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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Eheleben. Fortpflanzung. Nestbau.
Opfer seiner Feinde -- und dieselben Weibchen nahmen ohne Bedenken flugs einen dritten an. Die
Männchen legen gewöhnlich eine viel tiefere Trauer um den Verlust ihrer Gattin an den Tag, wahr-
scheinlich aber nur, weil es ihnen ungleich schwerer wird als den Weibchen, sich wieder ein Ehegenoß
zu erwerben; denn in der Treue und Untreue sind sich beide Geschlechter vollständig gleich.

Die männlichen Vögel werben mit Eifer und unter Aufbietung ihrer vollen Liebenswürdig-
keit um die Weibchen, einige durch sehnsüchtiges Rufen oder Singen, andere durch zierliche Tänze,
andere durch Flugspiele u. s. w. Oft wird die Werbung sehr stürmisch, und das Männchen jagt
stundenlang hinter dem Weibchen drein, dieses scheinbar im Zorne vor sich hertreibend; in der
Regel aber erhört das Weibchen seinen Liebhaber bald und widmet sich ihm dann mit aller Hingebung.
Schon während der Liebesspiele wird ein günstiger Platz für das Nest gesucht, vorausgesetzt, daß der
Vogel nicht zu denjenigen gehört, welche Ansiedelungen bilden und alljährlich zu derselben Stelle
zurückkehren. Jn der Regel steht das Nest ungefähr im Mittelpunkte des Wohnkreises, nach der Art
selbstverständlich verschieden. Streng genommen findet jeder passende Platz in der Höhe wie in der
Tiefe, auf dem Wasser wie auf dem Lande, im Walde wie auf dem Felde seinen Liebhaber. Die
Raubvögel bevorzugen die Höhe zur Anlage ihres Horstes und lassen sich selten herbei, auf dem Boden
zu nisten; fast alle Laufvögel hingegen bringen hier das Nest an; die Wald- und Baumvögel stellen
es in die Zweige, auf die Aeste, in vorgefundene oder von ihnen ausgemeiselte Höhlen, in das Mos
am Boden etc., die Sumpfvögel zwischen das Schilf und Röhricht, das Ried und Gras am Ufer, auf
kleine Jnselchen oder schwimmend auf das Wasser selbst; einzelne Meervögel verbergen es in Klüften,
selbst gegrabene Höhlen und an ähnlichen Orten: kurz, der Stand ist so verschieden, daß man im
allgemeinen nur sagen kann, jedes Nest steht entweder verborgen und entzieht sich dadurch den Blicken
der Feinde, oder ist, wenn es frei steht, so gebaut, daß es nicht leicht bemerkt werden kann, oder steht
endlich an Orten, welche dem in Frage kommenden Feinde unzugänglich sind. Die Familien- oder
Ordnungsangehörigkeit eines Vogels berechtigt nicht, anzunehmen, daß er sein Nest in derselben Weise
errichtet wie seine Verwandten, denn gerade hinsichtlich des Standortes unterscheiden sich die ver-
schiedenen Glieder einer Familie, ja sogar die einer Sippe sehr wesentlich. Die einfachsten Nester
haben diejenigen Vögel, welche ihre Eier ohne jegliche Vorbereitung auf den Boden ablegen; an sie
reihen sich diejenigen an, welche wenigstens eine kleine Mulde für die Eier scharren; hierauf folgen die,
welche diese Mulde mit weicheren Stoffen auskleiden. Dieselbe Steigerung wiederholt sich bei denen,
welche anstatt auf dem flachen Boden in Höhlen brüten, und im gewissen Sinne auch bei denjenigen,
welche ein schwimmendes Nest errichten, obgleich diese selbstverständlich erst eine Unterlage erbauen
müssen. Unter den Baumnestern gibt es fast ebenso viele verschiedenartige Bauten als Baumvögel.
