traurig zu sein; wenigstens verhält er sich vollkommen still. Sobald er aber seine natürliche Leben- digkeit wieder erlangt hat, hört man seinen scharfen, trillernden Schrei über jedem Felde und längs der Säume aller unserer Wälder. Jm Jnnern der Waldungen findet er sich selten; er bevorzugt viel- mehr Baumgärten, Felder, die Ufer der Flüsse und die Gärten, welche das Haus des Pflanzers um- geben. Hier läßt er sich am leichtesten beobachten.
Wenn die Brutzeit herannaht, nimmt der Flug dieser Vögel ein anderes Gepräge an. Man sieht die Gatten eines Paares in einer Höhe von zwanzig oder dreißig Ellen über dem Grunde unter fortwährenden flatternden Bewegungen der Flügel dahinstreichen und vernimmt dabei fast ohne Auf- hören seinen lauten Schrei. Das Weibchen folgt der Spur des Männchens, und beide scheinen sich nach einem geeigneten Platz für ihr Nest umzusehen. Währenddem haben sie aber auch auf verschie- dene Kerbthiere wohl Acht, lassen sich durch sie ab und zu aus ihrem Wege lenken und nehmen die erspähten mit einer geschickten Schwenkung auf. Dieses Spiel wird dadurch unterbrochen, daß beide sich dicht neben einander auf einen Baumzweig setzen, um auszuruhen. Die Wahl des Nistplatzes wird beendet, und nunmehr sucht sich das glückliche Pärchen trockene Zweige vom Grunde auf, erhebt sich mit ihnen zu einem wagerechten Aste und legt hier den Grund zur Wiege seiner Kinder. Flocken von Baumwolle, Wolle oder Werg und ähnliche Stoffe, welche dem Neste eine bedeutende Größe, aber auch ziemliche Festigkeit gewähren, werden auf diesem Grunde aufgebaut; das Jnnere wird mit feinen Würzelchen und Roßhaaren ziemlich dick ausgepolstert. Nun legt das Weibchen seine vier bis sechs, auf röthlichweißem Grunde unregelmäßig braun getüpfelten Eier und beginnt zu brüten.
Jetzt zeigt sich das Männchen voller Muth und Eifer. Jn der Nähe der geliebten Gattin sitzt es auf einem Zweige und scheint keinen anderen Gedanken zu hegen, als sie vor jeder Gefahr zu schützen und zu vertheidigen. Die erhobenen und ausgebreiteten Federn des Hauptes glänzen im Strahl der Sonne; die weiße Brust leuchtet auf weithin. So sitzt es auf seinem Stande und läßt sein wachsames Auge rundum schweifen. Sollte es eine Krähe, einen Geier, einen Adler erspähen, gleichviel, ob in der Nähe oder in der Ferne, so erhebt es sich jählings, stürzt sich auf den gefährlichen Gegner, nähert sich ihm und beginnt nun, ihn mit Wuth anzugreifen. Es stürzt sich auf seinen Feind hernieder, läßt seinen Schlachtruf ertönen, fällt wiederholt auf den Rücken des Gewaltigen herab und versucht, sich hier festzusetzen. Jn dieser Weise, den minder gewandten Gegner fortwährend durch wiederholte Schnabelstöße behelligend, folgt es ihm vielleicht eine (englische) Meile weit, bis es seine Pflicht gethan zu haben glaubt. Dann verläßt es ihn und eilt, wie gewöhnlich mit den Flügeln zitternd und beständig trillernd, zu dem Neste zurück. Es gibt wenige Falken, welche sich dem Nistplatze des Königsvogels nähern; selbst die Katze hält sich so viel als möglich zu Hause, und wenn sie wirklich erscheinen sollte, stürzt sich der kleine Krieger, welcher ebenso furchtlos ist wie der kühnste Adler, mit so schneller und kräftiger Bewegung auf sie und bringt sie durch wiederholte Angriffe von allen Seiten derartig außer Fassung, daß Hinz, in die Flucht geschlagen und beschämt, nach Hause zieht.
Der Königsvogel verdient die vollste Freundschaft und Begünstigung des Menschen. Die vielen Eier des Hühnerhofes, welche er vor der plündernden Krähe beschützt, die große Kükenzahl, welche Dank seiner Fürsorge, vor der räuberischen Klaue des Falken gesichert ist, die Menge von Kerb- thieren, die er vernichtet, wiegen reichlich die wenigen Beeren und Feigen auf, welche er frißt.
