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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Lebensweise der Drosseln.
Strichelchen von violettgrauer oder rostbrauner Farbe gezeichnet sind, bilden das Gelege. Es ist voll-
zählig im Mai. Jn Mitteleuropa scheinen wenigstens die alten Paare zweimal im Jahre zu brüten,
in Skandinavien ist Dies höchst wahrscheinlich nicht der Fall; wenigstens fand ich bereits im Juni die
Alten in einem so gänzlich abgetragenen Kleide und theilweise sogar bereits in der Mauser, daß an ein
nochmaliges Brüten schwerlich gedacht werden konnte. Die Amsel endlich nistet in Dickichten,
am liebsten auf jungen Nadelbäumen und immer niedrig über dem Boden, zuweilen selbst auf ihm.
Das Nest ist nach dem Standort verschieden. Wenn es in Baumlöcher mit großer Oeffnung gebaut
wird, wie es wohl auch vorkommt, ist es nur ein Gewebe von Erdmos und dürren Halmen; wenn es
freisteht, bilden feine Würzelchen, Stengel und Gras die Außenwände, eine Schicht fettiger feuchter
Erde, welche sehr geglättet ist, aber immer feucht bleibt, das Jnnere. Bei sehr günstigem Wetter
findet man bereits um die Mitte des März, sonst gegen das Ende des Monats, die vier bis sechs, auf
blaßblaugrünem Grunde mit hellzimmt- oder rostfarbigen Flecken, Schmitzen und Punkten über und
über bedeckten, verhältnißmäßig großen Eier. Das zweite Gelege pflegt Anfangs Mai voll-
zählig zu sein.

Bei allen Drosseln wird das brütende Weibchen nur in den Mittagsstunden vom Männchen
abgelöst; dafür bemüht sich letzteres, die Gattin mit seinen herrlichen Liedern zu erfreuen. Beide Eltern
lieben ihre Brut auf das zärtlichste und geberden sich überaus ängstlich, wenn ein Feind dem Neste
naht. Dem Kundigen verrathen sie dieses hierdurch mit Sicherheit. Von der Wachholderdrossel ist
behauptet worden, daß sie herannahende Feinde durch Auswerfen ihres Kothes zu vertreiben suche; ich
darf versichern, daß ich von dieser Vertheidigungsart Nichts in Erfahrung gebracht habe, obgleich ich
zugestehen will, daß ich von den Hunderten, welche, durch mich aufgescheucht, schreiend über den Nestern
hin und herflogen, wohl in entsprechender Weise besudelt worden bin. Dagegen greifen die Drosseln
nahende Feinde gar nicht selten förmlich an, indem sie auf sie herabstoßen, dicht an ihnen vorüber-
fliegen und sie auf diese Weise zu schrecken suchen. Hilft ihnen ihr Muth nicht, so nehmen sie zur List ihre
Zuflucht, stellen sich krank und lahm und flattern und hüpfen, scheinbar mit der größten Anstrengung,
auf dem Boden dahin, locken den Räuber, der sich bethören läßt, dadurch wirklich vom Neste ab,
führen ihn weiter und weiter und kehren dann frohlockend zu den Jungen zurück. Nach vierzehn-
bis sechszehntägiger eifriger Bebrütung sind die Eier gezeitigt, und die Jungen werden nun vorzugs-
weise mit Kerbthieren auf das reichlichste versorgt. Sie wachsen sehr rasch heran, sind bereits drei
Wochen nach ihrem Eintritt in die Welt flugfähig, werden nun noch wenige Tage geführt und im
Nahrungserwerb unterrichtet, hierauf aber bis gegen den Herbst hin sich selbst überlassen. Schon wenige
Wochen nach dem Ausfliegen beginnt bei ihnen die Mauser, und wenn die Winterreise herannaht,
tragen alle Arten bereits das zweite Kleid.

