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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Leierschwanz.
Anstrengung des Jägers. Dieser muß nicht nur über Felsklippen und umgestürzte Baumstämme
klettern, zwischen und unter den Zweigen mit ängstlicher Vorsicht dahinkriechen, sondern darf auch nur
dann vorrücken, wenn der Vogel beschäftigt ist, d. h. wenn er im Laube scharrt oder wenn er gerade
singt. Er muß auf jede Bewegung desselben ein wachsames Auge haben und selbst durchaus
bewegungslos bleiben, sobald er glaubt, daß der Leierschwanz ihn bemerken könne; denn die aller-
geringste Bewegung, welche dieser sieht, verscheucht ihn ebenso sicher, wie Geräusch, welches er ver-
nimmt. Nur ausnahmsweise trifft man einzelne an, welche nicht ganz so vorsichtig sind und sich
beschleichen lassen. Sehr behilflich wird ein gut geschulter Hund; er stellt den Vogel und wendet
dessen Aufmerksamkeit von dem Jäger ab. Die alten, abgefeimten Buschleute gebrauchen allerlei
Listen, um den Vorsichtigen zu berücken. Sie befestigen sich den vollständigen Schwanz seines
Männchens auf dem Hute, verbergen sich im Gebüsch und bewegen nun in bestimmter Weise den Kopf
und damit selbstverständlich auch den sonderbaren Kopfputz, bis es der zu jagende Leierschwanz bemerkt.
Dieser vermuthet, daß ein anderes Männchen in seinem Gebiet eingedrungen sei, kommt eifersüchtig
herbei und wird so erlegt. Jst er durch seine Umgebung verborgen, so veranlaßt ihn jeder unge-
wöhnliche Ton, ein Pfiff z. B., sich zu zeigen. Er läuft dann nach dem ersten, besten Platze hin,
welcher eine Umschau gewährt und versucht vonhieraus die Ursache des Geräusches zu entdecken.
Andere Jäger üben sich den Lockton des Leierschwanzes ein und rufen, wenn sie ihre Sachen verstehen,
jedes Männchen mit Sicherheit zu sich heran.



Die letzte Zunft umfaßt die Sänger (Sylviadae), die kleinsten und schlankesten Mitglieder
der Ordnung, gekennzeichnet durch geraden, dünnen, pfriemenförmigen Schnabel, kräftige, mittelhoch-
läufige Füße, kurze, ziemlich gerundete Flügel, einen verschieden langen, auch in der Form manch-
fach abändernden Schwanz und ein meist seidenweiches Gefieder.

Als die edelsten in dieser Zunft betrachten wir die Grasmücken (Sylviae). Sie sind kleine,
sehr übereinstimmend gestaltete und im Ganzen auch ähnlich gefärbte oder gezeichnete, schlank gebaute
und zart oder seidenweich besiederte Singvögel. Der Schnabel ist kegelpfriemenförmig, noch ziemlich
stark an der Wurzel, ungefähr ebenso hoch wie breit, mit übergebogener Spitze und einem kleinen
Ausschnitt vor derselben; die Füße sind stark, mittelhoch, die Zehen kurz und kräftig; der Flügel ist
mittellang und leicht zugerundet, in ihm die dritte oder die vierte Schwinge über die übrigen ver-
längert; der aus zwölf Federn gebildete Schwanz wechselt ebensowohl hinsichtlich seiner Länge, als hin-
sichtlich seiner Gestaltung. Das Gefieder ist reich und sehr weich; seine Hauptfärbung ist ein zartes
Grau, welches bald in das Röthliche, bald in das Bräunliche spielt. Lebhafte Färbung ist selten
unter den Grasmücken, wenn auch nicht gänzlich ausgeschlossen. Die Geschlechter tragen in der
Regel ein ähnliches Kleid, obwohl auch hier das Gegentheil vorkommt. Die Jungen unterscheiden
sich nur ausnahmsweise merklich von den Alten.