Der Tyrann fürchtet keinen seiner luftbeherrschenden Gegner, mit Ausnahme der Purpurschwalbe. Obwohl ihn diese oft im Beschützen des Nestes und Gehöftes unterstützt, greift sie ihn doch zuweilen mit solchem Nachdruck an, daß sie ihn zum Rückzug zwingt. Freilich übertrifft auch der Flug der Schwalbe den des Königsvogels so sehr an Schnelligkeit und Kraft, daß er sie befähigt, dem Stoß des kräftigeren Tyrannen, welcher ihr gefährlich werden könnte, ohne Mühe auszuweichen. Audubon führt ein Beispiel an, daß einige Purpurschwalben, welche bis dahin mehrere Jahre lang die alleinigen Eigen- thümer eines Gehöfts gewesen waren, den größten Haß gegen ein Paar Königsvögel an den Tag legten, die sich erdreistet hatten, ihr Nest auf einem, dem Hause nahen Baume zu erbauen. Als das Weibchen des Paares zu brüten anfing, griffen die Schwalben das wachende Männchen einige Tage unablässig an,
Die Fänger. Singvögel. Königswürger.
traurig zu ſein; wenigſtens verhält er ſich vollkommen ſtill. Sobald er aber ſeine natürliche Leben- digkeit wieder erlangt hat, hört man ſeinen ſcharfen, trillernden Schrei über jedem Felde und längs der Säume aller unſerer Wälder. Jm Jnnern der Waldungen findet er ſich ſelten; er bevorzugt viel- mehr Baumgärten, Felder, die Ufer der Flüſſe und die Gärten, welche das Haus des Pflanzers um- geben. Hier läßt er ſich am leichteſten beobachten.
Wenn die Brutzeit herannaht, nimmt der Flug dieſer Vögel ein anderes Gepräge an. Man ſieht die Gatten eines Paares in einer Höhe von zwanzig oder dreißig Ellen über dem Grunde unter fortwährenden flatternden Bewegungen der Flügel dahinſtreichen und vernimmt dabei faſt ohne Auf- hören ſeinen lauten Schrei. Das Weibchen folgt der Spur des Männchens, und beide ſcheinen ſich nach einem geeigneten Platz für ihr Neſt umzuſehen. Währenddem haben ſie aber auch auf verſchie- dene Kerbthiere wohl Acht, laſſen ſich durch ſie ab und zu aus ihrem Wege lenken und nehmen die erſpähten mit einer geſchickten Schwenkung auf. Dieſes Spiel wird dadurch unterbrochen, daß beide ſich dicht neben einander auf einen Baumzweig ſetzen, um auszuruhen. Die Wahl des Niſtplatzes wird beendet, und nunmehr ſucht ſich das glückliche Pärchen trockene Zweige vom Grunde auf, erhebt ſich mit ihnen zu einem wagerechten Aſte und legt hier den Grund zur Wiege ſeiner Kinder. Flocken von Baumwolle, Wolle oder Werg und ähnliche Stoffe, welche dem Neſte eine bedeutende Größe, aber auch ziemliche Feſtigkeit gewähren, werden auf dieſem Grunde aufgebaut; das Jnnere wird mit feinen Würzelchen und Roßhaaren ziemlich dick ausgepolſtert. Nun legt das Weibchen ſeine vier bis ſechs, auf röthlichweißem Grunde unregelmäßig braun getüpfelten Eier und beginnt zu brüten.
