ein Sänger", berichtet Graf Gourcy meinem Vater, "den Namen Spottvogel verdient, so ist es unbe- streitbar dieser. Nach meiner Meinung hat er, außer einigen rauhen Strophen, keinen eigenen Gesang, und deswegen singen auch die aufgezogenen, wenn sie nicht unter anderen gut singenden Vögeln aufwachsen, ziemlich schlecht. Die Wildfänge werden nicht leicht zahm; sind sie es aber ein- mal und an einem Standorte gefangen, wo sie von lauter gut singenden Vögeln umgeben waren: dann kann man keinen angenehmeren Sänger in der Stube besitzen, als diesen Würger; denn mit immer erneueter Lust hört man ihn seine vielfach abwechselnden, zum Täuschen ähnlichen Gesänge vortragen. Nur schade, daß beinahe ein jeder seinen schönen Liedern einige schlechte Töne beimischt! Besonders ist es der Unkenruf, den sich fast alle zu eigen machen."
"Der, welchen ich jetzt besitze, ist ein vorzüglicher Vogel, welcher auf eine täuschende und ent- zückend schöne Art die Gesänge der Nachtigall, der Feldlerche, Rauchschwalbe, Sperber-Grasmücke, des Mönchs, Goldammers, den Ruf der Amsel und des Rebhuhns nachahmt und auf eine so feine Art in einander verschmilzt, daß man durchaus keinen Uebergang bemerkt. Außerdem bellt er noch wie ein Hund. Er sang zuweilen noch im September und begann schon am 16. November wieder."
Leider macht sich dieser so muntere und singfähige Vogel in anderer Hinsicht im höchsten Grade unbeliebt. Er ist einer der abscheulichsten Feinde der kleinen Singvögel, welchen wir kennen. Kerbthiere bilden allerdings seine Hauptnahrung, und namentlich Käfer, Heuschrecken, Schmetterlinge, auch wohl Raupen werden sehr eifrig von ihm verfolgt und selbst dann noch getödtet, wenn er bereits gesättigt ist; aber dabei bleibt es nicht. Der Dorndreher stellt auch allen kleinen Wirbelthieren nach, welche er irgendwie bezwingen kann, und haust unter dem Kleingeflügel in einer Weise, welche der vernünftige Mensch eben nicht dulden kann. Da, wo ein Dorndreherpaar sich ansässig gemacht hat, verschwinden nach und nach alle kleinen Grasmücken, Laub- und Gartensänger, ja sogar die Höhlenbrüter. Sie verlassen in Folge der ewigen Bedrohung die Gegend oder werden von dem Dorndreher ergriffen und aufgefressen. Die Nester weiß er sehr geschickt auszuspüren, und hat er eins gefunden, so holt er sich gewiß ein Junges nach dem andern weg. Naumann hat beobachtet, daß er junge Dorngrasmücken, gelbe Bachstelzen, Krautvögelchen und Spießlerchen erwürgte und fort- schleppte, daß er die in Sprenkeln gefangenen Vögel anging, daß er Finken aus den Gebauern heraus- zuziehen versuchte. Andere Beobachter erfuhren Dasselbe. "Jch habe", sagt Lenz, "schon einige- male folgende Versuche gemacht: 1) Jn einem großen, mit starkem Dornzaun umgebenen Garten schoß ich in einigen Jahren jeden Würger, sowie er sich ansiedelte, todt. So konnten die nützlichen Vögelchen ruhig in den von mir angeschlagenen Kästchen und in selbstgebauten Nestern brüten, wurden über das Ungeziefer ganz Herr, und ich bekam Massen trefflichen Obstes. -- 2) Jn einem ebenso beschaffenen Garten ließ ich die Würger nach ihrem Belieben hausen. Dabei verließen aber alle andren Vögelchen den Garten, selbst diejenigen, welche daselbst in den Brutkästchen zu nisten pflegten; meine Bäume wurden von den Raupen erbärmlich kahl gefressen, und ich bekam gar kein Obst. -- 3) Jn dem noch größeren Garten eines meiner Nachbarn hegte ich die Würger in einer Ecke, welche ein großes Dorngebüsch bildete. Dagegen zerstörte ich jedes andre Würgernest in diesem Garten, sowie es gebaut war, erschoß auch die Alten. So zeigte sich's denn bald, daß rings um die bewußte Ecke alle Obstbäume entblättert wurden und keine Frucht trugen, während sie an andren Stellen gut gediehen." --
Mehr noch, als andere Arten seiner Familie hat der Dorndreher die Gewohnheit, alles Gefangene vor dem Verzehren erst auf einen Dornen oder sonstigen spitzen Zweig zu spießen. "Er sammelt sich", sagt Naumann, sogar hier, wenn er gerade gesättigt ist, ganze Mahlzeiten und verzehrt diese Vorräthe, sobald ihn der Hunger wieder angreift, mit einem Male. So findet man bei schönem Wetter fast nur Käfer, Kerbthiere und kleine Frösche, bei kalter, stürmischer Witterung hingegen oft ganze Gehecke junger Vögel an die Dornen gespießt, und ich habe manchmal darunter sogar schon flügge ausgeflogene Grasmücken und Schwalben gefunden. Das Gehirn der Vögel scheint einer seiner Leckerbissen zu sein; denn den mehrsten Vögeln, die ich aufgespießt fand, hatte er zuerst nur das
Die Fänger. Singvögel. Würger.
