fehlt. Jm Urwalde habe ich sie selten gesehen, im dünnbestandenen Steppenwalde ist sie häufig, hohe Gebirgs-, nicht aber Bergwaldungen scheint sie zu meiden.
Lindermayer glaubt, daß Griechenland der einzige Brutort der Baumnachtigall sei und behauptet, daß sie in Afrika nur in den Wintermonaten beobachtet worden wäre, irrt sich aber in doppelter Hinsicht; denn dieselbe Baumnachtigall, welche in Griechenland lebt, brütet auch in Klein- asien und in -- Egypten, ungefähr zu derselben Zeit, wie in Griechenland. Dabei nimmt der genannte Forscher noch außerdem an, daß die spanische mit der griechischen Baumnachtigall gleichartig ist; von ihr aber haben wir in Spanien, Tristam, Homeyer in Algerien das Nest gefunden oder wenigstens die Nestjungen gesehen. Von der innerafrikanischen Art, welche schwerlich jemals den Wendekreis nach Norden hin überschreitet, scheint Lindermayer gar Nichts zu wissen. Soviel mag richtig sein, daß die Scheidegebirge der drei südlichen Halbinseln die nördliche Heimatsgrenze des Vogels bilden und nur selten von ihm überschritten werden, wie es beispielsweise von jenen geschehen ist, welche auf Helgoland und in England (Devonshire) erlegt wurden.
Jn Mittelafrika ist die Baumnachtigall Standvogel, in Nordafrika und Südeuropa Zugvogel. Sie erscheint in Griechenland und Spanien Mitte oder Ende Aprils, in Egypten kaum früher, und verläßt das Land zu Ende Septembers wieder. Die Männchen kommen zuerst an, die Weibchen folgen einige Tage später nach. Während ihres Zuges macht sie sich allerorten bemerklich; später muß man sie auf ihren Lieblingsplätzen aufsuchen. Hier freilich fällt sie Jedem auf, welcher Augen hat, zu sehen: in Spanien ist der "Rosardo" (Röthling) oder "Alzarabo" (Schwanzaufheber) ebenso bekannt, wie bei uns zu Lande das Rothkehlchen. Die Baumnachtigall macht ihrem Namen "Agrobates" alle Ehre; denn sie liebt es in der That, auf die Spitzen zu gehen. Der höchste Zweig des Lieblingsbusches, der Pfahl, an welchem die Rebe befestigt ist, ein Baumwipfel oder ein Tele- graphendraht -- das sind Warten, wie sie solche haben mag. Hier sitzt sie, den Schwanz gestelzt, die Flügel gesenkt, mit eingeknickten Beinen, aber ziemlich aufgerichtet; von hier herab trägt sie ihr Lied vor, vonhieraus spät sie nach Beute aus. Entdeckt sie einen Wurm, ein Kerbthier oder etwas Aehnliches, so stürzt sie sich rasch auf den Boden herab, bückt sich, wippt mit dem Schwanze und breitet ihn aus, seine volle Schönheit zeigend, rennt dann eilig ein Stück auf dem Boden dahin, fängt den Raub, ruft dabei behaglich ihr lockendes "Tak, tak" und kehrt nach demselben Ruhepunkte, welchen sie früher einnahm, wieder zurück. Dasselbe geschieht, wenn sie von hier verjagt wird; es geschieht so regelmäßig, daß der Schütz sie unfehlbar erlegt, wenn er sich in der Nähe einer ihrer Warten anstellt und sie durch einen Jagdhelfer treiben läßt. Sie nimmt, wie die Nachtigall ihre Nahrung nur oder doch hauptsächlich vom Boden auf und sucht deshalb alle nackten Stellen ab, kommt auch auf freie Blößen heraus und läuft namentlich oft auf Wegen und Straßen umher. Jhr Gang und ihr Flug ähneln den Bewegungen der Nachtigall so, daß ich hierin keinen Unterschied habe wahrnehmen können.
