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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Eisvogel.
wie einen Pfeil in das Wasser stürzen, ohne daß er dabei die Flügel gebraucht. Gewöhnlich ver-
schwindet er vollkommen unter dem Wasser, arbeitet sich aber durch einige Flügelschläge bald wieder
zur Oberfläche empor, schwingt sich von neuem zu seinem Sitze auf, schüttelt das Wasser vom
Gefieder ab, putzt dieses vielleicht auch ein wenig und nimmt die vorige Stellung ein. Hat
er sich mehreremale vergeblich bemüht, Beute zu machen, oder gar keinen Fisch gesehen, so entschließt
er sich endlich, seinen Platz zu wechseln. Das Fliegen wird ihm sehr schwer. Die kurzen Schwingen
können den schweren Rumpf kaum fortschleppen und müssen deshalb so rasch bewegt werden, daß
man die einzelnen Bewegungen nicht mehr unterscheiden kann. Trotzdem oder vielleicht gerade des-
halb ist der Flug reißend schnell, aber auch sehr einförmig. Der Eisvogel schießt, so lange er kann,
in einer geraden Linie dahin, immer gleich hoch über dem Wasser hinweg, und dreht und wendet sich
nur, wenn das Gewässer selbst sich wendet; denn höchst ungern entschließt er sich, den Fluß oder
den Bach zu verlassen. Weiter als zwei- oder dreihundert Schritte dehnt er einen solchen Flug nicht
leicht aus: ungestört fliegt er nie weiter, als bis zu dem nächsten Sitzplatze. Doch treibt ihn der
Hunger oder die Noth überhaupt zuweilen auch zu Flugkünsten, welche man ihm nicht zutrauen
möchte. Manchmal sieht man ihn sich über das Gewässer erheben, plötzlich, flatternd oder rüttelnd,
sich still halten, forgsam nach unten schauen und mit einem Male von dieser Höhe aus in die Tiefe
stürzen. Derartige Künste, welche bei andern Gliedern seiner Familie sehr üblich sind, betreibt er
hauptsächlich, wenn es sich darum handelt, die zahlreiche Brut zu ernähren; sie scheinen also gewisser-
maßen das letzte Mittel zu sein, welches er anwendet, um Beute zu machen. Wenn sich die Liebe
in ihm regt, macht er von seiner Flugbegabung einen noch umfassenderen Gebrauch.

Die Nahrung besteht vorzugsweise aus kleinen Fischen, nebenbei aber auch aus Kerbthieren,
mit denen namentlich die Brut groß gefüttert wird. Unter den Arten der Fische macht er wenig
Unterschied. Er fängt jeden, dessen er habhaft werden kann, und weiß selbst eine ziemlich große
Beute zu bewältigen. Auf diese Fische lauert er, nach Naumann's Ausdruck, wie die Katze auf
die Maus. Er fängt nur mit dem Schnabel, stößt deshalb oft fehl und muß sich zuweilen sehr
anstrengen, ehe er eine Beute macht. Ein einziger Fang freilich genügt auch zu seiner Unterhaltung
für den Tag oder wenigstens für die Hälfte desselben. Die Art und Weise seines Fanges erfordert
große Umsicht in der Wahl seiner Plätze; denn das Wasser, in welchem er fischt, darf nicht zu seicht
sein, weil er sich sonst leicht durch die Heftigkeit seines Stoßes beschädigen könnte; es darf aber auch
nicht zu tief sein, weil er sonst seine Beute oft fehlt. Anhaltendes Regenwetter, welches das Wasser
trübt, bringt ihm große Noth, ja selbst den Untergang, und ebenso wird ihm der Winter nicht selten
zum Verderben; denn seine Jagd endet, sowie er die Fische nicht mehr sehen kann. Jm Winter
muß er sich mit den wenigen offenen Stellen begnügen, welche die Eisdecke eines Gewässers enthält;
aber er ist dann dem Ungemach ausgesetzt, unter das Eis zu gerathen und die Oeffnung nicht
wieder zu finden. Auf diese Weise verliert gar mancher Eisvogel sein Leben: er stirbt trotz seiner
Tauchfähigkeit. Manchmal wird ihm auch ein glücklicher Fang verderblich: er versucht, einen zu
großen Fisch hinabzuwürgen und erstickt dabei. Fischgräten, Schuppen und andere harte Theile
seiner Nahrung speit er in Gewöllen wieder von sich.