ein Sänger‟, berichtet Graf Gourcy meinem Vater, „den Namen Spottvogel verdient, ſo iſt es unbe- ſtreitbar dieſer. Nach meiner Meinung hat er, außer einigen rauhen Strophen, keinen eigenen Geſang, und deswegen ſingen auch die aufgezogenen, wenn ſie nicht unter anderen gut ſingenden Vögeln aufwachſen, ziemlich ſchlecht. Die Wildfänge werden nicht leicht zahm; ſind ſie es aber ein- mal und an einem Standorte gefangen, wo ſie von lauter gut ſingenden Vögeln umgeben waren: dann kann man keinen angenehmeren Sänger in der Stube beſitzen, als dieſen Würger; denn mit immer erneueter Luſt hört man ihn ſeine vielfach abwechſelnden, zum Täuſchen ähnlichen Geſänge vortragen. Nur ſchade, daß beinahe ein jeder ſeinen ſchönen Liedern einige ſchlechte Töne beimiſcht! Beſonders iſt es der Unkenruf, den ſich faſt alle zu eigen machen.‟
„Der, welchen ich jetzt beſitze, iſt ein vorzüglicher Vogel, welcher auf eine täuſchende und ent- zückend ſchöne Art die Geſänge der Nachtigall, der Feldlerche, Rauchſchwalbe, Sperber-Grasmücke, des Mönchs, Goldammers, den Ruf der Amſel und des Rebhuhns nachahmt und auf eine ſo feine Art in einander verſchmilzt, daß man durchaus keinen Uebergang bemerkt. Außerdem bellt er noch wie ein Hund. Er ſang zuweilen noch im September und begann ſchon am 16. November wieder.‟
Leider macht ſich dieſer ſo muntere und ſingfähige Vogel in anderer Hinſicht im höchſten Grade unbeliebt. Er iſt einer der abſcheulichſten Feinde der kleinen Singvögel, welchen wir kennen. Kerbthiere bilden allerdings ſeine Hauptnahrung, und namentlich Käfer, Heuſchrecken, Schmetterlinge, auch wohl Raupen werden ſehr eifrig von ihm verfolgt und ſelbſt dann noch getödtet, wenn er bereits geſättigt iſt; aber dabei bleibt es nicht. Der Dorndreher ſtellt auch allen kleinen Wirbelthieren nach, welche er irgendwie bezwingen kann, und hauſt unter dem Kleingeflügel in einer Weiſe, welche der vernünftige Menſch eben nicht dulden kann. Da, wo ein Dorndreherpaar ſich anſäſſig gemacht hat, verſchwinden nach und nach alle kleinen Grasmücken, Laub- und Gartenſänger, ja ſogar die Höhlenbrüter. Sie verlaſſen in Folge der ewigen Bedrohung die Gegend oder werden von dem Dorndreher ergriffen und aufgefreſſen. Die Neſter weiß er ſehr geſchickt auszuſpüren, und hat er eins gefunden, ſo holt er ſich gewiß ein Junges nach dem andern weg. Naumann hat beobachtet, daß er junge Dorngrasmücken, gelbe Bachſtelzen, Krautvögelchen und Spießlerchen erwürgte und fort- ſchleppte, daß er die in Sprenkeln gefangenen Vögel anging, daß er Finken aus den Gebauern heraus- zuziehen verſuchte. Andere Beobachter erfuhren Daſſelbe. „Jch habe‟, ſagt Lenz, „ſchon einige- male folgende Verſuche gemacht: 1) Jn einem großen, mit ſtarkem Dornzaun umgebenen Garten ſchoß ich in einigen Jahren jeden Würger, ſowie er ſich anſiedelte, todt. So konnten die nützlichen Vögelchen ruhig in den von mir angeſchlagenen Käſtchen und in ſelbſtgebauten Neſtern brüten, wurden über das Ungeziefer ganz Herr, und ich bekam Maſſen trefflichen Obſtes. — 2) Jn einem ebenſo