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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Heiliger Jbis.
Dieners brachte ich den Getödteten mit Hilfe einiger Stäbchen in eine aufrechte Lage und machte ihn
dadurch zum Lockvogel für die übrigen. Jeder Zug, welcher später vorüberkam, hielt an, um den
scheinbar lebenden Gefährten zu betrachten, und wurde mit Schüssen begrüßt, deren Erfolg bei der
geringen Entfernung ausgezeichnet war. Sehr bald lernten wir bei dieser Jagd einsehen, daß wir
nicht nur uns, sondern mit Ausnahme des Lockvogels auch die getödteten Jbisse sorgfältig verstecken
mußten, um das Mißtrauen der übrigen zu verscheuchen.

Erst später wurde uns der Grund dieser Zusammenhäufungen klar. Der gegenüberliegende
Wald nämlich war theilweise überschwemmt und von den klugen Vögeln deshalb zum Nistplatze erwählt
worden. Zu den Nestern zu gelangen, war unmöglich. Jch bot einen Gulden für jedes Ei -- keiner
der Araber konnte das Geld verdienen. Der Boden des Waldes war grundlos, das Wasser aber so
seicht, daß ein Kahn ebenfalls nicht gebraucht werden konnte. Früher hatte ich eine andere Nist-
ansiedelung besucht, welche unter ähnlichen Umständen angelegt, aber doch zugänglich war. Sie befand
sich auf einer kleinen mit hohen Mimosen bestandenen Jnsel des weißen Nils, welche beim Steigen
des Stromes unter Wasser gesetzt, aber so hoch überschwemmt wurde, daß man vom Boote aus die
Bäume besteigen konnte. Hier beobachtete ich, daß der heilige Jbis eine Mimosenart, welche die
Araber "Harahsi", d. h. die Sich Schützende, nennen, der dichten, ungemein dornigen, ja fast undurch-
dringlichen Aeste halber, jeder anderen bevorzugt. Aus den Zweigen der Harahsi bestand auch das
flache Nest des Vogels; nur das Jnnere der Mulde war mit feinen Reisern und einzelnen Grashalmen
ausgelegt, das Ganze aber kunstlos zusammengeschichtet, kaum besser ausgeführt als das der Ringel-
taube. Ein Nest stand neben dem anderen; aber stets waren die dornigsten Aeste zur Aufnahme des-
selben erwählt worden. Das Gelege zählt drei bis vier weiße, ziemlich rauhkörnige Eier, welche
Hühner- oder Enteneiern an Größe ungefähr gleichkommen.

Auf der Weiterreise von jener Niststelle aus, bemerkten wir fast keinen heiligen Vogel mehr; es
schien also, als ob sich die Jbisse hier aus meilenweiter Ferne eingefunden hätten.

Jch halte es für glaublich, daß der Jbis wirklich kleine Schlangen verzehrt, bin jedoch der Mei-
nung, daß er sich mit größeren und gefährlichen nicht einläßt. Während der Regenzeit besteht seine
Nahrung, wenn nicht ausschließlich, so doch vorzugsweise aus Kerbthieren. Jn dem Magen der
Erlegten fanden wir entweder Heuschrecken oder Käfer verschiedener Art, insbesondere Dungkäfer; an
den Gefangenen beobachteten wir, daß sie vorgeworfene kleine Lurche nicht verschmähten, Kerfe aber
vorzogen. Hartmann gibt an, daß der Jbis auch kleine Süßwasserweichthiere frißt. So ungefüge
der Schnabel zu sein scheint, so geschickt weiß der Vogel ihn zu gebrauchen. Er nimmt mit
seiner Spitze die kleinsten Kerbthiere von der Erde auf und streift, indem er förmlich schnattert, von
den Gräsern die daran sitzenden Kerfe mit größter Gewandtheit ab. "Nichts sieht possierlicher aus",
sagt Hartmann, "als wenn ein Jbis Heuschrecken fängt. Der Stelzvogel fährt mit dem Sichel-
schnabel auf die ruhig dasitzenden Geradflügler ein; springen diese aber, die Gefahr noch rechtzeitig
merkend, davon, so hüpft auch Freund Jbis hinterher, stellt sich dabei jedoch des hochsparrigen Grases
wegen nicht selten ziemlich ungeschickt an; dennoch läßt er nicht ab, und hat er endlich eine oder die
andere der Fliehenden erwischt, so zermalmt er sie sofort zwischen dem Schnabel und schluckt sie
hinunter."

