schiede zwischen den eigentlichen Hühnern, welche den Kern der Ordnung bilden, und den Flug- hühnern einerseits, den Schakus, Hokkos und Großfußhühnern andererseits sehr bedeutend sind und zu einer Trennung nach Ordnungen berechtigen. Diese Ansicht erhält durch Erwägung der Lebensverhältnisse ein bedeutendes Gewicht; denn die genannten unterscheiden sich durch ihre Lebens- weise, ihr Betragen, durch ihre Ernährung und Fortpflanzung so wesentlich von den eigentlichen Hühnervögeln, daß es unter allen Umständen als ein Wagniß angesehen werden muß, sie mit ihnen zusammen zu bringen. Aber auch die allgemein giltige Einordnung der betreffenden Familien hat Vieles für sich: vor allem das Eine, daß man bei streng sachgemäßer Behandlung dieser Frage zum mindesten zwei neue Ordnungen bilden müßte, eine für die Flughühner allein und eine zweite für die übrigen zweifelhaften Hühner. Und dabei würde man noch immer nicht alle Bedenken erledigt haben! Jn Erwägung dieses Umstandes glaube ich mich wenigstens keines Fehlers schuldig zu machen, wenn ich die altangenommene Ordnungsgrenze aufrecht erhalte. Doch werde ich das Nach- stehende hauptsächlich auf die eigentlichen Hühner beziehen und die abweichenden Familien der Ordnung später ausführlich beschreiben.
"Keine Vogelgruppe gleichen Ranges", sagt Burmeister, welcher der herrschenden Ansicht huldigt, "zeigt bei einer so allgemeinen Verbreitung über die Erdoberfläche eine solche Verschieden- heit des Körperbaues, wie die hier zu behandelnde der Scharrvögel oder Hühner im weitesten Sinne. Hühner gibt es überall -- nicht blos als Hausgeflügel, von den Menschen über die Erdoberfläche ver- breitet: auch ursprünglich ist eine Hühnergestalt an allen bewohnbaren Theilen der Erde vorhanden. Aber freilich der bezeichnende Ausdruck des Huhns ist in der äußeren Erscheinung oft so versteckt, daß es Mühe kostet, die Hühnerverwandtschaft im Vogel nachzuweisen." Giebel behauptet nun zwar das Gegentheil, da er der Ansicht ist, alle Scharrvögel böten in Betragen, Lebensweise und Organisation so bezeichnende allgemeine Merkmale, daß selbst die äußersten Glieder der Gruppe noch leicht und sicher erkannt werden: -- aber Giebel hat diese Behauptung entweder etwas zu leicht- fertig ausgesprochen, oder die Vögel selbst nicht so gut gekannt, wie sein Vorgänger, dessen Aus- spruch ich zu dem meinigen gemacht habe. Es ist sehr schwierig, allgemein giltige Kennzeichen für die Scharrvögel aufzustellen.
Die Scharrvögel sind kräftig, selbst schwerfällig gebaut, kurzflügelig, starkfüßig und reich befiedert. Jhr Leib ist gedrungen, kurz und hochbrüstig, der Hals kurz, höchstens mittellang, der Kopf klein. Der Schnabel ändert vielfach ab, viel mehr z. B. als der Schnabel der Raub- oder Singvögel: er ist in der Regel kurz, kaum halb so lang als der Kopf, zuweilen aber auch sehr lang, die Kopfeslänge beinahe erreichend. Jm ersteren Falle ist er zugleich breit und hoch, mehr oder weniger stark gewölbt und an der Spitze hakig herabgebogen, mindestens zu einem kuppenförmigen Horn- nagel ausgezogen, gegen welchen der hintere, weiche, häutige Theil nur deshalb weniger scharf sich absetzt, weil diese Strecke des Schnabels kürzer ist, als bei den Tauben. Der hintere Theil ist meist mit Federn bekleidet, und zwischen ihnen sitzt eine schmale häutige Schuppe, welche, wie bei den Tauben, das Nasenloch deckt. Ausnahmsweise ist der hintere Theil des Schnabels mit einer förmlichen Wachshaut überzogen und diese überdeckt dann wohl auch Knollen, welche vor der Paarungszeit anschwellen und nach ihr sich verkleinern, wie bei den Tauben. Jm letzteren Falle ist der Schnabel auch sehr verschmächtigt, oben und unten gebogen, nur an der Spitze zu einer kurzen, hornigen Endschuppe verhärtet, und das weite, offene Nasenloch liegt in einer langen Nasengrube. Die Beine, das wichtigste Bewegungswerkzeug der Scharrvögel, sind stets sehr kräftig gebaut, meist mittelhoch, die Füße langzehig, die Nägel kurz. Der Schenkeltheil des Beines erscheint wegen der kräf- tigen Muskeln, welche hier an die Knochen sich ansetzen, dickfleischig, der Lauf stark, der Fuß mehr oder weniger entwickelt. Jn der Regel sind seine vier Zehen wohl ausgebildet, zuweilen aber verkümmert die Hinterzehe bis auf den Nagel, welcher selten vermißt wird. Bei den meisten der auf dem Boden lebenden Scharrvögel ist die höher als die übrigen angesetzte Hinterzehe klein, bei den Baumhühnern hingegen ziemlich groß; bei einer Gruppe ist die Zehenentwickelung auffallend. Die Krallen
Brehm, Thierleben. IV. 20
Allgemeines.
