und Buschdickichten, auf Feldern, auf hochgrasigen Wiesen, in schilfreichen, nicht allzu wasserreichen Sümpfen und an ähnlichen Orten ihren Aufenthalt. Sie dehnen ihre Wanderung nicht so weit aus, wie andere Sänger, überwintern vielmehr schon in Unter- und Mittelegypten oder in Mittelchina und in Nordindien, streifen aber einzeln doch bis in die südlichen Tiefebenen Ostindiens oder bis in die Waldungen des oberen Nilgebietes hinab. Auf ihrer Reise pflegen sie bestimmte Straßen einzu- halten, Fluß- und Bachthäler z. B., und hier an gewissen Stellen, unzweifelhaft solchen, welche ihren Anforderungen aus Leben am besten entsprechen, sehr regelmäßig zu rasten. Während des Frühlings- zuges wandern die Männchen einzeln den Weibchen voraus; im Herbst zieht Alt und Jung gesell- schaftlich; im Frühling folgen die Reisenden ausschließlich den Bach- oder Flußufern, im Herbst binden sie sich nicht an diese natürlichen Straßen, sondern ziehen gerade durch das Land, über Tags in Feldern rastend, deren Frucht noch nicht eingeheimst wurde; sie kommen dann, wenn schon sehr vereinzelt, sogar mitten in der kahlen, dürren Wüste vor.
Für den Sommeraufenthalt des Blaukehlchens sind feuchte Buschdickichte nah am Wasser die erste, ja, die alleinige Bedingung. Deshalb meidet es in Deutschland während der Brutzeit Gebirge fast gänzlich, während es im Norden, in Norwegen z. B., gerade die Höhen vorzieht, weil hier auf den breiten Fields der Berge See an See, oder mindestens Pfuhl an Pfuhl sich finden, durch hunderte von kleinen Bächen verbunden und wie diese mit niederem Gestrüpp eingefaßt und umgeben. Solche Oertlichkeiten sind Paradiese für unsere Vögel, und ihnen müssen diejenigen Niederungen Deutsch- lands ähneln, in denen es dem Blaukehlchen gefallen, in denen das nach Vermehrung seines Geschlechtes strebende Paar sich ansiedeln soll. Glücklicherweise fehlt es in den Thälern unserer größeren Flüsse und der Ströme an derartigen Stellen nicht.
Das Blaukehlchen ist ein liebenswürdiger Vogel, welcher sich jeden Beobachter zum Freunde gewinnt. Nicht seine Schönheit allein, auch, und wohl noch in höherem Grade, sein Betragen, seine Sitten und Gewohnheiten ziehen uns an und fesseln uns. Wie bei den meisten Erdsängern, ist beim Blaukehlchen leibliche und geistige Begabung in glücklichster Weise vereinigt. Die größte Gewandt- heit der Bewegung zeigt es auf dem Boden; es ist der Erdsänger im eigentlichen Sinne des Worts. Sein Gang ist kein Schreiteu, sondern ein Hüpfen; die einzelnen Sprünge folgen sich aber so rasch, daß man sie nicht unterscheiden kann und im laufenden Blaukehlchen eher einen Rennvogel, als einen Sänger zu sehen glaubt. Dabei ist es ihm gleichgiltig, ob es sein Weg über trocknen oder schlammigen Boden, über freie Stellen oder durch das verworrenste Busch- und bezüglich Grasdickicht führt: es versteht es meisterhaft, überall fortzukommen. Jm Gezweige selbst hüpft es wenig herum, sondern fliegt höchstens von einem Aste zum andern und bleibt da, wo es aufflog, ruhig sitzen. Auf dem Boden sitzend oder laufend, macht es einen sehr angenehmen Eindruck: es trägt sich sehr aufrecht und den Schwanz ziemlich gestelzt, sieht deshalb selbstbewußt, ja keck aus; wenn es auf einem Zweige sitzt, nimmt es sich viel weniger gut aus. Der Flug ist schnell, aber nicht besonders gut; er geschieht in größeren oder kleineren Bogen, wird aber selten weit ausgedehnt. Gewöhnlich erhebt sich der Vogel nur einige Fuß über den Boden und senkt sich beim ersten Versteck, welches er auffindet, wieder zu ihm hernieder, um seinen Weg laufend fortzusetzen. Die Sinne stehen mit denen der Nachtigall ungefähr auf gleicher Stufe, der Verstand auf gleicher Höhe. Das Blaukehlchen ist klug und merkt sehr bald, ob ihm ein anderes Wesen in freundlicher oder wohlwollender Absicht entgegentritt. Gewöhnlich zeigt es sich harmlos, zutraulich dem Menschen gegenüber; erfährt es jedoch Nach- stellungen, so wird es bald äußerst vorsichtig und schen. Ungestört, legt es eine unendliche Lebens- freudigkeit, einen beneidenswerthen Frohsinn an den Tag; es ist, so lange es sein tägliches Brod findet, beständig guter Lanne, heiter, vergnügt und bewegungslustig, im Frühling auch singfertig. Mit andern Vögeln lebt es im tiefsten Frieden, mit Seinesgleichen neckt es sich gern herum; aus solchem Spiel kann aber bittrer Ernst werden, wenn die Liebe und mit ihr die Eifersucht rege wird. Dann kann es kommen, daß zwei Männchen einen Zweikampf beginnen und mit größter Erbitterung fortführen, ja, nicht eher von einander ablassen, als bis der eine Gegner dem andern erlegen ist.