Während der Paarzeit zeigt sich auch der Eisvogel sehr erregt. Er läßt dann seine Stimme,
ein hohes, schneidendes, oft und schnell wiederholtes "Tit tit" oder "Si si", welches man sonst selten,
meist von dem erzürnten Vogel vernimmt, häufig ertönen und fügt den gewöhnlichen Lauten noch
besondere zu, beträgt sich auch in ganz eigenthümlicher Weise. "Das Männchen", sagt mein Vater,
"setzt sich dann auf einen Strauch oder Baum, oft sehr hoch, und stößt einen starken, pfeifenden, von
dem gewöhnlichen Rufe verschiedenen Ton aus. Auf diesen kommt das Weibchen herbei, neckt das
Männchen und fliegt weiter. Das Männchen verfolgt es, setzt sich auf einen andern Baum und
schreit von neuem, bis sich das Weibchen abermals nähert. Bei diesem Jagen, welches ich nur des
Vormittags bemerkt habe, entfernen sich beide zwei- bis dreihundert Schritte vom Wasser und
sitzen mit hoch aufgerichtetem Körper auf den Feldbäumen, was sie sonst nie thun."

11 *

Eisvogel.
wie einen Pfeil in das Waſſer ſtürzen, ohne daß er dabei die Flügel gebraucht. Gewöhnlich ver-
ſchwindet er vollkommen unter dem Waſſer, arbeitet ſich aber durch einige Flügelſchläge bald wieder
zur Oberfläche empor, ſchwingt ſich von neuem zu ſeinem Sitze auf, ſchüttelt das Waſſer vom
Gefieder ab, putzt dieſes vielleicht auch ein wenig und nimmt die vorige Stellung ein. Hat
er ſich mehreremale vergeblich bemüht, Beute zu machen, oder gar keinen Fiſch geſehen, ſo entſchließt
er ſich endlich, ſeinen Platz zu wechſeln. Das Fliegen wird ihm ſehr ſchwer. Die kurzen Schwingen
können den ſchweren Rumpf kaum fortſchleppen und müſſen deshalb ſo raſch bewegt werden, daß
man die einzelnen Bewegungen nicht mehr unterſcheiden kann. Trotzdem oder vielleicht gerade des-
halb iſt der Flug reißend ſchnell, aber auch ſehr einförmig. Der Eisvogel ſchießt, ſo lange er kann,
in einer geraden Linie dahin, immer gleich hoch über dem Waſſer hinweg, und dreht und wendet ſich
nur, wenn das Gewäſſer ſelbſt ſich wendet; denn höchſt ungern entſchließt er ſich, den Fluß oder
den Bach zu verlaſſen. Weiter als zwei- oder dreihundert Schritte dehnt er einen ſolchen Flug nicht
leicht aus: ungeſtört fliegt er nie weiter, als bis zu dem nächſten Sitzplatze. Doch treibt ihn der
Hunger oder die Noth überhaupt zuweilen auch zu Flugkünſten, welche man ihm nicht zutrauen
möchte. Manchmal ſieht man ihn ſich über das Gewäſſer erheben, plötzlich, flatternd oder rüttelnd,
ſich ſtill halten, forgſam nach unten ſchauen und mit einem Male von dieſer Höhe aus in die Tiefe
ſtürzen. Derartige Künſte, welche bei andern Gliedern ſeiner Familie ſehr üblich ſind, betreibt er
hauptſächlich, wenn es ſich darum handelt, die zahlreiche Brut zu ernähren; ſie ſcheinen alſo gewiſſer-
maßen das letzte Mittel zu ſein, welches er anwendet, um Beute zu machen. Wenn ſich die Liebe
in ihm regt, macht er von ſeiner Flugbegabung einen noch umfaſſenderen Gebrauch.