ſchiede zwiſchen den eigentlichen Hühnern, welche den Kern der Ordnung bilden, und den Flug- hühnern einerſeits, den Schakus, Hokkos und Großfußhühnern andererſeits ſehr bedeutend ſind und zu einer Trennung nach Ordnungen berechtigen. Dieſe Anſicht erhält durch Erwägung der Lebensverhältniſſe ein bedeutendes Gewicht; denn die genannten unterſcheiden ſich durch ihre Lebens- weiſe, ihr Betragen, durch ihre Ernährung und Fortpflanzung ſo weſentlich von den eigentlichen Hühnervögeln, daß es unter allen Umſtänden als ein Wagniß angeſehen werden muß, ſie mit ihnen zuſammen zu bringen. Aber auch die allgemein giltige Einordnung der betreffenden Familien hat Vieles für ſich: vor allem das Eine, daß man bei ſtreng ſachgemäßer Behandlung dieſer Frage zum mindeſten zwei neue Ordnungen bilden müßte, eine für die Flughühner allein und eine zweite für die übrigen zweifelhaften Hühner. Und dabei würde man noch immer nicht alle Bedenken erledigt haben! Jn Erwägung dieſes Umſtandes glaube ich mich wenigſtens keines Fehlers ſchuldig zu machen, wenn ich die altangenommene Ordnungsgrenze aufrecht erhalte. Doch werde ich das Nach- ſtehende hauptſächlich auf die eigentlichen Hühner beziehen und die abweichenden Familien der Ordnung ſpäter ausführlich beſchreiben.
„Keine Vogelgruppe gleichen Ranges“, ſagt Burmeiſter, welcher der herrſchenden Anſicht huldigt, „zeigt bei einer ſo allgemeinen Verbreitung über die Erdoberfläche eine ſolche Verſchieden- heit des Körperbaues, wie die hier zu behandelnde der Scharrvögel oder Hühner im weiteſten Sinne. Hühner gibt es überall — nicht blos als Hausgeflügel, von den Menſchen über die Erdoberfläche ver- breitet: auch urſprünglich iſt eine Hühnergeſtalt an allen bewohnbaren Theilen der Erde vorhanden. Aber freilich der bezeichnende Ausdruck des Huhns iſt in der äußeren Erſcheinung oft ſo verſteckt, daß es Mühe koſtet, die Hühnerverwandtſchaft im Vogel nachzuweiſen.“ Giebel behauptet nun zwar das Gegentheil, da er der Anſicht iſt, alle Scharrvögel böten in Betragen, Lebensweiſe und Organiſation ſo bezeichnende allgemeine Merkmale, daß ſelbſt die äußerſten Glieder der Gruppe noch leicht und ſicher erkannt werden: — aber Giebel hat dieſe Behauptung entweder etwas zu leicht- fertig ausgeſprochen, oder die Vögel ſelbſt nicht ſo gut gekannt, wie ſein Vorgänger, deſſen Aus- ſpruch ich zu dem meinigen gemacht habe. Es iſt ſehr ſchwierig, allgemein giltige Kennzeichen für die Scharrvögel aufzuſtellen.