Mit Ausnahme der Amsel verlassen alle unsere Drosseln im Herbst die Heimat, und wandern in
südlichere Gegenden. Für die hochnordischen Arten kann schon Deutschland zur Winterherberge
werden; das eigentliche Heer aber zieht bis Südeuropa. Hier wimmelt es während der Wintermonate
aller Orten von Drosseln. Auf den sonnigen Gehängen der Hochgebirge Südspaniens siedeln sich die
Ringamseln an, jetzt zu mehr oder minder zahlreichen Flügen vereinigt; in Wäldern, Gebüschen und
Weingärten treiben sich Sing- und Rothdrosseln zu Tausenden umher. Die Misteldrossel sieht man
seltener, falls überhaupt diejenigen, denen man in Spanien begegnet, als Zugvögel zu betrachten sind;
die Wachholderdrossel gehört unter die seltensten Wintergäste der iberischen Halbinsel. Das Gleiche
gilt für Süditalien und für Griechenland; doch muß ich ausdrücklich hervorheben, daß hier nach der
übereinstimmenden Versicherung des Grafen von der Mühle und Lindermayer die Ringamsel nur
äußerst selten gefunden wird. Alle Drosseln wandern in zahlreichen Gesellschaften, zuweilen in
ungeheuren Flügen, welche sich bereits im Norden sammeln. "Jm Herbste des Jahres 1852", erzählt
Gadamer, "hatte ich in einem nahe gelegenen Walde Geschäfte. Da hörte ich auf einmal über mir
ein furchtbares Brausen, welches mit einem scharf heulenden Laute verbunden war. Das Geräusch
erschreckte mich; denn ich glaubte mich unter einem herabfallenden Meteor zu befinden. Bald aber

Lebensweiſe der Droſſeln.
Strichelchen von violettgrauer oder roſtbrauner Farbe gezeichnet ſind, bilden das Gelege. Es iſt voll-
zählig im Mai. Jn Mitteleuropa ſcheinen wenigſtens die alten Paare zweimal im Jahre zu brüten,
in Skandinavien iſt Dies höchſt wahrſcheinlich nicht der Fall; wenigſtens fand ich bereits im Juni die
Alten in einem ſo gänzlich abgetragenen Kleide und theilweiſe ſogar bereits in der Mauſer, daß an ein
nochmaliges Brüten ſchwerlich gedacht werden konnte. Die Amſel endlich niſtet in Dickichten,
am liebſten auf jungen Nadelbäumen und immer niedrig über dem Boden, zuweilen ſelbſt auf ihm.
Das Neſt iſt nach dem Standort verſchieden. Wenn es in Baumlöcher mit großer Oeffnung gebaut
wird, wie es wohl auch vorkommt, iſt es nur ein Gewebe von Erdmos und dürren Halmen; wenn es
freiſteht, bilden feine Würzelchen, Stengel und Gras die Außenwände, eine Schicht fettiger feuchter
Erde, welche ſehr geglättet iſt, aber immer feucht bleibt, das Jnnere. Bei ſehr günſtigem Wetter
findet man bereits um die Mitte des März, ſonſt gegen das Ende des Monats, die vier bis ſechs, auf
blaßblaugrünem Grunde mit hellzimmt- oder roſtfarbigen Flecken, Schmitzen und Punkten über und
über bedeckten, verhältnißmäßig großen Eier. Das zweite Gelege pflegt Anfangs Mai voll-
zählig zu ſein.

Bei allen Droſſeln wird das brütende Weibchen nur in den Mittagsſtunden vom Männchen
abgelöſt; dafür bemüht ſich letzteres, die Gattin mit ſeinen herrlichen Liedern zu erfreuen. Beide Eltern
lieben ihre Brut auf das zärtlichſte und geberden ſich überaus ängſtlich, wenn ein Feind dem Neſte
naht. Dem Kundigen verrathen ſie dieſes hierdurch mit Sicherheit. Von der Wachholderdroſſel iſt
behauptet worden, daß ſie herannahende Feinde durch Auswerfen ihres Kothes zu vertreiben ſuche; ich
darf verſichern, daß ich von dieſer Vertheidigungsart Nichts in Erfahrung gebracht habe, obgleich ich
zugeſtehen will, daß ich von den Hunderten, welche, durch mich aufgeſcheucht, ſchreiend über den Neſtern
hin und herflogen, wohl in entſprechender Weiſe beſudelt worden bin. Dagegen greifen die Droſſeln
nahende Feinde gar nicht ſelten förmlich an, indem ſie auf ſie herabſtoßen, dicht an ihnen vorüber-
fliegen und ſie auf dieſe Weiſe zu ſchrecken ſuchen. Hilft ihnen ihr Muth nicht, ſo nehmen ſie zur Liſt ihre
Zuflucht, ſtellen ſich krank und lahm und flattern und hüpfen, ſcheinbar mit der größten Anſtrengung,
auf dem Boden dahin, locken den Räuber, der ſich bethören läßt, dadurch wirklich vom Neſte ab,
führen ihn weiter und weiter und kehren dann frohlockend zu den Jungen zurück. Nach vierzehn-
bis ſechszehntägiger eifriger Bebrütung ſind die Eier gezeitigt, und die Jungen werden nun vorzugs-
weiſe mit Kerbthieren auf das reichlichſte verſorgt. Sie wachſen ſehr raſch heran, ſind bereits drei
Wochen nach ihrem Eintritt in die Welt flugfähig, werden nun noch wenige Tage geführt und im
Nahrungserwerb unterrichtet, hierauf aber bis gegen den Herbſt hin ſich ſelbſt überlaſſen. Schon wenige
Wochen nach dem Ausfliegen beginnt bei ihnen die Mauſer, und wenn die Winterreiſe herannaht,
tragen alle Arten bereits das zweite Kleid.