Junge Jbisse, welche wir auffütterten, wurden zunächst mit rohen Fleischstücken gestopft, fraßen
dieses Futter auch sehr gern. Sie bekundeten ihren Hunger durch ein sonderbares Geschrei, welches
man ebensowohl durch "Zick, zick, zick", als durch "Tirrr, tirrr, tirrr" wiedergeben kann, zitterten dabei
mit dem Kopfe und Halse und schlugen auch wohl heftig mit den Flügeln, gleichsam in der Absicht,
ihrem Geschrei größeren Nachdruck zu geben. Bereits nach wenig Tagen nahmen sie das ihnen vor-
gehaltene Futter aus der Hand, und im Verlaufe der ersten Woche fraßen sie bereits alles Genießbare.
Das Brot, welches wir ihnen reichten, trugen sie regelmäßig nach dem Wasser, aus welchem sie über-
haupt am liebsten Nahrung nahmen, und welches sie beständig nach Art der Enten durchschnatterten.
Ebenso durchsuchten sie auch die feinsten Ritzen und alle Löcher, faßten die dort verborgenen Thiere

Heiliger Jbis.
Dieners brachte ich den Getödteten mit Hilfe einiger Stäbchen in eine aufrechte Lage und machte ihn
dadurch zum Lockvogel für die übrigen. Jeder Zug, welcher ſpäter vorüberkam, hielt an, um den
ſcheinbar lebenden Gefährten zu betrachten, und wurde mit Schüſſen begrüßt, deren Erfolg bei der
geringen Entfernung ausgezeichnet war. Sehr bald lernten wir bei dieſer Jagd einſehen, daß wir
nicht nur uns, ſondern mit Ausnahme des Lockvogels auch die getödteten Jbiſſe ſorgfältig verſtecken
mußten, um das Mißtrauen der übrigen zu verſcheuchen.

Erſt ſpäter wurde uns der Grund dieſer Zuſammenhäufungen klar. Der gegenüberliegende
Wald nämlich war theilweiſe überſchwemmt und von den klugen Vögeln deshalb zum Niſtplatze erwählt
worden. Zu den Neſtern zu gelangen, war unmöglich. Jch bot einen Gulden für jedes Ei — keiner
der Araber konnte das Geld verdienen. Der Boden des Waldes war grundlos, das Waſſer aber ſo
ſeicht, daß ein Kahn ebenfalls nicht gebraucht werden konnte. Früher hatte ich eine andere Niſt-
anſiedelung beſucht, welche unter ähnlichen Umſtänden angelegt, aber doch zugänglich war. Sie befand
ſich auf einer kleinen mit hohen Mimoſen beſtandenen Jnſel des weißen Nils, welche beim Steigen
des Stromes unter Waſſer geſetzt, aber ſo hoch überſchwemmt wurde, daß man vom Boote aus die
Bäume beſteigen konnte. Hier beobachtete ich, daß der heilige Jbis eine Mimoſenart, welche die
Araber „Harahſi“, d. h. die Sich Schützende, nennen, der dichten, ungemein dornigen, ja faſt undurch-
dringlichen Aeſte halber, jeder anderen bevorzugt. Aus den Zweigen der Harahſi beſtand auch das
flache Neſt des Vogels; nur das Jnnere der Mulde war mit feinen Reiſern und einzelnen Grashalmen
ausgelegt, das Ganze aber kunſtlos zuſammengeſchichtet, kaum beſſer ausgeführt als das der Ringel-
taube. Ein Neſt ſtand neben dem anderen; aber ſtets waren die dornigſten Aeſte zur Aufnahme des-
ſelben erwählt worden. Das Gelege zählt drei bis vier weiße, ziemlich rauhkörnige Eier, welche
Hühner- oder Enteneiern an Größe ungefähr gleichkommen.

Auf der Weiterreiſe von jener Niſtſtelle aus, bemerkten wir faſt keinen heiligen Vogel mehr; es
ſchien alſo, als ob ſich die Jbiſſe hier aus meilenweiter Ferne eingefunden hätten.

