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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Singvögel. Pieper.
gänzlich verschwinden, ja, er steigt in der Schweiz sogar noch weit darüber hinaus, auf ganz unbe-
wachsene Felsen und wasserreiche Alpen, wo kalte Bäche unter den Gletschern und aus den
schmelzenden Schneemassen hervorrinnen. Uebrigens wohnt er hier auf den dürrsten, kahlen Berg-
gipfeln, wie auf den morigen, von unzähligen Bächen durchschnittenen Knieholzwäldern, ebenso auf
den höchsten, fleckweise begrünten Felsen und an thurmhohen Steinwänden, wie an solchen Orten,
wo Gestein beinahe ganz, nicht aber das Zwergkiefergesträuch mangelt, ferner an den steilsten Thal-
einschnitten und tiefsten Abgründen, wie an ganz flachen Stellen der Bergfluren, am liebsten freilich
da, wo er alle diese Ortsverhältnisse gemischt findet... Alles Laubholz scheint ihm gänzlich
zuwider zu sein."

"Er sitzt außer der Fortpflanzungszeit selten, während derselben sehr gern auf verkrüppelten
Fichtenbäumchen und Kiefergesträuchen, weniger gern auf Felsstücken und Klippen. Sonderbarerweise
räumt jeder schon sitzende einem andern, den er soeben erst herankommen sieht, stets unweigerlich
seinen Platz ein: -- gewiß ein außerordentlicher Zug von Verträglichkeit und Friedsinn. Bald nach
der Brutzeit vereinigt er sich zu Hunderten auf den Bergwiesen, ohne sich jedoch eng an einander zu
halten. Solche Gesellschaften führen dann ihre Jungen vorzüglich des Morgens an die Bäche, an
heißen, sonnigen Tagen aber während der brennendsten Mittagshitze auf die dürrsten Rücken. Bis zum
Eintritt der strengen Jahreszeit sieht man die Wasserpieper vereinzelt, sie bleiben auch stets ungemein
scheu. Bei ihrer Brut dagegen scheinen sie aus Zärtlichkeit für diese ihre sonstige Schüchternheit
völlig bei Seite zu setzen: sie fliegen und springen höchst besorgt um ihren Feind herum, schreien nach
Kräften heftig "spieb spieb", in höchster Angst "gehlick glick", schlagen zugleich den Schwanz hoch auf
und nieder und sträuben traurig ihr Gefieder. Sonst rufen sie "zgipp zgipp". Jhr Gesang, welcher
bis Ende Julis vernommen wird, ist recht angenehm, obschon er dem des Baumpiepers nachsteht.
Eine seiner Strophen ähnelt dem Schwirren einiger Heimchenarten. Das Lied wird mit stets
zunehmend beschleunigtem und zuletzt in äußerst schnellen Tempo vorgetragen, während eines rasch
aufsteigenden Fluges begonnen, unter behaglichem Schwimmen und schnellem, schiefen Niedersinken
mit ruhig ausgebreiteten Flügeln eine Zeitlang fortgesetzt, aber erst im Sitzen auf einer Strauchspitze,
einem Steinblocke, Felsen oder auf dem Boden geendigt. Sehr selten, nur wenn trübe Wolken den
ganzen Gesichtskreis in trüben Nebel verhüllen, singt der Wasserpieper im Sitzen. Während der
ersten Nachmittagsstunden gibt keiner einen Laut von sich. ... Sein Nest legt er viel freier und
weniger verborgen an, als andere Pieper. Es steht in weiten Felsenspalten, zwischen Steinen, unter
hohen Rasenrändern, den großen alten Wurzeln und Aesten der Knieholzsträucher und in anderem
alten Gestrüpp, sodaß es oberhalb eine natürliche Decke gegen den Schnee und Regen hat. Die vier
bis sieben Eier haben auf bläulicher oder schmuzigweißer Grundfarbe in Dunkelbraun, Graubraun,
Schwarzbraun und Graulich, meist sehr dicht die Zeichnung der Piepereier, sehen zum Theil auch
manchen Haussperlingseiern täuschend ähnlich." Auf den Alpen leiden die Brutvögel, wie Tschudi
uns mittheilt, oft sehr von der rauhen Frühlingswitterung. "Jn vielen Jahrgängen bedeckt ein
später Schneefall das Nestchen mit den Eiern, vertreibt das brütende Weibchen, tödtet und begräbt
es nicht selten oder zwingt es, später neu zu nisten. Auch die nicht flüggen Jungen werden oft von
Schnee und Frost getödtet. -- Man hat gesehen, wie listig der Fuchs sie aufsucht und verzehrt,
während die Mutter schreiend über ihm herumflattert."



