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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Lebensweise der Schwirrvögel.
ersten Ankunft in Guatemala", sagt Salvin, "schienen mir die verschiedenen Arten von Kolibris
in ihren Sitten und Gewohnheiten, in ihrer Stimme und in ihrem Summen vollständig übereinzu-
stimmen; spätere Erfahrungen aber und beständige Aufmerksamkeit lehrten mich bald kennen, daß jede
Art ihr Eigenthümliches hat, und so war ich schon nach kurzer Zeit im Stande, die Arten an ihrem
Schimmer oder, wenn ich sie nicht sah, mit ziemlicher Sicherheit an dem Summen oder an ihrem
Geschrei zu erkennen. Es ist allerdings schwer, diese Unterschiede mit Worten auszudrücken, aber sie
sind doch erkennbar."

Die Sinne der Schwirrvögel scheinen ziemlich gleichmäßig und sehr hoch entwickelt zu sein. Alle
Beobachtungen lassen mit Bestimmtheit schließen, daß das Gesicht dieser Vögel ausnehmend scharf sein
muß. Man erkennt Dies an ihren Bewegungen im Fluge und muß es annehmen, nachdem man
erfahren hat, daß sie kleine, unserm Auge vollständig unsichtbare Kerbthiere im Fluge fangen, sie also
sehen müssen. Ebenso dürfen wir überzeugt sein, daß ihr Gehör dem anderer Vögel nicht nachsteht,
wenn auch hierüber bestimmte Beobachtungen nicht vorliegen. Der Sinn des Gefühls, d. h. hier der
Tastsinn, ist gewiß hoch entwickelt; denn wäre Dies nicht der Fall, so würde es ihnen unmöglich sein,
den Haupttheil ihrer Nahrung aus der Tiefe der Blumen hervorzuziehen. "Sie wissen", wie Bur-
meister
sehr richtig sagt, "nicht, ob die Blume für sie etwas Brauchbares enthalten wird; sie stehen
darum schwebend vor ihr, senken ihre Zunge in die Tiefe und halten sich dabei durch beständigen
Flügelschlag genau auf derselben Stelle, bis sie eine Blüthe nach der andern untersucht haben." Die
Zunge übernimmt hier fast genau dieselbe Arbeit, wie die der Spechte: sie prüft die andern Sinnen
unzugänglichen Schlupfwinkel. Jhr feines Gefühl erkundet die Beute und leitet das Werkzeug selbst
beim Aufnehmen derselben. Geschmack beweisen die Kolibris durch ihre Vorliebe für die Süßigkeiten,
wovon weiter unten ausführlicher die Rede sein wird. Ueber den Geruch läßt sich kaum ein Urtheil
fällen; doch dürfen wir wohl annehmen, daß dieser Sinn nicht verkümmert ist.

Der wohlgebildete, gewölbte Schädel läßt im Voraus den Schluß zu, daß auch die rein geistigen
Fähigkeiten der Schwirrvögel auf einer ziemlich hohen Stufe der Entwickelung stehen. Leichter als bei
andern Klassenverwandten kann bei ihnen die Beobachtung täuschen, und deshalb sind auch die Urtheile
der Forscher über den Verstand unserer Vögel sehr verschiedene. So lange die Kolibris sich frei
bewegen, lernt man sie nur unvollständig kennen. Jhre Unruhe und Rastlosigkeit, die Schnelligkeit
ihrer Bewegung, ihre Kleinheit und ihre große Anzahl erschwert es dem Beobachter, ihnen zu folgen:
soviel aber lernt er doch erkennen, daß sie sehr wohl zu unterscheiden wissen zwischen Freunden und
Feinden, zwischen Nützlichem und Schädlichem, daß ihnen gewährter Schutz sie zutraulich und Ver-
folgung sie scheu und vorsichtig macht. Weitaus in den meisten Fällen bekunden sie eine Vertrauens-
seligkeit, welche ihnen verderblich wird; Dies aber ist einfach Folge ihrer außerordentlichen Gewandtheit
und der Sicherheit in jeder ihrer Bewegungen: sie tragen, um mich so auszudrücken, das Bewußtsein
in sich, jeder Gefahr noch rechtzeitig entrinnen zu können. So lange es sich darum handelt, vor
ihren natürlichen Feinden sich zu bergen, wird sie dies Bewußtsein schwerlich täuschen. Dem
Menschen gegenüber freilich ist allzu großes Vertrauen oft übel angewandt, und deshalb gerade fallen
die Schwirrvögel ihm so häufig und so leicht zum Opfer.

