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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Sonnenreiher.
seine Nähe kaum ahnende Thier ergreift und verschluckt." Nach Bates soll der Vogel am Ama-
zonenstrome häufig sein, aber nicht oft bemerkt werden, weil es schwierig ist, ihn in dem buntfarbigen
Gelaube zu entdecken und man nur durch seinen Lockton, ein sanftes, lang getragenes Pfeifen, zu ihm
hingeleitet wird. Auch Weddell sagt, daß man ihn selten zu sehen bekäme, aber nicht, weil er
selten, sondern weil er sehr scheu wäre. Wer seine Stimme nachzuahmen versteht, lockt ihn bis tief
ins Jnnere der Wälder. Am häufigsten sieht man ihn, nach Goudot, in der Dämmerung; denn
erst um diese Zeit wird er lebendig. Diese Angabe steht mit den vorher angegebenen Berichten im
Widerspruche, erscheint mir jedoch begründet, da der Sonnenreiher ganz aussieht wie ein Nachtvogel.

Castelnau beschreibt das zierliche Geschöpf als wild und bösartig, in Wesen und Sitten also
den Reihern ähnlich. Wenn man sich ihm naht, lüftet er die Flügel und legt sich zur Vertheidigung
aus, springt auch wohl wie eine Katze auf die Maus gegen den Feind los. Trotzdem muß er sich
leicht fangen und zähmen lassen, da man ihn in allen Niederlassungen der Jndianer und auch auf den
Höfen der in seiner Heimat angesessenen Europäer gezähmt findet und als besonderen Liebling hoch-
achtet. Am Amazonenstrome nennt man ihn "Pavaone" oder Pfau und gebraucht dieses Wort auch
als Rufnamen; denn einen solchen erhält der Gefangene, weil er seinem Gebieter wie ein Hund folgen
lernt. Plaza sah in Saraycou einen, welcher zweiundzwanzig Jahre in der Gefangenschaft gelebt
hatte, und Schomburgk und Bates berichten übereinstimmend, daß man gerade der leichten Zähm-
barkeit und Ausdauer halber diesen Vogel so gern hält. Die meisten Gefangenen laufen frei umher,
mischen sich nach Belieben unter das Geflügel des Hofes, verkehren ohne Furcht mit den Hunden,
unterscheiden aber sehr wohl zwischen fremden Thieren und ziehen sich auch vor unbekannten Leuten
scheu zurück. Mit Vergnügen sieht man, wie sie in Flur und Zimmer, vor und auf dem Hause ihrer
Kerbthierjagd obliegen. Bates versichert, daß sie sich zum Spielzeuge der Kinder hergeben, wenn
man sie ruft, antworten und herbeikommen, um das ihnen durch das Rufen angezeigte Futter aus
der Hand zu nehmen.

Die gefangenen Sonnenreiher, welche ich in den Thiergärten zu London und Amsterdam sah,
haben mich lebhaft angezogen. Sie machen einen durchaus eigenthümlichen Eindruck auf den
Beschauer. Jn mancher Hinsicht erinnern sie allerdings an die Reihervögel, im allgemeinen aber
mehr an gewisse Rallen; doch gleichen sie weder den einen noch den anderen. Bei ruhigem Gange
tragen sie den Leib wagerecht, den Hals zusammengezogen und die Flügel etwas gelüftet, bei schnellerem
Laufe legen sie das Gefieder so glatt an, als es ihnen möglich. Der Gang ist schleichend und äußerst
bedächtig, der Flug weich und sonderbar flatternd, dem eines langsamen Schmetterlings wirklich nicht
unähnlich, dem eines bei Tage aufgescheuchten Ziegenmelkers ebenfalls vergleichbar. Die Schwingen
und das Steuer scheinen für die Last des Leibes viel zu groß zu sein, daher die Weichheit der
Bewegung. Keiner der mir bekannten Reisenden spricht sich ausführlich über den Flug aus; dem-
ungeachtet glaube ich, nach Dem, was ich beobachtet habe, mit Sicherheit schließen zu können, daß der
Sonnenreiher nicht im Stande ist, in hoher Luft dahin zu fliegen, daß jeder heftige Luftzug ihn zu
Boden herabschleudern muß.