Mit Ausnahme der Amſel verlaſſen alle unſere Droſſeln im Herbſt die Heimat, und wandern in
ſüdlichere Gegenden. Für die hochnordiſchen Arten kann ſchon Deutſchland zur Winterherberge
werden; das eigentliche Heer aber zieht bis Südeuropa. Hier wimmelt es während der Wintermonate
aller Orten von Droſſeln. Auf den ſonnigen Gehängen der Hochgebirge Südſpaniens ſiedeln ſich die
Ringamſeln an, jetzt zu mehr oder minder zahlreichen Flügen vereinigt; in Wäldern, Gebüſchen und
Weingärten treiben ſich Sing- und Rothdroſſeln zu Tauſenden umher. Die Miſteldroſſel ſieht man
ſeltener, falls überhaupt diejenigen, denen man in Spanien begegnet, als Zugvögel zu betrachten ſind;
die Wachholderdroſſel gehört unter die ſeltenſten Wintergäſte der iberiſchen Halbinſel. Das Gleiche
gilt für Süditalien und für Griechenland; doch muß ich ausdrücklich hervorheben, daß hier nach der
übereinſtimmenden Verſicherung des Grafen von der Mühle und Lindermayer die Ringamſel nur
äußerſt ſelten gefunden wird. Alle Droſſeln wandern in zahlreichen Geſellſchaften, zuweilen in
ungeheuren Flügen, welche ſich bereits im Norden ſammeln. „Jm Herbſte des Jahres 1852‟, erzählt
Gadamer, „hatte ich in einem nahe gelegenen Walde Geſchäfte. Da hörte ich auf einmal über mir
ein furchtbares Brauſen, welches mit einem ſcharf heulenden Laute verbunden war. Das Geräuſch
erſchreckte mich; denn ich glaubte mich unter einem herabfallenden Meteor zu befinden. Bald aber