Blaukehlchen.
und Buſchdickichten, auf Feldern, auf hochgraſigen Wieſen, in ſchilfreichen, nicht allzu waſſerreichen Sümpfen und an ähnlichen Orten ihren Aufenthalt. Sie dehnen ihre Wanderung nicht ſo weit aus, wie andere Sänger, überwintern vielmehr ſchon in Unter- und Mittelegypten oder in Mittelchina und in Nordindien, ſtreifen aber einzeln doch bis in die ſüdlichen Tiefebenen Oſtindiens oder bis in die Waldungen des oberen Nilgebietes hinab. Auf ihrer Reiſe pflegen ſie beſtimmte Straßen einzu- halten, Fluß- und Bachthäler z. B., und hier an gewiſſen Stellen, unzweifelhaft ſolchen, welche ihren Anforderungen aus Leben am beſten entſprechen, ſehr regelmäßig zu raſten. Während des Frühlings- zuges wandern die Männchen einzeln den Weibchen voraus; im Herbſt zieht Alt und Jung geſell- ſchaftlich; im Frühling folgen die Reiſenden ausſchließlich den Bach- oder Flußufern, im Herbſt binden ſie ſich nicht an dieſe natürlichen Straßen, ſondern ziehen gerade durch das Land, über Tags in Feldern raſtend, deren Frucht noch nicht eingeheimſt wurde; ſie kommen dann, wenn ſchon ſehr vereinzelt, ſogar mitten in der kahlen, dürren Wüſte vor.
Für den Sommeraufenthalt des Blaukehlchens ſind feuchte Buſchdickichte nah am Waſſer die erſte, ja, die alleinige Bedingung. Deshalb meidet es in Deutſchland während der Brutzeit Gebirge faſt gänzlich, während es im Norden, in Norwegen z. B., gerade die Höhen vorzieht, weil hier auf den breiten Fields der Berge See an See, oder mindeſtens Pfuhl an Pfuhl ſich finden, durch hunderte von kleinen Bächen verbunden und wie dieſe mit niederem Geſtrüpp eingefaßt und umgeben. Solche Oertlichkeiten ſind Paradieſe für unſere Vögel, und ihnen müſſen diejenigen Niederungen Deutſch- lands ähneln, in denen es dem Blaukehlchen gefallen, in denen das nach Vermehrung ſeines Geſchlechtes ſtrebende Paar ſich anſiedeln ſoll. Glücklicherweiſe fehlt es in den Thälern unſerer größeren Flüſſe und der Ströme an derartigen Stellen nicht.
