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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Rohrdommel.
ohne diese Pflanze. Jm Norden Deutschlands erscheint sie Ende März oder Anfangs April; ihren
Rückzug tritt sie im September oder Oktober an; bei mildem Wetter verweilt sie jedoch auch länger
im Norden, da, wo es offenes Wasser gibt, sie sich also ernähren kann, zuweilen das ganze Jahr
über. Von Südungarn aus werden schwerlich viele wegziehen, und diejenigen, welche von uns aus-
wandern, wohl auch nur selten bis nach Afrika reisen, vielmehr schon im Süden Europas über-
wintern. Während des Zuges läßt sich eine Rohrdommel ausnahmsweise auch fern von Gewässern,
beispielsweise in Gebirgswäldern, welche sie sonst ängstlich meidet, zum Ausruhen nieder; sonst aber
verläßt sie die wasserreichen Tiefebenen und das schützende Rohrdickicht blos im Falle der Noth,
beispielsweise, wenn bei ihrer Ankunft am Brutteiche das vorjährige Röhricht abgehauen worden ist.
Unter solchen Umständen bäumt sie regelmäßig auf dicken Aesten und immer dicht am Stamme, weil
sie stets bedacht ist, sich bestmöglichst zu verstecken.

Jn der Fertigkeit, die sonderbarsten Stellungen anzunehmen, übertrifft sie noch ihre kleine
Verwandte. Wenn sie ruhig und unbefangen steht, richtet sie den Leib vorn etwas auf und zieht
den langen Hals soweit ein, daß der Kopf auf dem Nacken ruht; im Fortschreiten hebt sie den Hals
mehr empor; in der Wuth bläht sie das Gefieder, sträubt die Hinterhauptsfedern, sperrt den
Schnabel etwas auf und wappnet sich zum Angriffe. Wenn sie täuschen will, setzt sie sich auf die
Fußwurzeln und streckt Rumpf und Hals, Kopf und Schnabel in einer geraden Linie schief nach oben,
sodaß sie eher einem alten zugespitzten Pfahle oder abgestorbenen Schilfbüschel als einem Vogel gleicht.
Jhr Gang ist langsam, bedächtig und träge -- der eine Fuß wird erst nach längerem Bedenken vor den
anderen gestellt -- der Flug sanft und geräuschlos, aber auch langsam und scheinbar ungeschickt;
die großen, breiten Flügel werden nachlässig in kurzen, langsam auf einander folgenden, einem matten
Zucken ähnlichen Schwingungen bewegt und die Flügelschläge nur beim Aufstehen etwas beschleunigt.
Um die Höhe zu gewinnen, beschreibt die Nohrdommel einige Kreise, aber nicht schwebend, sondern
stets flatternd, und ebenso senkt sie sich auch beim Niederkommen bis dicht über das Rohr herab, zieht
dann plötzlich die Flügel ein und fällt senkrecht zwischen den Stengeln nieder. Uebrigens fliegt sie
nur des Nachts in höheren Luftschichten, bei Tage hingegen stets dicht über dem Rohre dahin. Wenn
sie des Nachts fliegt, vernimmt man auch ihre gewöhnliche Lockstimme, ein lautes, rabenartiges
Krächzen, welches man durch die Silben "Krah" oder "Krauh" ungefähr wiedergeben kann; denn
das berüchtigten Brüllen läßt sie nur während der Paarungszeit hören.

Es wird wenig Menschen geben, welche sich mit der Rohrdommel befreunden können. Sie ist
ein höchst unliebenswürdiges Geschöpf, welches den Beobachter zwar anziehen, aber niemals fesseln
kann. Faulheit, Trägheit und Langsamkeit, Aengstlichkeit und Argwohn, List und Verschlagenheit,
Boshaftigkeit und Heimtücke sind ihre Eigenschaften. Sie lebt nur für sich und scheint jedes andere
Geschöpf zu hassen; diejenigen Thiere, welche sie verschlingen kann, bringt sie um, diejenigen, welche
hierzu zu groß sind, greift sie wüthend an, wenn sie ihr zu nahe kommen. Solange es irgend möglich,
zieht sie sich vor jedem größeren Gegner zurück; in die Enge getrieben, geht sie demselben tollkühn
zu Leibe und richtet ihre Schnabelstöße mit soviel Geschick, Böswilligkeit und Tücke nach den Augen
ihres Widersachers, daß sich selbst der kluge Mensch sehr in Acht zu nehmen hat, wenn er von ihr
nicht gefährlich verletzt werden soll. Die Gefangenschaft ändert ihr Wesen nicht; selbst die jung auf-
gezogenen Rohrdommeln bekunden gelegentlich alle die widerwärtigen Eigenschaften der Freilebenden
und machen sich dadurch bald so verhaßt, daß nicht einmal die lächerlichen Stellungen und Geberden,
mit welchen sie fortwährend wechseln, mit ihr aussöhnen können.