Bevor wir zur Betrachtung des Wesens und Betragens oder der Lebensweise übergehen, wird es
nothwendig sein, erst über die Nahrung ins Reine zu kommen; denn sie bestimmt, wie bereits wiederholt
angedeutet, das Leben wesentlich mit. Es ist bekannt, daß hinsichtlich der Nahrung der Schwirrvögel
irrige Ansichten geherrscht haben und theilweise noch herrschen; ja, ganz neuerdings soll ein Reisender,
dessen Werke ich grundsätzlich nicht lese, weil ich weiß, daß sie doch nur Unwahrheiten enthalten,
mit viel Behagen die alten Geschichten wieder aufgefrischt und der gläubigen Leserwelt als etwas ganz
Neues aufgetischt haben. Die alte Ansicht war, daß die Schwirrvögel sich von dem Blumenhonig
nähren, oder wenigstens, daß Blumenhonig die Hauptmenge ihrer Nahrung bilde. "Sehr natürlich
war es", sagt der Prinz, "daß man bei den vielen empfehlenden Eigenschaften dieser kleinen Thiere
in den Schriften der Reisen häufig Nachrichten von ihnen findet, ebenso auffallend aber, daß gewisse

Lebensweiſe der Schwirrvögel.
erſten Ankunft in Guatemala“, ſagt Salvin, „ſchienen mir die verſchiedenen Arten von Kolibris
in ihren Sitten und Gewohnheiten, in ihrer Stimme und in ihrem Summen vollſtändig übereinzu-
ſtimmen; ſpätere Erfahrungen aber und beſtändige Aufmerkſamkeit lehrten mich bald kennen, daß jede
Art ihr Eigenthümliches hat, und ſo war ich ſchon nach kurzer Zeit im Stande, die Arten an ihrem
Schimmer oder, wenn ich ſie nicht ſah, mit ziemlicher Sicherheit an dem Summen oder an ihrem
Geſchrei zu erkennen. Es iſt allerdings ſchwer, dieſe Unterſchiede mit Worten auszudrücken, aber ſie
ſind doch erkennbar.“

Die Sinne der Schwirrvögel ſcheinen ziemlich gleichmäßig und ſehr hoch entwickelt zu ſein. Alle
Beobachtungen laſſen mit Beſtimmtheit ſchließen, daß das Geſicht dieſer Vögel ausnehmend ſcharf ſein
muß. Man erkennt Dies an ihren Bewegungen im Fluge und muß es annehmen, nachdem man
erfahren hat, daß ſie kleine, unſerm Auge vollſtändig unſichtbare Kerbthiere im Fluge fangen, ſie alſo
ſehen müſſen. Ebenſo dürfen wir überzeugt ſein, daß ihr Gehör dem anderer Vögel nicht nachſteht,
wenn auch hierüber beſtimmte Beobachtungen nicht vorliegen. Der Sinn des Gefühls, d. h. hier der
Taſtſinn, iſt gewiß hoch entwickelt; denn wäre Dies nicht der Fall, ſo würde es ihnen unmöglich ſein,
den Haupttheil ihrer Nahrung aus der Tiefe der Blumen hervorzuziehen. „Sie wiſſen“, wie Bur-
meiſter
ſehr richtig ſagt, „nicht, ob die Blume für ſie etwas Brauchbares enthalten wird; ſie ſtehen
darum ſchwebend vor ihr, ſenken ihre Zunge in die Tiefe und halten ſich dabei durch beſtändigen
Flügelſchlag genau auf derſelben Stelle, bis ſie eine Blüthe nach der andern unterſucht haben.“ Die
Zunge übernimmt hier faſt genau dieſelbe Arbeit, wie die der Spechte: ſie prüft die andern Sinnen
unzugänglichen Schlupfwinkel. Jhr feines Gefühl erkundet die Beute und leitet das Werkzeug ſelbſt
beim Aufnehmen derſelben. Geſchmack beweiſen die Kolibris durch ihre Vorliebe für die Süßigkeiten,
wovon weiter unten ausführlicher die Rede ſein wird. Ueber den Geruch läßt ſich kaum ein Urtheil
fällen; doch dürfen wir wohl annehmen, daß dieſer Sinn nicht verkümmert iſt.

