heimisch sind. Jm Gebüsch hingegen beweisen sie ihre Meisterschaft. Munter und thätig, bewegungs- lustig und unruhig, wie irgend ein anderer Singvogel, durchkriechen sie auch die dichtesten Hecken, die verschlungensten Aeste mit unnachahmlicher Gewandtheit. Sie tragen dabei den Kopf und die Brust tief niedergesenkt und das Fersengelenk stark eingebogen, unterscheiden sich also schon hierdurch von allen Drosselvögeln und Zahnschnäblern. Niemals bewegen sie den Schwanz oder die Flügel in der- selben Weise, wie Drosseln oder Würger; sie erheben ihn nur zuweilen, wenn sie zornig erregt sind, z. B. ruckweise nach oben, sträuben dabei aber immer zugleich auch die Scheitelfedern. Einige Arten lieben es, ab und zu auf hervorragende Spitzen herauszukommen und sich frei zu zeigen, andere steigen auch, wenn sie singen, in die Luft empor; im allgemeinen aber leben sämmtliche Grasmücken sehr versteckt und hüten sich ängstlich fast vor jeder Bewegung außerhalb ihrer schützenden Gebüsche. Diese Furchtsamkeit erklärt sich durch ihren schlechten Flug. Wenige Arten sind fähig, in großen Bogenlinien eilfertig dahinzujagen; die meisten flattern mehr, als sie fliegen, und ihre Flugbewegung erscheint schwerfällig, unsicher und wankend. Trotzdem scheuen sich die bei uns lebenden Grasmücken nicht vor größeren Reisen; denn sie sind Zugvögel, und ziehen bis in die Mitte Afrikas.
Hochbegabt sind die Grasmücken in einer Hinsicht: alle Arten, ohne Ausnahme, sind vorzügliche Sänger. Gerade in dieser Familie gibt es wahre Meister des Gesanges, und wenn auch einige diesen gegenüber als Stümper erscheinen mögen: die große Menge gehört ganz unzweifelhaft zu den befähigtesten aller Singvögel überhaupt.
Auch die höheren Fähigkeiten sind als wohlentwickelte zu bezeichnen. Die Sinne stehen auf hoher Stufe und scheinen ziemlich gleichmäßig ausgebildet zu sein, obschon Gesicht und Gehör, wie immer, vorzüglicher sind, als Geschmack, Gefühl und Geruch. Der Verstand wird von Niemand unterschätzt werden, welcher die Grasmücken kennt. Sie sind klug, wissen sich nach den Umständen vortrefflich einzurichten, unterscheiden ihre Freunde und Feinde; sie zeigen sich zutraulich, wo Dies gerechtfertigt ist und scheu, wo sie Nachstellungen erfahren haben. Einzelne legen unter Umständen eine große List an den Tag, andere bekunden zuweilen ein Mißtrauen ohne Grenzen, welches mit ihrer sonstigen Zuthunlichkeit und Harmlosigkeit gar nicht im Einklange zu stehen scheint. Mit fremd- artigen Vögeln leben sie in bester Eintracht und auch unter Jhresgleichen im Frieden, so lange nicht die Liebe ins Spiel kommt und die Eifersucht in ihnen sich regt. Alle sind treue Gatten und treue Eltern. Jhrer Brut zu Liebe opfern sie sich in wahrhaft rührender Weise auf; um die Kinder zu retten, bieten sie sich selbst dem Raubthiere zur Beute dar. Sie brüten mehr als einmal im Jahre, selbstverständlich regelmäßig in ihren beliebten Gebüschen. Jhr Nest zeichnet sich durch eine hübsche Form, aber auch durch eine leichte, flache Bauart aus. Es besteht aus dürren Pflanzenstengeln verschiedener Art, welche so locker zusammen geschichtet werden, daß die Wände geradezu durchsichtig sind. Raupen und Spinnengewebe, etwas Pflanzenwolle, zuweilen auch wohl grünes Mos wird in die Wandung mit eingewebt; feine Würzelchen, Hälmchen und Rispen, Pferdehaare kleiden die Mulde innen aus. Wenige Grasmücken bauen in höhere Baumwipfel, die Mehrzahl wählt sich vielmehr dichte, niedere Büsche und befestigt ihr Nest hier in einem passenden Gabelaste, höchstens in Mannes- höhe, über den Boden, -- falls man wirklich von Befestigung sprechen darf; denn gar nicht selten ist auch der Standort des Nestes so leichtsinnig gewählt, daß ein heftiger Windstoß den Bau herabwirft. Das Gelege besteht aus vier bis sechs Eiern, welche auf weißlichem Grunde grau oder bräunlich gefleckt sind.