Fische, insbesondere Schlammbeißer, Schleien und Karauschen, Frösche, Unken und andere
Wasserlurche verschiedener Art, aber auch Schlangen, Eidechsen, junge Vögel und kleine Säugethiere
bis zur Größe von Wasserratten bilden das Wild, dem die Rohrdommel nachstellt. Zeitweilig frißt
sie fast nur Egel und zwar hauptsächlich die Pferdeegel, unbekümmert um deren scharfen Saugapparat
und ohne sie vorher zu tödten, dann wieder nährt sie sich ausnahmslos von Fischen u. s. w. Sie jagt
blos des Nachts, aber von Sonnenuntergang bis zu Sonnenaufgang, bedarf viel zu ihrer Sättigung,

Rohrdommel.
ohne dieſe Pflanze. Jm Norden Deutſchlands erſcheint ſie Ende März oder Anfangs April; ihren
Rückzug tritt ſie im September oder Oktober an; bei mildem Wetter verweilt ſie jedoch auch länger
im Norden, da, wo es offenes Waſſer gibt, ſie ſich alſo ernähren kann, zuweilen das ganze Jahr
über. Von Südungarn aus werden ſchwerlich viele wegziehen, und diejenigen, welche von uns aus-
wandern, wohl auch nur ſelten bis nach Afrika reiſen, vielmehr ſchon im Süden Europas über-
wintern. Während des Zuges läßt ſich eine Rohrdommel ausnahmsweiſe auch fern von Gewäſſern,
beiſpielsweiſe in Gebirgswäldern, welche ſie ſonſt ängſtlich meidet, zum Ausruhen nieder; ſonſt aber
verläßt ſie die waſſerreichen Tiefebenen und das ſchützende Rohrdickicht blos im Falle der Noth,
beiſpielsweiſe, wenn bei ihrer Ankunft am Brutteiche das vorjährige Röhricht abgehauen worden iſt.
Unter ſolchen Umſtänden bäumt ſie regelmäßig auf dicken Aeſten und immer dicht am Stamme, weil
ſie ſtets bedacht iſt, ſich beſtmöglichſt zu verſtecken.

Jn der Fertigkeit, die ſonderbarſten Stellungen anzunehmen, übertrifft ſie noch ihre kleine
Verwandte. Wenn ſie ruhig und unbefangen ſteht, richtet ſie den Leib vorn etwas auf und zieht
den langen Hals ſoweit ein, daß der Kopf auf dem Nacken ruht; im Fortſchreiten hebt ſie den Hals
mehr empor; in der Wuth bläht ſie das Gefieder, ſträubt die Hinterhauptsfedern, ſperrt den
Schnabel etwas auf und wappnet ſich zum Angriffe. Wenn ſie täuſchen will, ſetzt ſie ſich auf die
Fußwurzeln und ſtreckt Rumpf und Hals, Kopf und Schnabel in einer geraden Linie ſchief nach oben,
ſodaß ſie eher einem alten zugeſpitzten Pfahle oder abgeſtorbenen Schilfbüſchel als einem Vogel gleicht.
Jhr Gang iſt langſam, bedächtig und träge — der eine Fuß wird erſt nach längerem Bedenken vor den
anderen geſtellt — der Flug ſanft und geräuſchlos, aber auch langſam und ſcheinbar ungeſchickt;
die großen, breiten Flügel werden nachläſſig in kurzen, langſam auf einander folgenden, einem matten
Zucken ähnlichen Schwingungen bewegt und die Flügelſchläge nur beim Aufſtehen etwas beſchleunigt.
Um die Höhe zu gewinnen, beſchreibt die Nohrdommel einige Kreiſe, aber nicht ſchwebend, ſondern
ſtets flatternd, und ebenſo ſenkt ſie ſich auch beim Niederkommen bis dicht über das Rohr herab, zieht
dann plötzlich die Flügel ein und fällt ſenkrecht zwiſchen den Stengeln nieder. Uebrigens fliegt ſie
nur des Nachts in höheren Luftſchichten, bei Tage hingegen ſtets dicht über dem Rohre dahin. Wenn
ſie des Nachts fliegt, vernimmt man auch ihre gewöhnliche Lockſtimme, ein lautes, rabenartiges
Krächzen, welches man durch die Silben „Krah“ oder „Krauh“ ungefähr wiedergeben kann; denn
das berüchtigten Brüllen läßt ſie nur während der Paarungszeit hören.