Das Blaukehlchen iſt ein liebenswürdiger Vogel, welcher ſich jeden Beobachter zum Freunde gewinnt. Nicht ſeine Schönheit allein, auch, und wohl noch in höherem Grade, ſein Betragen, ſeine Sitten und Gewohnheiten ziehen uns an und feſſeln uns. Wie bei den meiſten Erdſängern, iſt beim Blaukehlchen leibliche und geiſtige Begabung in glücklichſter Weiſe vereinigt. Die größte Gewandt- heit der Bewegung zeigt es auf dem Boden; es iſt der Erdſänger im eigentlichen Sinne des Worts. Sein Gang iſt kein Schreiteu, ſondern ein Hüpfen; die einzelnen Sprünge folgen ſich aber ſo raſch, daß man ſie nicht unterſcheiden kann und im laufenden Blaukehlchen eher einen Rennvogel, als einen Sänger zu ſehen glaubt. Dabei iſt es ihm gleichgiltig, ob es ſein Weg über trocknen oder ſchlammigen Boden, über freie Stellen oder durch das verworrenſte Buſch- und bezüglich Grasdickicht führt: es verſteht es meiſterhaft, überall fortzukommen. Jm Gezweige ſelbſt hüpft es wenig herum, ſondern fliegt höchſtens von einem Aſte zum andern und bleibt da, wo es aufflog, ruhig ſitzen. Auf dem Boden ſitzend oder laufend, macht es einen ſehr angenehmen Eindruck: es trägt ſich ſehr aufrecht und den Schwanz ziemlich geſtelzt, ſieht deshalb ſelbſtbewußt, ja keck aus; wenn es auf einem Zweige ſitzt, nimmt es ſich viel weniger gut aus. Der Flug iſt ſchnell, aber nicht beſonders gut; er geſchieht in größeren oder kleineren Bogen, wird aber ſelten weit ausgedehnt. Gewöhnlich erhebt ſich der Vogel nur einige Fuß über den Boden und ſenkt ſich beim erſten Verſteck, welches er auffindet, wieder zu ihm hernieder, um ſeinen Weg laufend fortzuſetzen. Die Sinne ſtehen mit denen der Nachtigall ungefähr auf gleicher Stufe, der Verſtand auf gleicher Höhe. Das Blaukehlchen iſt klug und merkt ſehr bald, ob ihm ein anderes Weſen in freundlicher oder wohlwollender Abſicht entgegentritt. Gewöhnlich zeigt es ſich harmlos, zutraulich dem Menſchen gegenüber; erfährt es jedoch Nach- ſtellungen, ſo wird es bald äußerſt vorſichtig und ſchen. Ungeſtört, legt es eine unendliche Lebens- freudigkeit, einen beneidenswerthen Frohſinn an den Tag; es iſt, ſo lange es ſein tägliches Brod findet, beſtändig guter Lanne, heiter, vergnügt und bewegungsluſtig, im Frühling auch ſingfertig. Mit andern Vögeln lebt es im tiefſten Frieden, mit Seinesgleichen neckt es ſich gern herum; aus ſolchem Spiel kann aber bittrer Ernſt werden, wenn die Liebe und mit ihr die Eiferſucht rege wird. Dann kann es kommen, daß zwei Männchen einen Zweikampf beginnen und mit größter Erbitterung fortführen, ja, nicht eher von einander ablaſſen, als bis der eine Gegner dem andern erlegen iſt.
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[767/0811]
Blaukehlchen.
und Buſchdickichten, auf Feldern, auf hochgraſigen Wieſen, in ſchilfreichen, nicht allzu waſſerreichen
Sümpfen und an ähnlichen Orten ihren Aufenthalt. Sie dehnen ihre Wanderung nicht ſo weit aus,
wie andere Sänger, überwintern vielmehr ſchon in Unter- und Mittelegypten oder in Mittelchina
und in Nordindien, ſtreifen aber einzeln doch bis in die ſüdlichen Tiefebenen Oſtindiens oder bis in
die Waldungen des oberen Nilgebietes hinab. Auf ihrer Reiſe pflegen ſie beſtimmte Straßen einzu-
halten, Fluß- und Bachthäler z. B., und hier an gewiſſen Stellen, unzweifelhaft ſolchen, welche ihren
Anforderungen aus Leben am beſten entſprechen, ſehr regelmäßig zu raſten. Während des Frühlings-
zuges wandern die Männchen einzeln den Weibchen voraus; im Herbſt zieht Alt und Jung geſell-
ſchaftlich; im Frühling folgen die Reiſenden ausſchließlich den Bach- oder Flußufern, im Herbſt
binden ſie ſich nicht an dieſe natürlichen Straßen, ſondern ziehen gerade durch das Land, über Tags
in Feldern raſtend, deren Frucht noch nicht eingeheimſt wurde; ſie kommen dann, wenn ſchon ſehr
vereinzelt, ſogar mitten in der kahlen, dürren Wüſte vor.
