scheinen will, als ob die eine nur eine Umprägung oder Wiederholung der andern ist, obwohl jede einzelne sich ihre Selbständigkeit bewahrt und an gewissen Merkmalen bestimmt sich unterscheiden läßt. Schwieriger wird Dies bei den Familiengliedern selbst; hier ist oft die genaueste Untersuchung erfor- derlich, um die Verschiedenheit zweier Arten zu erkennen.
Die Leichtschnäbler sind Weltbürger, eigentlich jedoch Bewohner des warmen Gürtels der Erde; denn wenige von ihnen nur finden sich innerhalb gemäßigter Landstriche und einzelne blos im kalten Gürtel unseres Wandelsternes. Auch das eigentliche Hochgebirge lieben sie nicht, wohl aber die Vor- berge desselben. Der Wald, in seiner verschiedensten Entwicklung, bildet ihre Heimstätte; in baumleeren Gegenden sieht man sie nur zeitweilig. Viele sind Stand-, manche Strich-, einige Wander- und Zug- vögel; letztere durcheilen alljährlich bedeutende Strecken. Die Verbreitung der einzelnen Arten ist sehr verschieden, im allgemeinen jedoch eine beschränkte.
Eigenschaften, Lebensweise und Betragen der Mitglieder dieser Ordnung sind sehr überein- stimmend. Die Leichtschnäbler gehören nicht zu den besonders begabten Vögeln. Sie sind noch bewegungsfähig, viele aber doch nur in einseitiger Weise. Auf dem Boden sind die meisten gänzlich fremd; im Gezweig der Baumkronen wissen sich nur wenige ohne Zuhilfenahme ihrer Flügel fortzu- bewegen: ihre Füße sind geeignet zum Umklammern eines Zweiges, welchen sie fliegend erreichten, und zum Stillsitzen, nicht aber zum Gehen oder Hüpfen; deshalb betrachtet man auch gewöhnlich diejenigen, welche gehen, gar nicht als Angehörige der Ordnung. Jm Fliegen hingegen sind alle wohl- geübt, viele sogar so gewandt, daß sie mit den Falken oder Schwalben wetteifern können. Eine Familie beherrscht in gewissem Grade auch das Wasser: ihre Mitglieder tauchen, sich aus der Höhe herabstürzend, in seine Tiefe und arbeiten sich mit Hilfe der Flügel wieder empor. Eine reichhaltige Stimme besitzen die Leichtschnäbler nicht, und Sänger werden unter ihnen nicht gefunden. Wenige sind schweigsame, viele im Gegentheil sehr schreilustige Geschöpfe, alle ohne Ausnahme aber nur zum Hervorbringen weniger und eintöniger Laute befähigt. Unter den Sinnen scheinen Gesicht und Gehör wohl entwickelt, Geruch und Geschmack aber schwach, vielleicht sogar verkümmert zu sein. Ueber das geistige Wesen ist wenig Rühmenswerthes zu sagen. Einzelne Leichtschnäbler zeichnen sich allerdings durch ihren Verstand aus; die große Mehrzahl aber scheint sehr schwachgeistig zu sein, und einige sind wegen ihrer Dummheit geradezu berüchtigt. Ein verständiges Abwägen der Verhältnisse wird bei den Leichtschnäblern selten beobachtet: die Einen sind unter allen Umständen scheu, die Andern so dummdreist, daß auch die ersichtlichste Gefahr keinen Eindruck auf sie macht.
