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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Spottdrossel.
König des Gesanges. Mehrere Europäer haben behauptet, daß das Lied der Nachtigall dem
des Spottvogels gleichkomme; ich meinestheils habe beide oft gehört, in der Freiheit ebensowohl
wie in der Gefangenschaft, und stehe nicht an, zu erklären, daß die einzelnen Töne der Nachtigall
ebenso schön sind, wie die, welche die Spottdrossel hervorbringt: -- der Nachtigall Stückwerk aber
zu vergleichen mit der vollendeten Begabung des Spottvogels ist meiner Ansicht nach abgeschmackt."
Wilson geht nicht so weit, und europäische Kenner des Vogelgesangs vollends sind ganz anderer
Ansicht. "Jhre große Berühmtheit", sagt Gerhardt, "hat die Spottdrossel jedenfalls erlangt, Dank
ihrer Fertigkeit, fremde Gesänge nachzuahmen. Da man in der neuen Welt äußerst wenig guten
Vogelgesang hört, so fällt ein leidlicher schon auf, und Dies ist ein Grund mehr, jene so sehr in den
Himmel zu heben. Die Sache ist jedenfalls stark übertrieben: ein Kenner der europäischen Vogel-
gesänge würde ihr weniger dunstigen Weihrauch gestreut haben." Die Angaben der amerikanischen
Forscher über die wunderbare Gabe der Nachahmung unseres Vogels bestätigt Gerhardt übrigens
in vollem Umfange. "Am 29. Juni", erzählt er, "beobachtete ich ein singendes Männchen in unserer
Nachbarschaft. Wie gewöhnlich bildete der Lockton und Gesang des amerikanischen Zaunkönigs fast
den vierten Theil seines Liedes. Es begann mit dem Gesang des erwähnten Vogels, ging in den
Lockruf der Purpurschwalbe über, schrie plötzlich wie ein Sperlingsfalk, flog dann von dem dürren
Aste, auf welchem es bisher gesessen hatte und ahmte während des Fluges den Lockruf der zweifarbigen
Meise und der Wanderdrossel nach. Auf einer Umzäunung lief es mit hängenden Flügeln und
emporgehobenem Schwanze umher und sang dabei wie ein Fliegenfänger, ein Gilbvogel und eine
Tangara, lockte wie die schwarzköpfige Spechtmeise, flog hierauf in ein Brombeergebüsch, zupfte da ein
paar Beeren ab und rief sodann wie der Goldspecht und wie die virginische Wachtel, gewahrte eine Katze,
welche am Fuße eines Baumstummels herumschlich, stieß sofort mit großem Geschrei nach ihr, schwang
sich, nachdem dieselbe die Flucht ergriffen hatte, unter Gesang auf jenen abgebrochenen Ast des Baumes
und begann ihr Lied von neuem." "Die Stimme des Spottvogels", sagt Wilson, "ist voll und
stark und fast jeder Abänderung fähig. Sie durchläuft von den hellen und weichen Tönen der Wald-
drossel an alle denkbaren Laute bis zu dem wilden Kreischen des Geiers. Der Spottvogel folgt im
Zeitmaße und in der Betonung treu dem Sänger, dessen Lied er stahl, während er letzteres hinsichtlich
der Lieblichkeit und Kraft des Ausdrucks gewöhnlich noch überbietet. Jn den Wäldern seiner Heimat
kann kein anderer Vogel mit ihm wetteifern. Seine Lieder sind fast grenzenlos manchfaltig. Sie
bestehen aus kurzen Takten von zwei bis sechs Tönen, welche mit großer Kraft und Geschwindig-
keit hervorquellen und zuweilen mit unvermindertem Feuer eine Stunde nach einander ertönen.
