Süden, welche er mit Ende Septembers beginnt und im März beendet. Jst der Winter gelinde, so verweilt einer und der andere auch in den dazwischen liegenden Monaten als Gast im mittleren Deutschland; das große Heer aber geht weiter südlich, von Lappland und Finnland aus bis in die Mittelmeerländer, von Nordasien aus bis Nordindien und China, und von dem hohen Norden Amerikas aus bis nach dem Süden der Vereinigten Staaten. Die Reise wird gewöhnlich in Gesell- schaft angetreten und hauptsächlich während der Nacht ausgeführt. Die ziehenden Regenpfeifer fliegen dabei sehr hoch, zuweilen regellos, meist aber in einem geordneten Keile nach Art unseres Kranichs. Bei Tage ruht solche Wanderschar auf einer geeigneten Oertlichkeit aus und nimmt Futter ein: das Sonderbare dabei aber ist, daß Dies gewöhnlich auf Feldern und nur ausnahmsweise in oder an Sümpfen geschieht.
Jn seinem Wesen unterscheidet sich der Goldregenpfeifer wenig von anderen seiner Art und seiner Familie. Er ist ein munterer, flüchtiger Vogel, welcher vortrefflich läuft, d. h. entweder zierlich einherschreitet oder überaus schnell dahinrennt und nur nach langem Laufe ein wenig still steht, welcher rasch und gewandt fliegt, beim Durchmessen größerer Entfernungen nach Art einer flüchtigen Taube dahineilt, in der Nähe des Nestes aber sich in allerlei schönen Schwenkungen und Flugkünsten gefällt, dessen wohlklingendes, helltönendes Pfeifen, den Silben "Tlüi" etwa vergleichbar, trotz seiner schwermüthig erscheinenden Betonung, angenehm ins Ohr fällt, welcher aber auch in der Zeit der Liebe zu einem gesangartigen Triller "Talüdltalüdltalüdltalüdl" sich begeistert, dessen Sinne und geistige Fähigkeiten wohl entwickelt sind, und welcher sich außerdem noch durch seine Geselligkeit, Friedfertigkeit, seine Liebe zur Gattin und zur Brut, die Aufopferung, welche er dieser gegenüber zu erkennen gibt, seine leichte Zähmbarkeit und andere gute Eigenschaften sehr empfiehlt. Würmer und Kerbthierlarven bilden die Hauptnahrung; im Sommer frißt er fast aus- schließlich Stechmücken in allen Lebenszuständen, gelegentlich des Zuges kleine Käfer, Schnecken, Regenwürmer und dergleichen, verschluckt auch, um die Verdauung zu befördern, viele kleine Quarz- körnchen. Das Wasser ist ihm unentbehrlich, ebensowohl des Trinkens als des Badens halber, und wahrscheinlich läßt er keinen Tag vorübergehen, ohne sein Gefieder zu waschen und dadurch zu reinigen.
Der Goldregenpfeifer nistet einzeln in unserm Vaterlande, so z. B. auf den Haiden Münster- lands, nach Naumann auch in der lüneburger Haide und in Westjütland; seine eigentlichen Brutplätze sind jedoch, wie bemerkt, in der Tundra zu suchen. Hier sieht man die artigen Liebesspiele des Männchens allüberall und hier findet man, ohne sich anzustrengen, leicht Nester mit Eiern oder Jungen in hinreichender Menge. Das Männchen schwenkt sich selbstgefällig in der Luft, schwebend und dabei singend, stürzt sich zum Weibchen herab, umgeht dieses nickend, ab und zu einen Flügel breitend, und das Weibchen erwidert die Werbung, sogut es vermag. Eine kleine napfförmige seichte Vertiefung, welche von letzterem ausgescharrt und höchstens mit einigen dürren Hälmchen belegt wird, dient zum Neste. Das Gelege besteht aus der üblichen Anzahl verhältnißmäßig sehr großer, kreiselförmiger Eier, welche sich durch ihre glatte, glanzlose, feinkörnige Schale, ihre trübe oder bleich- olivengelbe Grundfarbe und die reiche, in verschiedener Weise vertheilte, zuweilen kranzförmig um das Ei laufende, aus Dunkelschwarzbraun oder Braunroth gemischte Zeichnung kenntlich machen, aber vielfach abwechseln. Je nach der nördlichen oder südlichen Lage des Wohnplatzes ist das Gelege früher oder später vollständig. Die Jungen werden noch am ersten Tage ihres Lebens dem Neste entführt und bringen die ihrer Familie eigenthümliche Kunst des Versteckens sozusagen mit auf die Welt. Beide Eltern setzen, wenn sie Junge haben, jede Rücksicht aus den Augen und beweisen eine wahrhaft rührende Zärtlichkeit gegen die Jungen. Werden die ersten Eier geraubt, so entschließt sich das Paar zu einer zweiten Brut; in der Regel aber brütet es nur einmal im Jahre.