Von den bisher genannten Piepern unterscheiden sich diejenigen Arten, welche auf trockenen
Feldern oder in Wüsten leben, schon durch ihr Kleid, außerdem aber durch ihre gestreckte Gestalt, den
verhältnißmäßig starken Schnabel und die hohen, kräftigen Füße.

Unser Brachpieper, die Brach- und Krautlerche, Brach- oder Feldstelze, der
Stoppelvogel, Stöppling und Hüfter (Agrodroma campestris), ist das größte Mitglied seiner

Die Fänger. Singvögel. Pieper.
gänzlich verſchwinden, ja, er ſteigt in der Schweiz ſogar noch weit darüber hinaus, auf ganz unbe-
wachſene Felſen und waſſerreiche Alpen, wo kalte Bäche unter den Gletſchern und aus den
ſchmelzenden Schneemaſſen hervorrinnen. Uebrigens wohnt er hier auf den dürrſten, kahlen Berg-
gipfeln, wie auf den morigen, von unzähligen Bächen durchſchnittenen Knieholzwäldern, ebenſo auf
den höchſten, fleckweiſe begrünten Felſen und an thurmhohen Steinwänden, wie an ſolchen Orten,
wo Geſtein beinahe ganz, nicht aber das Zwergkiefergeſträuch mangelt, ferner an den ſteilſten Thal-
einſchnitten und tiefſten Abgründen, wie an ganz flachen Stellen der Bergfluren, am liebſten freilich
da, wo er alle dieſe Ortsverhältniſſe gemiſcht findet… Alles Laubholz ſcheint ihm gänzlich
zuwider zu ſein.‟

