ihnen auf keine Weise nähern konnte. Nach vielen vergeblichen Versuchen, sie zu schießen, gab ich die Jagd bis zum Abend auf. Mit Sonnenuntergang hatten sich alle Vögel in zwei große Schwärme, deren jeder wohl tausend Stücke zählen mochte, vereinigt und lärmten auf das Eifrigste. Jch hoffte sie nun beschleichen zu können, hatte mich aber geirrt; denn weder zu Pferde, noch kriechend konnte ich mich ihnen nähern. Nach mehrmaligem Auftreiben verließen sie endlich die Ufer des Tarai-nor und flogen östlich zu den Höhen der Steppe, wo sie sich an zwei Orten nieder- ließen. Diese Plätze waren im Winter die Lagerstätten zweier Herden gewesen; eine dicke Schicht schwarzen, schon fest getretenen Mistes hatte sich auf ihnen erhalten, und durch diese Decke war keines der schwachen Pflanzenkeime gedrungen. Hier blieben sie ungestört, da die einbrechende Dunkelheit mich an der weiteren Jagd verhinderte. Aber immer noch lärmten sie fort. Am nächsten Tage waren sie spurlos verschwunden. Niemals, so oft ich im Laufe des Sommers zum Tarai ging, fand ich wieder einen von ihnen. Auch die herumziehenden Hirten sahen sie nicht, ver- trösteten mich aber auf die Herbstzeit, in welcher sie, wie sie sagten, noch häufiger hierherkämen. Leider erfüllten sich ihre Angaben nicht. Es befremdete mich, daß ein Vogel nach vollendeter zweiter Brut plötzlich zur Sommerszeit vollständig fortzog, obgleich ich auch in diesem Falle ein Beispiel für die unstäte, wandernde Lebensweise wahrer Steppenbewohner gefunden zu haben glaube. Erst als ich im Oktober in den südlichsten Gegenden der Steppe auf die Antilopenjagd zog, als schon lange der Herbstzug des Geflügels beendigt war, sah ich jenseits des Argunj die Steppenhühner wieder. Kettenzüge von ihnen flogen schnell und hoch jetzt nach Norden, auf russisches Gebiet, wo ich sie aber im Bereich der Steppe nicht wieder fand."
"Das Nest ist sehr kunstlos und den Flughuhnnestern wohl ganz ähnlich. Es brüten mehrere Paare gemeinschaftlich, doch nie viele. Jn den salzdurchdrungenen Gründen am Tarai-nor, meistens auf dessen jetzt seit Jahren trocken gelegten Boden selbst, wird es durch eine flach aus- geworfene Vertiefung von etwa fünf Zoll Durchmesser gebildet, deren Rand mit einigen Salsola- sprossen und Gräsern umlegt wird, welche letzteren jedoch auch bisweilen fehlen. Die Anzahl der Eier beträgt vier. Jn ihrer Gestalt ähneln sie den Flughuhneiern; sie zeichnen sich aus durch ihre rein elliptische Form, sind jedoch zuweilen an dem einen Ende etwas spitzer als am andern. Die Grundfarbe wechselt von hell grünlichgrau bis schmuzig bräunlichgrau, letztere ist die gewöhn- lichere. Auf diesem Grunde findet sich die meistens feinfleckige, erdbraune Zeichnung in zwei ver- schiedenen Tönen."
So weit Radde.