Ueber die Fortpflanzung berichtet zuerst Goudot. Das Nest steht stets über der Erde, auf
Bäumen, in einer Höhe von fünf bis sechs Fuß über dem Boden. Zwei Eier, welche auf blaß
mennigrothem Grunde mit mehr oder weniger großen Flecken und einzelnen Punkten von dunkelbrauner
Färbung gezeichnet sind, bilden das Gelege. Die Jungen verlassen das Nest im August. Schom-
burgk
konnte Nichts über das Brutgeschäft erfahren, und Bates sagt blos, daß ihm die Jndianer
erzählten, der Sonnenreiher brüte auf Bäumen und erbaue sich ein zierliches Nest aus Lehm. Zur
allgemeinen Freude der Naturkundigen gaben die Gefangenen des londoner Gartens im Jahre 1865
Gelegenheit, Genaueres festzustellen. Ein Paar dieser Vögel wurde im September 1862 gekauft
und gewöhnte sich leicht an die veränderten Verhältnisse. Jm Mai des erstgenannten Jahres zeigten
sie Lust zum Brüten, indem sie Stöcke, Wurzeln, Gras und andere Stoffe umhertrugen. Dabei sah
man sie häufig rund um das Trinkbecken gehen, augenscheinlich in der Absicht, hier Neststoffe zu

Sonnenreiher.
ſeine Nähe kaum ahnende Thier ergreift und verſchluckt.“ Nach Bates ſoll der Vogel am Ama-
zonenſtrome häufig ſein, aber nicht oft bemerkt werden, weil es ſchwierig iſt, ihn in dem buntfarbigen
Gelaube zu entdecken und man nur durch ſeinen Lockton, ein ſanftes, lang getragenes Pfeifen, zu ihm
hingeleitet wird. Auch Weddell ſagt, daß man ihn ſelten zu ſehen bekäme, aber nicht, weil er
ſelten, ſondern weil er ſehr ſcheu wäre. Wer ſeine Stimme nachzuahmen verſteht, lockt ihn bis tief
ins Jnnere der Wälder. Am häufigſten ſieht man ihn, nach Goudot, in der Dämmerung; denn
erſt um dieſe Zeit wird er lebendig. Dieſe Angabe ſteht mit den vorher angegebenen Berichten im
Widerſpruche, erſcheint mir jedoch begründet, da der Sonnenreiher ganz ausſieht wie ein Nachtvogel.

Caſtelnau beſchreibt das zierliche Geſchöpf als wild und bösartig, in Weſen und Sitten alſo
den Reihern ähnlich. Wenn man ſich ihm naht, lüftet er die Flügel und legt ſich zur Vertheidigung
aus, ſpringt auch wohl wie eine Katze auf die Maus gegen den Feind los. Trotzdem muß er ſich
leicht fangen und zähmen laſſen, da man ihn in allen Niederlaſſungen der Jndianer und auch auf den
Höfen der in ſeiner Heimat angeſeſſenen Europäer gezähmt findet und als beſonderen Liebling hoch-
achtet. Am Amazonenſtrome nennt man ihn „Pavaone“ oder Pfau und gebraucht dieſes Wort auch
als Rufnamen; denn einen ſolchen erhält der Gefangene, weil er ſeinem Gebieter wie ein Hund folgen
lernt. Plaza ſah in Saraycou einen, welcher zweiundzwanzig Jahre in der Gefangenſchaft gelebt
hatte, und Schomburgk und Bates berichten übereinſtimmend, daß man gerade der leichten Zähm-
barkeit und Ausdauer halber dieſen Vogel ſo gern hält. Die meiſten Gefangenen laufen frei umher,
miſchen ſich nach Belieben unter das Geflügel des Hofes, verkehren ohne Furcht mit den Hunden,
unterſcheiden aber ſehr wohl zwiſchen fremden Thieren und ziehen ſich auch vor unbekannten Leuten
ſcheu zurück. Mit Vergnügen ſieht man, wie ſie in Flur und Zimmer, vor und auf dem Hauſe ihrer
Kerbthierjagd obliegen. Bates verſichert, daß ſie ſich zum Spielzeuge der Kinder hergeben, wenn
man ſie ruft, antworten und herbeikommen, um das ihnen durch das Rufen angezeigte Futter aus
der Hand zu nehmen.

