bei der Ernte von diesem in das Gebüsch; aber er thut Dies nicht eher, als bis ihn die Sense dazu zwingt.
Jn seinem Wesen ähnelt er anderen Rallen, hat aber doch sein Eigenthümliches. Auch er ist mehr Nacht- als Tagvogel, schweigt wenigstens in den heißen Stunden gänzlich und läßt sich mit Ausnahme der Mitternachtsstunden die ganze Nacht hindurch hören. Aber er versteckt sich bei Tage, wie bei Nacht. "Um recht versteckt sein zu können", sagt mein Vater, "macht er sich im tieferen Grase besondere Gänge, in denen er mit der größten Leichtigkeit und ohne daß sich nur ein Grashalm rührt, hin- und herläuft. Daraus läßt sich auch erklären, daß man ihn bald da und, kurz darauf, bald dort schreien hört und sein Hin- und Herlaufen nicht an den Bewegungen des Grases bemerken kann. Schmale Gräben, welche durch die Wiesen gezogen sind, benutzt er auch zu solchen Gängen. Jn ihnen ist er, da sie oben durch überhängendes Gras völlig geschlossen sind, vor den Nachstellungen der Raubvögel und vieler Raubthiere gesichert. Beim Laufen, welches mit ungeheuerer Geschwindig- keit von statten geht, drückt er den Kopf nieder, zieht den Hals ein, hält den Leib wagerecht und nickt bei jedem Schritte mit dem Kopfe. Wegen seines ungewöhnlich schmalen Körpers ist es ihm auch da, wo er keine Gänge hat, möglich, im dichten Grase und Getreide schnell umherzulaufen, da er sich überall leicht durchdrängen kann. Er fliegt schnell, geradeaus, tief auf der Erde hin und nur kurze Strecken, ist aber sehr schwer zum Auffliegen zu bringen. Sehr wohl weiß er, daß er unter dem dichten Grase weit sicherer als in der freien Luft ist, und deswegen bringt ihn gewöhnlich auch nur der Hühnerhund zum Auffliegen. Vor dem Menschen sucht er sich fast immer zu retten. Eine besondere Geschicklichkeit hat er, sich zu verbergen; er verkriecht sich nicht nur unter dem Grase, im Getreide und Gebüsche, sondern sogar unter den Schwaden und Gelegen und wird gewöhnlich erst bemerkt, wenn er davoneilt." Vor dem Hunde hält er oft solange aus, daß es ersterem nicht selten gelingt, ihn beim Auffliegen wegzuschnappen, und wenn er sich wirklich erhebt, flattert er mehr, als er fliegt, wie ein junger Vogel, welcher seine Flugwerkzeuge zum erstenmale versucht, und stürzt sobald als möglich zum Boden herab. Seine außerordentliche Gewandtheit und Scharffinnigkeit sichern ihn übrigens vor den meisten Nachstellungen.
So schmuck und nett der Wiesenknarrer aussieht, so unfreundlich ist sein Wesen anderen seiner Art oder schwächeren Thieren gegenüber. Auch er gehört zu den Raubvögeln und ist wahrscheinlich einer der schlimmsten Nestplünderer. Schon Naumann beobachtete an Gefangenen eine große Bissigkeit und Herrschsucht, erfuhr auch, daß sie kleine Sänger oder finkenartige Vögel hackten oder selbst todtbissen und dann das Gehirn verzehrten, fand selbst getödtete Mäuse, welche der Wiesenknarrer beim Futternapfe ergriffen hatte; Wodzicki hatte Gelegenheit, diese Naubsucht in ausgedehnterem Maße kennen zu lernen. Jn einem Gesellschaftsbauer lebten viele kleine Vögel froh und in Eintracht, bis ein Wiesenknarrer zu ihnen gesetzt wurde. Von dieser Zeit an fand man täglich getödtete und theilweise verzehrte Vögel und zwar nicht nur unter den kleineren Singvögeln, sondern zuweilen auch solche bis zur Größe der Drossel. Es wurden Eisen und Fallen gestellt, alle Oeffnungen zugemacht, aber Nichts konnte die Vögel schützen, weil Niemand auf den Gedanken kam, daß der Feind eben der Wiesenknarrer war. Ein glücklicher Zufall belehrte, daß der Mörder sich in dem Gesellschaftsbauer selbst befand; man vergaß nämlich, den Vögeln einmal Wasser zu geben. "Als wir nach Hause kamen", sagt Wodzicki, "fanden wir die armen Geschöpfe traurig und mit aufgesträubtem Gefieder sitzen, ließen daher gleich das Trinkgefäß füllen und belustigten uns darüber, wie zuerst die größeren, dann die kleineren ihren Durst stillten. Der Wiesenknarrer war der erste; als er sich satt getrunken hatte, lief er zunächst fröhlich umher mit aufgehobenem Schwanze und heruntergelassenen Schwingen; dann wurde sein Schritt langsamer, er beugte den Körper hernieder, schlich in dieser Stellung sacht an das Trinkgefäß und hieb mit dem Schnabel nach einem Rothkehlchen. Als der Vogel umfiel, ergriff er ihn mit den langen Zehen und verzehrte vor unseren Augen seine, wie es schien, alltägliche Beute. Wir ließen den Räuber noch einige Tage in dem Gesellschaftsbauer, um uns zu überzeugen, wie viele
Wieſenknarrer.
bei der Ernte von dieſem in das Gebüſch; aber er thut Dies nicht eher, als bis ihn die Senſe dazu zwingt.
