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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Späher. Klettervögel.
Erdtheile und auch fast über alle Gürtel derselben; viele ihrer Familien sind aber hinsichtlich ihres
Vorkommens sehr beschränkt und werden im günstigsten Falle in anderen Ländern durch Verwandte
vertreten; höchstens von einer Familie kann man sagen, daß ihre Mitglieder in allen Erdtheilen
leben. Auch der Verbreitungskreis der einzelnen Arten ist gewöhnlich ein eng begrenzter, wenn
auch nicht immer bezüglich seiner Ausdehnung, da die Beschaffenheit einer Oertlichkeit bestimmend
sein kann. Der Wald ist der bevorzugte Wohnsitz unserer Vögel: sie klettern an Bäumen, aus-
nahmsweise nur an Felsenwänden, und betreiben noch seltener auf dem flachen Boden ihre Jagd.
Je reichhaltiger der Wald, um so vollzähliger ist unsere Ordnung vertreten: auf bestimmten
Bäumen leben auch bestimmte Klettervögel. Die Mehrzahl verweilt jahraus, jahrein innerhalb des
heimatlichen Gebietes, streicht höchstens in ihm hin und her; manche aber wandern auch, und einzelne
ziehen mit derselben Regelmäßigkeit, wie andere Zugvögel. Alle ohne Ausnahme sind wählerisch
rücksichtlich ihres Aufenthaltes; wo sich der eine behaglich fühlt, vermißt der andere die Bedingungen
zu seinem Wohlbefinden. Fülle oder Mangel an Nahrung ist sicherlich von großem Einfluß auf die
Wahl des Aufenthaltes; aber die Nahrung allein bestimmt diesen durchaus nicht; denn gerade der
Klettervogel verlangt, daß auch andere Erfordernisse, welche er an sein Leben stellt, erfüllt sind.

Man sollte meinen, daß ein Vogel, welcher leiblich wohl ausgerüstet und geistig wohl begabt
ist, sich allerorten heimisch machen könnte, kann aber gerade bei den Angehörigen dieser Ordnung
das Gegentheil wahrnehmen. Der Klettervogel fliegt gut, zwar nicht mit der Gewandtheit der
Bevorzugtesten seiner Klasse, aber doch ohne Beschwerde; er ist auf dem Boden nicht fremd und auf
den Bäumen Meister; er ist ein Späher, nicht blos dem Namen nach, sondern in der That und
Wahrheit: ein Späher, welcher nicht allein mit dem Auge, sondern auch mit seiner Zunge sieht; er
ist keineswegs auf eine bestimmte Nahrung angewiesen, besitzt vielmehr einen Magen, welcher, wenn
auch nicht so viel, wie die Kirche, so doch gar Mancherlei verdauen und nicht blos nutzlos, wie jene,
verdauen, sondern in Saft und Blut verwandeln kann; er ist klug und vorsichtig, kennt seine Feinde
und versteht es, Dank seiner Kletterkünste, mehr, als mancher andere, Nachstellungen zu entgehen: --
aber er verlangt auch, mehr als andere, eine passende Wohnung, also nicht blos einen geeigneten
Wohnsitz. Die Mehrzahl der Vögel beansprucht keine Wohnung (denn das Nest ist als solche nicht
aufzufassen); sie begnügt sich mit einem möglichst stillen, ungestörten Platze zum Ausruhen und
Schlafen, und erst, wenn die Sorge um die Brut sich geltend macht, denkt sie daran, für diese eine
Kinderstube herzurichten: die Mehrzahl der Klettervögel hingegen wohnt in einem bestimmten
Raume, wie das Säugethier in seinem Bau oder Lager, und dieser Raum muß ein von ihm selbst
oder von einem Anverwandten hergerichteter sein, wenn er behagen soll. Je mehr ein Mitglied
unserer Ordnung den vollendetsten Klettervögeln ähnelt, um so fester hält es an dieser eigen-
thümlichen Sitte fest. Sie hängt mit den ersten Eindrücken der Kindheit durchaus nicht zusammen;
denn andere Höhlenbrüter schlafen oder wohnen nicht regelmäßig in ähnlichen Schlupfwinkeln, wie
sie zum Nestbau ausgesucht wurden: es ist vielmehr eine Angewohnheit, welche, außer den klugen
Papageien und dem schlauen Meister Spatz, nur wenige Vögel mit jenen theilen. Dementsprechend
ist ein Specht, eine Spechtmeise, ein Baumläufer undenkbar ohne Bäume mit Höhlungen, ein
Mauerläufer ohne geeignete Steinhöhlen. Bei anderen Klettervögeln in unserem Sinne, welche
nicht in hohlen Räumen wohnen, wird die Nahrungsergiebigkeit einer bestimmten Oertlichkeit maß-
gebend, und deshalb sind auch sie gebunden.

