Jungen nach dem Ausfliegen sich in Gesellschaften vereinigen, welche sich nicht unter die der Alten mischen, sodaß man also stets die scharlachrothen und die grauen Vögel gesondert antrifft.
Auch die Scharlachibisse lassen sich sehr leicht zähmen und werden deshalb oft im Käfige oder von den Jndiern unter dem übrigen Geflügel, mit welchem sie ihre Hütten zieren, gehalten. Trotzdem gehören sie in den Thiergärten Europas noch immer zu den Seltenheiten. Sie leben nach Art ihrer Verwandten sehr gut unter allerlei Geflügel und halten auch die Gefangenschaft jahrelang aus. "Auffallend ist", schreibt mir Bodinus, "daß das Kleid des Vogels bei uns niemals das prachtvolle Scharlachroth erhält wie in Amerika. Nahrung und Mangel an der glühenden Sonne der Wende- kreise erklären Das. Bemerkenswerth aber schien mir Folgendes zu sein. Ein Vogel, welchen ich im Uebergangskleide erhielt, brachte einige Federn mit, welche schon in Amerika gewachsen waren. Sie sahen dunkelroth aus, während die in Europa nachkommenden die hellrothe Färbung erhielten. Der Jbis war also grau, hellroth und dunkelroth gescheckt, vollständig dreifarbig." Jn der Regel kommen die Scharlachibisse als Junge nach Europa und erhalten zwei Jahre später ihr ausgefärbtes Kleid, niemals aber eins von solcher Pracht wie es die in Amerika Getödteten noch im Balge zeigen. Jm Thiergarten zu London hat sich ein Weibchen mit einem weißen Jbis gepaart und ein Ei gelegt.
Jn dem Nilstrome erkannte das sinnige Volk der Pharaonen den Bringer und Erhalter alles Lebens, und deshalb erhob es ihn zur Gottheit. Dieser Ansicht entsprechend, mußte auch der mit den schwellenden Fluthen in Egyptenland erscheinende Jbis, der sichere Künder und Bürge, daß der alte Gott wiederum seines Segens Füllhorn über das durstige Land ergießen werde, zu hoher Achtung und Ehre gelangen, mußte gleichsam selbst als Gott erscheinen. Also heiligte man den Vogel und sorgte dafür, daß sein vergänglicher Leib durch der Priester hohe Kunst der Verwesung enthoben und für Jahr- tausende aufbewahrt werde. Wie des Menschen Leichnam wurde der des Vogels einbalsamirt, und gleichwie man über dem Sargsteine, welcher des Königs Mumie umschloß, einen Berg aufthürmte, so errichtete man auch für den Vogel ein Grabmal, eine der Pyramiden, welche wir die von Sakahra nennen. Hier findet man die von Urnen umschlossenen oder auch in Kammern schichtenweise auf- gestapelten Mumien zu Tausenden, und es nimmt uns bei der bekannten Thatsache, daß fast nie eine Vogelleiche gefunden wird, Wunder, wie es selbst im Laufe von Jahrtausenden möglich wurde, so viele Jbisleichen zu sammeln. Daß die alten Schriftsteller viel von solchen Thieren zu erzählen wußten, ist leicht erklärlich; der Ruhm des Jbis wurde nicht blos von Egyptern, sondern auch von Fremden, welche das Wunderland besuchten, verkündet.
