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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Scharrvögel. Kammhühner.
nicht mittheilen; man hat mir jedoch von verschiedener Seite versichert, daß jung Aufgezogene wieder-
holt Eier gelegt haben." Jn Europa ist dieses Huhn meines Wissens bis jetzt noch nicht zur Fort-
pflanzung gebracht worden, obgleich man sich große Mühe gegeben hat, eine solche zu erzielen.

Es wird uns ewig räthselhaft bleiben, wie es der Mensch anfing, die freiheitliebenden Wildhühner
zu vollendeten Sklaven zu machen. Keine Geschichte, keine Sage gibt uns über die Zeit der ersten
Zähmung Kunde. Schon die ältesten Schriften erwähnen das Haushuhn als einen Niemand mehr
auffallenden Vogel. Von Jndien aus wurde es über alle Theile der östlichen Erde verbreitet. Die
ersten Seefahrer, welche die Jnseln des stillen Meeres besuchten, fanden es hier bereits vor; in
geschichtlicher Zeit wurde es nur in Amerika eingeführt. Besonders beachtungswerth scheint mir zu
sein, daß es nirgends verwilderte. Man hat Versuche gemacht, es in geeigneten Gegenden einzu-
bürgern, d. h. Waldungen mit ihm zu bevölkern, um in ihm ein Wild zu gewinnen: die Versuche sind
jedoch regelmäßig fehlgeschlagen. Jn den Steppendörfern Jnnerafrikas und selbst um die mitten
im Walde gelegenen Hütten lebt das Haushuhn massenhaft, fast ohne Pflege der Menschen. Es muß
sich sein Futter selbst suchen; es brütet unter einem ihm passend scheinenden Busche oft in einiger
Entfernung von der Hütte seines Besitzers; es schläft nachts im Walde auf Bäumen: aber nirgends
habe ich es verwildert gesehen; es kehrt immer und immer wieder zum Hause des Menschen zurück.
Die verschiedensten Umstände erträgt es mit einer bewunderungswürdigen Fügsamkeit. Unter einem
ihm eigentlich fremden Klima behält es sein Wesen bei, und nur in sehr hohen Gebirgen oder im
äußersten Norden soll es an Fruchtbarkeit verlieren; da aber, wo der Mensch sich seßhaft gemacht hat,
kommt es wenigstens fort: es ist eben zum vollständigen Hausthiere geworden.

Die kaum zu bestreitende Thatsache, daß die verschiedenen Arten der Wildhühner unter einander
sich vermischen, und die Leichtigkeit, mit welcher sich das Haushuhn verwandten Vögeln, z. B. Fasanen,
anpaart, deuten darauf hin, daß nicht alle sogenannten Rassen von einer einzigen Stammart herzu-
leiten, sondern als Abkömmlinge verschiedener Urarten zu betrachten sind. Jm Laufe der Zeit haben
die so entstandenen Rassen eine gewisse Selbständigkeit erhalten, und so ist die Manchfaltigkeit der
Formen entstanden, welche wir jetzt auf unsern Hühnerhöfen bewundern. Diese Annahme ist zum
mindesten wahrscheinlich, und mit ihr müssen wir uns wohl auch begnügen, wenn wir jene Manchfaltig-
keit erklären wollen, da uns die auf Beobachtung gestützte Sicherheit gänzlich fehlt. Jch möchte mich
gern den vielen Liebhabern unserer vortrefflichen Vögel verpflichten und ihnen wenigstens die aus-
gezeichnetsten Rassen der Haushühner beschreiben; damit aber würde ich die mir gesteckten Grenzen
weit überschreiten. Dagegen will ich wenigstens einigen meiner Leser eine kurze Schilderung des
Wesens der Haushühner nicht vorenthalten, und wenn ich mich dazu der Worte Anderer bediene, so
geschieht es einfach deshalb, weil ich jene Worte für ein unantastbares Eigenthum halte, welches ich
nicht umgestalten darf.