Der wohlgebildete, gewölbte Schädel läßt im Voraus den Schluß zu, daß auch die rein geiſtigen
Fähigkeiten der Schwirrvögel auf einer ziemlich hohen Stufe der Entwickelung ſtehen. Leichter als bei
andern Klaſſenverwandten kann bei ihnen die Beobachtung täuſchen, und deshalb ſind auch die Urtheile
der Forſcher über den Verſtand unſerer Vögel ſehr verſchiedene. So lange die Kolibris ſich frei
bewegen, lernt man ſie nur unvollſtändig kennen. Jhre Unruhe und Raſtloſigkeit, die Schnelligkeit
ihrer Bewegung, ihre Kleinheit und ihre große Anzahl erſchwert es dem Beobachter, ihnen zu folgen:
ſoviel aber lernt er doch erkennen, daß ſie ſehr wohl zu unterſcheiden wiſſen zwiſchen Freunden und
Feinden, zwiſchen Nützlichem und Schädlichem, daß ihnen gewährter Schutz ſie zutraulich und Ver-
folgung ſie ſcheu und vorſichtig macht. Weitaus in den meiſten Fällen bekunden ſie eine Vertrauens-
ſeligkeit, welche ihnen verderblich wird; Dies aber iſt einfach Folge ihrer außerordentlichen Gewandtheit
und der Sicherheit in jeder ihrer Bewegungen: ſie tragen, um mich ſo auszudrücken, das Bewußtſein
in ſich, jeder Gefahr noch rechtzeitig entrinnen zu können. So lange es ſich darum handelt, vor
ihren natürlichen Feinden ſich zu bergen, wird ſie dies Bewußtſein ſchwerlich täuſchen. Dem
Menſchen gegenüber freilich iſt allzu großes Vertrauen oft übel angewandt, und deshalb gerade fallen
die Schwirrvögel ihm ſo häufig und ſo leicht zum Opfer.