Die einen tragen nur wenige Reiser liederlich zusammen, die anderen richten wenigstens eine ordentliche
Unterlage her, diese mulden letztere aus, jene belegen die Mulde innen mit Ried und feinem Reifig,
andere wiederum mit Reisern, Rüthchen, Würzelchen, Haaren und Federn; mehrere überwölben die
Mulde, und einzelne verlängern auch noch das Schlupfloch röhrenartig. Den Reisnesterbauern
zunächst stehen die Weber, welche nicht blos Grashalme, sondern auch wollige Pflanzenstoffe verflechten,
verweben und verfilzen, dieselben sogar mit vorgefundenen oder selbst bereiteten Faden förmlich
zusammennähen, und damit sich die Meisterschaft erwerben. Aber Meister in ihrer Kunst sind auch
die Kleiber, welche die Wandungen ihres Nestes aus Lehm herstellen. Dieser Stoff wird durch Ein-
speichelung noch besonders durchgearbeitet und verbessert oder sein Zusammenhang vermehrt, sodaß das
Nest eine sehr bedeutende Haltbarkeit gewinnt. Mehrere Kleiber benutzen übrigens gar keinen Lehm
mehr, sondern nehmen feine Pflanzenstoffe, Mos und Blatttheilchen z. B., und überziehen diese mit
ihrem Speichel, andere endlich verwenden nur den letzteren, welcher, bald erhärtend, zur Wand des
Nestes selbst werden muß. Jn der Regel dient das Nest nur zur Aufnahme der Eier, zur Wiege und
Kinderstube der Jungen; einige Vögel aber erbauen sich auch Spiel- und Vergnügungsnester oder
Winterherbergen, benutzen die Nester wenigstens als solche. Zu jenen gehören mehrere Weber- und
die Atlas- und Kragenvögel, auch ein Sumpfvogel, dessen riesenhaftes Nest einen Brut- und Gesell-

Eheleben. Fortpflanzung. Neſtbau.
Opfer ſeiner Feinde — und dieſelben Weibchen nahmen ohne Bedenken flugs einen dritten an. Die
Männchen legen gewöhnlich eine viel tiefere Trauer um den Verluſt ihrer Gattin an den Tag, wahr-
ſcheinlich aber nur, weil es ihnen ungleich ſchwerer wird als den Weibchen, ſich wieder ein Ehegenoß
zu erwerben; denn in der Treue und Untreue ſind ſich beide Geſchlechter vollſtändig gleich.

Die männlichen Vögel werben mit Eifer und unter Aufbietung ihrer vollen Liebenswürdig-
keit um die Weibchen, einige durch ſehnſüchtiges Rufen oder Singen, andere durch zierliche Tänze,
andere durch Flugſpiele u. ſ. w. Oft wird die Werbung ſehr ſtürmiſch, und das Männchen jagt
ſtundenlang hinter dem Weibchen drein, dieſes ſcheinbar im Zorne vor ſich hertreibend; in der
Regel aber erhört das Weibchen ſeinen Liebhaber bald und widmet ſich ihm dann mit aller Hingebung.
Schon während der Liebesſpiele wird ein günſtiger Platz für das Neſt geſucht, vorausgeſetzt, daß der
Vogel nicht zu denjenigen gehört, welche Anſiedelungen bilden und alljährlich zu derſelben Stelle
zurückkehren. Jn der Regel ſteht das Neſt ungefähr im Mittelpunkte des Wohnkreiſes, nach der Art
ſelbſtverſtändlich verſchieden. Streng genommen findet jeder paſſende Platz in der Höhe wie in der
Tiefe, auf dem Waſſer wie auf dem Lande, im Walde wie auf dem Felde ſeinen Liebhaber. Die
Raubvögel bevorzugen die Höhe zur Anlage ihres Horſtes und laſſen ſich ſelten herbei, auf dem Boden
zu niſten; faſt alle Laufvögel hingegen bringen hier das Neſt an; die Wald- und Baumvögel ſtellen
es in die Zweige, auf die Aeſte, in vorgefundene oder von ihnen ausgemeiſelte Höhlen, in das Mos
am Boden ꝛc., die Sumpfvögel zwiſchen das Schilf und Röhricht, das Ried und Gras am Ufer, auf
kleine Jnſelchen oder ſchwimmend auf das Waſſer ſelbſt; einzelne Meervögel verbergen es in Klüften,
ſelbſt gegrabene Höhlen und an ähnlichen Orten: kurz, der Stand iſt ſo verſchieden, daß man im
allgemeinen nur ſagen kann, jedes Neſt ſteht entweder verborgen und entzieht ſich dadurch den Blicken
der Feinde, oder iſt, wenn es frei ſteht, ſo gebaut, daß es nicht leicht bemerkt werden kann, oder ſteht
endlich an Orten, welche dem in Frage kommenden Feinde unzugänglich ſind. Die Familien- oder
Ordnungsangehörigkeit eines Vogels berechtigt nicht, anzunehmen, daß er ſein Neſt in derſelben Weiſe
errichtet wie ſeine Verwandten, denn gerade hinſichtlich des Standortes unterſcheiden ſich die ver-
ſchiedenen Glieder einer Familie, ja ſogar die einer Sippe ſehr weſentlich. Die einfachſten Neſter
haben diejenigen Vögel, welche ihre Eier ohne jegliche Vorbereitung auf den Boden ablegen; an ſie
reihen ſich diejenigen an, welche wenigſtens eine kleine Mulde für die Eier ſcharren; hierauf folgen die,
welche dieſe Mulde mit weicheren Stoffen auskleiden. Dieſelbe Steigerung wiederholt ſich bei denen,
welche anſtatt auf dem flachen Boden in Höhlen brüten, und im gewiſſen Sinne auch bei denjenigen,
welche ein ſchwimmendes Neſt errichten, obgleich dieſe ſelbſtverſtändlich erſt eine Unterlage erbauen
müſſen. Unter den Baumneſtern gibt es faſt ebenſo viele verſchiedenartige Bauten als Baumvögel.