Jm Norden stellen die Edelfalken den Alten, die Eisfüchse, Vielfraße und andere Marder, Bussarde, Raben und Raubmöven den Jungen, letztere insbesondere auch den Eiern nach. Während der Winterreise verfolgt sie das gesammte Raubgezücht mehr oder weniger. Dem Jäger gegenüber
Die Läufer. Stelzvögel. Regenpfeifer.
Süden, welche er mit Ende Septembers beginnt und im März beendet. Jſt der Winter gelinde, ſo verweilt einer und der andere auch in den dazwiſchen liegenden Monaten als Gaſt im mittleren Deutſchland; das große Heer aber geht weiter ſüdlich, von Lappland und Finnland aus bis in die Mittelmeerländer, von Nordaſien aus bis Nordindien und China, und von dem hohen Norden Amerikas aus bis nach dem Süden der Vereinigten Staaten. Die Reiſe wird gewöhnlich in Geſell- ſchaft angetreten und hauptſächlich während der Nacht ausgeführt. Die ziehenden Regenpfeifer fliegen dabei ſehr hoch, zuweilen regellos, meiſt aber in einem geordneten Keile nach Art unſeres Kranichs. Bei Tage ruht ſolche Wanderſchar auf einer geeigneten Oertlichkeit aus und nimmt Futter ein: das Sonderbare dabei aber iſt, daß Dies gewöhnlich auf Feldern und nur ausnahmsweiſe in oder an Sümpfen geſchieht.
Jn ſeinem Weſen unterſcheidet ſich der Goldregenpfeifer wenig von anderen ſeiner Art und ſeiner Familie. Er iſt ein munterer, flüchtiger Vogel, welcher vortrefflich läuft, d. h. entweder zierlich einherſchreitet oder überaus ſchnell dahinrennt und nur nach langem Laufe ein wenig ſtill ſteht, welcher raſch und gewandt fliegt, beim Durchmeſſen größerer Entfernungen nach Art einer flüchtigen Taube dahineilt, in der Nähe des Neſtes aber ſich in allerlei ſchönen Schwenkungen und Flugkünſten gefällt, deſſen wohlklingendes, helltönendes Pfeifen, den Silben „Tlüi“ etwa vergleichbar, trotz ſeiner ſchwermüthig erſcheinenden Betonung, angenehm ins Ohr fällt, welcher aber auch in der Zeit der Liebe zu einem geſangartigen Triller „Talüdltalüdltalüdltalüdl“ ſich begeiſtert, deſſen Sinne und geiſtige Fähigkeiten wohl entwickelt ſind, und welcher ſich außerdem noch durch ſeine Geſelligkeit, Friedfertigkeit, ſeine Liebe zur Gattin und zur Brut, die Aufopferung, welche er dieſer gegenüber zu erkennen gibt, ſeine leichte Zähmbarkeit und andere gute Eigenſchaften ſehr empfiehlt. Würmer und Kerbthierlarven bilden die Hauptnahrung; im Sommer frißt er faſt aus- ſchließlich Stechmücken in allen Lebenszuſtänden, gelegentlich des Zuges kleine Käfer, Schnecken, Regenwürmer und dergleichen, verſchluckt auch, um die Verdauung zu befördern, viele kleine Quarz- körnchen. Das Waſſer iſt ihm unentbehrlich, ebenſowohl des Trinkens als des Badens halber, und wahrſcheinlich läßt er keinen Tag vorübergehen, ohne ſein Gefieder zu waſchen und dadurch zu reinigen.