Die Scharrvögel ſind kräftig, ſelbſt ſchwerfällig gebaut, kurzflügelig, ſtarkfüßig und reich befiedert. Jhr Leib iſt gedrungen, kurz und hochbrüſtig, der Hals kurz, höchſtens mittellang, der Kopf klein. Der Schnabel ändert vielfach ab, viel mehr z. B. als der Schnabel der Raub- oder Singvögel: er iſt in der Regel kurz, kaum halb ſo lang als der Kopf, zuweilen aber auch ſehr lang, die Kopfeslänge beinahe erreichend. Jm erſteren Falle iſt er zugleich breit und hoch, mehr oder weniger ſtark gewölbt und an der Spitze hakig herabgebogen, mindeſtens zu einem kuppenförmigen Horn- nagel ausgezogen, gegen welchen der hintere, weiche, häutige Theil nur deshalb weniger ſcharf ſich abſetzt, weil dieſe Strecke des Schnabels kürzer iſt, als bei den Tauben. Der hintere Theil iſt meiſt mit Federn bekleidet, und zwiſchen ihnen ſitzt eine ſchmale häutige Schuppe, welche, wie bei den Tauben, das Naſenloch deckt. Ausnahmsweiſe iſt der hintere Theil des Schnabels mit einer förmlichen Wachshaut überzogen und dieſe überdeckt dann wohl auch Knollen, welche vor der Paarungszeit anſchwellen und nach ihr ſich verkleinern, wie bei den Tauben. Jm letzteren Falle iſt der Schnabel auch ſehr verſchmächtigt, oben und unten gebogen, nur an der Spitze zu einer kurzen, hornigen Endſchuppe verhärtet, und das weite, offene Naſenloch liegt in einer langen Naſengrube. Die Beine, das wichtigſte Bewegungswerkzeug der Scharrvögel, ſind ſtets ſehr kräftig gebaut, meiſt mittelhoch, die Füße langzehig, die Nägel kurz. Der Schenkeltheil des Beines erſcheint wegen der kräf- tigen Muskeln, welche hier an die Knochen ſich anſetzen, dickfleiſchig, der Lauf ſtark, der Fuß mehr oder weniger entwickelt. Jn der Regel ſind ſeine vier Zehen wohl ausgebildet, zuweilen aber verkümmert die Hinterzehe bis auf den Nagel, welcher ſelten vermißt wird. Bei den meiſten der auf dem Boden lebenden Scharrvögel iſt die höher als die übrigen angeſetzte Hinterzehe klein, bei den Baumhühnern hingegen ziemlich groß; bei einer Gruppe iſt die Zehenentwickelung auffallend. Die Krallen
Brehm, Thierleben. IV. 20
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[305/0329]
Allgemeines.
ſchiede zwiſchen den eigentlichen Hühnern, welche den Kern der Ordnung bilden, und den Flug-
hühnern einerſeits, den Schakus, Hokkos und Großfußhühnern andererſeits ſehr bedeutend ſind
und zu einer Trennung nach Ordnungen berechtigen. Dieſe Anſicht erhält durch Erwägung der
Lebensverhältniſſe ein bedeutendes Gewicht; denn die genannten unterſcheiden ſich durch ihre Lebens-
weiſe, ihr Betragen, durch ihre Ernährung und Fortpflanzung ſo weſentlich von den eigentlichen
Hühnervögeln, daß es unter allen Umſtänden als ein Wagniß angeſehen werden muß, ſie mit ihnen
zuſammen zu bringen. Aber auch die allgemein giltige Einordnung der betreffenden Familien hat
Vieles für ſich: vor allem das Eine, daß man bei ſtreng ſachgemäßer Behandlung dieſer Frage zum
mindeſten zwei neue Ordnungen bilden müßte, eine für die Flughühner allein und eine zweite für
die übrigen zweifelhaften Hühner. Und dabei würde man noch immer nicht alle Bedenken erledigt
haben! Jn Erwägung dieſes Umſtandes glaube ich mich wenigſtens keines Fehlers ſchuldig zu
machen, wenn ich die altangenommene Ordnungsgrenze aufrecht erhalte. Doch werde ich das Nach-
ſtehende hauptſächlich auf die eigentlichen Hühner beziehen und die abweichenden Familien der
Ordnung ſpäter ausführlich beſchreiben.