Die einen tragen nur wenige Reiſer liederlich zuſammen, die anderen richten wenigſtens eine ordentliche
Unterlage her, dieſe mulden letztere aus, jene belegen die Mulde innen mit Ried und feinem Reifig,
andere wiederum mit Reiſern, Rüthchen, Würzelchen, Haaren und Federn; mehrere überwölben die
Mulde, und einzelne verlängern auch noch das Schlupfloch röhrenartig. Den Reisneſterbauern
zunächſt ſtehen die Weber, welche nicht blos Grashalme, ſondern auch wollige Pflanzenſtoffe verflechten,
verweben und verfilzen, dieſelben ſogar mit vorgefundenen oder ſelbſt bereiteten Faden förmlich
zuſammennähen, und damit ſich die Meiſterſchaft erwerben. Aber Meiſter in ihrer Kunſt ſind auch
die Kleiber, welche die Wandungen ihres Neſtes aus Lehm herſtellen. Dieſer Stoff wird durch Ein-
ſpeichelung noch beſonders durchgearbeitet und verbeſſert oder ſein Zuſammenhang vermehrt, ſodaß das
Neſt eine ſehr bedeutende Haltbarkeit gewinnt. Mehrere Kleiber benutzen übrigens gar keinen Lehm
mehr, ſondern nehmen feine Pflanzenſtoffe, Mos und Blatttheilchen z. B., und überziehen dieſe mit
ihrem Speichel, andere endlich verwenden nur den letzteren, welcher, bald erhärtend, zur Wand des
Neſtes ſelbſt werden muß. Jn der Regel dient das Neſt nur zur Aufnahme der Eier, zur Wiege und
Kinderſtube der Jungen; einige Vögel aber erbauen ſich auch Spiel- und Vergnügungsneſter oder
Winterherbergen, benutzen die Neſter wenigſtens als ſolche. Zu jenen gehören mehrere Weber- und
die Atlas- und Kragenvögel, auch ein Sumpfvogel, deſſen rieſenhaftes Neſt einen Brut- und Geſell-

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[991/1045] Eheleben. Fortpflanzung. Neſtbau. Opfer ſeiner Feinde — und dieſelben Weibchen nahmen ohne Bedenken flugs einen dritten an. Die Männchen legen gewöhnlich eine viel tiefere Trauer um den Verluſt ihrer Gattin an den Tag, wahr- ſcheinlich aber nur, weil es ihnen ungleich ſchwerer wird als den Weibchen, ſich wieder ein Ehegenoß zu erwerben; denn in der Treue und Untreue ſind ſich beide Geſchlechter vollſtändig gleich. Die männlichen Vögel werben mit Eifer und unter Aufbietung ihrer vollen Liebenswürdig- keit um die Weibchen, einige durch ſehnſüchtiges Rufen oder Singen, andere durch zierliche Tänze, andere durch Flugſpiele u. ſ. w. Oft wird die Werbung ſehr ſtürmiſch, und das Männchen jagt ſtundenlang hinter dem Weibchen drein, dieſes ſcheinbar im Zorne vor ſich hertreibend; in der Regel aber erhört das Weibchen ſeinen Liebhaber bald und widmet ſich ihm dann mit aller Hingebung. Schon während der Liebesſpiele wird ein günſtiger Platz für das Neſt geſucht, vorausgeſetzt, daß der Vogel nicht zu denjenigen gehört, welche Anſiedelungen bilden und alljährlich zu derſelben Stelle zurückkehren. Jn der Regel ſteht das Neſt ungefähr im Mittelpunkte des Wohnkreiſes, nach der Art ſelbſtverſtändlich verſchieden. Streng genommen findet jeder paſſende Platz in der Höhe wie in der Tiefe, auf dem Waſſer wie auf dem Lande, im Walde wie auf dem Felde ſeinen Liebhaber. Die Raubvögel bevorzugen die Höhe zur Anlage ihres Horſtes und laſſen ſich ſelten herbei, auf dem Boden zu niſten; faſt alle Laufvögel hingegen bringen hier das Neſt an; die Wald- und Baumvögel ſtellen es in die Zweige, auf die Aeſte, in vorgefundene