Die Lebensweise unserer Vögel ist in mancher Hinsicht anziehend, weil eigenthümlich. Die wenigsten, nur die begabten Leichtschnäbler nämlich, lieben die Geselligkeit, d. h. eine engere Vereinigung mit Jhresgleichen oder mit fremdartigen Vögeln. Jn der Regel treibt jeder Einzelne seine Geschäfte für sich, und wenn nicht gerade die Liebe zu Weib und Kind bestimmend wirkt, bekümmert er sich wenig um Andere seiner Art, ist vielmehr eher geneigt, jede Annäherung derselben von sich abzu- weisen. Nicht einmal die heilige Elternliebe wird von Allen anerkannt, obwohl nicht geleugnet werden kann, daß die Zahl derer, welche zu den Ausnahmen gehören, gering ist. Als Regel aber darf gelten, daß der einzelne Leichtschnäbler oder das Paar ein gewisses Gebiet eifersüchtig oder richtiger neidisch abgrenzt und gegen Eindringlinge hartnäckig vertheidigt. Still und ruhig auf einem Baumzweige sitzen, vonhieraus nach Beute spähen, die ins Auge gefaßte verfolgen und nach glücklichem Fange zu demselben oder einem ähnlichen Sitze zurückkehren und so im Laufe des Tages das Gebiet ein oder mehrere Male durchstreifen: -- ist Sitte und Gebrauch bei dem Kern der Ordnung, und nur die edelsten Glieder derselben weichen hiervon ab, sei es, indem sie sich gesellig längere Zeit in der Luft umhertreiben, oder sei es, indem sie im Vereine mit Gleichartigen Baumkronen durchschlüpfen und bezüglich den flachen Boden absuchen. Diese Edleren sind es auch, welche sich, weit mehr als alle Uebrigen um die Außenwelt kümmern, an Ereignissen Theil nehmen, z. B. entdeckte Raubthiere ver- folgen und der gesiederten Waldbewohnerschaft anzeigen oder sonstwie Theilnahme an Dem, was um sie vorgeht, bekunden, während die Meisten eben nur für die unabweislichsten Bedürfnisse Sinn zu
Allgemeines.
ſcheinen will, als ob die eine nur eine Umprägung oder Wiederholung der andern iſt, obwohl jede einzelne ſich ihre Selbſtändigkeit bewahrt und an gewiſſen Merkmalen beſtimmt ſich unterſcheiden läßt. Schwieriger wird Dies bei den Familiengliedern ſelbſt; hier iſt oft die genaueſte Unterſuchung erfor- derlich, um die Verſchiedenheit zweier Arten zu erkennen.
Die Leichtſchnäbler ſind Weltbürger, eigentlich jedoch Bewohner des warmen Gürtels der Erde; denn wenige von ihnen nur finden ſich innerhalb gemäßigter Landſtriche und einzelne blos im kalten Gürtel unſeres Wandelſternes. Auch das eigentliche Hochgebirge lieben ſie nicht, wohl aber die Vor- berge deſſelben. Der Wald, in ſeiner verſchiedenſten Entwicklung, bildet ihre Heimſtätte; in baumleeren Gegenden ſieht man ſie nur zeitweilig. Viele ſind Stand-, manche Strich-, einige Wander- und Zug- vögel; letztere durcheilen alljährlich bedeutende Strecken. Die Verbreitung der einzelnen Arten iſt ſehr verſchieden, im allgemeinen jedoch eine beſchränkte.
Eigenſchaften, Lebensweiſe und Betragen der Mitglieder dieſer Ordnung ſind ſehr überein- ſtimmend. Die Leichtſchnäbler gehören nicht zu den beſonders begabten Vögeln. Sie ſind noch bewegungsfähig, viele aber doch nur in einſeitiger Weiſe. Auf dem Boden ſind die meiſten gänzlich fremd; im Gezweig der Baumkronen wiſſen ſich nur wenige ohne Zuhilfenahme ihrer Flügel fortzu- bewegen: ihre Füße ſind geeignet zum Umklammern eines Zweiges, welchen ſie fliegend erreichten, und zum Stillſitzen, nicht aber zum Gehen oder Hüpfen; deshalb betrachtet man auch gewöhnlich diejenigen, welche gehen, gar nicht als Angehörige der Ordnung. Jm Fliegen hingegen ſind alle wohl- geübt, viele ſogar ſo gewandt, daß ſie mit den Falken oder Schwalben wetteifern können. Eine Familie beherrſcht in gewiſſem Grade auch das Waſſer: ihre Mitglieder tauchen, ſich aus der Höhe herabſtürzend, in ſeine Tiefe und arbeiten ſich mit Hilfe der Flügel wieder empor. Eine reichhaltige Stimme beſitzen die Leichtſchnäbler nicht, und Sänger werden unter ihnen nicht gefunden. Wenige ſind ſchweigſame, viele im Gegentheil ſehr ſchreiluſtige Geſchöpfe, alle ohne Ausnahme aber nur zum Hervorbringen weniger und eintöniger Laute befähigt. Unter den Sinnen ſcheinen Geſicht und Gehör wohl entwickelt, Geruch und Geſchmack aber ſchwach, vielleicht ſogar verkümmert zu ſein. Ueber das geiſtige Weſen iſt wenig Rühmenswerthes zu ſagen. Einzelne Leichtſchnäbler zeichnen ſich allerdings durch ihren Verſtand aus; die große Mehrzahl aber ſcheint ſehr ſchwachgeiſtig zu ſein, und einige ſind wegen ihrer Dummheit geradezu berüchtigt. Ein verſtändiges Abwägen der Verhältniſſe wird bei den Leichtſchnäblern ſelten beobachtet: die Einen ſind unter allen Umſtänden ſcheu, die Andern ſo dummdreiſt, daß auch die erſichtlichſte Gefahr keinen Eindruck auf ſie macht.