„Keine Vogelgruppe gleichen Ranges“, ſagt Burmeiſter, welcher der herrſchenden Anſicht
huldigt, „zeigt bei einer ſo allgemeinen Verbreitung über die Erdoberfläche eine ſolche Verſchieden-
heit des Körperbaues, wie die hier zu behandelnde der Scharrvögel oder Hühner im weiteſten Sinne.
Hühner gibt es überall — nicht blos als Hausgeflügel, von den Menſchen über die Erdoberfläche ver-
breitet: auch urſprünglich iſt eine Hühnergeſtalt an allen bewohnbaren Theilen der Erde vorhanden.
Aber freilich der bezeichnende Ausdruck des Huhns iſt in der äußeren Erſcheinung oft ſo verſteckt,
daß es Mühe koſtet, die Hühnerverwandtſchaft im Vogel nachzuweiſen.“ Giebel behauptet nun
zwar das Gegentheil, da er der Anſicht iſt, alle Scharrvögel böten in Betragen, Lebensweiſe und
Organiſation ſo bezeichnende allgemeine Merkmale, daß ſelbſt die äußerſten Glieder der Gruppe noch
leicht und ſicher erkannt werden: — aber Giebel hat dieſe Behauptung entweder etwas zu leicht-
fertig ausgeſprochen, oder die Vögel ſelbſt nicht ſo gut gekannt, wie ſein Vorgänger, deſſen Aus-
ſpruch ich zu dem meinigen gemacht habe. Es iſt ſehr ſchwierig, allgemein giltige Kennzeichen für
die Scharrvögel aufzuſtellen.
Die Scharrvögel ſind kräftig, ſelbſt ſchwerfällig gebaut, kurzflügelig, ſtarkfüßig und reich
befiedert. Jhr Leib iſt gedrungen, kurz und hochbrüſtig, der Hals kurz, höchſtens mittellang, der
Kopf klein. Der Schnabel ändert vielfach ab, viel mehr z. B. als der Schnabel der Raub- oder
Singvögel: er iſt in der Regel kurz, kaum halb ſo lang als der Kopf, zuweilen aber auch ſehr lang,
die Kopfeslänge beinahe erreichend. Jm erſteren Falle iſt er zugleich breit und hoch, mehr oder weniger
ſtark gewölbt und an der Spitze hakig herabgebogen, mindeſtens zu einem kuppenförmigen Horn-
nagel ausgezogen, gegen welchen der hintere, weiche, häutige Theil nur deshalb weniger ſcharf ſich
abſetzt, weil dieſe Strecke des Schnabels kürzer iſt, als bei den Tauben. Der hintere Theil iſt meiſt
mit Federn bekleidet, und zwiſchen ihnen ſitzt eine ſchmale häutige Schuppe, welche, wie bei den
Tauben, das Naſenloch deckt. Ausnahmsweiſe iſt der hintere Theil des Schnabels mit einer
förmlichen Wachshaut überzogen und dieſe überdeckt dann wohl auch Knollen, welche vor der
Paarungszeit anſchwellen und nach ihr ſich verkleinern, wie bei den Tauben. Jm letzteren Falle iſt
der Schnabel auch ſehr verſchmächtigt, oben und unten gebogen, nur an der Spitze zu einer kurzen,
hornigen Endſchuppe verhärtet, und das weite, offene Naſenloch liegt in einer langen Naſengrube.
Die Beine, das wichtigſte Bewegungswerkzeug der Scharrvögel, ſind ſtets ſehr kräftig gebaut, meiſt
mittelhoch, die Füße langzehig, die Nägel kurz. Der Schenkeltheil des Beines erſcheint wegen der kräf-
tigen Muskeln, welche hier an die Knochen ſich anſetzen, dickfleiſchig, der Lauf ſtark, der Fuß mehr oder
weniger entwickelt. Jn der Regel ſind ſeine vier Zehen wohl ausgebildet, zuweilen aber verkümmert
die Hinterzehe bis auf den Nagel, welcher ſelten vermißt wird. Bei den meiſten der auf dem Boden
lebenden Scharrvögel iſt die höher als die übrigen angeſetzte Hinterzehe klein, bei den Baumhühnern
hingegen ziemlich groß; bei einer Gruppe iſt die Zehenentwickelung auffallend. Die Krallen
Brehm, Thierleben. IV. 20
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/329>, abgerufen am 28.11.2024.
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