Die alte Welt und insbesondere der Norden derselben ist die Heimat der Grasmücken; der Wald
und zwar vorzugsweife der Laubwald und die Gebüsche sind ihre Wohnsitze. Sie meiden die Höhe
und finden sich deshalb selten im eigentlichen Hochwald, während sie im Niederwald überall vorkommen.
Je dichter die Büsche zusammenstehen, umso geeigneter erscheinen sie den Grasmücken zu ihren Wohn-
sitzen, und deshalb sagt ihnen der Niederwald Südeuropas ganz besonders zu. Bei uns zu
Lande beleben sie außer den zusammenhängenden Dickichten die Gebüsche im Felde oder im Garten;
einzelne begnügen sich schon mit einer größeren Hecke.

Fast alle Arten kommen nur selten und immer blos auf kurze Zeit zum Boden herab; sie unter-
scheiden sich dadurch sehr wesentlich von der großen Mehrzahl der Singvögel, welche wir bisher kennen
gelernt haben. Man darf sagen, daß sie auf dem Boden ebenso fremd, wie die Drosseln auf ihm

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Leierſchwanz.
Anſtrengung des Jägers. Dieſer muß nicht nur über Felsklippen und umgeſtürzte Baumſtämme
klettern, zwiſchen und unter den Zweigen mit ängſtlicher Vorſicht dahinkriechen, ſondern darf auch nur
dann vorrücken, wenn der Vogel beſchäftigt iſt, d. h. wenn er im Laube ſcharrt oder wenn er gerade
ſingt. Er muß auf jede Bewegung deſſelben ein wachſames Auge haben und ſelbſt durchaus
bewegungslos bleiben, ſobald er glaubt, daß der Leierſchwanz ihn bemerken könne; denn die aller-
geringſte Bewegung, welche dieſer ſieht, verſcheucht ihn ebenſo ſicher, wie Geräuſch, welches er ver-
nimmt. Nur ausnahmsweiſe trifft man einzelne an, welche nicht ganz ſo vorſichtig ſind und ſich
beſchleichen laſſen. Sehr behilflich wird ein gut geſchulter Hund; er ſtellt den Vogel und wendet
deſſen Aufmerkſamkeit von dem Jäger ab. Die alten, abgefeimten Buſchleute gebrauchen allerlei
Liſten, um den Vorſichtigen zu berücken. Sie befeſtigen ſich den vollſtändigen Schwanz ſeines
Männchens auf dem Hute, verbergen ſich im Gebüſch und bewegen nun in beſtimmter Weiſe den Kopf
und damit ſelbſtverſtändlich auch den ſonderbaren Kopfputz, bis es der zu jagende Leierſchwanz bemerkt.
Dieſer vermuthet, daß ein anderes Männchen in ſeinem Gebiet eingedrungen ſei, kommt eiferſüchtig
herbei und wird ſo erlegt. Jſt er durch ſeine Umgebung verborgen, ſo veranlaßt ihn jeder unge-
wöhnliche Ton, ein Pfiff z. B., ſich zu zeigen. Er läuft dann nach dem erſten, beſten Platze hin,
welcher eine Umſchau gewährt und verſucht vonhieraus die Urſache des Geräuſches zu entdecken.
Andere Jäger üben ſich den Lockton des Leierſchwanzes ein und rufen, wenn ſie ihre Sachen verſtehen,
jedes Männchen mit Sicherheit zu ſich heran.



Die letzte Zunft umfaßt die Sänger (Sylviadae), die kleinſten und ſchlankeſten Mitglieder
der Ordnung, gekennzeichnet durch geraden, dünnen, pfriemenförmigen Schnabel, kräftige, mittelhoch-
läufige Füße, kurze, ziemlich gerundete Flügel, einen verſchieden langen, auch in der Form manch-
fach abändernden Schwanz und ein meiſt ſeidenweiches Gefieder.