"Ein recht schöner, stolzer und kühner Hahn", sagt Lenz, "ist unter allen Vögeln der interessan-
teste. Hoch trägt er sein gekröntes Haupt, nach allen Seiten spähen seine feurigen Augen, unver-
muthet überrascht ihn keine Gefahr, und jeder möchte er Trotz bieten. Wehe jedem Nebenbuhler, der
es wagt, sich unter seine Hennen zu mischen, und wehe jedem Menschen, der es wagt, in seiner Gegen-
wart ihm eine seiner Geliebten zu rauben! Alle seine Gedanken weiß er durch verschiedene Töne und
verschiedene Stellungen des Körpers auszudrücken. Bald hört man ihn mit lauter Stimme seine
Lieben rufen, wenn er ein Körnchen gefunden hat; denn er theilt mit ihnen jeden Fund; bald sieht
man ihn in einem Eckchen kauern, wo er eifrig bemüht ist, ein Nestchen für die Henne zu bilden, die
er vor allen liebt. Jetzt zieht er an der Spitze seiner Schar, deren Beschützer und Führer er ist,
hinaus ins Freie; aber kaum hat er hundert Schritte gethan, so hört er vom Stalle her den freudigen
Ruf einer Henne, welche verkündet, daß sie ein Ei gelegt hat; spornstreichs kehrt er zurück, begrüßt sie
mit zärtlichen Blicken, stimmt in ihren Freudenruf ein, und eilt dann in vollem Laufe dem ausgezogenen
Heere nach, um sich wieder an dessen Spitze zu stellen. Die geringste Veränderung der Luft fühlt er

Die Läufer. Scharrvögel. Kammhühner.
nicht mittheilen; man hat mir jedoch von verſchiedener Seite verſichert, daß jung Aufgezogene wieder-
holt Eier gelegt haben.“ Jn Europa iſt dieſes Huhn meines Wiſſens bis jetzt noch nicht zur Fort-
pflanzung gebracht worden, obgleich man ſich große Mühe gegeben hat, eine ſolche zu erzielen.

Es wird uns ewig räthſelhaft bleiben, wie es der Menſch anfing, die freiheitliebenden Wildhühner
zu vollendeten Sklaven zu machen. Keine Geſchichte, keine Sage gibt uns über die Zeit der erſten
Zähmung Kunde. Schon die älteſten Schriften erwähnen das Haushuhn als einen Niemand mehr
auffallenden Vogel. Von Jndien aus wurde es über alle Theile der öſtlichen Erde verbreitet. Die
erſten Seefahrer, welche die Jnſeln des ſtillen Meeres beſuchten, fanden es hier bereits vor; in
geſchichtlicher Zeit wurde es nur in Amerika eingeführt. Beſonders beachtungswerth ſcheint mir zu
ſein, daß es nirgends verwilderte. Man hat Verſuche gemacht, es in geeigneten Gegenden einzu-
bürgern, d. h. Waldungen mit ihm zu bevölkern, um in ihm ein Wild zu gewinnen: die Verſuche ſind
jedoch regelmäßig fehlgeſchlagen. Jn den Steppendörfern Jnnerafrikas und ſelbſt um die mitten
im Walde gelegenen Hütten lebt das Haushuhn maſſenhaft, faſt ohne Pflege der Menſchen. Es muß
ſich ſein Futter ſelbſt ſuchen; es brütet unter einem ihm paſſend ſcheinenden Buſche oft in einiger
Entfernung von der Hütte ſeines Beſitzers; es ſchläft nachts im Walde auf Bäumen: aber nirgends
habe ich es verwildert geſehen; es kehrt immer und immer wieder zum Hauſe des Menſchen zurück.
Die verſchiedenſten Umſtände erträgt es mit einer bewunderungswürdigen Fügſamkeit. Unter einem
ihm eigentlich fremden Klima behält es ſein Weſen bei, und nur in ſehr hohen Gebirgen oder im
äußerſten Norden ſoll es an Fruchtbarkeit verlieren; da aber, wo der Menſch ſich ſeßhaft gemacht hat,
kommt es wenigſtens fort: es iſt eben zum vollſtändigen Hausthiere geworden.