Oft glaubt der Zuhörer, daß er eine Menge Vögel höre, welche sich zum gemeinschaftlichen Gesange
vereinigt hätten. Der eine Sänger täuscht den Jäger und sogar andere Vögel." Die Lieder wechseln
je nach der Oertlichkeit. Jm freien Walde ahmt die Spottdrossel die Waldvögel nach, in der Nähe
des Menschen webt sie dem Gesange alle diejenigen Klänge ein, welche man nah dem Gehöfte ver-
nimmt. Dann wird nicht blos das Krähen des Hahnes, das Gackern der Heunen, das Schnattern
der Gänse, das Quaken der Enten, das Miauen der Katze und das Bellen des Hundes, das Grunzen
des Schweines nachgeahmt, sondern auch das Kreischen einer Thüre, das Quiken einer Wetterfahne, das
Schnarren einer Säge, das Klappern einer Mühle und hundert andere Geräusche werden mit möglichster
Treue wiedergegeben. Zuweilen bringt sie die Hausthiere in förmlichen Aufruhr. Sie pfeift dem
schlafenden Hunde so täuschend nach Art des Herrn, daß jener eiligst aufspringt, um den Gebieter zu
suchen; sie bringt Gluckhennen zur Verzweiflung, indem sie das Gekreisch eines geäugstigten Küchleins
bis zur Vollendung nachahmt; sie entsetzt das furchtsame Geflügel durch den wiedergegebenen Schrei
des Raubvogels und betrügt den verliebten Kater, indem sie die zärtliche Einladung weiblicher Katzen
getreulich wiederholt. Gefangene Spottdrosseln verlieren Nichts von ihren Begabungen; sie eignen
sich im Gegentheil noch allerlei andere Töne, Klänge und Geräusche an und mischen sie oft in der
drolligsten Weise unter ihre wohltönenden Weisen. Doch können sie eben dadurch auch den feurigsten
Liebhaber ermüden und geradezu langweilig werden.

Spottdroſſel.
König des Geſanges. Mehrere Europäer haben behauptet, daß das Lied der Nachtigall dem
des Spottvogels gleichkomme; ich meinestheils habe beide oft gehört, in der Freiheit ebenſowohl
wie in der Gefangenſchaft, und ſtehe nicht an, zu erklären, daß die einzelnen Töne der Nachtigall
ebenſo ſchön ſind, wie die, welche die Spottdroſſel hervorbringt: — der Nachtigall Stückwerk aber
zu vergleichen mit der vollendeten Begabung des Spottvogels iſt meiner Anſicht nach abgeſchmackt.‟
Wilſon geht nicht ſo weit, und europäiſche Kenner des Vogelgeſangs vollends ſind ganz anderer
Anſicht. „Jhre große Berühmtheit‟, ſagt Gerhardt, „hat die Spottdroſſel jedenfalls erlangt, Dank
ihrer Fertigkeit, fremde Geſänge nachzuahmen. Da man in der neuen Welt äußerſt wenig guten
Vogelgeſang hört, ſo fällt ein leidlicher ſchon auf, und Dies iſt ein Grund mehr, jene ſo ſehr in den
Himmel zu heben. Die Sache iſt jedenfalls ſtark übertrieben: ein Kenner der europäiſchen Vogel-
geſänge würde ihr weniger dunſtigen Weihrauch geſtreut haben.‟ Die Angaben der amerikaniſchen
Forſcher über die wunderbare Gabe der Nachahmung unſeres Vogels beſtätigt Gerhardt übrigens
in vollem Umfange. „Am 29. Juni‟, erzählt er, „beobachtete ich ein ſingendes Männchen in unſerer
Nachbarſchaft. Wie gewöhnlich bildete der Lockton und Geſang des amerikaniſchen Zaunkönigs faſt
den vierten Theil ſeines Liedes. Es begann mit dem Geſang des erwähnten Vogels, ging in den
Lockruf der Purpurſchwalbe über, ſchrie plötzlich wie ein Sperlingsfalk, flog dann von dem dürren
Aſte, auf welchem es bisher geſeſſen hatte und ahmte während des Fluges den Lockruf der zweifarbigen
Meiſe und der Wanderdroſſel nach. Auf einer Umzäunung lief es mit hängenden Flügeln und
emporgehobenem Schwanze umher und ſang dabei wie ein Fliegenfänger, ein Gilbvogel und eine
Tangara, lockte wie die ſchwarzköpfige Spechtmeiſe, flog hierauf in ein Brombeergebüſch, zupfte da ein
paar Beeren ab und rief ſodann wie der Goldſpecht und wie die virginiſche Wachtel, gewahrte eine Katze,
welche am Fuße eines Baumſtummels herumſchlich, ſtieß ſofort mit großem Geſchrei nach ihr, ſchwang
ſich, nachdem dieſelbe die Flucht ergriffen hatte, unter Geſang auf jenen abgebrochenen Aſt des Baumes
und begann ihr Lied von neuem.‟ „Die Stimme des Spottvogels‟, ſagt Wilſon, „iſt voll und
ſtark und faſt jeder Abänderung fähig. Sie durchläuft von den hellen und weichen Tönen der Wald-
droſſel an alle denkbaren Laute bis zu dem wilden Kreiſchen des Geiers. Der Spottvogel folgt im
Zeitmaße und in der Betonung treu dem Sänger, deſſen Lied er ſtahl, während er letzteres hinſichtlich
der Lieblichkeit und Kraft des Ausdrucks gewöhnlich noch überbietet. Jn den Wäldern ſeiner Heimat
kann kein anderer Vogel mit ihm wetteifern. Seine Lieder ſind faſt grenzenlos manchfaltig. Sie
beſtehen aus kurzen Takten von zwei bis ſechs Tönen, welche mit großer Kraft und Geſchwindig-
keit hervorquellen und zuweilen mit unvermindertem Feuer eine Stunde nach einander ertönen.