oder von ihnen ausgemeiſelte Höhlen, in das Mos am Boden ꝛc., die Sumpfvögel zwiſchen das Schilf und Röhricht, das Ried und Gras am Ufer, auf kleine Jnſelchen oder ſchwimmend auf das Waſſer ſelbſt; einzelne Meervögel verbergen es in Klüften, ſelbſt gegrabene Höhlen und an ähnlichen Orten: kurz, der Stand iſt ſo verſchieden, daß man im allgemeinen nur ſagen kann, jedes Neſt ſteht entweder verborgen und entzieht ſich dadurch den Blicken der Feinde, oder iſt, wenn es frei ſteht, ſo gebaut, daß es nicht leicht bemerkt werden kann, oder ſteht endlich an Orten, welche dem in Frage kommenden Feinde unzugänglich ſind. Die Familien- oder Ordnungsangehörigkeit eines Vogels berechtigt nicht, anzunehmen, daß er ſein Neſt in derſelben Weiſe errichtet wie ſeine Verwandten, denn gerade hinſichtlich des Standortes unterſcheiden ſich die ver- ſchiedenen Glieder einer Familie, ja ſogar die einer Sippe ſehr weſentlich. Die einfachſten Neſter haben diejenigen Vögel, welche ihre Eier ohne jegliche Vorbereitung auf den Boden ablegen; an ſie reihen ſich diejenigen an, welche wenigſtens eine kleine Mulde für die Eier ſcharren; hierauf folgen die, welche dieſe Mulde mit weicheren Stoffen auskleiden. Dieſelbe Steigerung wiederholt ſich bei denen, welche anſtatt auf dem flachen Boden in Höhlen brüten, und im gewiſſen Sinne auch bei denjenigen, welche ein ſchwimmendes Neſt errichten, obgleich dieſe ſelbſtverſtändlich erſt eine Unterlage erbauen müſſen. Unter den Baumneſtern gibt es faſt ebenſo viele verſchiedenartige Bauten als Baumvögel. Die einen tragen nur wenige Reiſer liederlich zuſammen, die anderen richten wenigſtens eine ordentliche Unterlage her, dieſe mulden letztere aus, jene belegen die Mulde innen mit Ried und feinem Reifig, andere wiederum mit Reiſern, Rüthchen, Würzelchen, Haaren und Federn; mehrere überwölben die Mulde, und einzelne verlängern auch noch das Schlupfloch röhrenartig. Den Reisneſterbauern zunächſt ſtehen die Weber, welche nicht blos Grashalme, ſondern auch wollige Pflanzenſtoffe verflechten, verweben und verfilzen, dieſelben ſogar mit vorgefundenen oder ſelbſt bereiteten Faden förmlich zuſammennähen, und damit ſich die Meiſterſchaft erwerben. Aber Meiſter in ihrer Kunſt ſind auch die Kleiber, welche die Wandungen ihres Neſtes aus Lehm herſtellen. Dieſer Stoff wird durch Ein- ſpeichelung noch beſonders durchgearbeitet und verbeſſert oder ſein Zuſammenhang vermehrt, ſodaß das Neſt eine ſehr bedeutende Haltbarkeit gewinnt. Mehrere Kleiber benutzen übrigens gar keinen Lehm mehr, ſondern nehmen feine Pflanzenſtoffe, Mos und Blatttheilchen z. B., und überziehen dieſe mit ihrem Speichel, andere endlich verwenden nur den letzteren, welcher, bald erhärtend, zur Wand des Neſtes ſelbſt werden muß. Jn der Regel dient das Neſt nur zur Aufnahme der Eier, zur Wiege und Kinderſtube der Jungen; einige Vögel aber erbauen ſich auch Spiel- und Vergnügungsneſter oder Winterherbergen, benutzen die Neſter wenigſtens als ſolche. Zu jenen gehören mehrere Weber- und die Atlas- und Kragenvögel, auch ein Sumpfvogel, deſſen rieſenhaftes Neſt einen Brut- und Geſell-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 991. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/1045>, abgerufen am 22.11.2024.