Sämmtliche Klettervögel ohne Ausnahme sind Kerbthierfresser; aber die Kerbthiere bilden nicht
bei allen Familien und Arten das ausschließliche Futter. Nicht wenige nähren sich nebenbei oder
zeitweilig gänzlich auch von Pflanzenstoffen und zwar von Früchten und Beeren ebensowohl als von
Nüssen, Sämereien oder von Honig und Blüthenstaub. Die Erwerbung der Nahrung erfordert
stets eine Thätigkeit, wie sie von den bisher beschriebenen Vögeln nicht oder höchstens in beschränktem
Grade und ausnahmsweise geübt wird. Die Nahrung wird nämlich in der Regel weder aufgelesen,
noch durch Nachjagen im Fluge erbeutet, sondern aus dem Verborgenen hervorgesucht, oft unter

Die Späher. Klettervögel.
Erdtheile und auch faſt über alle Gürtel derſelben; viele ihrer Familien ſind aber hinſichtlich ihres
Vorkommens ſehr beſchränkt und werden im günſtigſten Falle in anderen Ländern durch Verwandte
vertreten; höchſtens von einer Familie kann man ſagen, daß ihre Mitglieder in allen Erdtheilen
leben. Auch der Verbreitungskreis der einzelnen Arten iſt gewöhnlich ein eng begrenzter, wenn
auch nicht immer bezüglich ſeiner Ausdehnung, da die Beſchaffenheit einer Oertlichkeit beſtimmend
ſein kann. Der Wald iſt der bevorzugte Wohnſitz unſerer Vögel: ſie klettern an Bäumen, aus-
nahmsweiſe nur an Felſenwänden, und betreiben noch ſeltener auf dem flachen Boden ihre Jagd.
Je reichhaltiger der Wald, um ſo vollzähliger iſt unſere Ordnung vertreten: auf beſtimmten
Bäumen leben auch beſtimmte Klettervögel. Die Mehrzahl verweilt jahraus, jahrein innerhalb des
heimatlichen Gebietes, ſtreicht höchſtens in ihm hin und her; manche aber wandern auch, und einzelne
ziehen mit derſelben Regelmäßigkeit, wie andere Zugvögel. Alle ohne Ausnahme ſind wähleriſch
rückſichtlich ihres Aufenthaltes; wo ſich der eine behaglich fühlt, vermißt der andere die Bedingungen
zu ſeinem Wohlbefinden. Fülle oder Mangel an Nahrung iſt ſicherlich von großem Einfluß auf die
Wahl des Aufenthaltes; aber die Nahrung allein beſtimmt dieſen durchaus nicht; denn gerade der
Klettervogel verlangt, daß auch andere Erforderniſſe, welche er an ſein Leben ſtellt, erfüllt ſind.