Die Nahrung beſteht vorzugsweiſe aus kleinen Fiſchen, nebenbei aber auch aus Kerbthieren,
mit denen namentlich die Brut groß gefüttert wird. Unter den Arten der Fiſche macht er wenig
Unterſchied. Er fängt jeden, deſſen er habhaft werden kann, und weiß ſelbſt eine ziemlich große
Beute zu bewältigen. Auf dieſe Fiſche lauert er, nach Naumann’s Ausdruck, wie die Katze auf
die Maus. Er fängt nur mit dem Schnabel, ſtößt deshalb oft fehl und muß ſich zuweilen ſehr
anſtrengen, ehe er eine Beute macht. Ein einziger Fang freilich genügt auch zu ſeiner Unterhaltung
für den Tag oder wenigſtens für die Hälfte deſſelben. Die Art und Weiſe ſeines Fanges erfordert
große Umſicht in der Wahl ſeiner Plätze; denn das Waſſer, in welchem er fiſcht, darf nicht zu ſeicht
ſein, weil er ſich ſonſt leicht durch die Heftigkeit ſeines Stoßes beſchädigen könnte; es darf aber auch
nicht zu tief ſein, weil er ſonſt ſeine Beute oft fehlt. Anhaltendes Regenwetter, welches das Waſſer
trübt, bringt ihm große Noth, ja ſelbſt den Untergang, und ebenſo wird ihm der Winter nicht ſelten
zum Verderben; denn ſeine Jagd endet, ſowie er die Fiſche nicht mehr ſehen kann. Jm Winter
muß er ſich mit den wenigen offenen Stellen begnügen, welche die Eisdecke eines Gewäſſers enthält;
aber er iſt dann dem Ungemach ausgeſetzt, unter das Eis zu gerathen und die Oeffnung nicht
wieder zu finden. Auf dieſe Weiſe verliert gar mancher Eisvogel ſein Leben: er ſtirbt trotz ſeiner
Tauchfähigkeit. Manchmal wird ihm auch ein glücklicher Fang verderblich: er verſucht, einen zu
großen Fiſch hinabzuwürgen und erſtickt dabei. Fiſchgräten, Schuppen und andere harte Theile
ſeiner Nahrung ſpeit er in Gewöllen wieder von ſich.

Während der Paarzeit zeigt ſich auch der Eisvogel ſehr erregt. Er läßt dann ſeine Stimme,
ein hohes, ſchneidendes, oft und ſchnell wiederholtes „Tit tit“ oder „Si ſi“, welches man ſonſt ſelten,
meiſt von dem erzürnten Vogel vernimmt, häufig ertönen und fügt den gewöhnlichen Lauten noch
beſondere zu, beträgt ſich auch in ganz eigenthümlicher Weiſe. „Das Männchen“, ſagt mein Vater,
„ſetzt ſich dann auf einen Strauch oder Baum, oft ſehr hoch, und ſtößt einen ſtarken, pfeifenden, von
dem gewöhnlichen Rufe verſchiedenen Ton aus. Auf dieſen kommt das Weibchen herbei, neckt das
Männchen und fliegt weiter. Das Männchen verfolgt es, ſetzt ſich auf einen andern Baum und
ſchreit von neuem, bis ſich das Weibchen abermals nähert. Bei dieſem Jagen, welches ich nur des
Vormittags bemerkt habe, entfernen ſich beide zwei- bis dreihundert Schritte vom Waſſer und
ſitzen mit hoch aufgerichtetem Körper auf den Feldbäumen, was ſie ſonſt nie thun.“