Die Grasmücken fressen Kerbthiere und Beeren, erstere im Frühling und Sommer, letztere im Herbst. Sie lesen von Gezweig und von den Blättern allerhand Larven, Puppen, Räupchen oder festsitzende Kerbthiere im Fliegenzustande ab, ziehen andere auch wohl aus den Blüthen hervor, jagen aber nur selten einer vorbeiflatternden Beute nach. Jm Spätsommer und Herbst erscheinen sie familienweise auf den beeren- oder fruchttragenden Bäumen, bei uns zu Lande auf Johannis-, Flieder-, Brombeer-, Faulbaum-, Geisblatt-, Hartriegel- und anderen Beerensträuchern, auch wohl auf Kirschbäumen, im Süden Europas vorzugsweise auf den Feigenbäumen, sodaß ein südländischer
Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.
heimiſch ſind. Jm Gebüſch hingegen beweiſen ſie ihre Meiſterſchaft. Munter und thätig, bewegungs- luſtig und unruhig, wie irgend ein anderer Singvogel, durchkriechen ſie auch die dichteſten Hecken, die verſchlungenſten Aeſte mit unnachahmlicher Gewandtheit. Sie tragen dabei den Kopf und die Bruſt tief niedergeſenkt und das Ferſengelenk ſtark eingebogen, unterſcheiden ſich alſo ſchon hierdurch von allen Droſſelvögeln und Zahnſchnäblern. Niemals bewegen ſie den Schwanz oder die Flügel in der- ſelben Weiſe, wie Droſſeln oder Würger; ſie erheben ihn nur zuweilen, wenn ſie zornig erregt ſind, z. B. ruckweiſe nach oben, ſträuben dabei aber immer zugleich auch die Scheitelfedern. Einige Arten lieben es, ab und zu auf hervorragende Spitzen herauszukommen und ſich frei zu zeigen, andere ſteigen auch, wenn ſie ſingen, in die Luft empor; im allgemeinen aber leben ſämmtliche Grasmücken ſehr verſteckt und hüten ſich ängſtlich faſt vor jeder Bewegung außerhalb ihrer ſchützenden Gebüſche. Dieſe Furchtſamkeit erklärt ſich durch ihren ſchlechten Flug. Wenige Arten ſind fähig, in großen Bogenlinien eilfertig dahinzujagen; die meiſten flattern mehr, als ſie fliegen, und ihre Flugbewegung erſcheint ſchwerfällig, unſicher und wankend. Trotzdem ſcheuen ſich die bei uns lebenden Grasmücken nicht vor größeren Reiſen; denn ſie ſind Zugvögel, und ziehen bis in die Mitte Afrikas.
Hochbegabt ſind die Grasmücken in einer Hinſicht: alle Arten, ohne Ausnahme, ſind vorzügliche Sänger. Gerade in dieſer Familie gibt es wahre Meiſter des Geſanges, und wenn auch einige dieſen gegenüber als Stümper erſcheinen mögen: die große Menge gehört ganz unzweifelhaft zu den befähigteſten aller Singvögel überhaupt.