Die Lebensweiſe unſerer Vögel iſt in mancher Hinſicht anziehend, weil eigenthümlich. Die wenigſten, nur die begabten Leichtſchnäbler nämlich, lieben die Geſelligkeit, d. h. eine engere Vereinigung mit Jhresgleichen oder mit fremdartigen Vögeln. Jn der Regel treibt jeder Einzelne ſeine Geſchäfte für ſich, und wenn nicht gerade die Liebe zu Weib und Kind beſtimmend wirkt, bekümmert er ſich wenig um Andere ſeiner Art, iſt vielmehr eher geneigt, jede Annäherung derſelben von ſich abzu- weiſen. Nicht einmal die heilige Elternliebe wird von Allen anerkannt, obwohl nicht geleugnet werden kann, daß die Zahl derer, welche zu den Ausnahmen gehören, gering iſt. Als Regel aber darf gelten, daß der einzelne Leichtſchnäbler oder das Paar ein gewiſſes Gebiet eiferſüchtig oder richtiger neidiſch abgrenzt und gegen Eindringlinge hartnäckig vertheidigt. Still und ruhig auf einem Baumzweige ſitzen, vonhieraus nach Beute ſpähen, die ins Auge gefaßte verfolgen und nach glücklichem Fange zu demſelben oder einem ähnlichen Sitze zurückkehren und ſo im Laufe des Tages das Gebiet ein oder mehrere Male durchſtreifen: — iſt Sitte und Gebrauch bei dem Kern der Ordnung, und nur die edelſten Glieder derſelben weichen hiervon ab, ſei es, indem ſie ſich geſellig längere Zeit in der Luft umhertreiben, oder ſei es, indem ſie im Vereine mit Gleichartigen Baumkronen durchſchlüpfen und bezüglich den flachen Boden abſuchen. Dieſe Edleren ſind es auch, welche ſich, weit mehr als alle Uebrigen um die Außenwelt kümmern, an Ereigniſſen Theil nehmen, z. B. entdeckte Raubthiere ver- folgen und der geſiederten Waldbewohnerſchaft anzeigen oder ſonſtwie Theilnahme an Dem, was um ſie vorgeht, bekunden, während die Meiſten eben nur für die unabweislichſten Bedürfniſſe Sinn zu
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[135/0149]
Allgemeines.
ſcheinen will, als ob die eine nur eine Umprägung oder Wiederholung der andern iſt, obwohl jede
einzelne ſich ihre Selbſtändigkeit bewahrt und an gewiſſen Merkmalen beſtimmt ſich unterſcheiden läßt.
Schwieriger wird Dies bei den Familiengliedern ſelbſt; hier iſt oft die genaueſte Unterſuchung erfor-
derlich, um die Verſchiedenheit zweier Arten zu erkennen.
Die Leichtſchnäbler ſind Weltbürger, eigentlich jedoch Bewohner des warmen Gürtels der Erde;
denn wenige von ihnen nur finden ſich innerhalb gemäßigter Landſtriche und einzelne blos im kalten
Gürtel unſeres Wandelſternes. Auch das eigentliche Hochgebirge lieben ſie nicht, wohl aber die Vor-
berge deſſelben. Der Wald, in ſeiner verſchiedenſten Entwicklung, bildet ihre Heimſtätte; in baumleeren
Gegenden ſieht man ſie nur zeitweilig. Viele ſind Stand-, manche Strich-, einige Wander- und Zug-
vögel; letztere durcheilen alljährlich bedeutende Strecken. Die Verbreitung der einzelnen Arten iſt
ſehr verſchieden, im allgemeinen jedoch eine beſchränkte.