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[805/0851] Lebensweiſe der Droſſeln. Strichelchen von violettgrauer oder roſtbrauner Farbe gezeichnet ſind, bilden das Gelege. Es iſt voll- zählig im Mai. Jn Mitteleuropa ſcheinen wenigſtens die alten Paare zweimal im Jahre zu brüten, in Skandinavien iſt Dies höchſt wahrſcheinlich nicht der Fall; wenigſtens fand ich bereits im Juni die Alten in einem ſo gänzlich abgetragenen Kleide und theilweiſe ſogar bereits in der Mauſer, daß an ein nochmaliges Brüten ſchwerlich gedacht werden konnte. Die Amſel endlich niſtet in Dickichten, am liebſten auf jungen Nadelbäumen und immer niedrig über dem Boden, zuweilen ſelbſt auf ihm. Das Neſt iſt nach dem Standort verſchieden. Wenn es in Baumlöcher mit großer Oeffnung gebaut wird, wie es wohl auch vorkommt, iſt es nur ein Gewebe von Erdmos und dürren Halmen; wenn es freiſteht, bilden feine Würzelchen, Stengel und Gras die Außenwände, eine Schicht fettiger feuchter Erde, welche ſehr geglättet iſt, aber immer feucht bleibt, das Jnnere. Bei ſehr günſtigem Wetter findet man bereits um die Mitte des März, ſonſt gegen das Ende des Monats, die vier bis ſechs, auf blaßblaugrünem Grunde mit hellzimmt- oder roſtfarbigen Flecken, Schmitzen und Punkten über und über bedeckten, verhältnißmäßig großen Eier. Das zweite Gelege pflegt Anfangs Mai voll- zählig zu ſein. Bei allen Droſſeln wird das brütende Weibchen nur in den Mittagsſtunden vom Männchen abgelöſt; dafür bemüht ſich letzteres, die Gattin mit ſeinen herrlichen Liedern zu erfreuen. Beide Eltern lieben ihre Brut auf das zärtlichſte und geberden ſich überaus ängſtlich, wenn ein Feind dem Neſte naht. Dem Kundigen verrathen ſie dieſes hierdurch mit Sicherheit. Von der Wachholderdroſſel iſt behauptet worden, daß ſie herannahende Feinde durch Auswerfen ihres Kothes zu vertreiben ſuche; ich darf verſichern, daß ich von dieſer Vertheidigungsart Nichts in Erfahrung gebracht habe, obgleich ich zugeſtehen will, daß ich von den Hunderten, welche, durch mich aufgeſcheucht, ſchreiend über den Neſtern hin und herflogen, wohl in entſprechender Weiſe beſudelt worden bin. Dagegen greifen die Droſſeln nahende Feinde gar nicht ſelten förmlich an, indem ſie auf ſie herabſtoßen, dicht an ihnen vorüber- fliegen und ſie auf dieſe Weiſe zu ſchrecken ſuchen. Hilft ihnen ihr Muth nicht, ſo nehmen ſie zur Liſt ihre Zuflucht, ſtellen ſich krank und lahm und flattern und hüpfen, ſcheinbar mit der größten Anſtrengung, auf dem Boden dahin, locken den Räuber, der ſich bethören läßt, dadurch wirklich vom Neſte ab, führen ihn weiter und weiter und kehren dann frohlockend zu den Jungen zurück. Nach vierzehn- bis ſechszehntägiger eifriger Bebrütung ſind die Eier gezeitigt, und die Jungen werden nun vorzugs- weiſe mit Kerbthieren auf das reichlichſte verſorgt. Sie wachſen ſehr raſch heran, ſind bereits drei Wochen nach ihrem Eintritt in die Welt flugfähig, werden nun noch wenige Tage geführt und im Nahrungserwerb unterrichtet, hierauf aber bis gegen den Herbſt hin ſich ſelbſt überlaſſen. Schon wenige Wochen nach dem Ausfliegen beginnt bei ihnen die Mauſer, und wenn die Winterreiſe herannaht, tragen alle Arten bereits das zweite Kleid. Mit Ausnahme der Amſel verlaſſen alle unſere Droſſeln im Herbſt die Heimat, und wandern in ſüdlichere Gegenden. Für die hochnordiſchen Arten kann ſchon Deutſchland zur Winterherberge werden; das eigentliche Heer aber zieht bis Südeuropa. Hier wimmelt es während der Wintermonate aller Orten von Droſſeln. Auf den ſonnigen Gehängen der Hochgebirge Südſpaniens ſiedeln ſich die Ringamſeln an, jetzt zu mehr oder minder zahlreichen Flügen vereinigt; in Wäldern, Gebüſchen und Weingärten treiben ſich Sing- und Rothdroſſeln zu Tauſenden umher. Die Miſteldroſſel ſieht man ſeltener, falls überhaupt diejenigen, denen man in Spanien begegnet, als Zugvögel zu betrachten ſind; die Wachholderdroſſel gehört unter die ſeltenſten Wintergäſte der iberiſchen Halbinſel. Das Gleiche gilt für Süditalien und für Griechenland; doch muß ich ausdrücklich hervorheben, daß hier nach der übereinſtimmenden Verſicherung des Grafen von der Mühle und Lindermayer die Ringamſel nur äußerſt ſelten gefunden wird. Alle Droſſeln wandern in zahlreichen Geſellſchaften, zuweilen in ungeheuren Flügen, welche ſich bereits im Norden ſammeln. „Jm Herbſte des Jahres 1852‟, erzählt Gadamer, „hatte ich in einem nahe gelegenen Walde Geſchäfte. Da hörte ich auf einmal über mir ein furchtbares Brauſen, welches mit einem ſcharf heulenden Laute verbunden war. Das Geräuſch erſchreckte mich; denn ich glaubte mich unter einem herabfallenden Meteor zu befinden. Bald aber

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 805. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/851>, abgerufen am 22.11.2024.