beſchaffenen Garten ließ ich die Würger nach ihrem Belieben hauſen. Dabei verließen aber alle andren Vögelchen den Garten, ſelbſt diejenigen, welche daſelbſt in den Brutkäſtchen zu niſten pflegten; meine Bäume wurden von den Raupen erbärmlich kahl gefreſſen, und ich bekam gar kein Obſt. — 3) Jn dem noch größeren Garten eines meiner Nachbarn hegte ich die Würger in einer Ecke, welche ein großes Dorngebüſch bildete. Dagegen zerſtörte ich jedes andre Würgerneſt in dieſem Garten, ſowie es gebaut war, erſchoß auch die Alten. So zeigte ſich’s denn bald, daß rings um die bewußte Ecke alle Obſtbäume entblättert wurden und keine Frucht trugen, während ſie an andren Stellen gut gediehen.‟ —
Mehr noch, als andere Arten ſeiner Familie hat der Dorndreher die Gewohnheit, alles Gefangene vor dem Verzehren erſt auf einen Dornen oder ſonſtigen ſpitzen Zweig zu ſpießen. „Er ſammelt ſich‟, ſagt Naumann, ſogar hier, wenn er gerade geſättigt iſt, ganze Mahlzeiten und verzehrt dieſe Vorräthe, ſobald ihn der Hunger wieder angreift, mit einem Male. So findet man bei ſchönem Wetter faſt nur Käfer, Kerbthiere und kleine Fröſche, bei kalter, ſtürmiſcher Witterung hingegen oft ganze Gehecke junger Vögel an die Dornen geſpießt, und ich habe manchmal darunter ſogar ſchon flügge ausgeflogene Grasmücken und Schwalben gefunden. Das Gehirn der Vögel ſcheint einer ſeiner Leckerbiſſen zu ſein; denn den mehrſten Vögeln, die ich aufgeſpießt fand, hatte er zuerſt nur das
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Die Fänger. Singvögel. Würger.
ein Sänger‟, berichtet Graf Gourcy meinem Vater, „den Namen Spottvogel verdient, ſo iſt es unbe-
ſtreitbar dieſer. Nach meiner Meinung hat er, außer einigen rauhen Strophen, keinen eigenen
Geſang, und deswegen ſingen auch die aufgezogenen, wenn ſie nicht unter anderen gut ſingenden
Vögeln aufwachſen, ziemlich ſchlecht. Die Wildfänge werden nicht leicht zahm; ſind ſie es aber ein-
mal und an einem Standorte gefangen, wo ſie von lauter gut ſingenden Vögeln umgeben waren: dann
kann man keinen angenehmeren Sänger in der Stube beſitzen, als dieſen Würger; denn mit
immer erneueter Luſt hört man ihn ſeine vielfach abwechſelnden, zum Täuſchen ähnlichen Geſänge
vortragen. Nur ſchade, daß beinahe ein jeder ſeinen ſchönen Liedern einige ſchlechte Töne beimiſcht!
Beſonders iſt es der Unkenruf, den ſich faſt alle zu eigen machen.‟
„Der, welchen ich jetzt beſitze, iſt ein vorzüglicher Vogel, welcher auf eine täuſchende und ent-
zückend ſchöne Art die Geſänge der Nachtigall, der Feldlerche, Rauchſchwalbe, Sperber-Grasmücke,
des Mönchs, Goldammers, den Ruf der Amſel und des Rebhuhns nachahmt und auf eine ſo feine
Art in einander verſchmilzt, daß man durchaus keinen Uebergang bemerkt. Außerdem bellt er noch
wie ein Hund. Er ſang zuweilen noch im September und begann ſchon am 16. November wieder.‟
Leider macht ſich dieſer ſo muntere und ſingfähige Vogel in anderer Hinſicht im höchſten Grade
unbeliebt. Er iſt einer der abſcheulichſten Feinde der kleinen Singvögel, welchen wir kennen.