Unsere Kenntniß der Lebenskunde des Steppenhuhns wurde schon ein Jahr nach dem Erscheinen des Radde'schen Hauptwerkes in Folge eigenthümlicher Umstände höchst wesentlich bereichert. Bereits im Jahre 1860 war es durch Schlegel und Moore wissenschaftlich festgestellt worden, daß einzelne Steppenhühner in Mitteleuropa sich gezeigt hatten. Es waren solche auf den Dünen Hollands und in Britanien erlegt worden; ja, man hatte, falls Collet recht unterrichtet ist, Mitte Augusts 1861 einen aus vierzehn bis funfzehn Stücken bestehenden Flug von ihnen bei Mandal in Norwegen beobachtet und ebenfalls mehrere geschossen. Man hatte diese Vereinzelten als Jrrgäste betrachtet und ihrem Erscheinen keine größere Bedeutsamkeit beigelegt. Etwas Aehnliches fand, wie Swinhoe berichtet, im Herbst desselben Jahres in Nordchina statt. Hier aber handelte es sich nicht um einzelne Versprengte, sondern um ein ganzes Heer unserer Vögel, welche sich auf der Ebene zwischen Peking und Tientsin niedergelassen hatten. Die Chinesen verfolgten die Fremdlinge, welche ihnen unter dem Namen "Satschi" oder Sandhühner wohl bekannt waren, auf das Eifrigste und erzählten Swinhoe, daß sie häufig in Netzen gefangen und mit dem Luntengewehre erlegt würden. Nach einem reichlichen Schneefall war der Fang so ergiebig, daß der Markt von Tientsin buchstäblich überfüllt war. Man reinigte gewisse Stellen vom Schnee, legte hier die Netze und konnte des reichlichsten Fanges sicher sein. Dennoch waren die Vögel scheu, namentlich so lange sie sich auf dem Boden hielten, während sie im Fliegen nah an dem Schützen vorüberstreiften. Die
Steppenhuhn.
ihnen auf keine Weiſe nähern konnte. Nach vielen vergeblichen Verſuchen, ſie zu ſchießen, gab ich die Jagd bis zum Abend auf. Mit Sonnenuntergang hatten ſich alle Vögel in zwei große Schwärme, deren jeder wohl tauſend Stücke zählen mochte, vereinigt und lärmten auf das Eifrigſte. Jch hoffte ſie nun beſchleichen zu können, hatte mich aber geirrt; denn weder zu Pferde, noch kriechend konnte ich mich ihnen nähern. Nach mehrmaligem Auftreiben verließen ſie endlich die Ufer des Tarai-nor und flogen öſtlich zu den Höhen der Steppe, wo ſie ſich an zwei Orten nieder- ließen. Dieſe Plätze waren im Winter die Lagerſtätten zweier Herden geweſen; eine dicke Schicht ſchwarzen, ſchon feſt getretenen Miſtes hatte ſich auf ihnen erhalten, und durch dieſe Decke war keines der ſchwachen Pflanzenkeime gedrungen. Hier blieben ſie ungeſtört, da die einbrechende Dunkelheit mich an der weiteren Jagd verhinderte. Aber immer noch lärmten ſie fort. Am nächſten Tage waren ſie ſpurlos verſchwunden. Niemals, ſo oft ich im Laufe des Sommers zum Tarai ging, fand ich wieder einen von ihnen. Auch die herumziehenden Hirten ſahen ſie nicht, ver- tröſteten mich aber auf die Herbſtzeit, in welcher ſie, wie ſie ſagten, noch häufiger hierherkämen. Leider erfüllten ſich ihre Angaben nicht. Es befremdete mich, daß ein Vogel nach vollendeter zweiter Brut plötzlich zur Sommerszeit vollſtändig fortzog, obgleich ich auch in dieſem Falle ein Beiſpiel für die unſtäte, wandernde Lebensweiſe wahrer Steppenbewohner gefunden zu haben glaube. Erſt als ich im Oktober in den ſüdlichſten Gegenden der Steppe auf die Antilopenjagd zog, als ſchon lange der Herbſtzug des Geflügels beendigt war, ſah ich jenſeits des Argunj die Steppenhühner wieder. Kettenzüge von ihnen flogen ſchnell und hoch jetzt nach Norden, auf ruſſiſches Gebiet, wo ich ſie aber im Bereich der Steppe nicht wieder fand.“
„Das Neſt iſt ſehr kunſtlos und den Flughuhnneſtern wohl ganz ähnlich. Es brüten mehrere Paare gemeinſchaftlich, doch nie viele. Jn den ſalzdurchdrungenen Gründen am Tarai-nor, meiſtens auf deſſen jetzt ſeit Jahren trocken gelegten Boden ſelbſt, wird es durch eine flach aus- geworfene Vertiefung von etwa fünf Zoll Durchmeſſer gebildet, deren Rand mit einigen Salſola- ſproſſen und Gräſern umlegt wird, welche letzteren jedoch auch bisweilen fehlen. Die Anzahl der Eier beträgt vier. Jn ihrer Geſtalt ähneln ſie den Flughuhneiern; ſie zeichnen ſich aus durch ihre rein elliptiſche Form, ſind jedoch zuweilen an dem einen Ende etwas ſpitzer als am andern. Die Grundfarbe wechſelt von hell grünlichgrau bis ſchmuzig bräunlichgrau, letztere iſt die gewöhn- lichere. Auf dieſem Grunde findet ſich die meiſtens feinfleckige, erdbraune Zeichnung in zwei ver- ſchiedenen Tönen.“
So weit Radde.