Die Baumnachtigall ist klug und vorsichtig, ja selbst scheu, wo sie es nöthig hat, zutraulich da, wo sie es sein darf; sie ist unstät, flüchtig und bewegungslustig in hohem Grade. Jn Spanien fanden wir sie überall scheu: sie mochte erfahren haben, daß die Spanier Schonung nicht kennen; in Mittel- afrika läßt sie den braunen Eingebornen dicht neben sich vorüber gehen, weicht aber dem ihr fremdartig erscheinenden Europäer sorgsam aus. Anderen Vögeln gegenüber ist sie friedfertig; mit Jhresgleichen hingegen liegt sie oft im Streit. Zwei Männchen verfolgen sich mit großem Jngrimm, wirbeln zusammen hoch empor, stürzen sich rasch wieder in die Tiefe und jagen sich pfeilschnell zwischen dem Gebüsch umher oder durch dasselbe, d. h. durch das Gezweig, dabei eine auffallende Gewandtheit beweisend und den prächtigen Schwanz bald breitend, bald wieder zusammenlegend. Ebenso häufig, als in ernster Absicht, mag dieses Jagen ein Spiel, ein Schäkern sein, welches aus reiner Lust an der Bewegung ausgeführt wird.
So ähnlich die Baumnachtigall ihrer Namensverwandten ist, -- in einer Hinsicht steht sie weit hinter ihr zurück: ihr Gesang kann sich mit dem der Nachtigall nicht vergleichen. Von der Mühle
Die Fänger. Singvögel. Erdſänger.
fehlt. Jm Urwalde habe ich ſie ſelten geſehen, im dünnbeſtandenen Steppenwalde iſt ſie häufig, hohe Gebirgs-, nicht aber Bergwaldungen ſcheint ſie zu meiden.
Lindermayer glaubt, daß Griechenland der einzige Brutort der Baumnachtigall ſei und behauptet, daß ſie in Afrika nur in den Wintermonaten beobachtet worden wäre, irrt ſich aber in doppelter Hinſicht; denn dieſelbe Baumnachtigall, welche in Griechenland lebt, brütet auch in Klein- aſien und in — Egypten, ungefähr zu derſelben Zeit, wie in Griechenland. Dabei nimmt der genannte Forſcher noch außerdem an, daß die ſpaniſche mit der griechiſchen Baumnachtigall gleichartig iſt; von ihr aber haben wir in Spanien, Triſtam, Homeyer in Algerien das Neſt gefunden oder wenigſtens die Neſtjungen geſehen. Von der innerafrikaniſchen Art, welche ſchwerlich jemals den Wendekreis nach Norden hin überſchreitet, ſcheint Lindermayer gar Nichts zu wiſſen. Soviel mag richtig ſein, daß die Scheidegebirge der drei ſüdlichen Halbinſeln die nördliche Heimatsgrenze des Vogels bilden und nur ſelten von ihm überſchritten werden, wie es beiſpielsweiſe von jenen geſchehen iſt, welche auf Helgoland und in England (Devonſhire) erlegt wurden.
Jn Mittelafrika iſt die Baumnachtigall Standvogel, in Nordafrika und Südeuropa Zugvogel. Sie erſcheint in Griechenland und Spanien Mitte oder Ende Aprils, in Egypten kaum früher, und verläßt das Land zu Ende Septembers wieder. Die Männchen kommen zuerſt an, die Weibchen folgen einige Tage ſpäter nach. Während ihres Zuges macht ſie ſich allerorten bemerklich; ſpäter muß man ſie auf ihren Lieblingsplätzen aufſuchen. Hier freilich fällt ſie Jedem auf, welcher Augen hat, zu ſehen: in Spanien iſt der „Rosardo‟ (Röthling) oder „Alzarabo‟ (Schwanzaufheber) ebenſo bekannt, wie bei uns zu Lande das Rothkehlchen. Die Baumnachtigall macht ihrem Namen „Agrobates‟ alle Ehre; denn ſie liebt es in der That, auf die Spitzen zu gehen. Der höchſte Zweig des Lieblingsbuſches, der Pfahl, an welchem die Rebe befeſtigt iſt, ein Baumwipfel oder ein Tele- graphendraht — das ſind Warten, wie ſie ſolche haben mag. Hier ſitzt ſie, den Schwanz geſtelzt, die Flügel geſenkt, mit eingeknickten Beinen, aber ziemlich aufgerichtet; von hier herab trägt ſie ihr Lied vor, vonhieraus ſpät ſie nach Beute aus. Entdeckt ſie einen Wurm, ein Kerbthier oder etwas Aehnliches, ſo ſtürzt ſie ſich raſch auf den Boden herab, bückt ſich, wippt mit dem Schwanze und breitet ihn aus, ſeine volle Schönheit zeigend, rennt dann eilig ein Stück auf dem Boden dahin, fängt den Raub, ruft dabei behaglich ihr lockendes „Tak, tak‟ und kehrt nach demſelben Ruhepunkte, welchen ſie früher einnahm, wieder zurück. Daſſelbe geſchieht, wenn ſie von hier verjagt wird; es geſchieht ſo regelmäßig, daß der Schütz ſie unfehlbar erlegt, wenn er ſich in der Nähe einer ihrer Warten anſtellt und ſie durch einen Jagdhelfer treiben läßt. Sie nimmt, wie die Nachtigall ihre Nahrung nur oder doch hauptſächlich vom Boden auf und ſucht deshalb alle nackten Stellen ab, kommt auch auf freie Blößen heraus und läuft namentlich oft auf Wegen und Straßen umher. Jhr Gang und ihr Flug ähneln den Bewegungen der Nachtigall ſo, daß ich hierin keinen Unterſchied habe wahrnehmen können.