Eigenſchaften, Lebensweiſe und Betragen der Mitglieder dieſer Ordnung ſind ſehr überein-
ſtimmend. Die Leichtſchnäbler gehören nicht zu den beſonders begabten Vögeln. Sie ſind noch
bewegungsfähig, viele aber doch nur in einſeitiger Weiſe. Auf dem Boden ſind die meiſten gänzlich
fremd; im Gezweig der Baumkronen wiſſen ſich nur wenige ohne Zuhilfenahme ihrer Flügel fortzu-
bewegen: ihre Füße ſind geeignet zum Umklammern eines Zweiges, welchen ſie fliegend erreichten,
und zum Stillſitzen, nicht aber zum Gehen oder Hüpfen; deshalb betrachtet man auch gewöhnlich
diejenigen, welche gehen, gar nicht als Angehörige der Ordnung. Jm Fliegen hingegen ſind alle wohl-
geübt, viele ſogar ſo gewandt, daß ſie mit den Falken oder Schwalben wetteifern können. Eine
Familie beherrſcht in gewiſſem Grade auch das Waſſer: ihre Mitglieder tauchen, ſich aus der Höhe
herabſtürzend, in ſeine Tiefe und arbeiten ſich mit Hilfe der Flügel wieder empor. Eine reichhaltige
Stimme beſitzen die Leichtſchnäbler nicht, und Sänger werden unter ihnen nicht gefunden. Wenige
ſind ſchweigſame, viele im Gegentheil ſehr ſchreiluſtige Geſchöpfe, alle ohne Ausnahme aber nur
zum Hervorbringen weniger und eintöniger Laute befähigt. Unter den Sinnen ſcheinen Geſicht
und Gehör wohl entwickelt, Geruch und Geſchmack aber ſchwach, vielleicht ſogar verkümmert zu ſein.
Ueber das geiſtige Weſen iſt wenig Rühmenswerthes zu ſagen. Einzelne Leichtſchnäbler zeichnen ſich
allerdings durch ihren Verſtand aus; die große Mehrzahl aber ſcheint ſehr ſchwachgeiſtig zu ſein, und
einige ſind wegen ihrer Dummheit geradezu berüchtigt. Ein verſtändiges Abwägen der Verhältniſſe
wird bei den Leichtſchnäblern ſelten beobachtet: die Einen ſind unter allen Umſtänden ſcheu, die Andern
ſo dummdreiſt, daß auch die erſichtlichſte Gefahr keinen Eindruck auf ſie macht.
Die Lebensweiſe unſerer Vögel iſt in mancher Hinſicht anziehend, weil eigenthümlich. Die
wenigſten, nur die begabten Leichtſchnäbler nämlich, lieben die Geſelligkeit, d. h. eine engere Vereinigung
mit Jhresgleichen oder mit fremdartigen Vögeln. Jn der Regel treibt jeder Einzelne ſeine Geſchäfte
für ſich, und wenn nicht gerade die Liebe zu Weib und Kind beſtimmend wirkt, bekümmert er ſich
wenig um Andere ſeiner Art, iſt vielmehr eher geneigt, jede Annäherung derſelben von ſich abzu-
weiſen. Nicht einmal die heilige Elternliebe wird von Allen anerkannt, obwohl nicht geleugnet werden
kann, daß die Zahl derer, welche zu den Ausnahmen gehören, gering iſt. Als Regel aber darf gelten,
daß der einzelne Leichtſchnäbler oder das Paar ein gewiſſes Gebiet eiferſüchtig oder richtiger neidiſch
abgrenzt und gegen Eindringlinge hartnäckig vertheidigt. Still und ruhig auf einem Baumzweige
ſitzen, vonhieraus nach Beute ſpähen, die ins Auge gefaßte verfolgen und nach glücklichem Fange zu
demſelben oder einem ähnlichen Sitze zurückkehren und ſo im Laufe des Tages das Gebiet ein oder
mehrere Male durchſtreifen: — iſt Sitte und Gebrauch bei dem Kern der Ordnung, und nur die
edelſten Glieder derſelben weichen hiervon ab, ſei es, indem ſie ſich geſellig längere Zeit in der Luft
umhertreiben, oder ſei es, indem ſie im Vereine mit Gleichartigen Baumkronen durchſchlüpfen und
bezüglich den flachen Boden abſuchen. Dieſe Edleren ſind es auch, welche ſich, weit mehr als alle
Uebrigen um die Außenwelt kümmern, an Ereigniſſen Theil nehmen, z. B. entdeckte Raubthiere ver-
folgen und der geſiederten Waldbewohnerſchaft anzeigen oder ſonſtwie Theilnahme an Dem, was um
ſie vorgeht, bekunden, während die Meiſten eben nur für die unabweislichſten Bedürfniſſe Sinn zu
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/149>, abgerufen am 22.11.2024.
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