Kerbthiere bilden allerdings ſeine Hauptnahrung, und namentlich Käfer, Heuſchrecken, Schmetterlinge,
auch wohl Raupen werden ſehr eifrig von ihm verfolgt und ſelbſt dann noch getödtet, wenn er bereits
geſättigt iſt; aber dabei bleibt es nicht. Der Dorndreher ſtellt auch allen kleinen Wirbelthieren
nach, welche er irgendwie bezwingen kann, und hauſt unter dem Kleingeflügel in einer Weiſe, welche
der vernünftige Menſch eben nicht dulden kann. Da, wo ein Dorndreherpaar ſich anſäſſig gemacht
hat, verſchwinden nach und nach alle kleinen Grasmücken, Laub- und Gartenſänger, ja ſogar die
Höhlenbrüter. Sie verlaſſen in Folge der ewigen Bedrohung die Gegend oder werden von dem
Dorndreher ergriffen und aufgefreſſen. Die Neſter weiß er ſehr geſchickt auszuſpüren, und hat er
eins gefunden, ſo holt er ſich gewiß ein Junges nach dem andern weg. Naumann hat beobachtet,
daß er junge Dorngrasmücken, gelbe Bachſtelzen, Krautvögelchen und Spießlerchen erwürgte und fort-
ſchleppte, daß er die in Sprenkeln gefangenen Vögel anging, daß er Finken aus den Gebauern heraus-
zuziehen verſuchte. Andere Beobachter erfuhren Daſſelbe. „Jch habe‟, ſagt Lenz, „ſchon einige-
male folgende Verſuche gemacht: 1) Jn einem großen, mit ſtarkem Dornzaun umgebenen Garten
ſchoß ich in einigen Jahren jeden Würger, ſowie er ſich anſiedelte, todt. So konnten die nützlichen
Vögelchen ruhig in den von mir angeſchlagenen Käſtchen und in ſelbſtgebauten Neſtern brüten, wurden
über das Ungeziefer ganz Herr, und ich bekam Maſſen trefflichen Obſtes. — 2) Jn einem ebenſo
beſchaffenen Garten ließ ich die Würger nach ihrem Belieben hauſen. Dabei verließen aber alle
andren Vögelchen den Garten, ſelbſt diejenigen, welche daſelbſt in den Brutkäſtchen zu niſten pflegten;
meine Bäume wurden von den Raupen erbärmlich kahl gefreſſen, und ich bekam gar kein Obſt. —
3) Jn dem noch größeren Garten eines meiner Nachbarn hegte ich die Würger in einer Ecke, welche
ein großes Dorngebüſch bildete. Dagegen zerſtörte ich jedes andre Würgerneſt in dieſem Garten,
ſowie es gebaut war, erſchoß auch die Alten. So zeigte ſich’s denn bald, daß rings um die bewußte
Ecke alle Obſtbäume entblättert wurden und keine Frucht trugen, während ſie an andren Stellen gut
gediehen.‟ —
Mehr noch, als andere Arten ſeiner Familie hat der Dorndreher die Gewohnheit, alles Gefangene
vor dem Verzehren erſt auf einen Dornen oder ſonſtigen ſpitzen Zweig zu ſpießen. „Er ſammelt
ſich‟, ſagt Naumann, ſogar hier, wenn er gerade geſättigt iſt, ganze Mahlzeiten und verzehrt dieſe
Vorräthe, ſobald ihn der Hunger wieder angreift, mit einem Male. So findet man bei ſchönem
Wetter faſt nur Käfer, Kerbthiere und kleine Fröſche, bei kalter, ſtürmiſcher Witterung hingegen oft
ganze Gehecke junger Vögel an die Dornen geſpießt, und ich habe manchmal darunter ſogar ſchon
flügge ausgeflogene Grasmücken und Schwalben gefunden. Das Gehirn der Vögel ſcheint einer
ſeiner Leckerbiſſen zu ſein; denn den mehrſten Vögeln, die ich aufgeſpießt fand, hatte er zuerſt nur das
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 700. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/742>, abgerufen am 22.11.2024.
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