Man ſollte meinen, daß ein Vogel, welcher leiblich wohl ausgerüſtet und geiſtig wohl begabt
iſt, ſich allerorten heimiſch machen könnte, kann aber gerade bei den Angehörigen dieſer Ordnung
das Gegentheil wahrnehmen. Der Klettervogel fliegt gut, zwar nicht mit der Gewandtheit der
Bevorzugteſten ſeiner Klaſſe, aber doch ohne Beſchwerde; er iſt auf dem Boden nicht fremd und auf
den Bäumen Meiſter; er iſt ein Späher, nicht blos dem Namen nach, ſondern in der That und
Wahrheit: ein Späher, welcher nicht allein mit dem Auge, ſondern auch mit ſeiner Zunge ſieht; er
iſt keineswegs auf eine beſtimmte Nahrung angewieſen, beſitzt vielmehr einen Magen, welcher, wenn
auch nicht ſo viel, wie die Kirche, ſo doch gar Mancherlei verdauen und nicht blos nutzlos, wie jene,
verdauen, ſondern in Saft und Blut verwandeln kann; er iſt klug und vorſichtig, kennt ſeine Feinde
und verſteht es, Dank ſeiner Kletterkünſte, mehr, als mancher andere, Nachſtellungen zu entgehen: —
aber er verlangt auch, mehr als andere, eine paſſende Wohnung, alſo nicht blos einen geeigneten
Wohnſitz. Die Mehrzahl der Vögel beanſprucht keine Wohnung (denn das Neſt iſt als ſolche nicht
aufzufaſſen); ſie begnügt ſich mit einem möglichſt ſtillen, ungeſtörten Platze zum Ausruhen und
Schlafen, und erſt, wenn die Sorge um die Brut ſich geltend macht, denkt ſie daran, für dieſe eine
Kinderſtube herzurichten: die Mehrzahl der Klettervögel hingegen wohnt in einem beſtimmten
Raume, wie das Säugethier in ſeinem Bau oder Lager, und dieſer Raum muß ein von ihm ſelbſt
oder von einem Anverwandten hergerichteter ſein, wenn er behagen ſoll. Je mehr ein Mitglied
unſerer Ordnung den vollendetſten Klettervögeln ähnelt, um ſo feſter hält es an dieſer eigen-
thümlichen Sitte feſt. Sie hängt mit den erſten Eindrücken der Kindheit durchaus nicht zuſammen;
denn andere Höhlenbrüter ſchlafen oder wohnen nicht regelmäßig in ähnlichen Schlupfwinkeln, wie
ſie zum Neſtbau ausgeſucht wurden: es iſt vielmehr eine Angewohnheit, welche, außer den klugen
Papageien und dem ſchlauen Meiſter Spatz, nur wenige Vögel mit jenen theilen. Dementſprechend
iſt ein Specht, eine Spechtmeiſe, ein Baumläufer undenkbar ohne Bäume mit Höhlungen, ein
Mauerläufer ohne geeignete Steinhöhlen. Bei anderen Klettervögeln in unſerem Sinne, welche
nicht in hohlen Räumen wohnen, wird die Nahrungsergiebigkeit einer beſtimmten Oertlichkeit maß-
gebend, und deshalb ſind auch ſie gebunden.

Sämmtliche Klettervögel ohne Ausnahme ſind Kerbthierfreſſer; aber die Kerbthiere bilden nicht
bei allen Familien und Arten das ausſchließliche Futter. Nicht wenige nähren ſich nebenbei oder
zeitweilig gänzlich auch von Pflanzenſtoffen und zwar von Früchten und Beeren ebenſowohl als von
Nüſſen, Sämereien oder von Honig und Blüthenſtaub. Die Erwerbung der Nahrung erfordert
ſtets eine Thätigkeit, wie ſie von den bisher beſchriebenen Vögeln nicht oder höchſtens in beſchränktem
Grade und ausnahmsweiſe geübt wird. Die Nahrung wird nämlich in der Regel weder aufgeleſen,
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[4/0016] Die Späher. Klettervögel. Erdtheile und auch faſt über alle Gürtel derſelben; viele ihrer Familien ſind aber hinſichtlich ihres Vorkommens ſehr beſchränkt und werden im günſtigſten Falle in anderen Ländern durch Verwandte vertreten; höchſtens von einer Familie kann man ſagen, daß ihre Mitglieder in allen Erdtheilen leben. Auch der Verbreitungskreis der einzelnen Arten iſt gewöhnlich ein eng begrenzter, wenn auch nicht immer bezüglich ſeiner Ausdehnung, da die Beſchaffenheit einer Oertlichkeit beſtimmend ſein kann. Der Wald iſt der bevorzugte Wohnſitz unſerer Vögel: ſie klettern an Bäumen, aus- nahmsweiſe nur an Felſenwänden, und betreiben noch ſeltener auf dem flachen Boden ihre Jagd. Je reichhaltiger der Wald, um ſo vollzähliger iſt unſere Ordnung vertreten: auf beſtimmten Bäumen