Mein Bruder hat die Nachrichten der Alten übersichtlich zusammengestellt wie folgt: Herodot erzählt, daß der Jbis den Drachen, den fliegenden Schlangen und anderem Ungeziefer Egyptens auf- lauere, und zwar am Ausgange der Thäler, sie tödte und deshalb bei den Bewohnern des Landes in großen Ehren gehalten werde. Diejenigen, welche mit den Schlangen kämpften, sähen schwarz aus (Sichler?), diejenigen aber, welche sich mehr um den Menschen aufhielten -- denn es gäbe zweierlei Jbisse -- seien am Halse und Kopfe ganz nackt, die Federn ihres Leibes zwar weiß, aber Kopf, Hals und die Enden der Flügel und des Schwanzes schwarz. -- Andere Schriftsteller vervollständigen diese Sage. Nach einigen soll Merkur, der Erfinder der Künste und Gesetze, die Gestalt des Jbis an- genommen haben. Ovid, der den alten Sagen treu bleibt, verbirgt im Streite der Götter mit den Riesen den Merkur unter den Flügeln eines Jbis. Cicero gründet seine Ansicht auf die Erzählung des Herodot, und auch Plinius in seiner Naturgeschichte bestätigt, daß die Egypter bei Ankunft der Schlangen andächtig den Jbis anriefen. Der Geschichtsschreiber Josephus berichtet uns sogar, daß Moses, als er gegen die Aethiopier zu Felde gezogen, Jbisse in Käfigen aus Papyrus mit sich genommen habe, um sie den Schlangen entgegenzustellen. Von den vielen Fabeln will ich hier nur
Die Läufer. Stelzvögel. Jbiſſe.
Jungen nach dem Ausfliegen ſich in Geſellſchaften vereinigen, welche ſich nicht unter die der Alten miſchen, ſodaß man alſo ſtets die ſcharlachrothen und die grauen Vögel geſondert antrifft.
Auch die Scharlachibiſſe laſſen ſich ſehr leicht zähmen und werden deshalb oft im Käfige oder von den Jndiern unter dem übrigen Geflügel, mit welchem ſie ihre Hütten zieren, gehalten. Trotzdem gehören ſie in den Thiergärten Europas noch immer zu den Seltenheiten. Sie leben nach Art ihrer Verwandten ſehr gut unter allerlei Geflügel und halten auch die Gefangenſchaft jahrelang aus. „Auffallend iſt“, ſchreibt mir Bodinus, „daß das Kleid des Vogels bei uns niemals das prachtvolle Scharlachroth erhält wie in Amerika. Nahrung und Mangel an der glühenden Sonne der Wende- kreiſe erklären Das. Bemerkenswerth aber ſchien mir Folgendes zu ſein. Ein Vogel, welchen ich im Uebergangskleide erhielt, brachte einige Federn mit, welche ſchon in Amerika gewachſen waren. Sie ſahen dunkelroth aus, während die in Europa nachkommenden die hellrothe Färbung erhielten. Der Jbis war alſo grau, hellroth und dunkelroth geſcheckt, vollſtändig dreifarbig.“ Jn der Regel kommen die Scharlachibiſſe als Junge nach Europa und erhalten zwei Jahre ſpäter ihr ausgefärbtes Kleid, niemals aber eins von ſolcher Pracht wie es die in Amerika Getödteten noch im Balge zeigen. Jm Thiergarten zu London hat ſich ein Weibchen mit einem weißen Jbis gepaart und ein Ei gelegt.
Jn dem Nilſtrome erkannte das ſinnige Volk der Pharaonen den Bringer und Erhalter alles Lebens, und deshalb erhob es ihn zur Gottheit. Dieſer Anſicht entſprechend, mußte auch der mit den ſchwellenden Fluthen in Egyptenland erſcheinende Jbis, der ſichere Künder und Bürge, daß der alte Gott wiederum ſeines Segens Füllhorn über das durſtige Land ergießen werde, zu hoher Achtung und Ehre gelangen, mußte gleichſam ſelbſt als Gott erſcheinen. Alſo heiligte man den Vogel und ſorgte dafür, daß ſein vergänglicher Leib durch der Prieſter hohe Kunſt der Verweſung enthoben und für Jahr- tauſende aufbewahrt werde. Wie des Menſchen Leichnam wurde der des Vogels einbalſamirt, und gleichwie man über dem Sargſteine, welcher des Königs Mumie umſchloß, einen Berg aufthürmte, ſo errichtete man auch für den Vogel ein Grabmal, eine der Pyramiden, welche wir die von Sakahra nennen. Hier findet man die von Urnen umſchloſſenen oder auch in Kammern ſchichtenweiſe auf- geſtapelten Mumien zu Tauſenden, und es nimmt uns bei der bekannten Thatſache, daß faſt nie eine Vogelleiche gefunden wird, Wunder, wie es ſelbſt im Laufe von Jahrtauſenden möglich wurde, ſo viele Jbisleichen zu ſammeln. Daß die alten Schriftſteller viel von ſolchen Thieren zu erzählen wußten, iſt leicht erklärlich; der Ruhm des Jbis wurde nicht blos von Egyptern, ſondern auch von Fremden, welche das Wunderland beſuchten, verkündet.