Als die edelſten in dieſer Zunft betrachten wir die Grasmücken (Sylviae). Sie ſind kleine,
ſehr übereinſtimmend geſtaltete und im Ganzen auch ähnlich gefärbte oder gezeichnete, ſchlank gebaute
und zart oder ſeidenweich beſiederte Singvögel. Der Schnabel iſt kegelpfriemenförmig, noch ziemlich
ſtark an der Wurzel, ungefähr ebenſo hoch wie breit, mit übergebogener Spitze und einem kleinen
Ausſchnitt vor derſelben; die Füße ſind ſtark, mittelhoch, die Zehen kurz und kräftig; der Flügel iſt
mittellang und leicht zugerundet, in ihm die dritte oder die vierte Schwinge über die übrigen ver-
längert; der aus zwölf Federn gebildete Schwanz wechſelt ebenſowohl hinſichtlich ſeiner Länge, als hin-
ſichtlich ſeiner Geſtaltung. Das Gefieder iſt reich und ſehr weich; ſeine Hauptfärbung iſt ein zartes
Grau, welches bald in das Röthliche, bald in das Bräunliche ſpielt. Lebhafte Färbung iſt ſelten
unter den Grasmücken, wenn auch nicht gänzlich ausgeſchloſſen. Die Geſchlechter tragen in der
Regel ein ähnliches Kleid, obwohl auch hier das Gegentheil vorkommt. Die Jungen unterſcheiden
ſich nur ausnahmsweiſe merklich von den Alten.

Die alte Welt und insbeſondere der Norden derſelben iſt die Heimat der Grasmücken; der Wald
und zwar vorzugsweife der Laubwald und die Gebüſche ſind ihre Wohnſitze. Sie meiden die Höhe
und finden ſich deshalb ſelten im eigentlichen Hochwald, während ſie im Niederwald überall vorkommen.
Je dichter die Büſche zuſammenſtehen, umſo geeigneter erſcheinen ſie den Grasmücken zu ihren Wohn-
ſitzen, und deshalb ſagt ihnen der Niederwald Südeuropas ganz beſonders zu. Bei uns zu
Lande beleben ſie außer den zuſammenhängenden Dickichten die Gebüſche im Felde oder im Garten;
einzelne begnügen ſich ſchon mit einer größeren Hecke.

Faſt alle Arten kommen nur ſelten und immer blos auf kurze Zeit zum Boden herab; ſie unter-
ſcheiden ſich dadurch ſehr weſentlich von der großen Mehrzahl der Singvögel, welche wir bisher kennen
gelernt haben. Man darf ſagen, daß ſie auf dem Boden ebenſo fremd, wie die Droſſeln auf ihm