Es wird wenig Menſchen geben, welche ſich mit der Rohrdommel befreunden können. Sie iſt
ein höchſt unliebenswürdiges Geſchöpf, welches den Beobachter zwar anziehen, aber niemals feſſeln
kann. Faulheit, Trägheit und Langſamkeit, Aengſtlichkeit und Argwohn, Liſt und Verſchlagenheit,
Boshaftigkeit und Heimtücke ſind ihre Eigenſchaften. Sie lebt nur für ſich und ſcheint jedes andere
Geſchöpf zu haſſen; diejenigen Thiere, welche ſie verſchlingen kann, bringt ſie um, diejenigen, welche
hierzu zu groß ſind, greift ſie wüthend an, wenn ſie ihr zu nahe kommen. Solange es irgend möglich,
zieht ſie ſich vor jedem größeren Gegner zurück; in die Enge getrieben, geht ſie demſelben tollkühn
zu Leibe und richtet ihre Schnabelſtöße mit ſoviel Geſchick, Böswilligkeit und Tücke nach den Augen
ihres Widerſachers, daß ſich ſelbſt der kluge Menſch ſehr in Acht zu nehmen hat, wenn er von ihr
nicht gefährlich verletzt werden ſoll. Die Gefangenſchaft ändert ihr Weſen nicht; ſelbſt die jung auf-
gezogenen Rohrdommeln bekunden gelegentlich alle die widerwärtigen Eigenſchaften der Freilebenden
und machen ſich dadurch bald ſo verhaßt, daß nicht einmal die lächerlichen Stellungen und Geberden,
mit welchen ſie fortwährend wechſeln, mit ihr ausſöhnen können.

Fiſche, insbeſondere Schlammbeißer, Schleien und Karauſchen, Fröſche, Unken und andere
Waſſerlurche verſchiedener Art, aber auch Schlangen, Eidechſen, junge Vögel und kleine Säugethiere
bis zur Größe von Waſſerratten bilden das Wild, dem die Rohrdommel nachſtellt. Zeitweilig frißt
ſie faſt nur Egel und zwar hauptſächlich die Pferdeegel, unbekümmert um deren ſcharfen Saugapparat
und ohne ſie vorher zu tödten, dann wieder nährt ſie ſich ausnahmslos von Fiſchen u. ſ. w. Sie jagt
blos des Nachts, aber von Sonnenuntergang bis zu Sonnenaufgang, bedarf viel zu ihrer Sättigung,