Jch halte es für glaublich, daß der Jbis wirklich kleine Schlangen verzehrt, bin jedoch der Mei-
nung, daß er ſich mit größeren und gefährlichen nicht einläßt. Während der Regenzeit beſteht ſeine
Nahrung, wenn nicht ausſchließlich, ſo doch vorzugsweiſe aus Kerbthieren. Jn dem Magen der
Erlegten fanden wir entweder Heuſchrecken oder Käfer verſchiedener Art, insbeſondere Dungkäfer; an
den Gefangenen beobachteten wir, daß ſie vorgeworfene kleine Lurche nicht verſchmähten, Kerfe aber
vorzogen. Hartmann gibt an, daß der Jbis auch kleine Süßwaſſerweichthiere frißt. So ungefüge
der Schnabel zu ſein ſcheint, ſo geſchickt weiß der Vogel ihn zu gebrauchen. Er nimmt mit
ſeiner Spitze die kleinſten Kerbthiere von der Erde auf und ſtreift, indem er förmlich ſchnattert, von
den Gräſern die daran ſitzenden Kerfe mit größter Gewandtheit ab. „Nichts ſieht poſſierlicher aus“,
ſagt Hartmann, „als wenn ein Jbis Heuſchrecken fängt. Der Stelzvogel fährt mit dem Sichel-
ſchnabel auf die ruhig daſitzenden Geradflügler ein; ſpringen dieſe aber, die Gefahr noch rechtzeitig
merkend, davon, ſo hüpft auch Freund Jbis hinterher, ſtellt ſich dabei jedoch des hochſparrigen Graſes
wegen nicht ſelten ziemlich ungeſchickt an; dennoch läßt er nicht ab, und hat er endlich eine oder die
andere der Fliehenden erwiſcht, ſo zermalmt er ſie ſofort zwiſchen dem Schnabel und ſchluckt ſie
hinunter.“

Junge Jbiſſe, welche wir auffütterten, wurden zunächſt mit rohen Fleiſchſtücken geſtopft, fraßen
dieſes Futter auch ſehr gern. Sie bekundeten ihren Hunger durch ein ſonderbares Geſchrei, welches
man ebenſowohl durch „Zick, zick, zick“, als durch „Tirrr, tirrr, tirrr“ wiedergeben kann, zitterten dabei
mit dem Kopfe und Halſe und ſchlugen auch wohl heftig mit den Flügeln, gleichſam in der Abſicht,
ihrem Geſchrei größeren Nachdruck zu geben. Bereits nach wenig Tagen nahmen ſie das ihnen vor-
gehaltene Futter aus der Hand, und im Verlaufe der erſten Woche fraßen ſie bereits alles Genießbare.
Das Brot, welches wir ihnen reichten, trugen ſie regelmäßig nach dem Waſſer, aus welchem ſie über-
haupt am liebſten Nahrung nahmen, und welches ſie beſtändig nach Art der Enten durchſchnatterten.
Ebenſo durchſuchten ſie auch die feinſten Ritzen und alle Löcher, faßten die dort verborgenen Thiere