Unſere Kenntniß der Lebenskunde des Steppenhuhns wurde ſchon ein Jahr nach dem Erſcheinen des Radde’ſchen Hauptwerkes in Folge eigenthümlicher Umſtände höchſt weſentlich bereichert. Bereits im Jahre 1860 war es durch Schlegel und Moore wiſſenſchaftlich feſtgeſtellt worden, daß einzelne Steppenhühner in Mitteleuropa ſich gezeigt hatten. Es waren ſolche auf den Dünen Hollands und in Britanien erlegt worden; ja, man hatte, falls Collet recht unterrichtet iſt, Mitte Auguſts 1861 einen aus vierzehn bis funfzehn Stücken beſtehenden Flug von ihnen bei Mandal in Norwegen beobachtet und ebenfalls mehrere geſchoſſen. Man hatte dieſe Vereinzelten als Jrrgäſte betrachtet und ihrem Erſcheinen keine größere Bedeutſamkeit beigelegt. Etwas Aehnliches fand, wie Swinhoe berichtet, im Herbſt deſſelben Jahres in Nordchina ſtatt. Hier aber handelte es ſich nicht um einzelne Verſprengte, ſondern um ein ganzes Heer unſerer Vögel, welche ſich auf der Ebene zwiſchen Peking und Tientſin niedergelaſſen hatten. Die Chineſen verfolgten die Fremdlinge, welche ihnen unter dem Namen „Satſchi“ oder Sandhühner wohl bekannt waren, auf das Eifrigſte und erzählten Swinhoe, daß ſie häufig in Netzen gefangen und mit dem Luntengewehre erlegt würden. Nach einem reichlichen Schneefall war der Fang ſo ergiebig, daß der Markt von Tientſin buchſtäblich überfüllt war. Man reinigte gewiſſe Stellen vom Schnee, legte hier die Netze und konnte des reichlichſten Fanges ſicher ſein. Dennoch waren die Vögel ſcheu, namentlich ſo lange ſie ſich auf dem Boden hielten, während ſie im Fliegen nah an dem Schützen vorüberſtreiften. Die
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Steppenhuhn.
ihnen auf keine Weiſe nähern konnte. Nach vielen vergeblichen Verſuchen, ſie zu ſchießen, gab ich
die Jagd bis zum Abend auf. Mit Sonnenuntergang hatten ſich alle Vögel in zwei große
Schwärme, deren jeder wohl tauſend Stücke zählen mochte, vereinigt und lärmten auf das Eifrigſte.
Jch hoffte ſie nun beſchleichen zu können, hatte mich aber geirrt; denn weder zu Pferde, noch
kriechend konnte ich mich ihnen nähern. Nach mehrmaligem Auftreiben verließen ſie endlich die
Ufer des Tarai-nor und flogen öſtlich zu den Höhen der Steppe, wo ſie ſich an zwei Orten nieder-
ließen. Dieſe Plätze waren im Winter die Lagerſtätten zweier Herden geweſen; eine dicke Schicht
ſchwarzen, ſchon feſt getretenen Miſtes hatte ſich auf ihnen erhalten, und durch dieſe Decke war
keines der ſchwachen Pflanzenkeime gedrungen. Hier blieben ſie ungeſtört, da die einbrechende
Dunkelheit mich an der weiteren Jagd verhinderte. Aber immer noch lärmten ſie fort. Am
nächſten Tage waren ſie ſpurlos verſchwunden. Niemals, ſo oft ich im Laufe des Sommers zum
Tarai ging, fand ich wieder einen von ihnen. Auch die herumziehenden Hirten ſahen ſie nicht, ver-
tröſteten mich aber auf die Herbſtzeit, in welcher ſie, wie ſie ſagten, noch häufiger hierherkämen.
