sagt Naumann, "sie im Freien jemals traurig gesehen zu haben; vielmehr läßt sie an den ihr nahe wohnenden Vögeln beständig ihren Muthwillen durch Necken und Jagen aus, beißt sich auch wohl mit ihnen herum, verfliegt sich aber dabei niemals forglos ins Freie, sondern bleibt klüglich immer dem Gebüsch so nahe wie möglich." Dasselbe Betragen behält sie nach meinen Beobachtungen auch im Süden oder auf ihrer Wanderung bei. Sie ist überall dieselbe -- überall gleich aufmerksam, überall gleich mißtrauisch und überall gleich listig.
Bald nach ihrer Ankunft in Deutschland macht die Dorngrasmücke Anstalt zu ihrer Brut. Sie baut in dichte Büsche und langes Gras, selten mehr als drei Fuß über dem Boden, oft so niedrig, daß der Unterbau des Nestes die Erde berührt. Jn die wie gewöhnlich aus Halmen zusammengesetzten dünnen Wände werden oft Klümpchen Schafwolle gemischt; die innere Ausfütterung wird aus den Spitzen der Grashalmen hergestellt. Schon in der zweiten Hälfte des April enthält das Nest das volle Gelege, vier bis sechs, in Größe, Gestalt und Färbung außerordentlich abändernde Eier, welche auf elfenbeinweißem, gelben, grauen oder grünlichgelbgrauen, auch wohl grünlichweißen und bläulich- weißen Grunde deutlicher oder undeutlicher mit aschgrauen, schieferfarbigen, ölbraunen, gelbgrünen etc. Punkten und Flecken gewässert, marmorirt, gepunktet und sonstwie gezeichnet sind. Die Eltern betragen sich beim Neste, wie andere Grasmücken auch. Die zweite Brut folgt unmittelbar auf die erste.
Jm Käfig wird die Dorngrasmücke seltener gehalten, als ihre Verwandten. Jhr Gesang gefällt eben nicht jedem Liebhaber; ihre Wartung jedoch verlangt die größte Sorgfalt; namentlich hält es schwer, sie rein zu halten, denn auch sie wird vom Ungeziefer überaus geplagt.
Außer dem Meistersänger leben im Süden Europas noch andere Grasmücken, welche ebenfalls der ersten Gruppe oder Sippe zugezählt werden müssen. Jch will auch sie kurz besprechen.
"Weiter nach Mittag hin", sagt Gloger, "wird, häufiger als bei uns, das Weißliche im Schwanz (der Dorngrasmücke) um ein Bedeutendes heller. Die Farben des Oberleibes werden durch starkes Ab- reiben der Federränder und durch den Einfluß von Luft, Sonnenlicht und Wärme reiner, zum Theil leb- hafter. Dann erscheint der Kopf sehr dunkelaschgrau, an der Stirn mit schwärzlichen, vertuschten Schaftflecken, der Zügel noch dunkler als gewöhnlich, bis zum tiefen Schwarzgrau, der Unterleib röther. So hat man sie (die Dornsgrasmücke) öfters in Sardinien und, diesen ähnlich, die Mehr- zahl der dalmatinischen; gesunde alte Männchen sind aber auch schon in Deutschland zuweilen ganz ebenso: Brillengrasmücke (Curruca conspieillata). Auf einen höheren Grad steigt dieselbe Ver- änderung dort bei den noch älteren Vögeln, welchen man den Namen Sperlingsgrasmücke (Curruca passerina), zum Theil auch die Benennung weißbärtige Grasmücke (Curruca leuco- pogon) beigelegt hat und welchen man das mittägliche Frankreich, Spanien, Jtalien und zugleich Sardinien als Vaterland zuschreibt. ... Die Weibchen erleiden stets eine geringe Veränderung und sind unten mehr iris- oder röthlichgelb als roth."