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[835/0883] Leierſchwanz. Anſtrengung des Jägers. Dieſer muß nicht nur über Felsklippen und umgeſtürzte Baumſtämme klettern, zwiſchen und unter den Zweigen mit ängſtlicher Vorſicht dahinkriechen, ſondern darf auch nur dann vorrücken, wenn der Vogel beſchäftigt iſt, d. h. wenn er im Laube ſcharrt oder wenn er gerade ſingt. Er muß auf jede Bewegung deſſelben ein wachſames Auge haben und ſelbſt durchaus bewegungslos bleiben, ſobald er glaubt, daß der Leierſchwanz ihn bemerken könne; denn die aller- geringſte Bewegung, welche dieſer ſieht, verſcheucht ihn ebenſo ſicher, wie Geräuſch, welches er ver- nimmt. Nur ausnahmsweiſe trifft man einzelne an, welche nicht ganz ſo vorſichtig ſind und ſich beſchleichen laſſen. Sehr behilflich wird ein gut geſchulter Hund; er ſtellt den Vogel und wendet deſſen Aufmerkſamkeit von dem Jäger ab. Die alten, abgefeimten Buſchleute gebrauchen allerlei Liſten, um den Vorſichtigen zu berücken. Sie befeſtigen ſich den vollſtändigen Schwanz ſeines Männchens auf dem Hute, verbergen ſich im Gebüſch und bewegen nun in beſtimmter Weiſe den Kopf und damit ſelbſtverſtändlich auch den ſonderbaren Kopfputz, bis es der zu jagende Leierſchwanz bemerkt. Dieſer vermuthet, daß ein anderes Männchen in ſeinem Gebiet eingedrungen ſei, kommt eiferſüchtig herbei und wird ſo erlegt. Jſt er durch ſeine Umgebung verborgen, ſo veranlaßt ihn jeder unge- wöhnliche Ton, ein Pfiff z. B., ſich zu zeigen. Er läuft dann nach dem erſten, beſten Platze hin, welcher eine Umſchau gewährt und verſucht vonhieraus die Urſache des Geräuſches zu entdecken. Andere Jäger üben ſich den Lockton des Leierſchwanzes ein und rufen, wenn ſie ihre Sachen verſtehen, jedes Männchen mit Sicherheit zu ſich heran. Die letzte Zunft umfaßt die Sänger (Sylviadae), die kleinſten und ſchlankeſten Mitglieder der Ordnung, gekennzeichnet durch geraden, dünnen, pfriemenförmigen Schnabel, kräftige, mittelhoch- läufige Füße, kurze, ziemlich gerundete Flügel, einen verſchieden langen, auch in der Form manch- fach abändernden Schwanz und ein meiſt ſeidenweiches Gefieder. Als die edelſten in dieſer Zunft betrachten wir die Grasmücken (Sylviae). Sie ſind kleine, ſehr übereinſtimmend geſtaltete und im Ganzen auch ähnlich gefärbte oder gezeichnete, ſchlank gebaute und zart oder ſeidenweich beſiederte Singvögel. Der Schnabel iſt kegelpfriemenförmig, noch ziemlich ſtark an der Wurzel, ungefähr ebenſo hoch wie breit, mit übergebogener Spitze und einem kleinen Ausſchnitt vor derſelben; die Füße ſind ſtark, mittelhoch, die Zehen kurz und kräftig; der Flügel iſt mittellang und leicht zugerundet, in ihm die dritte oder die vierte Schwinge über die übrigen ver- längert; der aus zwölf Federn gebildete Schwanz wechſelt ebenſowohl hinſichtlich ſeiner Länge, als hin- ſichtlich ſeiner Geſtaltung. Das Gefieder iſt reich und ſehr weich; ſeine Hauptfärbung iſt ein zartes Grau, welches bald in das Röthliche, bald in das Bräunliche ſpielt. Lebhafte Färbung iſt ſelten unter den Grasmücken, wenn auch nicht gänzlich ausgeſchloſſen. Die Geſchlechter tragen in der Regel ein ähnliches Kleid, obwohl auch hier das Gegentheil vorkommt. Die Jungen unterſcheiden ſich nur ausnahmsweiſe merklich von den Alten. Die alte Welt und insbeſondere der Norden derſelben iſt die Heimat der Grasmücken; der Wald und zwar vorzugsweife der Laubwald und die Gebüſche ſind ihre Wohnſitze. Sie meiden die Höhe und finden ſich deshalb ſelten im eigentlichen Hochwald, während ſie im Niederwald überall vorkommen. Je dichter die Büſche zuſammenſtehen, umſo geeigneter erſcheinen ſie den Grasmücken zu ihren Wohn- ſitzen, und deshalb ſagt ihnen der Niederwald Südeuropas ganz beſonders zu. Bei uns zu Lande beleben ſie außer den zuſammenhängenden Dickichten die Gebüſche im Felde oder im Garten; einzelne begnügen ſich ſchon mit einer größeren Hecke. Faſt alle Arten kommen nur ſelten und immer blos auf kurze Zeit zum Boden herab; ſie unter- ſcheiden ſich dadurch ſehr weſentlich von der großen Mehrzahl der Singvögel, welche wir bisher kennen gelernt haben. Man darf ſagen, daß ſie auf dem Boden ebenſo fremd, wie die Droſſeln auf ihm 53*

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 835. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/883>, abgerufen am 22.11.2024.