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[715/0759] Rohrdommel. ohne dieſe Pflanze. Jm Norden Deutſchlands erſcheint ſie Ende März oder Anfangs April; ihren Rückzug tritt ſie im September oder Oktober an; bei mildem Wetter verweilt ſie jedoch auch länger im Norden, da, wo es offenes Waſſer gibt, ſie ſich alſo ernähren kann, zuweilen das ganze Jahr über. Von Südungarn aus werden ſchwerlich viele wegziehen, und diejenigen, welche von uns aus- wandern, wohl auch nur ſelten bis nach Afrika reiſen, vielmehr ſchon im Süden Europas über- wintern. Während des Zuges läßt ſich eine Rohrdommel ausnahmsweiſe auch fern von Gewäſſern, beiſpielsweiſe in Gebirgswäldern, welche ſie ſonſt ängſtlich meidet, zum Ausruhen nieder; ſonſt aber verläßt ſie die waſſerreichen Tiefebenen und das ſchützende Rohrdickicht blos im Falle der Noth, beiſpielsweiſe, wenn bei ihrer Ankunft am Brutteiche das vorjährige Röhricht abgehauen worden iſt. Unter ſolchen Umſtänden bäumt ſie regelmäßig auf dicken Aeſten und immer dicht am Stamme, weil ſie ſtets bedacht iſt, ſich beſtmöglichſt zu verſtecken. Jn der Fertigkeit, die ſonderbarſten Stellungen anzunehmen, übertrifft ſie noch ihre kleine Verwandte. Wenn ſie ruhig und unbefangen ſteht, richtet ſie den Leib vorn etwas auf und zieht den langen Hals ſoweit ein, daß der Kopf auf dem Nacken ruht; im Fortſchreiten hebt ſie den Hals mehr empor; in der Wuth bläht ſie das Gefieder, ſträubt die Hinterhauptsfedern, ſperrt den Schnabel etwas auf und wappnet ſich zum Angriffe. Wenn ſie täuſchen will, ſetzt ſie ſich auf die Fußwurzeln und ſtreckt Rumpf und Hals, Kopf und Schnabel in einer geraden Linie ſchief nach oben, ſodaß ſie eher einem alten zugeſpitzten Pfahle oder abgeſtorbenen Schilfbüſchel als einem Vogel gleicht. Jhr Gang iſt langſam, bedächtig und träge — der eine Fuß wird erſt nach längerem Bedenken vor den anderen geſtellt — der Flug ſanft und geräuſchlos, aber auch langſam und ſcheinbar ungeſchickt; die großen, breiten Flügel werden nachläſſig in kurzen, langſam auf einander folgenden, einem matten Zucken ähnlichen Schwingungen bewegt und die Flügelſchläge nur beim Aufſtehen etwas beſchleunigt. Um die Höhe zu gewinnen, beſchreibt die Nohrdommel einige Kreiſe, aber nicht ſchwebend, ſondern ſtets flatternd, und ebenſo ſenkt ſie ſich auch beim Niederkommen bis dicht über das Rohr herab, zieht dann plötzlich die Flügel ein und fällt ſenkrecht zwiſchen den Stengeln nieder. Uebrigens fliegt ſie nur des Nachts in höheren Luftſchichten, bei Tage hingegen ſtets dicht über dem Rohre dahin. Wenn ſie des Nachts fliegt, vernimmt man auch ihre gewöhnliche Lockſtimme, ein lautes, rabenartiges Krächzen, welches man durch die Silben „Krah“ oder „Krauh“ ungefähr wiedergeben kann; denn das berüchtigten Brüllen läßt ſie nur während der Paarungszeit hören. Es wird wenig Menſchen geben, welche ſich mit der Rohrdommel befreunden können. Sie iſt ein höchſt unliebenswürdiges Geſchöpf, welches den Beobachter zwar anziehen, aber niemals feſſeln kann. Faulheit, Trägheit und Langſamkeit, Aengſtlichkeit und Argwohn, Liſt und Verſchlagenheit, Boshaftigkeit und Heimtücke ſind ihre Eigenſchaften. Sie lebt nur für ſich und ſcheint jedes andere Geſchöpf zu haſſen; diejenigen Thiere, welche ſie verſchlingen kann, bringt ſie um, diejenigen, welche hierzu zu groß ſind, greift ſie wüthend an, wenn ſie ihr zu nahe kommen. Solange es irgend möglich, zieht ſie ſich vor jedem größeren Gegner zurück; in die Enge getrieben, geht ſie demſelben tollkühn zu Leibe und richtet ihre Schnabelſtöße mit ſoviel Geſchick, Böswilligkeit und Tücke nach den Augen ihres Widerſachers, daß ſich ſelbſt der kluge Menſch ſehr in Acht zu nehmen hat, wenn er von ihr nicht gefährlich verletzt werden ſoll. Die Gefangenſchaft ändert ihr Weſen nicht; ſelbſt die jung auf- gezogenen Rohrdommeln bekunden gelegentlich alle die widerwärtigen Eigenſchaften der Freilebenden und machen ſich dadurch bald ſo verhaßt, daß nicht einmal die lächerlichen Stellungen und Geberden, mit welchen ſie fortwährend wechſeln, mit ihr ausſöhnen können. Fiſche, insbeſondere Schlammbeißer, Schleien und Karauſchen, Fröſche, Unken und andere Waſſerlurche verſchiedener Art, aber auch Schlangen, Eidechſen, junge Vögel und kleine Säugethiere bis zur Größe von Waſſerratten bilden das Wild, dem die Rohrdommel nachſtellt. Zeitweilig frißt ſie faſt nur Egel und zwar hauptſächlich die Pferdeegel, unbekümmert um deren ſcharfen Saugapparat und ohne ſie vorher zu tödten, dann wieder nährt ſie ſich ausnahmslos von Fiſchen u. ſ. w. Sie jagt blos des Nachts, aber von Sonnenuntergang bis zu Sonnenaufgang, bedarf viel zu ihrer Sättigung,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 715. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/759>, abgerufen am 22.11.2024.