Diese, wie gewöhnlich in möglichst schlechtem Deutsch vorgebrachte Auslassung Gloger's will sagen, daß eine überaus zierliche Grasmücke Südeuropas, eben die Brillengrasmücke, nichts Anderes sei, als eine sogenannte klimatische Spielart unserer Dorngrasmücke.
Man könnte Gloger's Behauptung für einen Scherz halten, wenn sie nicht gar so ernsthaft gemeint wäre; man könnte es einen Gewinn für die Wissenschaft nennen, über die Entstehung einer Art in einer so bestimmten, jeden Widerspruch ausschließenden Weise unterrichtet zu werden, wäre die gelahrte Auseinandersetzung mehr, als ein haltloses Geschwätz. Vom Studirzimmer aus läßt sich ein derartiger Unsinn wohl in die Welt schleudern, und wenn er mit dem Bewußtsein der Unfehlbarkeit vorgebracht wird, findet er auch seine gläubigen Jünger und Nachfolger: wer aber ehrlich genug ist, einzugestehen, daß alle Ansichten und Meinungen über die Entstehung der Arten im Thierreiche zur Zeit Nichts weiter sind, als Annahmen, welche einstweilen noch der Begründung entbehren, der wird
Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.
ſagt Naumann, „ſie im Freien jemals traurig geſehen zu haben; vielmehr läßt ſie an den ihr nahe wohnenden Vögeln beſtändig ihren Muthwillen durch Necken und Jagen aus, beißt ſich auch wohl mit ihnen herum, verfliegt ſich aber dabei niemals forglos ins Freie, ſondern bleibt klüglich immer dem Gebüſch ſo nahe wie möglich.‟ Daſſelbe Betragen behält ſie nach meinen Beobachtungen auch im Süden oder auf ihrer Wanderung bei. Sie iſt überall dieſelbe — überall gleich aufmerkſam, überall gleich mißtrauiſch und überall gleich liſtig.
Bald nach ihrer Ankunft in Deutſchland macht die Dorngrasmücke Anſtalt zu ihrer Brut. Sie baut in dichte Büſche und langes Gras, ſelten mehr als drei Fuß über dem Boden, oft ſo niedrig, daß der Unterbau des Neſtes die Erde berührt. Jn die wie gewöhnlich aus Halmen zuſammengeſetzten dünnen Wände werden oft Klümpchen Schafwolle gemiſcht; die innere Ausfütterung wird aus den Spitzen der Grashalmen hergeſtellt. Schon in der zweiten Hälfte des April enthält das Neſt das volle Gelege, vier bis ſechs, in Größe, Geſtalt und Färbung außerordentlich abändernde Eier, welche auf elfenbeinweißem, gelben, grauen oder grünlichgelbgrauen, auch wohl grünlichweißen und bläulich- weißen Grunde deutlicher oder undeutlicher mit aſchgrauen, ſchieferfarbigen, ölbraunen, gelbgrünen ꝛc. Punkten und Flecken gewäſſert, marmorirt, gepunktet und ſonſtwie gezeichnet ſind. Die Eltern betragen ſich beim Neſte, wie andere Grasmücken auch. Die zweite Brut folgt unmittelbar auf die erſte.
Jm Käfig wird die Dorngrasmücke ſeltener gehalten, als ihre Verwandten. Jhr Geſang gefällt eben nicht jedem Liebhaber; ihre Wartung jedoch verlangt die größte Sorgfalt; namentlich hält es ſchwer, ſie rein zu halten, denn auch ſie wird vom Ungeziefer überaus geplagt.
Außer dem Meiſterſänger leben im Süden Europas noch andere Grasmücken, welche ebenfalls der erſten Gruppe oder Sippe zugezählt werden müſſen. Jch will auch ſie kurz beſprechen.