Jetzt zeigt ſich das Männchen voller Muth und Eifer. Jn der Nähe der geliebten Gattin ſitzt es auf einem Zweige und ſcheint keinen anderen Gedanken zu hegen, als ſie vor jeder Gefahr zu ſchützen und zu vertheidigen. Die erhobenen und ausgebreiteten Federn des Hauptes glänzen im Strahl der Sonne; die weiße Bruſt leuchtet auf weithin. So ſitzt es auf ſeinem Stande und läßt ſein wachſames Auge rundum ſchweifen. Sollte es eine Krähe, einen Geier, einen Adler erſpähen, gleichviel, ob in der Nähe oder in der Ferne, ſo erhebt es ſich jählings, ſtürzt ſich auf den gefährlichen Gegner, nähert ſich ihm und beginnt nun, ihn mit Wuth anzugreifen. Es ſtürzt ſich auf ſeinen Feind hernieder, läßt ſeinen Schlachtruf ertönen, fällt wiederholt auf den Rücken des Gewaltigen herab und verſucht, ſich hier feſtzuſetzen. Jn dieſer Weiſe, den minder gewandten Gegner fortwährend durch wiederholte Schnabelſtöße behelligend, folgt es ihm vielleicht eine (engliſche) Meile weit, bis es ſeine Pflicht gethan zu haben glaubt. Dann verläßt es ihn und eilt, wie gewöhnlich mit den Flügeln zitternd und beſtändig trillernd, zu dem Neſte zurück. Es gibt wenige Falken, welche ſich dem Niſtplatze des Königsvogels nähern; ſelbſt die Katze hält ſich ſo viel als möglich zu Hauſe, und wenn ſie wirklich erſcheinen ſollte, ſtürzt ſich der kleine Krieger, welcher ebenſo furchtlos iſt wie der kühnſte Adler, mit ſo ſchneller und kräftiger Bewegung auf ſie und bringt ſie durch wiederholte Angriffe von allen Seiten derartig außer Faſſung, daß Hinz, in die Flucht geſchlagen und beſchämt, nach Hauſe zieht.
Der Königsvogel verdient die vollſte Freundſchaft und Begünſtigung des Menſchen. Die vielen Eier des Hühnerhofes, welche er vor der plündernden Krähe beſchützt, die große Kükenzahl, welche Dank ſeiner Fürſorge, vor der räuberiſchen Klaue des Falken geſichert iſt, die Menge von Kerb- thieren, die er vernichtet, wiegen reichlich die wenigen Beeren und Feigen auf, welche er frißt.
Der Tyrann fürchtet keinen ſeiner luftbeherrſchenden Gegner, mit Ausnahme der Purpurſchwalbe. Obwohl ihn dieſe oft im Beſchützen des Neſtes und Gehöftes unterſtützt, greift ſie ihn doch zuweilen mit ſolchem Nachdruck an, daß ſie ihn zum Rückzug zwingt. Freilich übertrifft auch der Flug der Schwalbe den des Königsvogels ſo ſehr an Schnelligkeit und Kraft, daß er ſie befähigt, dem Stoß des kräftigeren Tyrannen, welcher ihr gefährlich werden könnte, ohne Mühe auszuweichen. Audubon führt ein Beiſpiel an, daß einige Purpurſchwalben, welche bis dahin mehrere Jahre lang die alleinigen Eigen- thümer eines Gehöfts geweſen waren, den größten Haß gegen ein Paar Königsvögel an den Tag legten, die ſich erdreiſtet hatten, ihr Neſt auf einem, dem Hauſe nahen Baume zu erbauen. Als das Weibchen des Paares zu brüten anfing, griffen die Schwalben das wachende Männchen einige Tage unabläſſig an,
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Die Fänger. Singvögel. Königswürger.
traurig zu ſein; wenigſtens verhält er ſich vollkommen ſtill. Sobald er aber ſeine natürliche Leben-
digkeit wieder erlangt hat, hört man ſeinen ſcharfen, trillernden Schrei über jedem Felde und längs der
Säume aller unſerer Wälder. Jm Jnnern der Waldungen findet er ſich ſelten; er bevorzugt viel-
mehr Baumgärten, Felder, die Ufer der Flüſſe und die Gärten, welche das Haus des Pflanzers um-
geben. Hier läßt er ſich am leichteſten beobachten.
Wenn die Brutzeit herannaht, nimmt der Flug dieſer Vögel ein anderes Gepräge an. Man
ſieht die Gatten eines Paares in einer Höhe von zwanzig oder dreißig Ellen über dem Grunde unter
fortwährenden flatternden Bewegungen der Flügel dahinſtreichen und vernimmt dabei faſt ohne Auf-
hören ſeinen lauten Schrei. Das Weibchen folgt der Spur des Männchens, und beide ſcheinen ſich
nach einem geeigneten Platz für ihr Neſt umzuſehen. Währenddem haben ſie aber auch auf verſchie-
dene Kerbthiere wohl Acht, laſſen ſich durch ſie ab und zu aus ihrem Wege lenken und nehmen die
erſpähten mit einer geſchickten Schwenkung auf. Dieſes Spiel wird dadurch unterbrochen, daß beide
ſich dicht neben einander auf einen Baumzweig ſetzen, um auszuruhen. Die Wahl des Niſtplatzes
wird beendet, und nunmehr ſucht ſich das glückliche Pärchen trockene Zweige vom Grunde auf, erhebt
ſich mit ihnen zu einem wagerechten Aſte und legt hier den Grund zur Wiege ſeiner Kinder. Flocken
von Baumwolle, Wolle oder Werg und ähnliche Stoffe, welche dem Neſte eine bedeutende Größe,
aber auch ziemliche Feſtigkeit gewähren, werden auf dieſem Grunde aufgebaut; das Jnnere wird mit
feinen Würzelchen und Roßhaaren ziemlich dick ausgepolſtert. Nun legt das Weibchen ſeine vier bis
ſechs, auf röthlichweißem Grunde unregelmäßig braun getüpfelten Eier und beginnt zu brüten.