Für den Sommeraufenthalt des Blaukehlchens ſind feuchte Buſchdickichte nah am Waſſer die erſte,
ja, die alleinige Bedingung. Deshalb meidet es in Deutſchland während der Brutzeit Gebirge faſt
gänzlich, während es im Norden, in Norwegen z. B., gerade die Höhen vorzieht, weil hier auf den
breiten Fields der Berge See an See, oder mindeſtens Pfuhl an Pfuhl ſich finden, durch hunderte
von kleinen Bächen verbunden und wie dieſe mit niederem Geſtrüpp eingefaßt und umgeben. Solche
Oertlichkeiten ſind Paradieſe für unſere Vögel, und ihnen müſſen diejenigen Niederungen Deutſch-
lands ähneln, in denen es dem Blaukehlchen gefallen, in denen das nach Vermehrung ſeines
Geſchlechtes ſtrebende Paar ſich anſiedeln ſoll. Glücklicherweiſe fehlt es in den Thälern unſerer
größeren Flüſſe und der Ströme an derartigen Stellen nicht.
Das Blaukehlchen iſt ein liebenswürdiger Vogel, welcher ſich jeden Beobachter zum Freunde
gewinnt. Nicht ſeine Schönheit allein, auch, und wohl noch in höherem Grade, ſein Betragen, ſeine
Sitten und Gewohnheiten ziehen uns an und feſſeln uns. Wie bei den meiſten Erdſängern, iſt beim
Blaukehlchen leibliche und geiſtige Begabung in glücklichſter Weiſe vereinigt. Die größte Gewandt-
heit der Bewegung zeigt es auf dem Boden; es iſt der Erdſänger im eigentlichen Sinne des Worts.
Sein Gang iſt kein Schreiteu, ſondern ein Hüpfen; die einzelnen Sprünge folgen ſich aber ſo raſch,
daß man ſie nicht unterſcheiden kann und im laufenden Blaukehlchen eher einen Rennvogel, als einen
Sänger zu ſehen glaubt. Dabei iſt es ihm gleichgiltig, ob es ſein Weg über trocknen oder ſchlammigen
Boden, über freie Stellen oder durch das verworrenſte Buſch- und bezüglich Grasdickicht führt: es
verſteht es meiſterhaft, überall fortzukommen. Jm Gezweige ſelbſt hüpft es wenig herum, ſondern
fliegt höchſtens von einem Aſte zum andern und bleibt da, wo es aufflog, ruhig ſitzen. Auf dem
Boden ſitzend oder laufend, macht es einen ſehr angenehmen Eindruck: es trägt ſich ſehr aufrecht und den
Schwanz ziemlich geſtelzt, ſieht deshalb ſelbſtbewußt, ja keck aus; wenn es auf einem Zweige ſitzt,
nimmt es ſich viel weniger gut aus. Der Flug iſt ſchnell, aber nicht beſonders gut; er geſchieht in
größeren oder kleineren Bogen, wird aber ſelten weit ausgedehnt. Gewöhnlich erhebt ſich der Vogel
nur einige Fuß über den Boden und ſenkt ſich beim erſten Verſteck, welches er auffindet, wieder zu
ihm hernieder, um ſeinen Weg laufend fortzuſetzen. Die Sinne ſtehen mit denen der Nachtigall
ungefähr auf gleicher Stufe, der Verſtand auf gleicher Höhe. Das Blaukehlchen iſt klug und merkt
ſehr bald, ob ihm ein anderes Weſen in freundlicher oder wohlwollender Abſicht entgegentritt.
Gewöhnlich zeigt es ſich harmlos, zutraulich dem Menſchen gegenüber; erfährt es jedoch Nach-
ſtellungen, ſo wird es bald äußerſt vorſichtig und ſchen. Ungeſtört, legt es eine unendliche Lebens-
freudigkeit, einen beneidenswerthen Frohſinn an den Tag; es iſt, ſo lange es ſein tägliches Brod
findet, beſtändig guter Lanne, heiter, vergnügt und bewegungsluſtig, im Frühling auch ſingfertig.
Mit andern Vögeln lebt es im tiefſten Frieden, mit Seinesgleichen neckt es ſich gern herum; aus
ſolchem Spiel kann aber bittrer Ernſt werden, wenn die Liebe und mit ihr die Eiferſucht rege wird.
Dann kann es kommen, daß zwei Männchen einen Zweikampf beginnen und mit größter Erbitterung
fortführen, ja, nicht eher von einander ablaſſen, als bis der eine Gegner dem andern erlegen iſt.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 767. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/811>, abgerufen am 22.11.2024.
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