Oft glaubt der Zuhörer, daß er eine Menge Vögel höre, welche ſich zum gemeinſchaftlichen Geſange
vereinigt hätten. Der eine Sänger täuſcht den Jäger und ſogar andere Vögel.‟ Die Lieder wechſeln
je nach der Oertlichkeit. Jm freien Walde ahmt die Spottdroſſel die Waldvögel nach, in der Nähe
des Menſchen webt ſie dem Geſange alle diejenigen Klänge ein, welche man nah dem Gehöfte ver-
nimmt. Dann wird nicht blos das Krähen des Hahnes, das Gackern der Heunen, das Schnattern
der Gänſe, das Quaken der Enten, das Miauen der Katze und das Bellen des Hundes, das Grunzen
des Schweines nachgeahmt, ſondern auch das Kreiſchen einer Thüre, das Quiken einer Wetterfahne, das
Schnarren einer Säge, das Klappern einer Mühle und hundert andere Geräuſche werden mit möglichſter
Treue wiedergegeben. Zuweilen bringt ſie die Hausthiere in förmlichen Aufruhr. Sie pfeift dem
ſchlafenden Hunde ſo täuſchend nach Art des Herrn, daß jener eiligſt aufſpringt, um den Gebieter zu
ſuchen; ſie bringt Gluckhennen zur Verzweiflung, indem ſie das Gekreiſch eines geäugſtigten Küchleins
bis zur Vollendung nachahmt; ſie entſetzt das furchtſame Geflügel durch den wiedergegebenen Schrei
des Raubvogels und betrügt den verliebten Kater, indem ſie die zärtliche Einladung weiblicher Katzen
getreulich wiederholt. Gefangene Spottdroſſeln verlieren Nichts von ihren Begabungen; ſie eignen
ſich im Gegentheil noch allerlei andere Töne, Klänge und Geräuſche an und miſchen ſie oft in der
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Liebhaber ermüden und geradezu langweilig werden.

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[809/0855] Spottdroſſel. König des Geſanges. Mehrere Europäer haben behauptet, daß das Lied der Nachtigall dem des Spottvogels gleichkomme; ich meinestheils habe beide oft gehört, in der Freiheit ebenſowohl wie in der Gefangenſchaft, und ſtehe nicht an, zu erklären, daß die einzelnen Töne der Nachtigall ebenſo ſchön ſind, wie die, welche die Spottdroſſel hervorbringt: — der Nachtigall Stückwerk aber zu vergleichen mit der vollendeten Begabung des Spottvogels iſt meiner Anſicht nach abgeſchmackt.‟ Wilſon geht nicht ſo weit, und europäiſche Kenner des Vogelgeſangs vollends ſind ganz anderer Anſicht. „Jhre große Berühmtheit‟, ſagt Gerhardt, „hat die Spottdroſſel jedenfalls erlangt, Dank ihrer Fertigkeit, fremde Geſänge nachzuahmen. Da man in der neuen Welt äußerſt wenig guten Vogelgeſang hört, ſo fällt ein leidlicher ſchon auf, und Dies iſt ein Grund mehr, jene ſo ſehr in den Himmel zu heben. Die Sache iſt jedenfalls ſtark übertrieben: ein Kenner der europäiſchen Vogel- geſänge würde ihr weniger dunſtigen Weihrauch geſtreut haben.‟ Die Angaben der amerikaniſchen Forſcher über die wunderbare Gabe der Nachahmung unſeres Vogels beſtätigt Gerhardt übrigens in vollem Umfange. „Am 29. Juni‟, erzählt er, „beobachtete ich ein ſingendes Männchen in unſerer Nachbarſchaft. Wie gewöhnlich bildete der Lockton und Geſang des amerikaniſchen Zaunkönigs faſt den vierten Theil ſeines Liedes. Es begann mit dem Geſang des erwähnten Vogels, ging in den Lockruf der Purpurſchwalbe über, ſchrie plötzlich wie ein Sperlingsfalk, flog dann von dem dürren Aſte, auf welchem