutlich hervorgeſtoßenes „Gägägäg‟ oder ein ſchwer zu beſchreibendes
„Sehe oder grä‟. Beide Laute werden verſchieden betont und drücken bald freudige, bald ängſtliche
Gefühle aus. Aehnliche Töne dienen zur Warnung der unerfahrenen Jungen. Von einzelnen
Männchen vernimmt man kaum andere Laute, während andere zu den ausgezeichnetſten Sängern
zählen. Der Dorndreher nämlich beſitzt eine wahrhaft überraſchende Fähigkeit, anderer Vögel
Stimmen nachzuahmen. „Jch habe einmal‟, ſagt mein Vater, „dieſen Vogel wundervoll ſingen
hören. Ein Männchen, welches kein Weibchen bei ſich hatte, ſaß auf der Spitze eines Buſches und
ſang lange Zeit ziemlich laut und äußerſt angenehm. Es trug Strophen von der Feld- und Baum-
lerche, von der Grasmücke und andern Sängern vor. Die Töne der drei erſtgenannten Arten kehrten
oft wieder und waren ſo voll und unter einander gemiſcht, daß ſie äußerſt lieblich klangen.‟ — „Wenn
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 699. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/741>, abgerufen am 22.11.2024.
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