„Weiter nach Mittag hin‟, ſagt Gloger, „wird, häufiger als bei uns, das Weißliche im Schwanz (der Dorngrasmücke) um ein Bedeutendes heller. Die Farben des Oberleibes werden durch ſtarkes Ab- reiben der Federränder und durch den Einfluß von Luft, Sonnenlicht und Wärme reiner, zum Theil leb- hafter. Dann erſcheint der Kopf ſehr dunkelaſchgrau, an der Stirn mit ſchwärzlichen, vertuſchten Schaftflecken, der Zügel noch dunkler als gewöhnlich, bis zum tiefen Schwarzgrau, der Unterleib röther. So hat man ſie (die Dornsgrasmücke) öfters in Sardinien und, dieſen ähnlich, die Mehr- zahl der dalmatiniſchen; geſunde alte Männchen ſind aber auch ſchon in Deutſchland zuweilen ganz ebenſo: Brillengrasmücke (Curruca conspieillata). Auf einen höheren Grad ſteigt dieſelbe Ver- änderung dort bei den noch älteren Vögeln, welchen man den Namen Sperlingsgrasmücke (Curruca passerina), zum Theil auch die Benennung weißbärtige Grasmücke (Curruca leuco- pogon) beigelegt hat und welchen man das mittägliche Frankreich, Spanien, Jtalien und zugleich Sardinien als Vaterland zuſchreibt. … Die Weibchen erleiden ſtets eine geringe Veränderung und ſind unten mehr iris- oder röthlichgelb als roth.‟
Dieſe, wie gewöhnlich in möglichſt ſchlechtem Deutſch vorgebrachte Auslaſſung Gloger’s will ſagen, daß eine überaus zierliche Grasmücke Südeuropas, eben die Brillengrasmücke, nichts Anderes ſei, als eine ſogenannte klimatiſche Spielart unſerer Dorngrasmücke.
Man könnte Gloger’s Behauptung für einen Scherz halten, wenn ſie nicht gar ſo ernſthaft gemeint wäre; man könnte es einen Gewinn für die Wiſſenſchaft nennen, über die Entſtehung einer Art in einer ſo beſtimmten, jeden Widerſpruch ausſchließenden Weiſe unterrichtet zu werden, wäre die gelahrte Auseinanderſetzung mehr, als ein haltloſes Geſchwätz. Vom Studirzimmer aus läßt ſich ein derartiger Unſinn wohl in die Welt ſchleudern, und wenn er mit dem Bewußtſein der Unfehlbarkeit vorgebracht wird, findet er auch ſeine gläubigen Jünger und Nachfolger: wer aber ehrlich genug iſt, einzugeſtehen, daß alle Anſichten und Meinungen über die Entſtehung der Arten im Thierreiche zur Zeit Nichts weiter ſind, als Annahmen, welche einſtweilen noch der Begründung entbehren, der wird
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Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.
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wohnenden Vögeln beſtändig ihren Muthwillen durch Necken und Jagen aus, beißt ſich auch wohl mit
ihnen herum, verfliegt ſich aber dabei niemals forglos ins Freie, ſondern bleibt klüglich immer dem
Gebüſch ſo nahe wie möglich.‟ Daſſelbe Betragen behält ſie nach meinen Beobachtungen auch im
Süden oder auf ihrer Wanderung bei. Sie iſt überall dieſelbe — überall gleich aufmerkſam, überall
gleich mißtrauiſch und überall gleich liſtig.
Bald nach ihrer Ankunft in Deutſchland macht die Dorngrasmücke Anſtalt zu ihrer Brut. Sie
baut in dichte Büſche und langes Gras, ſelten mehr als drei Fuß über dem Boden, oft ſo niedrig, daß
der Unterbau des Neſtes die Erde berührt. Jn die wie gewöhnlich aus Halmen zuſammengeſetzten
dünnen Wände werden oft Klümpchen Schafwolle gemiſcht; die innere Ausfütterung wird aus den
Spitzen der Grashalmen hergeſtellt. Schon in der zweiten Hälfte des April enthält das Neſt das
volle Gelege, vier bis ſechs, in Größe, Geſtalt und Färbung außerordentlich abändernde Eier, welche
auf elfenbeinweißem, gelben, grauen oder grünlichgelbgrauen, auch wohl grünlichweißen und bläulich-
weißen Grunde deutlicher oder undeutlicher mit aſchgrauen, ſchieferfarbigen, ölbraunen, gelbgrünen ꝛc.