Der Goldregenpfeifer niſtet einzeln in unſerm Vaterlande, ſo z. B. auf den Haiden Münſter- lands, nach Naumann auch in der lüneburger Haide und in Weſtjütland; ſeine eigentlichen Brutplätze ſind jedoch, wie bemerkt, in der Tundra zu ſuchen. Hier ſieht man die artigen Liebesſpiele des Männchens allüberall und hier findet man, ohne ſich anzuſtrengen, leicht Neſter mit Eiern oder Jungen in hinreichender Menge. Das Männchen ſchwenkt ſich ſelbſtgefällig in der Luft, ſchwebend und dabei ſingend, ſtürzt ſich zum Weibchen herab, umgeht dieſes nickend, ab und zu einen Flügel breitend, und das Weibchen erwidert die Werbung, ſogut es vermag. Eine kleine napfförmige ſeichte Vertiefung, welche von letzterem ausgeſcharrt und höchſtens mit einigen dürren Hälmchen belegt wird, dient zum Neſte. Das Gelege beſteht aus der üblichen Anzahl verhältnißmäßig ſehr großer, kreiſelförmiger Eier, welche ſich durch ihre glatte, glanzloſe, feinkörnige Schale, ihre trübe oder bleich- olivengelbe Grundfarbe und die reiche, in verſchiedener Weiſe vertheilte, zuweilen kranzförmig um das Ei laufende, aus Dunkelſchwarzbraun oder Braunroth gemiſchte Zeichnung kenntlich machen, aber vielfach abwechſeln. Je nach der nördlichen oder ſüdlichen Lage des Wohnplatzes iſt das Gelege früher oder ſpäter vollſtändig. Die Jungen werden noch am erſten Tage ihres Lebens dem Neſte entführt und bringen die ihrer Familie eigenthümliche Kunſt des Verſteckens ſozuſagen mit auf die Welt. Beide Eltern ſetzen, wenn ſie Junge haben, jede Rückſicht aus den Augen und beweiſen eine wahrhaft rührende Zärtlichkeit gegen die Jungen. Werden die erſten Eier geraubt, ſo entſchließt ſich das Paar zu einer zweiten Brut; in der Regel aber brütet es nur einmal im Jahre.
Jm Norden ſtellen die Edelfalken den Alten, die Eisfüchſe, Vielfraße und andere Marder, Buſſarde, Raben und Raubmöven den Jungen, letztere insbeſondere auch den Eiern nach. Während der Winterreiſe verfolgt ſie das geſammte Raubgezücht mehr oder weniger. Dem Jäger gegenüber
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Die Läufer. Stelzvögel. Regenpfeifer.
Süden, welche er mit Ende Septembers beginnt und im März beendet. Jſt der Winter gelinde, ſo
verweilt einer und der andere auch in den dazwiſchen liegenden Monaten als Gaſt im mittleren
Deutſchland; das große Heer aber geht weiter ſüdlich, von Lappland und Finnland aus bis in die
Mittelmeerländer, von Nordaſien aus bis Nordindien und China, und von dem hohen Norden
Amerikas aus bis nach dem Süden der Vereinigten Staaten. Die Reiſe wird gewöhnlich in Geſell-
ſchaft angetreten und hauptſächlich während der Nacht ausgeführt. Die ziehenden Regenpfeifer
fliegen dabei ſehr hoch, zuweilen regellos, meiſt aber in einem geordneten Keile nach Art unſeres
Kranichs. Bei Tage ruht ſolche Wanderſchar auf einer geeigneten Oertlichkeit aus und nimmt Futter
ein: das Sonderbare dabei aber iſt, daß Dies gewöhnlich auf Feldern und nur ausnahmsweiſe in
oder an Sümpfen geſchieht.