Jetzt zeigt ſich das Männchen voller Muth und Eifer. Jn der Nähe der geliebten Gattin ſitzt
es auf einem Zweige und ſcheint keinen anderen Gedanken zu hegen, als ſie vor jeder Gefahr zu
ſchützen und zu vertheidigen. Die erhobenen und ausgebreiteten Federn des Hauptes glänzen im
Strahl der Sonne; die weiße Bruſt leuchtet auf weithin. So ſitzt es auf ſeinem Stande und läßt
ſein wachſames Auge rundum ſchweifen. Sollte es eine Krähe, einen Geier, einen Adler erſpähen,
gleichviel, ob in der Nähe oder in der Ferne, ſo erhebt es ſich jählings, ſtürzt ſich auf den gefährlichen
Gegner, nähert ſich ihm und beginnt nun, ihn mit Wuth anzugreifen. Es ſtürzt ſich auf ſeinen Feind
hernieder, läßt ſeinen Schlachtruf ertönen, fällt wiederholt auf den Rücken des Gewaltigen herab und
verſucht, ſich hier feſtzuſetzen. Jn dieſer Weiſe, den minder gewandten Gegner fortwährend durch
wiederholte Schnabelſtöße behelligend, folgt es ihm vielleicht eine (engliſche) Meile weit, bis es ſeine Pflicht
gethan zu haben glaubt. Dann verläßt es ihn und eilt, wie gewöhnlich mit den Flügeln zitternd und
beſtändig trillernd, zu dem Neſte zurück. Es gibt wenige Falken, welche ſich dem Niſtplatze des
Königsvogels nähern; ſelbſt die Katze hält ſich ſo viel als möglich zu Hauſe, und wenn ſie wirklich
erſcheinen ſollte, ſtürzt ſich der kleine Krieger, welcher ebenſo furchtlos iſt wie der kühnſte Adler, mit
ſo ſchneller und kräftiger Bewegung auf ſie und bringt ſie durch wiederholte Angriffe von allen Seiten
derartig außer Faſſung, daß Hinz, in die Flucht geſchlagen und beſchämt, nach Hauſe zieht.
Der Königsvogel verdient die vollſte Freundſchaft und Begünſtigung des Menſchen. Die vielen
Eier des Hühnerhofes, welche er vor der plündernden Krähe beſchützt, die große Kükenzahl, welche
Dank ſeiner Fürſorge, vor der räuberiſchen Klaue des Falken geſichert iſt, die Menge von Kerb-
thieren, die er vernichtet, wiegen reichlich die wenigen Beeren und Feigen auf, welche er frißt.
Der Tyrann fürchtet keinen ſeiner luftbeherrſchenden Gegner, mit Ausnahme der Purpurſchwalbe.
Obwohl ihn dieſe oft im Beſchützen des Neſtes und Gehöftes unterſtützt, greift ſie ihn doch zuweilen
mit ſolchem Nachdruck an, daß ſie ihn zum Rückzug zwingt. Freilich übertrifft auch der Flug der
Schwalbe den des Königsvogels ſo ſehr an Schnelligkeit und Kraft, daß er ſie befähigt, dem Stoß des
kräftigeren Tyrannen, welcher ihr gefährlich werden könnte, ohne Mühe auszuweichen. Audubon führt
ein Beiſpiel an, daß einige Purpurſchwalben, welche bis dahin mehrere Jahre lang die alleinigen Eigen-
thümer eines Gehöfts geweſen waren, den größten Haß gegen ein Paar Königsvögel an den Tag legten,
die ſich erdreiſtet hatten, ihr Neſt auf einem, dem Hauſe nahen Baume zu erbauen. Als das Weibchen
des Paares zu brüten anfing, griffen die Schwalben das wachende Männchen einige Tage unabläſſig an,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/762>, abgerufen am 22.11.2024.
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