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[163/0179] Eisvogel. wie einen Pfeil in das Waſſer ſtürzen, ohne daß er dabei die Flügel gebraucht. Gewöhnlich ver- ſchwindet er vollkommen unter dem Waſſer, arbeitet ſich aber durch einige Flügelſchläge bald wieder zur Oberfläche empor, ſchwingt ſich von neuem zu ſeinem Sitze auf, ſchüttelt das Waſſer vom Gefieder ab, putzt dieſes vielleicht auch ein wenig und nimmt die vorige Stellung ein. Hat er ſich mehreremale vergeblich bemüht, Beute zu machen, oder gar keinen Fiſch geſehen, ſo entſchließt er ſich endlich, ſeinen Platz zu wechſeln. Das Fliegen wird ihm ſehr ſchwer. Die kurzen Schwingen können den ſchweren Rumpf kaum fortſchleppen und müſſen deshalb ſo raſch bewegt werden, daß man die einzelnen Bewegungen nicht mehr unterſcheiden kann. Trotzdem oder vielleicht gerade des- halb iſt der Flug reißend ſchnell, aber auch ſehr einförmig. Der Eisvogel ſchießt, ſo lange er kann, in einer geraden Linie dahin, immer gleich hoch über dem Waſſer hinweg, und dreht und wendet ſich nur, wenn das Gewäſſer ſelbſt ſich wendet; denn höchſt ungern entſchließt er ſich, den Fluß oder den Bach zu verlaſſen. Weiter als zwei- oder dreihundert Schritte dehnt er einen ſolchen Flug nicht leicht aus: ungeſtört fliegt er nie weiter, als bis zu dem nächſten Sitzplatze. Doch treibt ihn der Hunger oder die Noth überhaupt zuweilen auch zu Flugkünſten, welche man ihm nicht zutrauen möchte. Manchmal ſieht man ihn ſich über das Gewäſſer erheben, plötzlich, flatternd oder rüttelnd, ſich ſtill halten, forgſam nach unten ſchauen und mit einem Male von dieſer Höhe aus in die Tiefe ſtürzen. Derartige Künſte, welche bei andern Gliedern ſeiner Familie ſehr üblich ſind, betreibt er hauptſächlich, wenn es ſich darum handelt, die zahlreiche Brut zu ernähren; ſie ſcheinen alſo gewiſſer- maßen das letzte Mittel zu ſein, welches er anwendet, um Beute zu machen. Wenn ſich die Liebe in ihm regt, macht er von ſeiner Flugbegabung einen noch umfaſſenderen Gebrauch. Die Nahrung beſteht vorzugsweiſe aus kleinen Fiſchen, nebenbei aber auch aus Kerbthieren, mit denen namentlich die Brut groß gefüttert wird. Unter den Arten der Fiſche macht er wenig Unterſchied. Er fängt jeden, deſſen er habhaft werden kann, und weiß ſelbſt eine ziemlich große Beute zu bewältigen. Auf dieſe Fiſche lauert er, nach Naumann’s Ausdruck, wie die Katze auf die Maus. Er fängt nur mit dem Schnabel, ſtößt deshalb oft fehl und muß ſich zuweilen ſehr anſtrengen, ehe er eine Beute macht. Ein einziger Fang freilich genügt auch zu ſeiner Unterhaltung für den Tag oder wenigſtens für die Hälfte deſſelben. Die Art und Weiſe ſeines Fanges erfordert große Umſicht in der Wahl ſeiner Plätze; denn das Waſſer, in welchem er fiſcht, darf nicht zu ſeicht ſein, weil er ſich ſonſt leicht durch die Heftigkeit ſeines Stoßes beſchädigen könnte; es darf aber auch nicht zu tief ſein, weil er ſonſt ſeine Beute oft fehlt. Anhaltendes Regenwetter, welches das Waſſer trübt, bringt ihm große Noth, ja ſelbſt den Untergang, und ebenſo wird ihm der Winter nicht ſelten zum Verderben; denn ſeine Jagd endet, ſowie er die Fiſche nicht mehr ſehen kann. Jm Winter muß er ſich mit den wenigen offenen Stellen begnügen, welche die Eisdecke eines Gewäſſers enthält; aber er iſt dann dem Ungemach ausgeſetzt, unter das Eis zu gerathen und die Oeffnung nicht wieder zu finden. Auf dieſe Weiſe verliert gar mancher Eisvogel ſein Leben: er ſtirbt trotz ſeiner Tauchfähigkeit. Manchmal wird ihm auch ein glücklicher Fang verderblich: er verſucht, einen zu großen Fiſch hinabzuwürgen und erſtickt dabei. Fiſchgräten, Schuppen und andere harte Theile ſeiner Nahrung ſpeit er in Gewöllen wieder von ſich. Während der Paarzeit zeigt ſich auch der Eisvogel ſehr erregt. Er läßt dann ſeine Stimme, ein hohes, ſchneidendes, oft und ſchnell wiederholtes „Tit tit“ oder „Si ſi“, welches man ſonſt ſelten, meiſt von dem erzürnten Vogel vernimmt, häufig ertönen und fügt den gewöhnlichen Lauten noch beſondere zu, beträgt ſich auch in ganz eigenthümlicher Weiſe. „Das Männchen“, ſagt mein Vater, „ſetzt ſich dann auf einen Strauch oder Baum, oft ſehr hoch, und ſtößt einen ſtarken, pfeifenden, von dem gewöhnlichen Rufe verſchiedenen Ton aus. Auf dieſen kommt das Weibchen herbei, neckt das Männchen und fliegt weiter. Das Männchen verfolgt es, ſetzt ſich auf einen andern Baum und ſchreit von neuem, bis ſich das Weibchen abermals nähert. Bei dieſem Jagen, welches ich nur des Vormittags bemerkt habe, entfernen ſich beide zwei- bis dreihundert Schritte vom Waſſer und ſitzen mit hoch aufgerichtetem Körper auf den Feldbäumen, was ſie ſonſt nie thun.“ 11 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/179>, abgerufen am 21.11.2024.