Jn ſeinem Weſen unterſcheidet ſich der Goldregenpfeifer wenig von anderen ſeiner Art und
ſeiner Familie. Er iſt ein munterer, flüchtiger Vogel, welcher vortrefflich läuft, d. h. entweder
zierlich einherſchreitet oder überaus ſchnell dahinrennt und nur nach langem Laufe ein wenig ſtill
ſteht, welcher raſch und gewandt fliegt, beim Durchmeſſen größerer Entfernungen nach Art einer
flüchtigen Taube dahineilt, in der Nähe des Neſtes aber ſich in allerlei ſchönen Schwenkungen
und Flugkünſten gefällt, deſſen wohlklingendes, helltönendes Pfeifen, den Silben „Tlüi“ etwa
vergleichbar, trotz ſeiner ſchwermüthig erſcheinenden Betonung, angenehm ins Ohr fällt, welcher aber
auch in der Zeit der Liebe zu einem geſangartigen Triller „Talüdltalüdltalüdltalüdl“ ſich begeiſtert,
deſſen Sinne und geiſtige Fähigkeiten wohl entwickelt ſind, und welcher ſich außerdem noch
durch ſeine Geſelligkeit, Friedfertigkeit, ſeine Liebe zur Gattin und zur Brut, die Aufopferung, welche
er dieſer gegenüber zu erkennen gibt, ſeine leichte Zähmbarkeit und andere gute Eigenſchaften ſehr
empfiehlt. Würmer und Kerbthierlarven bilden die Hauptnahrung; im Sommer frißt er faſt aus-
ſchließlich Stechmücken in allen Lebenszuſtänden, gelegentlich des Zuges kleine Käfer, Schnecken,
Regenwürmer und dergleichen, verſchluckt auch, um die Verdauung zu befördern, viele kleine Quarz-
körnchen. Das Waſſer iſt ihm unentbehrlich, ebenſowohl des Trinkens als des Badens halber, und
wahrſcheinlich läßt er keinen Tag vorübergehen, ohne ſein Gefieder zu waſchen und dadurch zu
reinigen.
Der Goldregenpfeifer niſtet einzeln in unſerm Vaterlande, ſo z. B. auf den Haiden Münſter-
lands, nach Naumann auch in der lüneburger Haide und in Weſtjütland; ſeine eigentlichen
Brutplätze ſind jedoch, wie bemerkt, in der Tundra zu ſuchen. Hier ſieht man die artigen Liebesſpiele
des Männchens allüberall und hier findet man, ohne ſich anzuſtrengen, leicht Neſter mit Eiern oder
Jungen in hinreichender Menge. Das Männchen ſchwenkt ſich ſelbſtgefällig in der Luft, ſchwebend
und dabei ſingend, ſtürzt ſich zum Weibchen herab, umgeht dieſes nickend, ab und zu einen Flügel
breitend, und das Weibchen erwidert die Werbung, ſogut es vermag. Eine kleine napfförmige ſeichte
Vertiefung, welche von letzterem ausgeſcharrt und höchſtens mit einigen dürren Hälmchen belegt
wird, dient zum Neſte. Das Gelege beſteht aus der üblichen Anzahl verhältnißmäßig ſehr großer,
kreiſelförmiger Eier, welche ſich durch ihre glatte, glanzloſe, feinkörnige Schale, ihre trübe oder bleich-
olivengelbe Grundfarbe und die reiche, in verſchiedener Weiſe vertheilte, zuweilen kranzförmig um
das Ei laufende, aus Dunkelſchwarzbraun oder Braunroth gemiſchte Zeichnung kenntlich machen, aber
vielfach abwechſeln. Je nach der nördlichen oder ſüdlichen Lage des Wohnplatzes iſt das Gelege
früher oder ſpäter vollſtändig. Die Jungen werden noch am erſten Tage ihres Lebens dem Neſte
entführt und bringen die ihrer Familie eigenthümliche Kunſt des Verſteckens ſozuſagen mit auf die
Welt. Beide Eltern ſetzen, wenn ſie Junge haben, jede Rückſicht aus den Augen und beweiſen eine
wahrhaft rührende Zärtlichkeit gegen die Jungen. Werden die erſten Eier geraubt, ſo entſchließt ſich
das Paar zu einer zweiten Brut; in der Regel aber brütet es nur einmal im Jahre.
Jm Norden ſtellen die Edelfalken den Alten, die Eisfüchſe, Vielfraße und andere Marder,
Buſſarde, Raben und Raubmöven den Jungen, letztere insbeſondere auch den Eiern nach. Während
der Winterreiſe verfolgt ſie das geſammte Raubgezücht mehr oder weniger. Dem Jäger gegenüber
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/626>, abgerufen am 22.11.2024.
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