„Er ſitzt außer der Fortpflanzungszeit ſelten, während derſelben ſehr gern auf verkrüppelten
Fichtenbäumchen und Kiefergeſträuchen, weniger gern auf Felsſtücken und Klippen. Sonderbarerweiſe
räumt jeder ſchon ſitzende einem andern, den er ſoeben erſt herankommen ſieht, ſtets unweigerlich
ſeinen Platz ein: — gewiß ein außerordentlicher Zug von Verträglichkeit und Friedſinn. Bald nach
der Brutzeit vereinigt er ſich zu Hunderten auf den Bergwieſen, ohne ſich jedoch eng an einander zu
halten. Solche Geſellſchaften führen dann ihre Jungen vorzüglich des Morgens an die Bäche, an
heißen, ſonnigen Tagen aber während der brennendſten Mittagshitze auf die dürrſten Rücken. Bis zum
Eintritt der ſtrengen Jahreszeit ſieht man die Waſſerpieper vereinzelt, ſie bleiben auch ſtets ungemein
ſcheu. Bei ihrer Brut dagegen ſcheinen ſie aus Zärtlichkeit für dieſe ihre ſonſtige Schüchternheit
völlig bei Seite zu ſetzen: ſie fliegen und ſpringen höchſt beſorgt um ihren Feind herum, ſchreien nach
Kräften heftig „ſpieb ſpieb‟, in höchſter Angſt „gehlick glick‟, ſchlagen zugleich den Schwanz hoch auf
und nieder und ſträuben traurig ihr Gefieder. Sonſt rufen ſie „zgipp zgipp‟. Jhr Geſang, welcher
bis Ende Julis vernommen wird, iſt recht angenehm, obſchon er dem des Baumpiepers nachſteht.
Eine ſeiner Strophen ähnelt dem Schwirren einiger Heimchenarten. Das Lied wird mit ſtets
zunehmend beſchleunigtem und zuletzt in äußerſt ſchnellen Tempo vorgetragen, während eines raſch
aufſteigenden Fluges begonnen, unter behaglichem Schwimmen und ſchnellem, ſchiefen Niederſinken
mit ruhig ausgebreiteten Flügeln eine Zeitlang fortgeſetzt, aber erſt im Sitzen auf einer Strauchſpitze,
einem Steinblocke, Felſen oder auf dem Boden geendigt. Sehr ſelten, nur wenn trübe Wolken den
ganzen Geſichtskreis in trüben Nebel verhüllen, ſingt der Waſſerpieper im Sitzen. Während der
erſten Nachmittagsſtunden gibt keiner einen Laut von ſich. … Sein Neſt legt er viel freier und
weniger verborgen an, als andere Pieper. Es ſteht in weiten Felſenſpalten, zwiſchen Steinen, unter
hohen Raſenrändern, den großen alten Wurzeln und Aeſten der Knieholzſträucher und in anderem
alten Geſtrüpp, ſodaß es oberhalb eine natürliche Decke gegen den Schnee und Regen hat. Die vier
bis ſieben Eier haben auf bläulicher oder ſchmuzigweißer Grundfarbe in Dunkelbraun, Graubraun,
Schwarzbraun und Graulich, meiſt ſehr dicht die Zeichnung der Piepereier, ſehen zum Theil auch
manchen Hausſperlingseiern täuſchend ähnlich.‟ Auf den Alpen leiden die Brutvögel, wie Tſchudi
uns mittheilt, oft ſehr von der rauhen Frühlingswitterung. „Jn vielen Jahrgängen bedeckt ein
ſpäter Schneefall das Neſtchen mit den Eiern, vertreibt das brütende Weibchen, tödtet und begräbt
es nicht ſelten oder zwingt es, ſpäter neu zu niſten. Auch die nicht flüggen Jungen werden oft von
Schnee und Froſt getödtet. — Man hat geſehen, wie liſtig der Fuchs ſie aufſucht und verzehrt,
während die Mutter ſchreiend über ihm herumflattert.‟



Von den bisher genannten Piepern unterſcheiden ſich diejenigen Arten, welche auf trockenen
Feldern oder in Wüſten leben, ſchon durch ihr Kleid, außerdem aber durch ihre geſtreckte Geſtalt, den
verhältnißmäßig ſtarken Schnabel und die hohen, kräftigen Füße.

Unſer Brachpieper, die Brach- und Krautlerche, Brach- oder Feldſtelze, der
Stoppelvogel, Stöppling und Hüfter (Agrodroma campestris), iſt das größte Mitglied ſeiner