Die kaum zu beſtreitende Thatſache, daß die verſchiedenen Arten der Wildhühner unter einander
ſich vermiſchen, und die Leichtigkeit, mit welcher ſich das Haushuhn verwandten Vögeln, z. B. Faſanen,
anpaart, deuten darauf hin, daß nicht alle ſogenannten Raſſen von einer einzigen Stammart herzu-
leiten, ſondern als Abkömmlinge verſchiedener Urarten zu betrachten ſind. Jm Laufe der Zeit haben
die ſo entſtandenen Raſſen eine gewiſſe Selbſtändigkeit erhalten, und ſo iſt die Manchfaltigkeit der
Formen entſtanden, welche wir jetzt auf unſern Hühnerhöfen bewundern. Dieſe Annahme iſt zum
mindeſten wahrſcheinlich, und mit ihr müſſen wir uns wohl auch begnügen, wenn wir jene Manchfaltig-
keit erklären wollen, da uns die auf Beobachtung geſtützte Sicherheit gänzlich fehlt. Jch möchte mich
gern den vielen Liebhabern unſerer vortrefflichen Vögel verpflichten und ihnen wenigſtens die aus-
gezeichnetſten Raſſen der Haushühner beſchreiben; damit aber würde ich die mir geſteckten Grenzen
weit überſchreiten. Dagegen will ich wenigſtens einigen meiner Leſer eine kurze Schilderung des
Weſens der Haushühner nicht vorenthalten, und wenn ich mich dazu der Worte Anderer bediene, ſo
geſchieht es einfach deshalb, weil ich jene Worte für ein unantaſtbares Eigenthum halte, welches ich
nicht umgeſtalten darf.

„Ein recht ſchöner, ſtolzer und kühner Hahn“, ſagt Lenz, „iſt unter allen Vögeln der intereſſan-
teſte. Hoch trägt er ſein gekröntes Haupt, nach allen Seiten ſpähen ſeine feurigen Augen, unver-
muthet überraſcht ihn keine Gefahr, und jeder möchte er Trotz bieten. Wehe jedem Nebenbuhler, der
es wagt, ſich unter ſeine Hennen zu miſchen, und wehe jedem Menſchen, der es wagt, in ſeiner Gegen-
wart ihm eine ſeiner Geliebten zu rauben! Alle ſeine Gedanken weiß er durch verſchiedene Töne und
verſchiedene Stellungen des Körpers auszudrücken. Bald hört man ihn mit lauter Stimme ſeine
Lieben rufen, wenn er ein Körnchen gefunden hat; denn er theilt mit ihnen jeden Fund; bald ſieht
man ihn in einem Eckchen kauern, wo er eifrig bemüht iſt, ein Neſtchen für die Henne zu bilden, die
er vor allen liebt. Jetzt zieht er an der Spitze ſeiner Schar, deren Beſchützer und Führer er iſt,
hinaus ins Freie; aber kaum hat er hundert Schritte gethan, ſo hört er vom Stalle her den freudigen
Ruf einer Henne, welche verkündet, daß ſie ein Ei gelegt hat; ſpornſtreichs kehrt er zurück, begrüßt ſie
mit zärtlichen Blicken, ſtimmt in ihren Freudenruf ein, und eilt dann in vollem Laufe dem ausgezogenen
Heere nach, um ſich wieder an deſſen Spitze zu ſtellen. Die geringſte Veränderung der Luft fühlt er