Die gefangenen Sonnenreiher, welche ich in den Thiergärten zu London und Amſterdam ſah,
haben mich lebhaft angezogen. Sie machen einen durchaus eigenthümlichen Eindruck auf den
Beſchauer. Jn mancher Hinſicht erinnern ſie allerdings an die Reihervögel, im allgemeinen aber
mehr an gewiſſe Rallen; doch gleichen ſie weder den einen noch den anderen. Bei ruhigem Gange
tragen ſie den Leib wagerecht, den Hals zuſammengezogen und die Flügel etwas gelüftet, bei ſchnellerem
Laufe legen ſie das Gefieder ſo glatt an, als es ihnen möglich. Der Gang iſt ſchleichend und äußerſt
bedächtig, der Flug weich und ſonderbar flatternd, dem eines langſamen Schmetterlings wirklich nicht
unähnlich, dem eines bei Tage aufgeſcheuchten Ziegenmelkers ebenfalls vergleichbar. Die Schwingen
und das Steuer ſcheinen für die Laſt des Leibes viel zu groß zu ſein, daher die Weichheit der
Bewegung. Keiner der mir bekannten Reiſenden ſpricht ſich ausführlich über den Flug aus; dem-
ungeachtet glaube ich, nach Dem, was ich beobachtet habe, mit Sicherheit ſchließen zu können, daß der
Sonnenreiher nicht im Stande iſt, in hoher Luft dahin zu fliegen, daß jeder heftige Luftzug ihn zu
Boden herabſchleudern muß.