Mein Bruder hat die Nachrichten der Alten überſichtlich zuſammengeſtellt wie folgt: Herodot erzählt, daß der Jbis den Drachen, den fliegenden Schlangen und anderem Ungeziefer Egyptens auf- lauere, und zwar am Ausgange der Thäler, ſie tödte und deshalb bei den Bewohnern des Landes in großen Ehren gehalten werde. Diejenigen, welche mit den Schlangen kämpften, ſähen ſchwarz aus (Sichler?), diejenigen aber, welche ſich mehr um den Menſchen aufhielten — denn es gäbe zweierlei Jbiſſe — ſeien am Halſe und Kopfe ganz nackt, die Federn ihres Leibes zwar weiß, aber Kopf, Hals und die Enden der Flügel und des Schwanzes ſchwarz. — Andere Schriftſteller vervollſtändigen dieſe Sage. Nach einigen ſoll Merkur, der Erfinder der Künſte und Geſetze, die Geſtalt des Jbis an- genommen haben. Ovid, der den alten Sagen treu bleibt, verbirgt im Streite der Götter mit den Rieſen den Merkur unter den Flügeln eines Jbis. Cicero gründet ſeine Anſicht auf die Erzählung des Herodot, und auch Plinius in ſeiner Naturgeſchichte beſtätigt, daß die Egypter bei Ankunft der Schlangen andächtig den Jbis anriefen. Der Geſchichtsſchreiber Joſephus berichtet uns ſogar, daß Moſes, als er gegen die Aethiopier zu Felde gezogen, Jbiſſe in Käfigen aus Papyrus mit ſich genommen habe, um ſie den Schlangen entgegenzuſtellen. Von den vielen Fabeln will ich hier nur
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Jungen nach dem Ausfliegen ſich in Geſellſchaften vereinigen, welche ſich nicht unter die der Alten
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Auch die Scharlachibiſſe laſſen ſich ſehr leicht zähmen und werden deshalb oft im Käfige oder von
den Jndiern unter dem übrigen Geflügel, mit welchem ſie ihre Hütten zieren, gehalten. Trotzdem
gehören ſie in den Thiergärten Europas noch immer zu den Seltenheiten. Sie leben nach Art ihrer
Verwandten ſehr gut unter allerlei Geflügel und halten auch die Gefangenſchaft jahrelang aus.
„Auffallend iſt“, ſchreibt mir Bodinus, „daß das Kleid des Vogels bei uns niemals das prachtvolle
Scharlachroth erhält wie in Amerika. Nahrung und Mangel an der glühenden Sonne der Wende-
kreiſe erklären Das. Bemerkenswerth aber ſchien mir Folgendes zu ſein. Ein Vogel, welchen ich im
Uebergangskleide erhielt, brachte einige Federn mit, welche ſchon in Amerika gewachſen waren. Sie
ſahen dunkelroth aus, während die in Europa nachkommenden die hellrothe Färbung erhielten. Der
Jbis war alſo grau, hellroth und dunkelroth geſcheckt, vollſtändig dreifarbig.“ Jn der Regel kommen
die Scharlachibiſſe als Junge nach Europa und erhalten zwei Jahre ſpäter ihr ausgefärbtes Kleid,
niemals aber eins von ſolcher Pracht wie es die in Amerika Getödteten noch im Balge zeigen. Jm
Thiergarten zu London hat ſich ein Weibchen mit einem weißen Jbis gepaart und ein Ei gelegt.