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[446/0474] Die Läufer. Scharrvögel. Kammhühner. nicht mittheilen; man hat mir jedoch von verſchiedener Seite verſichert, daß jung Aufgezogene wieder- holt Eier gelegt haben.“ Jn Europa iſt dieſes Huhn meines Wiſſens bis jetzt noch nicht zur Fort- pflanzung gebracht worden, obgleich man ſich große Mühe gegeben hat, eine ſolche zu erzielen. Es wird uns ewig räthſelhaft bleiben, wie es der Menſch anfing, die freiheitliebenden Wildhühner zu vollendeten Sklaven zu machen. Keine Geſchichte, keine Sage gibt uns über die Zeit der erſten Zähmung Kunde. Schon die älteſten Schriften erwähnen das Haushuhn als einen Niemand mehr auffallenden Vogel. Von Jndien aus wurde es über alle Theile der öſtlichen Erde verbreitet. Die erſten Seefahrer, welche die Jnſeln des ſtillen Meeres beſuchten, fanden es hier bereits vor; in geſchichtlicher Zeit wurde es nur in Amerika eingeführt. Beſonders beachtungswerth ſcheint mir zu ſein, daß es nirgends verwilderte. Man hat Verſuche gemacht, es in geeigneten Gegenden einzu- bürgern, d. h. Waldungen mit ihm zu bevölkern, um in ihm ein Wild zu gewinnen: die Verſuche ſind jedoch regelmäßig fehlgeſchlagen. Jn den Steppendörfern Jnnerafrikas und ſelbſt um die mitten im Walde gelegenen Hütten lebt das Haushuhn maſſenhaft, faſt ohne Pflege der Menſchen. Es muß ſich ſein Futter ſelbſt ſuchen; es brütet unter einem ihm paſſend ſcheinenden Buſche oft in einiger Entfernung von der Hütte ſeines Beſitzers; es ſchläft nachts im Walde auf Bäumen: aber nirgends habe ich es verwildert geſehen; es kehrt immer und immer wieder zum Hauſe des Menſchen zurück. Die verſchiedenſten Umſtände erträgt es mit einer bewunderungswürdigen Fügſamkeit. Unter einem ihm eigentlich fremden Klima behält es ſein Weſen bei, und nur in ſehr hohen Gebirgen oder im äußerſten Norden ſoll es an Fruchtbarkeit verlieren; da aber, wo der Menſch ſich ſeßhaft gemacht hat, kommt es wenigſtens fort: es iſt eben zum vollſtändigen Hausthiere geworden. Die kaum zu beſtreitende Thatſache, daß die verſchiedenen Arten der Wildhühner unter einander ſich vermiſchen, und die Leichtigkeit, mit welcher ſich das Haushuhn verwandten Vögeln, z. B. Faſanen, anpaart, deuten darauf hin, daß nicht alle ſogenannten Raſſen von einer einzigen Stammart herzu- leiten, ſondern als Abkömmlinge verſchiedener Urarten zu betrachten ſind. Jm Laufe der Zeit haben die ſo entſtandenen Raſſen eine gewiſſe Selbſtändigkeit erhalten, und ſo iſt die Manchfaltigkeit der Formen entſtanden, welche wir jetzt auf unſern Hühnerhöfen bewundern. Dieſe Annahme iſt zum mindeſten wahrſcheinlich, und mit ihr müſſen wir uns wohl auch begnügen, wenn wir jene Manchfaltig- keit erklären wollen, da uns die auf Beobachtung geſtützte Sicherheit gänzlich fehlt. Jch möchte mich gern den vielen Liebhabern unſerer vortrefflichen Vögel verpflichten und ihnen wenigſtens die aus- gezeichnetſten Raſſen der Haushühner beſchreiben; damit aber würde ich die mir geſteckten Grenzen weit überſchreiten. Dagegen will ich wenigſtens einigen meiner Leſer eine kurze Schilderung des Weſens der Haushühner nicht vorenthalten, und wenn ich mich dazu der Worte Anderer bediene, ſo geſchieht es einfach deshalb, weil ich jene Worte für ein unantaſtbares Eigenthum halte, welches ich nicht umgeſtalten darf. „Ein recht ſchöner, ſtolzer und kühner Hahn“, ſagt Lenz, „iſt unter allen Vögeln der intereſſan- teſte. Hoch trägt er ſein gekröntes Haupt, nach allen Seiten ſpähen ſeine feurigen Augen, unver- muthet überraſcht ihn keine Gefahr, und jeder möchte er Trotz bieten. Wehe jedem Nebenbuhler, der es wagt, ſich unter ſeine Hennen zu miſchen, und wehe jedem Menſchen, der es wagt, in ſeiner Gegen- wart ihm eine ſeiner Geliebten zu rauben! Alle ſeine Gedanken weiß er durch verſchiedene Töne und verſchiedene Stellungen des Körpers auszudrücken. Bald hört man ihn mit lauter Stimme ſeine Lieben rufen, wenn er ein Körnchen gefunden hat; denn er theilt mit ihnen jeden Fund; bald ſieht man ihn in einem Eckchen kauern, wo er eifrig bemüht iſt, ein Neſtchen für die Henne zu bilden, die er vor allen liebt. Jetzt zieht er an der Spitze ſeiner Schar, deren Beſchützer und Führer er iſt, hinaus ins Freie; aber kaum hat er hundert Schritte gethan, ſo hört er vom Stalle her den freudigen Ruf einer Henne, welche verkündet, daß ſie ein Ei gelegt hat; ſpornſtreichs kehrt er zurück, begrüßt ſie mit zärtlichen Blicken, ſtimmt in ihren Freudenruf ein, und eilt dann in vollem Laufe dem ausgezogenen Heere nach, um ſich wieder an deſſen Spitze zu ſtellen. Die geringſte Veränderung der Luft fühlt er

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/474>, abgerufen am 22.11.2024.