Die Baumnachtigall iſt klug und vorſichtig, ja ſelbſt ſcheu, wo ſie es nöthig hat, zutraulich da, wo ſie es ſein darf; ſie iſt unſtät, flüchtig und bewegungsluſtig in hohem Grade. Jn Spanien fanden wir ſie überall ſcheu: ſie mochte erfahren haben, daß die Spanier Schonung nicht kennen; in Mittel- afrika läßt ſie den braunen Eingebornen dicht neben ſich vorüber gehen, weicht aber dem ihr fremdartig erſcheinenden Europäer ſorgſam aus. Anderen Vögeln gegenüber iſt ſie friedfertig; mit Jhresgleichen hingegen liegt ſie oft im Streit. Zwei Männchen verfolgen ſich mit großem Jngrimm, wirbeln zuſammen hoch empor, ſtürzen ſich raſch wieder in die Tiefe und jagen ſich pfeilſchnell zwiſchen dem Gebüſch umher oder durch daſſelbe, d. h. durch das Gezweig, dabei eine auffallende Gewandtheit beweiſend und den prächtigen Schwanz bald breitend, bald wieder zuſammenlegend. Ebenſo häufig, als in ernſter Abſicht, mag dieſes Jagen ein Spiel, ein Schäkern ſein, welches aus reiner Luſt an der Bewegung ausgeführt wird.
So ähnlich die Baumnachtigall ihrer Namensverwandten iſt, — in einer Hinſicht ſteht ſie weit hinter ihr zurück: ihr Geſang kann ſich mit dem der Nachtigall nicht vergleichen. Von der Mühle
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Die Fänger. Singvögel. Erdſänger.
fehlt. Jm Urwalde habe ich ſie ſelten geſehen, im dünnbeſtandenen Steppenwalde iſt ſie häufig, hohe
Gebirgs-, nicht aber Bergwaldungen ſcheint ſie zu meiden.
Lindermayer glaubt, daß Griechenland der einzige Brutort der Baumnachtigall ſei und
behauptet, daß ſie in Afrika nur in den Wintermonaten beobachtet worden wäre, irrt ſich aber in
doppelter Hinſicht; denn dieſelbe Baumnachtigall, welche in Griechenland lebt, brütet auch in Klein-
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genannte Forſcher noch außerdem an, daß die ſpaniſche mit der griechiſchen Baumnachtigall gleichartig
iſt; von ihr aber haben wir in Spanien, Triſtam, Homeyer in Algerien das Neſt gefunden oder
wenigſtens die Neſtjungen geſehen. Von der innerafrikaniſchen Art, welche ſchwerlich jemals den
Wendekreis nach Norden hin überſchreitet, ſcheint Lindermayer gar Nichts zu wiſſen. Soviel mag
richtig ſein, daß die Scheidegebirge der drei ſüdlichen Halbinſeln die nördliche Heimatsgrenze des
Vogels bilden und nur ſelten von ihm überſchritten werden, wie es beiſpielsweiſe von jenen geſchehen
iſt, welche auf Helgoland und in England (Devonſhire) erlegt wurden.
Jn Mittelafrika iſt die Baumnachtigall Standvogel, in Nordafrika und Südeuropa Zugvogel.