Auch die höheren Fähigkeiten ſind als wohlentwickelte zu bezeichnen. Die Sinne ſtehen auf hoher Stufe und ſcheinen ziemlich gleichmäßig ausgebildet zu ſein, obſchon Geſicht und Gehör, wie immer, vorzüglicher ſind, als Geſchmack, Gefühl und Geruch. Der Verſtand wird von Niemand unterſchätzt werden, welcher die Grasmücken kennt. Sie ſind klug, wiſſen ſich nach den Umſtänden vortrefflich einzurichten, unterſcheiden ihre Freunde und Feinde; ſie zeigen ſich zutraulich, wo Dies gerechtfertigt iſt und ſcheu, wo ſie Nachſtellungen erfahren haben. Einzelne legen unter Umſtänden eine große Liſt an den Tag, andere bekunden zuweilen ein Mißtrauen ohne Grenzen, welches mit ihrer ſonſtigen Zuthunlichkeit und Harmloſigkeit gar nicht im Einklange zu ſtehen ſcheint. Mit fremd- artigen Vögeln leben ſie in beſter Eintracht und auch unter Jhresgleichen im Frieden, ſo lange nicht die Liebe ins Spiel kommt und die Eiferſucht in ihnen ſich regt. Alle ſind treue Gatten und treue Eltern. Jhrer Brut zu Liebe opfern ſie ſich in wahrhaft rührender Weiſe auf; um die Kinder zu retten, bieten ſie ſich ſelbſt dem Raubthiere zur Beute dar. Sie brüten mehr als einmal im Jahre, ſelbſtverſtändlich regelmäßig in ihren beliebten Gebüſchen. Jhr Neſt zeichnet ſich durch eine hübſche Form, aber auch durch eine leichte, flache Bauart aus. Es beſteht aus dürren Pflanzenſtengeln verſchiedener Art, welche ſo locker zuſammen geſchichtet werden, daß die Wände geradezu durchſichtig ſind. Raupen und Spinnengewebe, etwas Pflanzenwolle, zuweilen auch wohl grünes Mos wird in die Wandung mit eingewebt; feine Würzelchen, Hälmchen und Riſpen, Pferdehaare kleiden die Mulde innen aus. Wenige Grasmücken bauen in höhere Baumwipfel, die Mehrzahl wählt ſich vielmehr dichte, niedere Büſche und befeſtigt ihr Neſt hier in einem paſſenden Gabelaſte, höchſtens in Mannes- höhe, über den Boden, — falls man wirklich von Befeſtigung ſprechen darf; denn gar nicht ſelten iſt auch der Standort des Neſtes ſo leichtſinnig gewählt, daß ein heftiger Windſtoß den Bau herabwirft. Das Gelege beſteht aus vier bis ſechs Eiern, welche auf weißlichem Grunde grau oder bräunlich gefleckt ſind.
Die Grasmücken freſſen Kerbthiere und Beeren, erſtere im Frühling und Sommer, letztere im Herbſt. Sie leſen von Gezweig und von den Blättern allerhand Larven, Puppen, Räupchen oder feſtſitzende Kerbthiere im Fliegenzuſtande ab, ziehen andere auch wohl aus den Blüthen hervor, jagen aber nur ſelten einer vorbeiflatternden Beute nach. Jm Spätſommer und Herbſt erſcheinen ſie familienweiſe auf den beeren- oder fruchttragenden Bäumen, bei uns zu Lande auf Johannis-, Flieder-, Brombeer-, Faulbaum-, Geisblatt-, Hartriegel- und anderen Beerenſträuchern, auch wohl auf Kirſchbäumen, im Süden Europas vorzugsweiſe auf den Feigenbäumen, ſodaß ein ſüdländiſcher
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[836/0884]
Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.
heimiſch ſind. Jm Gebüſch hingegen beweiſen ſie ihre Meiſterſchaft. Munter und thätig, bewegungs-
luſtig und unruhig, wie irgend ein anderer Singvogel, durchkriechen ſie auch die dichteſten Hecken, die
verſchlungenſten Aeſte mit unnachahmlicher Gewandtheit. Sie tragen dabei den Kopf und die Bruſt
tief niedergeſenkt und das Ferſengelenk ſtark eingebogen, unterſcheiden ſich alſo ſchon hierdurch von
allen Droſſelvögeln und Zahnſchnäblern. Niemals bewegen ſie den Schwanz oder die Flügel in der-
ſelben Weiſe, wie Droſſeln oder Würger; ſie erheben ihn nur zuweilen, wenn ſie zornig erregt ſind,
z. B. ruckweiſe nach oben, ſträuben dabei aber immer zugleich auch die Scheitelfedern. Einige
Arten lieben es, ab und zu auf hervorragende Spitzen herauszukommen und ſich frei zu zeigen, andere
ſteigen auch, wenn ſie ſingen, in die Luft empor; im allgemeinen aber leben ſämmtliche Grasmücken
ſehr verſteckt und hüten ſich ängſtlich faſt vor jeder Bewegung außerhalb ihrer ſchützenden Gebüſche.
Dieſe Furchtſamkeit erklärt ſich durch ihren ſchlechten Flug. Wenige Arten ſind fähig, in großen
Bogenlinien eilfertig dahinzujagen; die meiſten flattern mehr, als ſie fliegen, und ihre Flugbewegung
erſcheint ſchwerfällig, unſicher und wankend. Trotzdem ſcheuen ſich die bei uns lebenden Grasmücken
nicht vor größeren Reiſen; denn ſie ſind Zugvögel, und ziehen bis in die Mitte Afrikas.