Ueber die Fortpflanzung berichtet zuerſt Goudot. Das Neſt ſteht ſtets über der Erde, auf
Bäumen, in einer Höhe von fünf bis ſechs Fuß über dem Boden. Zwei Eier, welche auf blaß
mennigrothem Grunde mit mehr oder weniger großen Flecken und einzelnen Punkten von dunkelbrauner
Färbung gezeichnet ſind, bilden das Gelege. Die Jungen verlaſſen das Neſt im Auguſt. Schom-
burgk
konnte Nichts über das Brutgeſchäft erfahren, und Bates ſagt blos, daß ihm die Jndianer
erzählten, der Sonnenreiher brüte auf Bäumen und erbaue ſich ein zierliches Neſt aus Lehm. Zur
allgemeinen Freude der Naturkundigen gaben die Gefangenen des londoner Gartens im Jahre 1865
Gelegenheit, Genaueres feſtzuſtellen. Ein Paar dieſer Vögel wurde im September 1862 gekauft
und gewöhnte ſich leicht an die veränderten Verhältniſſe. Jm Mai des erſtgenannten Jahres zeigten
ſie Luſt zum Brüten, indem ſie Stöcke, Wurzeln, Gras und andere Stoffe umhertrugen. Dabei ſah
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[719/0763] Sonnenreiher. ſeine Nähe kaum ahnende Thier ergreift und verſchluckt.“ Nach Bates ſoll der Vogel am Ama- zonenſtrome häufig ſein, aber nicht oft bemerkt werden, weil es ſchwierig iſt, ihn in dem buntfarbigen Gelaube zu entdecken und man nur durch ſeinen Lockton, ein ſanftes, lang getragenes Pfeifen, zu ihm hingeleitet wird. Auch Weddell ſagt, daß man ihn ſelten zu ſehen bekäme, aber nicht, weil er ſelten, ſondern weil er ſehr ſcheu wäre. Wer ſeine Stimme nachzuahmen verſteht, lockt ihn bis tief ins Jnnere der Wälder. Am häufigſten ſieht man ihn, nach Goudot, in der Dämmerung; denn erſt um dieſe Zeit wird er lebendig. Dieſe Angabe ſteht mit den vorher angegebenen Berichten im Widerſpruche, erſcheint mir jedoch begründet, da der Sonnenreiher ganz ausſieht wie ein Nachtvogel. Caſtelnau beſchreibt das zierliche Geſchöpf als wild und bösartig, in Weſen und Sitten alſo den Reihern ähnlich. Wenn man ſich ihm naht, lüftet er die Flügel und legt ſich zur Vertheidigung aus, ſpringt auch wohl wie eine Katze auf die Maus gegen den Feind los. Trotzdem muß er ſich leicht fangen und zähmen laſſen, da man ihn in allen Niederlaſſungen der Jndianer und auch auf den Höfen der in ſeiner Heimat angeſeſſenen Europäer gezähmt findet und als beſonderen Liebling hoch- achtet. Am Amazonenſtrome nennt man ihn „Pavaone“ oder Pfau und gebraucht dieſes Wort auch als Rufnamen; denn einen ſolchen erhält der Gefangene, weil er ſeinem Gebieter wie ein Hund folgen lernt. Plaza ſah in Saraycou einen, welcher zweiundzwanzig Jahre in der Gefangenſchaft gelebt hatte, und Schomburgk und Bates berichten übereinſtimmend, daß man gerade der leichten Zähm- barkeit und Ausdauer halber dieſen Vogel ſo gern hält. Die meiſten Gefangenen laufen frei umher, miſchen ſich nach Belieben unter das Geflügel des Hofes, verkehren ohne Furcht mit den Hunden, unterſcheiden aber ſehr wohl zwiſchen fremden Thieren und ziehen ſich auch vor unbekannten Leuten ſcheu zurück. Mit Vergnügen ſieht man, wie ſie in Flur und Zimmer, vor und auf dem Hauſe ihrer Kerbthierjagd obliegen. Bates verſichert, daß ſie ſich zum Spielzeuge der Kinder hergeben, wenn man ſie ruft, antworten und herbeikommen, um das ihnen durch das Rufen angezeigte Futter aus der Hand zu nehmen. Die gefangenen Sonnenreiher, welche ich in den Thiergärten zu London und Amſterdam ſah, haben mich lebhaft angezogen. Sie machen einen durchaus eigenthümlichen Eindruck auf den Beſchauer. Jn mancher Hinſicht erinnern ſie allerdings an die Reihervögel, im allgemeinen aber mehr an gewiſſe Rallen; doch gleichen ſie weder den einen noch den anderen. Bei ruhigem Gange tragen ſie den Leib wagerecht, den Hals zuſammengezogen und die Flügel etwas gelüftet, bei ſchnellerem Laufe legen ſie das Gefieder ſo glatt an, als es ihnen möglich. Der Gang iſt ſchleichend und äußerſt bedächtig, der Flug weich und ſonderbar flatternd, dem eines langſamen Schmetterlings wirklich nicht unähnlich, dem eines bei Tage aufgeſcheuchten Ziegenmelkers ebenfalls vergleichbar. Die Schwingen und das Steuer ſcheinen für die Laſt des Leibes viel zu groß zu ſein, daher die Weichheit der Bewegung. Keiner der mir bekannten Reiſenden ſpricht ſich ausführlich über den Flug aus; dem- ungeachtet glaube ich, nach Dem, was ich beobachtet habe, mit Sicherheit ſchließen zu können, daß der Sonnenreiher nicht im Stande iſt, in hoher Luft dahin zu fliegen, daß jeder heftige Luftzug ihn zu Boden herabſchleudern muß. Ueber die Fortpflanzung berichtet zuerſt Goudot. Das Neſt ſteht ſtets über der Erde, auf Bäumen, in einer Höhe von fünf bis ſechs Fuß über dem Boden. Zwei Eier, welche auf blaß mennigrothem Grunde mit mehr oder weniger großen Flecken und einzelnen Punkten von dunkelbrauner Färbung gezeichnet ſind, bilden das Gelege. Die Jungen verlaſſen das Neſt im Auguſt. Schom- burgk konnte Nichts über das Brutgeſchäft erfahren, und Bates ſagt blos, daß ihm die Jndianer erzählten, der Sonnenreiher brüte auf Bäumen und erbaue ſich ein zierliches Neſt aus Lehm. Zur allgemeinen Freude der Naturkundigen gaben die Gefangenen des londoner Gartens im Jahre 1865 Gelegenheit, Genaueres feſtzuſtellen. Ein Paar dieſer Vögel wurde im September 1862 gekauft und gewöhnte ſich leicht an die veränderten Verhältniſſe. Jm Mai des erſtgenannten Jahres zeigten ſie Luſt zum Brüten, indem ſie Stöcke, Wurzeln, Gras und andere Stoffe umhertrugen. Dabei ſah man ſie häufig rund um das Trinkbecken gehen, augenſcheinlich in der Abſicht, hier Neſtſtoffe zu

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 719. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/763>, abgerufen am 22.11.2024.