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[661/0701] Heiliger Jbis. Dieners brachte ich den Getödteten mit Hilfe einiger Stäbchen in eine aufrechte Lage und machte ihn dadurch zum Lockvogel für die übrigen. Jeder Zug, welcher ſpäter vorüberkam, hielt an, um den ſcheinbar lebenden Gefährten zu betrachten, und wurde mit Schüſſen begrüßt, deren Erfolg bei der geringen Entfernung ausgezeichnet war. Sehr bald lernten wir bei dieſer Jagd einſehen, daß wir nicht nur uns, ſondern mit Ausnahme des Lockvogels auch die getödteten Jbiſſe ſorgfältig verſtecken mußten, um das Mißtrauen der übrigen zu verſcheuchen. Erſt ſpäter wurde uns der Grund dieſer Zuſammenhäufungen klar. Der gegenüberliegende Wald nämlich war theilweiſe überſchwemmt und von den klugen Vögeln deshalb zum Niſtplatze erwählt worden. Zu den Neſtern zu gelangen, war unmöglich. Jch bot einen Gulden für jedes Ei — keiner der Araber konnte das Geld verdienen. Der Boden des Waldes war grundlos, das Waſſer aber ſo ſeicht, daß ein Kahn ebenfalls nicht gebraucht werden konnte. Früher hatte ich eine andere Niſt- anſiedelung beſucht, welche unter ähnlichen Umſtänden angelegt, aber doch zugänglich war. Sie befand ſich auf einer kleinen mit hohen Mimoſen beſtandenen Jnſel des weißen Nils, welche beim Steigen des Stromes unter Waſſer geſetzt, aber ſo hoch überſchwemmt wurde, daß man vom Boote aus die Bäume beſteigen konnte. Hier beobachtete ich, daß der heilige Jbis eine Mimoſenart, welche die Araber „Harahſi“, d. h. die Sich Schützende, nennen, der dichten, ungemein dornigen, ja faſt undurch- dringlichen Aeſte halber, jeder anderen bevorzugt. Aus den Zweigen der Harahſi beſtand auch das flache Neſt des Vogels; nur das Jnnere der Mulde war mit feinen Reiſern und einzelnen Grashalmen ausgelegt, das Ganze aber kunſtlos zuſammengeſchichtet, kaum beſſer ausgeführt als das der Ringel- taube. Ein Neſt ſtand neben dem anderen; aber ſtets waren die dornigſten Aeſte zur Aufnahme des- ſelben erwählt worden. Das Gelege zählt drei bis vier weiße, ziemlich rauhkörnige Eier, welche Hühner- oder Enteneiern an Größe ungefähr gleichkommen. Auf der Weiterreiſe von jener Niſtſtelle aus, bemerkten wir faſt keinen heiligen Vogel mehr; es ſchien alſo, als ob ſich die Jbiſſe hier aus meilenweiter Ferne eingefunden hätten. Jch halte es für glaublich, daß der Jbis wirklich kleine Schlangen verzehrt, bin jedoch der Mei- nung, daß er ſich mit größeren und gefährlichen nicht einläßt. Während der Regenzeit beſteht ſeine Nahrung, wenn nicht ausſchließlich, ſo doch vorzugsweiſe aus Kerbthieren. Jn dem Magen der Erlegten fanden wir entweder Heuſchrecken oder Käfer verſchiedener Art, insbeſondere Dungkäfer; an den Gefangenen beobachteten wir, daß ſie vorgeworfene kleine Lurche nicht verſchmähten, Kerfe aber vorzogen. Hartmann gibt an, daß der Jbis auch kleine Süßwaſſerweichthiere frißt. So ungefüge der Schnabel zu ſein ſcheint, ſo geſchickt weiß der Vogel ihn zu gebrauchen. Er nimmt mit ſeiner Spitze die kleinſten Kerbthiere von der Erde auf und ſtreift, indem er förmlich ſchnattert, von den Gräſern die daran ſitzenden Kerfe mit größter Gewandtheit ab. „Nichts ſieht poſſierlicher aus“, ſagt Hartmann, „als wenn ein Jbis Heuſchrecken fängt. Der Stelzvogel fährt mit dem Sichel- ſchnabel auf die ruhig daſitzenden Geradflügler ein; ſpringen dieſe aber, die Gefahr noch rechtzeitig merkend, davon, ſo hüpft auch Freund Jbis hinterher, ſtellt ſich dabei jedoch des hochſparrigen Graſes wegen nicht ſelten ziemlich ungeſchickt an; dennoch läßt er nicht ab, und hat er endlich eine oder die andere der Fliehenden erwiſcht, ſo zermalmt er ſie ſofort zwiſchen dem Schnabel und ſchluckt ſie hinunter.“ Junge Jbiſſe, welche wir auffütterten, wurden zunächſt mit rohen Fleiſchſtücken geſtopft, fraßen dieſes Futter auch ſehr gern. Sie bekundeten ihren Hunger durch ein ſonderbares Geſchrei, welches man ebenſowohl durch „Zick, zick, zick“, als durch „Tirrr, tirrr, tirrr“ wiedergeben kann, zitterten dabei mit dem Kopfe und Halſe und ſchlugen auch wohl heftig mit den Flügeln, gleichſam in der Abſicht, ihrem Geſchrei größeren Nachdruck zu geben. Bereits nach wenig Tagen nahmen ſie das ihnen vor- gehaltene Futter aus der Hand, und im Verlaufe der erſten Woche fraßen ſie bereits alles Genießbare. Das Brot, welches wir ihnen reichten, trugen ſie regelmäßig nach dem Waſſer, aus welchem ſie über- haupt am liebſten Nahrung nahmen, und welches ſie beſtändig nach Art der Enten durchſchnatterten. Ebenſo durchſuchten ſie auch die feinſten Ritzen und alle Löcher, faßten die dort verborgenen Thiere

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/701>, abgerufen am 22.11.2024.