es bisher geſeſſen hatte und ahmte während des Fluges den Lockruf der zweifarbigen Meiſe und der Wanderdroſſel nach. Auf einer Umzäunung lief es mit hängenden Flügeln und emporgehobenem Schwanze umher und ſang dabei wie ein Fliegenfänger, ein Gilbvogel und eine Tangara, lockte wie die ſchwarzköpfige Spechtmeiſe, flog hierauf in ein Brombeergebüſch, zupfte da ein paar Beeren ab und rief ſodann wie der Goldſpecht und wie die virginiſche Wachtel, gewahrte eine Katze, welche am Fuße eines Baumſtummels herumſchlich, ſtieß ſofort mit großem Geſchrei nach ihr, ſchwang ſich, nachdem dieſelbe die Flucht ergriffen hatte, unter Geſang auf jenen abgebrochenen Aſt des Baumes und begann ihr Lied von neuem.‟ „Die Stimme des Spottvogels‟, ſagt Wilſon, „iſt voll und ſtark und faſt jeder Abänderung fähig. Sie durchläuft von den hellen und weichen Tönen der Wald- droſſel an alle denkbaren Laute bis zu dem wilden Kreiſchen des Geiers. Der Spottvogel folgt im Zeitmaße und in der Betonung treu dem Sänger, deſſen Lied er ſtahl, während er letzteres hinſichtlich der Lieblichkeit und Kraft des Ausdrucks gewöhnlich noch überbietet. Jn den Wäldern ſeiner Heimat kann kein anderer Vogel mit ihm wetteifern. Seine Lieder ſind faſt grenzenlos manchfaltig. Sie beſtehen aus kurzen Takten von zwei bis ſechs Tönen, welche mit großer Kraft und Geſchwindig- keit hervorquellen und zuweilen mit unvermindertem Feuer eine Stunde nach einander ertönen. Oft glaubt der Zuhörer, daß er eine Menge Vögel höre, welche ſich zum gemeinſchaftlichen Geſange vereinigt hätten. Der eine Sänger täuſcht den Jäger und ſogar andere Vögel.‟ Die Lieder wechſeln je nach der Oertlichkeit. Jm freien Walde ahmt die Spottdroſſel die Waldvögel nach, in der Nähe des Menſchen webt ſie dem Geſange alle diejenigen Klänge ein, welche man nah dem Gehöfte ver- nimmt. Dann wird nicht blos das Krähen des Hahnes, das Gackern der Heunen, das Schnattern der Gänſe, das Quaken der Enten, das Miauen der Katze und das Bellen des Hundes, das Grunzen des Schweines nachgeahmt, ſondern auch das Kreiſchen einer Thüre, das Quiken einer Wetterfahne, das Schnarren einer Säge, das Klappern einer Mühle und hundert andere Geräuſche werden mit möglichſter Treue wiedergegeben. Zuweilen bringt ſie die Hausthiere in förmlichen Aufruhr. Sie pfeift dem ſchlafenden Hunde ſo täuſchend nach Art des Herrn, daß jener eiligſt aufſpringt, um den Gebieter zu ſuchen; ſie bringt Gluckhennen zur Verzweiflung, indem ſie das Gekreiſch eines geäugſtigten Küchleins bis zur Vollendung nachahmt; ſie entſetzt das furchtſame Geflügel durch den wiedergegebenen Schrei des Raubvogels und betrügt den verliebten Kater, indem ſie die zärtliche Einladung weiblicher Katzen getreulich wiederholt. Gefangene Spottdroſſeln verlieren Nichts von ihren Begabungen; ſie eignen ſich im Gegentheil noch allerlei andere Töne, Klänge und Geräuſche an und miſchen ſie oft in der drolligſten Weiſe unter ihre wohltönenden Weiſen. Doch können ſie eben dadurch auch den feurigſten Liebhaber ermüden und geradezu langweilig werden.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 809. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/855>, abgerufen am 17.06.2024.