Sie erſcheint in Griechenland und Spanien Mitte oder Ende Aprils, in Egypten kaum früher, und
verläßt das Land zu Ende Septembers wieder. Die Männchen kommen zuerſt an, die Weibchen
folgen einige Tage ſpäter nach. Während ihres Zuges macht ſie ſich allerorten bemerklich; ſpäter muß
man ſie auf ihren Lieblingsplätzen aufſuchen. Hier freilich fällt ſie Jedem auf, welcher Augen hat, zu
ſehen: in Spanien iſt der „Rosardo‟ (Röthling) oder „Alzarabo‟ (Schwanzaufheber) ebenſo
bekannt, wie bei uns zu Lande das Rothkehlchen. Die Baumnachtigall macht ihrem Namen
„Agrobates‟ alle Ehre; denn ſie liebt es in der That, auf die Spitzen zu gehen. Der höchſte Zweig
des Lieblingsbuſches, der Pfahl, an welchem die Rebe befeſtigt iſt, ein Baumwipfel oder ein Tele-
graphendraht — das ſind Warten, wie ſie ſolche haben mag. Hier ſitzt ſie, den Schwanz geſtelzt, die
Flügel geſenkt, mit eingeknickten Beinen, aber ziemlich aufgerichtet; von hier herab trägt ſie ihr Lied
vor, vonhieraus ſpät ſie nach Beute aus. Entdeckt ſie einen Wurm, ein Kerbthier oder etwas
Aehnliches, ſo ſtürzt ſie ſich raſch auf den Boden herab, bückt ſich, wippt mit dem Schwanze und
breitet ihn aus, ſeine volle Schönheit zeigend, rennt dann eilig ein Stück auf dem Boden dahin, fängt
den Raub, ruft dabei behaglich ihr lockendes „Tak, tak‟ und kehrt nach demſelben Ruhepunkte,
welchen ſie früher einnahm, wieder zurück. Daſſelbe geſchieht, wenn ſie von hier verjagt wird; es
geſchieht ſo regelmäßig, daß der Schütz ſie unfehlbar erlegt, wenn er ſich in der Nähe einer ihrer
Warten anſtellt und ſie durch einen Jagdhelfer treiben läßt. Sie nimmt, wie die Nachtigall ihre
Nahrung nur oder doch hauptſächlich vom Boden auf und ſucht deshalb alle nackten Stellen ab,
kommt auch auf freie Blößen heraus und läuft namentlich oft auf Wegen und Straßen umher.
Jhr Gang und ihr Flug ähneln den Bewegungen der Nachtigall ſo, daß ich hierin keinen Unterſchied
habe wahrnehmen können.
Die Baumnachtigall iſt klug und vorſichtig, ja ſelbſt ſcheu, wo ſie es nöthig hat, zutraulich da,
wo ſie es ſein darf; ſie iſt unſtät, flüchtig und bewegungsluſtig in hohem Grade. Jn Spanien fanden
wir ſie überall ſcheu: ſie mochte erfahren haben, daß die Spanier Schonung nicht kennen; in Mittel-
afrika läßt ſie den braunen Eingebornen dicht neben ſich vorüber gehen, weicht aber dem ihr fremdartig
erſcheinenden Europäer ſorgſam aus. Anderen Vögeln gegenüber iſt ſie friedfertig; mit Jhresgleichen
hingegen liegt ſie oft im Streit. Zwei Männchen verfolgen ſich mit großem Jngrimm, wirbeln
zuſammen hoch empor, ſtürzen ſich raſch wieder in die Tiefe und jagen ſich pfeilſchnell zwiſchen dem
Gebüſch umher oder durch daſſelbe, d. h. durch das Gezweig, dabei eine auffallende Gewandtheit
beweiſend und den prächtigen Schwanz bald breitend, bald wieder zuſammenlegend. Ebenſo häufig,
als in ernſter Abſicht, mag dieſes Jagen ein Spiel, ein Schäkern ſein, welches aus reiner Luſt an der
Bewegung ausgeführt wird.
So ähnlich die Baumnachtigall ihrer Namensverwandten iſt, — in einer Hinſicht ſteht ſie weit
hinter ihr zurück: ihr Geſang kann ſich mit dem der Nachtigall nicht vergleichen. Von der Mühle
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 764. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/808>, abgerufen am 22.11.2024.
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