leben auch beſtimmte Klettervögel. Die Mehrzahl verweilt jahraus, jahrein innerhalb des heimatlichen Gebietes, ſtreicht höchſtens in ihm hin und her; manche aber wandern auch, und einzelne ziehen mit derſelben Regelmäßigkeit, wie andere Zugvögel. Alle ohne Ausnahme ſind wähleriſch rückſichtlich ihres Aufenthaltes; wo ſich der eine behaglich fühlt, vermißt der andere die Bedingungen zu ſeinem Wohlbefinden. Fülle oder Mangel an Nahrung iſt ſicherlich von großem Einfluß auf die Wahl des Aufenthaltes; aber die Nahrung allein beſtimmt dieſen durchaus nicht; denn gerade der Klettervogel verlangt, daß auch andere Erforderniſſe, welche er an ſein Leben ſtellt, erfüllt ſind. Man ſollte meinen, daß ein Vogel, welcher leiblich wohl ausgerüſtet und geiſtig wohl begabt iſt, ſich allerorten heimiſch machen könnte, kann aber gerade bei den Angehörigen dieſer Ordnung das Gegentheil wahrnehmen. Der Klettervogel fliegt gut, zwar nicht mit der Gewandtheit der Bevorzugteſten ſeiner Klaſſe, aber doch ohne Beſchwerde; er iſt auf dem Boden nicht fremd und auf den Bäumen Meiſter; er iſt ein Späher, nicht blos dem Namen nach, ſondern in der That und Wahrheit: ein Späher, welcher nicht allein mit dem Auge, ſondern auch mit ſeiner Zunge ſieht; er iſt keineswegs auf eine beſtimmte Nahrung angewieſen, beſitzt vielmehr einen Magen, welcher, wenn auch nicht ſo viel, wie die Kirche, ſo doch gar Mancherlei verdauen und nicht blos nutzlos, wie jene, verdauen, ſondern in Saft und Blut verwandeln kann; er iſt klug und vorſichtig, kennt ſeine Feinde und verſteht es, Dank ſeiner Kletterkünſte, mehr, als mancher andere, Nachſtellungen zu entgehen: — aber er verlangt auch, mehr als andere, eine paſſende Wohnung, alſo nicht blos einen geeigneten Wohnſitz. Die Mehrzahl der Vögel beanſprucht keine Wohnung (denn das Neſt iſt als ſolche nicht aufzufaſſen); ſie begnügt ſich mit einem möglichſt ſtillen, ungeſtörten Platze zum Ausruhen und Schlafen, und erſt, wenn die Sorge um die Brut ſich geltend macht, denkt ſie daran, für dieſe eine Kinderſtube herzurichten: die Mehrzahl der Klettervögel hingegen wohnt in einem beſtimmten Raume, wie das Säugethier in ſeinem Bau oder Lager, und dieſer Raum muß ein von ihm ſelbſt oder von einem Anverwandten hergerichteter ſein, wenn er behagen ſoll. Je mehr ein Mitglied unſerer Ordnung den vollendetſten Klettervögeln ähnelt, um ſo feſter hält es an dieſer eigen- thümlichen Sitte feſt. Sie hängt mit den erſten Eindrücken der Kindheit durchaus nicht zuſammen; denn andere Höhlenbrüter ſchlafen oder wohnen nicht regelmäßig in ähnlichen Schlupfwinkeln, wie ſie zum Neſtbau ausgeſucht wurden: es iſt vielmehr eine Angewohnheit, welche, außer den klugen Papageien und dem ſchlauen Meiſter Spatz, nur wenige Vögel mit jenen theilen. Dementſprechend iſt ein Specht, eine Spechtmeiſe, ein Baumläufer undenkbar ohne Bäume mit Höhlungen, ein Mauerläufer ohne geeignete Steinhöhlen. Bei anderen Klettervögeln in unſerem Sinne, welche nicht in hohlen Räumen wohnen, wird die Nahrungsergiebigkeit einer beſtimmten Oertlichkeit maß- gebend, und deshalb ſind auch ſie gebunden. Sämmtliche Klettervögel ohne Ausnahme ſind Kerbthierfreſſer; aber die Kerbthiere bilden nicht bei allen Familien und Arten das ausſchließliche Futter. Nicht wenige nähren ſich nebenbei oder zeitweilig gänzlich auch von Pflanzenſtoffen und zwar von Früchten und Beeren ebenſowohl als von Nüſſen, Sämereien oder von Honig und Blüthenſtaub. Die Erwerbung der Nahrung erfordert ſtets eine Thätigkeit, wie ſie von den bisher beſchriebenen Vögeln nicht oder höchſtens in beſchränktem Grade und ausnahmsweiſe geübt wird. Die Nahrung wird nämlich in der Regel weder aufgeleſen, noch durch Nachjagen im Fluge erbeutet, ſondern aus dem Verborgenen hervorgeſucht, oft unter

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/16>, abgerufen am 28.04.2024.