Jn dem Nilſtrome erkannte das ſinnige Volk der Pharaonen den Bringer und Erhalter alles
Lebens, und deshalb erhob es ihn zur Gottheit. Dieſer Anſicht entſprechend, mußte auch der mit den
ſchwellenden Fluthen in Egyptenland erſcheinende Jbis, der ſichere Künder und Bürge, daß der alte
Gott wiederum ſeines Segens Füllhorn über das durſtige Land ergießen werde, zu hoher Achtung und
Ehre gelangen, mußte gleichſam ſelbſt als Gott erſcheinen. Alſo heiligte man den Vogel und ſorgte dafür,
daß ſein vergänglicher Leib durch der Prieſter hohe Kunſt der Verweſung enthoben und für Jahr-
tauſende aufbewahrt werde. Wie des Menſchen Leichnam wurde der des Vogels einbalſamirt, und
gleichwie man über dem Sargſteine, welcher des Königs Mumie umſchloß, einen Berg aufthürmte,
ſo errichtete man auch für den Vogel ein Grabmal, eine der Pyramiden, welche wir die von Sakahra
nennen. Hier findet man die von Urnen umſchloſſenen oder auch in Kammern ſchichtenweiſe auf-
geſtapelten Mumien zu Tauſenden, und es nimmt uns bei der bekannten Thatſache, daß faſt nie eine
Vogelleiche gefunden wird, Wunder, wie es ſelbſt im Laufe von Jahrtauſenden möglich wurde, ſo viele
Jbisleichen zu ſammeln. Daß die alten Schriftſteller viel von ſolchen Thieren zu erzählen wußten,
iſt leicht erklärlich; der Ruhm des Jbis wurde nicht blos von Egyptern, ſondern auch von Fremden,
welche das Wunderland beſuchten, verkündet.
Mein Bruder hat die Nachrichten der Alten überſichtlich zuſammengeſtellt wie folgt: Herodot
erzählt, daß der Jbis den Drachen, den fliegenden Schlangen und anderem Ungeziefer Egyptens auf-
lauere, und zwar am Ausgange der Thäler, ſie tödte und deshalb bei den Bewohnern des Landes in
großen Ehren gehalten werde. Diejenigen, welche mit den Schlangen kämpften, ſähen ſchwarz aus
(Sichler?), diejenigen aber, welche ſich mehr um den Menſchen aufhielten — denn es gäbe zweierlei
Jbiſſe — ſeien am Halſe und Kopfe ganz nackt, die Federn ihres Leibes zwar weiß, aber Kopf, Hals
und die Enden der Flügel und des Schwanzes ſchwarz. — Andere Schriftſteller vervollſtändigen dieſe
Sage. Nach einigen ſoll Merkur, der Erfinder der Künſte und Geſetze, die Geſtalt des Jbis an-
genommen haben. Ovid, der den alten Sagen treu bleibt, verbirgt im Streite der Götter mit den
Rieſen den Merkur unter den Flügeln eines Jbis. Cicero gründet ſeine Anſicht auf die Erzählung
des Herodot, und auch Plinius in ſeiner Naturgeſchichte beſtätigt, daß die Egypter bei Ankunft
der Schlangen andächtig den Jbis anriefen. Der Geſchichtsſchreiber Joſephus berichtet uns ſogar,
daß Moſes, als er gegen die Aethiopier zu Felde gezogen, Jbiſſe in Käfigen aus Papyrus mit ſich
genommen habe, um ſie den Schlangen entgegenzuſtellen. Von den vielen Fabeln will ich hier nur
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 658. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/698>, abgerufen am 22.11.2024.
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