Hochbegabt ſind die Grasmücken in einer Hinſicht: alle Arten, ohne Ausnahme, ſind vorzügliche
Sänger. Gerade in dieſer Familie gibt es wahre Meiſter des Geſanges, und wenn auch einige dieſen
gegenüber als Stümper erſcheinen mögen: die große Menge gehört ganz unzweifelhaft zu den
befähigteſten aller Singvögel überhaupt.
Auch die höheren Fähigkeiten ſind als wohlentwickelte zu bezeichnen. Die Sinne ſtehen auf
hoher Stufe und ſcheinen ziemlich gleichmäßig ausgebildet zu ſein, obſchon Geſicht und Gehör, wie
immer, vorzüglicher ſind, als Geſchmack, Gefühl und Geruch. Der Verſtand wird von Niemand
unterſchätzt werden, welcher die Grasmücken kennt. Sie ſind klug, wiſſen ſich nach den Umſtänden
vortrefflich einzurichten, unterſcheiden ihre Freunde und Feinde; ſie zeigen ſich zutraulich, wo Dies
gerechtfertigt iſt und ſcheu, wo ſie Nachſtellungen erfahren haben. Einzelne legen unter Umſtänden
eine große Liſt an den Tag, andere bekunden zuweilen ein Mißtrauen ohne Grenzen, welches mit ihrer
ſonſtigen Zuthunlichkeit und Harmloſigkeit gar nicht im Einklange zu ſtehen ſcheint. Mit fremd-
artigen Vögeln leben ſie in beſter Eintracht und auch unter Jhresgleichen im Frieden, ſo lange nicht
die Liebe ins Spiel kommt und die Eiferſucht in ihnen ſich regt. Alle ſind treue Gatten und treue
Eltern. Jhrer Brut zu Liebe opfern ſie ſich in wahrhaft rührender Weiſe auf; um die Kinder zu
retten, bieten ſie ſich ſelbſt dem Raubthiere zur Beute dar. Sie brüten mehr als einmal im Jahre,
ſelbſtverſtändlich regelmäßig in ihren beliebten Gebüſchen. Jhr Neſt zeichnet ſich durch eine hübſche
Form, aber auch durch eine leichte, flache Bauart aus. Es beſteht aus dürren Pflanzenſtengeln
verſchiedener Art, welche ſo locker zuſammen geſchichtet werden, daß die Wände geradezu durchſichtig
ſind. Raupen und Spinnengewebe, etwas Pflanzenwolle, zuweilen auch wohl grünes Mos wird in
die Wandung mit eingewebt; feine Würzelchen, Hälmchen und Riſpen, Pferdehaare kleiden die Mulde
innen aus. Wenige Grasmücken bauen in höhere Baumwipfel, die Mehrzahl wählt ſich vielmehr
dichte, niedere Büſche und befeſtigt ihr Neſt hier in einem paſſenden Gabelaſte, höchſtens in Mannes-
höhe, über den Boden, — falls man wirklich von Befeſtigung ſprechen darf; denn gar nicht ſelten iſt
auch der Standort des Neſtes ſo leichtſinnig gewählt, daß ein heftiger Windſtoß den Bau herabwirft.
Das Gelege beſteht aus vier bis ſechs Eiern, welche auf weißlichem Grunde grau oder bräunlich
gefleckt ſind.
Die Grasmücken freſſen Kerbthiere und Beeren, erſtere im Frühling und Sommer, letztere im
Herbſt. Sie leſen von Gezweig und von den Blättern allerhand Larven, Puppen, Räupchen oder
feſtſitzende Kerbthiere im Fliegenzuſtande ab, ziehen andere auch wohl aus den Blüthen hervor, jagen
aber nur ſelten einer vorbeiflatternden Beute nach. Jm Spätſommer und Herbſt erſcheinen ſie
familienweiſe auf den beeren- oder fruchttragenden Bäumen, bei uns zu Lande auf Johannis-,
Flieder-, Brombeer-, Faulbaum-, Geisblatt-, Hartriegel- und anderen Beerenſträuchern, auch wohl
auf Kirſchbäumen, im Süden Europas vorzugsweiſe auf den Feigenbäumen, ſodaß ein ſüdländiſcher
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 836. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/884>, abgerufen am 22.11.2024.
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