Leider erfüllten ſich ihre Angaben nicht. Es befremdete mich, daß ein Vogel nach vollendeter zweiter
Brut plötzlich zur Sommerszeit vollſtändig fortzog, obgleich ich auch in dieſem Falle ein Beiſpiel
für die unſtäte, wandernde Lebensweiſe wahrer Steppenbewohner gefunden zu haben glaube. Erſt
als ich im Oktober in den ſüdlichſten Gegenden der Steppe auf die Antilopenjagd zog, als ſchon
lange der Herbſtzug des Geflügels beendigt war, ſah ich jenſeits des Argunj die Steppenhühner
wieder. Kettenzüge von ihnen flogen ſchnell und hoch jetzt nach Norden, auf ruſſiſches Gebiet, wo
ich ſie aber im Bereich der Steppe nicht wieder fand.“
„Das Neſt iſt ſehr kunſtlos und den Flughuhnneſtern wohl ganz ähnlich. Es brüten mehrere
Paare gemeinſchaftlich, doch nie viele. Jn den ſalzdurchdrungenen Gründen am Tarai-nor,
meiſtens auf deſſen jetzt ſeit Jahren trocken gelegten Boden ſelbſt, wird es durch eine flach aus-
geworfene Vertiefung von etwa fünf Zoll Durchmeſſer gebildet, deren Rand mit einigen Salſola-
ſproſſen und Gräſern umlegt wird, welche letzteren jedoch auch bisweilen fehlen. Die Anzahl der
Eier beträgt vier. Jn ihrer Geſtalt ähneln ſie den Flughuhneiern; ſie zeichnen ſich aus durch ihre
rein elliptiſche Form, ſind jedoch zuweilen an dem einen Ende etwas ſpitzer als am andern. Die
Grundfarbe wechſelt von hell grünlichgrau bis ſchmuzig bräunlichgrau, letztere iſt die gewöhn-
lichere. Auf dieſem Grunde findet ſich die meiſtens feinfleckige, erdbraune Zeichnung in zwei ver-
ſchiedenen Tönen.“
So weit Radde.
Unſere Kenntniß der Lebenskunde des Steppenhuhns wurde ſchon ein Jahr nach dem Erſcheinen
des Radde’ſchen Hauptwerkes in Folge eigenthümlicher Umſtände höchſt weſentlich bereichert.
Bereits im Jahre 1860 war es durch Schlegel und Moore wiſſenſchaftlich feſtgeſtellt worden,
daß einzelne Steppenhühner in Mitteleuropa ſich gezeigt hatten. Es waren ſolche auf den Dünen
Hollands und in Britanien erlegt worden; ja, man hatte, falls Collet recht unterrichtet iſt, Mitte
Auguſts 1861 einen aus vierzehn bis funfzehn Stücken beſtehenden Flug von ihnen bei Mandal in
Norwegen beobachtet und ebenfalls mehrere geſchoſſen. Man hatte dieſe Vereinzelten als Jrrgäſte
betrachtet und ihrem Erſcheinen keine größere Bedeutſamkeit beigelegt. Etwas Aehnliches fand,
wie Swinhoe berichtet, im Herbſt deſſelben Jahres in Nordchina ſtatt. Hier aber handelte es
ſich nicht um einzelne Verſprengte, ſondern um ein ganzes Heer unſerer Vögel, welche ſich auf der
Ebene zwiſchen Peking und Tientſin niedergelaſſen hatten. Die Chineſen verfolgten die Fremdlinge,
welche ihnen unter dem Namen „Satſchi“ oder Sandhühner wohl bekannt waren, auf das
Eifrigſte und erzählten Swinhoe, daß ſie häufig in Netzen gefangen und mit dem Luntengewehre
erlegt würden. Nach einem reichlichen Schneefall war der Fang ſo ergiebig, daß der Markt von
Tientſin buchſtäblich überfüllt war. Man reinigte gewiſſe Stellen vom Schnee, legte hier die Netze
und konnte des reichlichſten Fanges ſicher ſein. Dennoch waren die Vögel ſcheu, namentlich ſo lange
ſie ſich auf dem Boden hielten, während ſie im Fliegen nah an dem Schützen vorüberſtreiften. Die
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/351>, abgerufen am 16.07.2024.
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