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[894/0942] Die Fänger. Singvögel. Pieper. gänzlich verſchwinden, ja, er ſteigt in der Schweiz ſogar noch weit darüber hinaus, auf ganz unbe- wachſene Felſen und waſſerreiche Alpen, wo kalte Bäche unter den Gletſchern und aus den ſchmelzenden Schneemaſſen hervorrinnen. Uebrigens wohnt er hier auf den dürrſten, kahlen Berg- gipfeln, wie auf den morigen, von unzähligen Bächen durchſchnittenen Knieholzwäldern, ebenſo auf den höchſten, fleckweiſe begrünten Felſen und an thurmhohen Steinwänden, wie an ſolchen Orten, wo Geſtein beinahe ganz, nicht aber das Zwergkiefergeſträuch mangelt, ferner an den ſteilſten Thal- einſchnitten und tiefſten Abgründen, wie an ganz flachen Stellen der Bergfluren, am liebſten freilich da, wo er alle dieſe Ortsverhältniſſe gemiſcht findet… Alles Laubholz ſcheint ihm gänzlich zuwider zu ſein.‟ „Er ſitzt außer der Fortpflanzungszeit ſelten, während derſelben ſehr gern auf verkrüppelten Fichtenbäumchen und Kiefergeſträuchen, weniger gern auf Felsſtücken und Klippen. Sonderbarerweiſe räumt jeder ſchon ſitzende einem andern, den er ſoeben erſt herankommen ſieht, ſtets unweigerlich ſeinen Platz ein: — gewiß ein außerordentlicher Zug von Verträglichkeit und Friedſinn. Bald nach der Brutzeit vereinigt er ſich zu Hunderten auf den Bergwieſen, ohne ſich jedoch eng an einander zu halten. Solche Geſellſchaften führen dann ihre Jungen vorzüglich des Morgens an die Bäche, an heißen, ſonnigen Tagen aber während der brennendſten Mittagshitze auf die dürrſten Rücken. Bis zum Eintritt der ſtrengen Jahreszeit ſieht man die Waſſerpieper vereinzelt, ſie bleiben auch ſtets ungemein ſcheu. Bei ihrer Brut dagegen ſcheinen ſie aus Zärtlichkeit für dieſe ihre ſonſtige Schüchternheit völlig bei Seite zu ſetzen: ſie fliegen und ſpringen höchſt beſorgt um ihren Feind herum, ſchreien nach Kräften heftig „ſpieb ſpieb‟, in höchſter Angſt „gehlick glick‟, ſchlagen zugleich den Schwanz hoch auf und nieder und ſträuben traurig ihr Gefieder. Sonſt rufen ſie „zgipp zgipp‟. Jhr Geſang, welcher bis Ende Julis vernommen wird, iſt recht angenehm, obſchon er dem des Baumpiepers nachſteht. Eine ſeiner Strophen ähnelt dem Schwirren einiger Heimchenarten. Das Lied wird mit ſtets zunehmend beſchleunigtem und zuletzt in äußerſt ſchnellen Tempo vorgetragen, während eines raſch aufſteigenden Fluges begonnen, unter behaglichem Schwimmen und ſchnellem, ſchiefen Niederſinken mit ruhig ausgebreiteten Flügeln eine Zeitlang fortgeſetzt, aber erſt im Sitzen auf einer Strauchſpitze, einem Steinblocke, Felſen oder auf dem Boden geendigt. Sehr ſelten, nur wenn trübe Wolken den ganzen Geſichtskreis in trüben Nebel verhüllen, ſingt der Waſſerpieper im Sitzen. Während der erſten Nachmittagsſtunden gibt keiner einen Laut von ſich. … Sein Neſt legt er viel freier und weniger verborgen an, als andere Pieper. Es ſteht in weiten Felſenſpalten, zwiſchen Steinen, unter hohen Raſenrändern, den großen alten Wurzeln und Aeſten der Knieholzſträucher und in anderem alten Geſtrüpp, ſodaß es oberhalb eine natürliche Decke gegen den Schnee und Regen hat. Die vier bis ſieben Eier haben auf bläulicher oder ſchmuzigweißer Grundfarbe in Dunkelbraun, Graubraun, Schwarzbraun und Graulich, meiſt ſehr dicht die Zeichnung der Piepereier, ſehen zum Theil auch manchen Hausſperlingseiern täuſchend ähnlich.‟ Auf den Alpen leiden die Brutvögel, wie Tſchudi uns mittheilt, oft ſehr von der rauhen Frühlingswitterung. „Jn vielen Jahrgängen bedeckt ein ſpäter Schneefall das Neſtchen mit den Eiern, vertreibt das brütende Weibchen, tödtet und begräbt es nicht ſelten oder zwingt es, ſpäter neu zu niſten. Auch die nicht flüggen Jungen werden oft von Schnee und Froſt getödtet. — Man hat geſehen, wie liſtig der Fuchs ſie aufſucht und verzehrt, während die Mutter ſchreiend über ihm herumflattert.‟ Von den bisher genannten Piepern unterſcheiden ſich diejenigen Arten, welche auf trockenen Feldern oder in Wüſten leben, ſchon durch ihr Kleid, außerdem aber durch ihre geſtreckte Geſtalt, den verhältnißmäßig ſtarken Schnabel und die hohen, kräftigen Füße. Unſer Brachpieper, die Brach- und Krautlerche, Brach- oder Feldſtelze, der Stoppelvogel, Stöppling und Hüfter (Agrodroma campestris), iſt das größte Mitglied ſeiner

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 894. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/942>, abgerufen am 22.11.2024.