Bevor wir zur Betrachtung des Weſens und Betragens oder der Lebensweiſe übergehen, wird es
nothwendig ſein, erſt über die Nahrung ins Reine zu kommen; denn ſie beſtimmt, wie bereits wiederholt
angedeutet, das Leben weſentlich mit. Es iſt bekannt, daß hinſichtlich der Nahrung der Schwirrvögel
irrige Anſichten geherrſcht haben und theilweiſe noch herrſchen; ja, ganz neuerdings ſoll ein Reiſender,
deſſen Werke ich grundſätzlich nicht leſe, weil ich weiß, daß ſie doch nur Unwahrheiten enthalten,
mit viel Behagen die alten Geſchichten wieder aufgefriſcht und der gläubigen Leſerwelt als etwas ganz
Neues aufgetiſcht haben. Die alte Anſicht war, daß die Schwirrvögel ſich von dem Blumenhonig
nähren, oder wenigſtens, daß Blumenhonig die Hauptmenge ihrer Nahrung bilde. „Sehr natürlich
war es“, ſagt der Prinz, „daß man bei den vielen empfehlenden Eigenſchaften dieſer kleinen Thiere
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[119/0133] Lebensweiſe der Schwirrvögel. erſten Ankunft in Guatemala“, ſagt Salvin, „ſchienen mir die verſchiedenen Arten von Kolibris in ihren Sitten und Gewohnheiten, in ihrer Stimme und in ihrem Summen vollſtändig übereinzu- ſtimmen; ſpätere Erfahrungen aber und beſtändige Aufmerkſamkeit lehrten mich bald kennen, daß jede Art ihr Eigenthümliches hat, und ſo war ich ſchon nach kurzer Zeit im Stande, die Arten an ihrem Schimmer oder, wenn ich ſie nicht ſah, mit ziemlicher Sicherheit an dem Summen oder an ihrem Geſchrei zu erkennen. Es iſt allerdings ſchwer, dieſe Unterſchiede mit Worten auszudrücken, aber ſie ſind doch erkennbar.“ Die Sinne der Schwirrvögel ſcheinen ziemlich gleichmäßig und ſehr hoch entwickelt zu ſein. Alle Beobachtungen laſſen mit Beſtimmtheit ſchließen, daß das Geſicht dieſer Vögel ausnehmend ſcharf ſein muß. Man erkennt Dies an ihren Bewegungen im Fluge und muß es annehmen, nachdem man erfahren hat, daß ſie kleine, unſerm Auge vollſtändig unſichtbare Kerbthiere im Fluge fangen, ſie alſo ſehen müſſen. Ebenſo dürfen wir überzeugt ſein, daß ihr Gehör dem anderer Vögel nicht nachſteht, wenn auch hierüber beſtimmte Beobachtungen nicht vorliegen. Der Sinn des Gefühls, d. h. hier der Taſtſinn, iſt gewiß hoch entwickelt; denn wäre Dies nicht der Fall, ſo würde es ihnen unmöglich ſein, den Haupttheil ihrer Nahrung aus der Tiefe der Blumen hervorzuziehen. „Sie wiſſen“, wie Bur- meiſter ſehr richtig ſagt, „nicht, ob die Blume für ſie etwas Brauchbares enthalten wird; ſie ſtehen darum ſchwebend vor ihr, ſenken ihre Zunge in die Tiefe und halten ſich dabei durch beſtändigen Flügelſchlag genau auf derſelben Stelle, bis ſie eine Blüthe nach der andern unterſucht haben.“ Die Zunge übernimmt hier faſt genau dieſelbe Arbeit, wie die der Spechte: ſie prüft die andern Sinnen unzugänglichen Schlupfwinkel. Jhr feines Gefühl erkundet die Beute und leitet das Werkzeug ſelbſt beim Aufnehmen derſelben. Geſchmack beweiſen die Kolibris durch ihre Vorliebe für die Süßigkeiten, wovon weiter unten ausführlicher die Rede ſein wird. Ueber den Geruch läßt ſich kaum ein Urtheil fällen; doch dürfen wir wohl annehmen, daß dieſer Sinn nicht verkümmert iſt. Der wohlgebildete, gewölbte Schädel läßt im Voraus den Schluß zu, daß auch die rein geiſtigen Fähigkeiten der Schwirrvögel auf einer ziemlich hohen Stufe der Entwickelung ſtehen. Leichter als bei andern Klaſſenverwandten kann bei ihnen die Beobachtung täuſchen, und deshalb ſind auch die Urtheile der Forſcher über den Verſtand unſerer Vögel ſehr verſchiedene. So lange die Kolibris ſich frei bewegen, lernt man ſie nur unvollſtändig kennen. Jhre Unruhe und Raſtloſigkeit, die Schnelligkeit ihrer Bewegung, ihre Kleinheit und ihre große Anzahl erſchwert es dem Beobachter, ihnen zu folgen: ſoviel aber lernt er doch erkennen, daß ſie ſehr wohl zu unterſcheiden wiſſen zwiſchen Freunden und Feinden, zwiſchen Nützlichem und Schädlichem, daß ihnen gewährter Schutz ſie zutraulich und Ver- folgung ſie ſcheu und vorſichtig macht. Weitaus in den meiſten Fällen bekunden ſie eine Vertrauens- ſeligkeit, welche ihnen verderblich wird; Dies aber iſt einfach Folge ihrer außerordentlichen Gewandtheit und der Sicherheit in jeder ihrer Bewegungen: ſie tragen, um mich ſo auszudrücken, das Bewußtſein in ſich, jeder Gefahr noch rechtzeitig entrinnen zu können. So lange es ſich darum handelt, vor ihren natürlichen Feinden ſich zu bergen, wird ſie dies Bewußtſein ſchwerlich täuſchen. Dem Menſchen gegenüber freilich iſt allzu großes Vertrauen oft übel angewandt, und deshalb gerade fallen die Schwirrvögel ihm ſo häufig und ſo leicht zum Opfer. Bevor wir zur Betrachtung des Weſens und Betragens oder der Lebensweiſe übergehen, wird es nothwendig ſein, erſt über die Nahrung ins Reine zu kommen; denn ſie beſtimmt, wie bereits wiederholt angedeutet, das Leben weſentlich mit. Es iſt bekannt, daß hinſichtlich der Nahrung der Schwirrvögel irrige Anſichten geherrſcht haben und theilweiſe noch herrſchen; ja, ganz neuerdings ſoll ein Reiſender, deſſen Werke ich grundſätzlich nicht leſe, weil ich weiß, daß ſie doch nur Unwahrheiten enthalten, mit viel Behagen die alten Geſchichten wieder aufgefriſcht und der gläubigen Leſerwelt als etwas ganz Neues aufgetiſcht haben. Die alte Anſicht war, daß die Schwirrvögel ſich von dem Blumenhonig nähren, oder wenigſtens, daß Blumenhonig die Hauptmenge ihrer Nahrung bilde. „Sehr natürlich war es“, ſagt der Prinz, „daß man bei den vielen empfehlenden Eigenſchaften dieſer kleinen Thiere in den Schriften der Reiſen häufig Nachrichten von ihnen findet, ebenſo auffallend aber, daß gewiſſe

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/133>, abgerufen am 27.11.2024.