Punkten und Flecken gewäſſert, marmorirt, gepunktet und ſonſtwie gezeichnet ſind. Die Eltern
betragen ſich beim Neſte, wie andere Grasmücken auch. Die zweite Brut folgt unmittelbar auf
die erſte.
Jm Käfig wird die Dorngrasmücke ſeltener gehalten, als ihre Verwandten. Jhr Geſang gefällt
eben nicht jedem Liebhaber; ihre Wartung jedoch verlangt die größte Sorgfalt; namentlich hält es
ſchwer, ſie rein zu halten, denn auch ſie wird vom Ungeziefer überaus geplagt.
Außer dem Meiſterſänger leben im Süden Europas noch andere Grasmücken, welche ebenfalls
der erſten Gruppe oder Sippe zugezählt werden müſſen. Jch will auch ſie kurz beſprechen.
„Weiter nach Mittag hin‟, ſagt Gloger, „wird, häufiger als bei uns, das Weißliche im Schwanz
(der Dorngrasmücke) um ein Bedeutendes heller. Die Farben des Oberleibes werden durch ſtarkes Ab-
reiben der Federränder und durch den Einfluß von Luft, Sonnenlicht und Wärme reiner, zum Theil leb-
hafter. Dann erſcheint der Kopf ſehr dunkelaſchgrau, an der Stirn mit ſchwärzlichen, vertuſchten
Schaftflecken, der Zügel noch dunkler als gewöhnlich, bis zum tiefen Schwarzgrau, der Unterleib
röther. So hat man ſie (die Dornsgrasmücke) öfters in Sardinien und, dieſen ähnlich, die Mehr-
zahl der dalmatiniſchen; geſunde alte Männchen ſind aber auch ſchon in Deutſchland zuweilen ganz
ebenſo: Brillengrasmücke (Curruca conspieillata). Auf einen höheren Grad ſteigt dieſelbe Ver-
änderung dort bei den noch älteren Vögeln, welchen man den Namen Sperlingsgrasmücke
(Curruca passerina), zum Theil auch die Benennung weißbärtige Grasmücke (Curruca leuco-
pogon) beigelegt hat und welchen man das mittägliche Frankreich, Spanien, Jtalien und zugleich
Sardinien als Vaterland zuſchreibt. … Die Weibchen erleiden ſtets eine geringe Veränderung und
ſind unten mehr iris- oder röthlichgelb als roth.‟
Dieſe, wie gewöhnlich in möglichſt ſchlechtem Deutſch vorgebrachte Auslaſſung Gloger’s will
ſagen, daß eine überaus zierliche Grasmücke Südeuropas, eben die Brillengrasmücke, nichts
Anderes ſei, als eine ſogenannte klimatiſche Spielart unſerer Dorngrasmücke.
Man könnte Gloger’s Behauptung für einen Scherz halten, wenn ſie nicht gar ſo ernſthaft
gemeint wäre; man könnte es einen Gewinn für die Wiſſenſchaft nennen, über die Entſtehung einer
Art in einer ſo beſtimmten, jeden Widerſpruch ausſchließenden Weiſe unterrichtet zu werden, wäre die
gelahrte Auseinanderſetzung mehr, als ein haltloſes Geſchwätz. Vom Studirzimmer aus läßt ſich ein
derartiger Unſinn wohl in die Welt ſchleudern, und wenn er mit dem Bewußtſein der Unfehlbarkeit
vorgebracht wird, findet er auch ſeine gläubigen Jünger und Nachfolger: wer aber ehrlich genug iſt,
einzugeſtehen, daß alle Anſichten und Meinungen über die Entſtehung der Arten im Thierreiche zur
Zeit Nichts weiter ſind, als Annahmen, welche einſtweilen noch der Begründung entbehren, der wird
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 848. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/896>, abgerufen am 22.11.2024.
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