Jn ſeinem Weſen ähnelt er anderen Rallen, hat aber doch ſein Eigenthümliches. Auch er iſt mehr Nacht- als Tagvogel, ſchweigt wenigſtens in den heißen Stunden gänzlich und läßt ſich mit Ausnahme der Mitternachtsſtunden die ganze Nacht hindurch hören. Aber er verſteckt ſich bei Tage, wie bei Nacht. „Um recht verſteckt ſein zu können“, ſagt mein Vater, „macht er ſich im tieferen Graſe beſondere Gänge, in denen er mit der größten Leichtigkeit und ohne daß ſich nur ein Grashalm rührt, hin- und herläuft. Daraus läßt ſich auch erklären, daß man ihn bald da und, kurz darauf, bald dort ſchreien hört und ſein Hin- und Herlaufen nicht an den Bewegungen des Graſes bemerken kann. Schmale Gräben, welche durch die Wieſen gezogen ſind, benutzt er auch zu ſolchen Gängen. Jn ihnen iſt er, da ſie oben durch überhängendes Gras völlig geſchloſſen ſind, vor den Nachſtellungen der Raubvögel und vieler Raubthiere geſichert. Beim Laufen, welches mit ungeheuerer Geſchwindig- keit von ſtatten geht, drückt er den Kopf nieder, zieht den Hals ein, hält den Leib wagerecht und nickt bei jedem Schritte mit dem Kopfe. Wegen ſeines ungewöhnlich ſchmalen Körpers iſt es ihm auch da, wo er keine Gänge hat, möglich, im dichten Graſe und Getreide ſchnell umherzulaufen, da er ſich überall leicht durchdrängen kann. Er fliegt ſchnell, geradeaus, tief auf der Erde hin und nur kurze Strecken, iſt aber ſehr ſchwer zum Auffliegen zu bringen. Sehr wohl weiß er, daß er unter dem dichten Graſe weit ſicherer als in der freien Luft iſt, und deswegen bringt ihn gewöhnlich auch nur der Hühnerhund zum Auffliegen. Vor dem Menſchen ſucht er ſich faſt immer zu retten. Eine beſondere Geſchicklichkeit hat er, ſich zu verbergen; er verkriecht ſich nicht nur unter dem Graſe, im Getreide und Gebüſche, ſondern ſogar unter den Schwaden und Gelegen und wird gewöhnlich erſt bemerkt, wenn er davoneilt.“ Vor dem Hunde hält er oft ſolange aus, daß es erſterem nicht ſelten gelingt, ihn beim Auffliegen wegzuſchnappen, und wenn er ſich wirklich erhebt, flattert er mehr, als er fliegt, wie ein junger Vogel, welcher ſeine Flugwerkzeuge zum erſtenmale verſucht, und ſtürzt ſobald als möglich zum Boden herab. Seine außerordentliche Gewandtheit und Scharffinnigkeit ſichern ihn übrigens vor den meiſten Nachſtellungen.
So ſchmuck und nett der Wieſenknarrer ausſieht, ſo unfreundlich iſt ſein Weſen anderen ſeiner Art oder ſchwächeren Thieren gegenüber. Auch er gehört zu den Raubvögeln und iſt wahrſcheinlich einer der ſchlimmſten Neſtplünderer. Schon Naumann beobachtete an Gefangenen eine große Biſſigkeit und Herrſchſucht, erfuhr auch, daß ſie kleine Sänger oder finkenartige Vögel hackten oder ſelbſt todtbiſſen und dann das Gehirn verzehrten, fand ſelbſt getödtete Mäuſe, welche der Wieſenknarrer beim Futternapfe ergriffen hatte; Wodzicki hatte Gelegenheit, dieſe Naubſucht in ausgedehnterem Maße kennen zu lernen. Jn einem Geſellſchaftsbauer lebten viele kleine Vögel froh und in Eintracht, bis ein Wieſenknarrer zu ihnen geſetzt wurde. Von dieſer Zeit an fand man täglich getödtete und theilweiſe verzehrte Vögel und zwar nicht nur unter den kleineren Singvögeln, ſondern zuweilen auch ſolche bis zur Größe der Droſſel. Es wurden Eiſen und Fallen geſtellt, alle Oeffnungen zugemacht, aber Nichts konnte die Vögel ſchützen, weil Niemand auf den Gedanken kam, daß der Feind eben der Wieſenknarrer war. Ein glücklicher Zufall belehrte, daß der Mörder ſich in dem Geſellſchaftsbauer ſelbſt befand; man vergaß nämlich, den Vögeln einmal Waſſer zu geben. „Als wir nach Hauſe kamen“, ſagt Wodzicki, „fanden wir die armen Geſchöpfe traurig und mit aufgeſträubtem Gefieder ſitzen, ließen daher gleich das Trinkgefäß füllen und beluſtigten uns darüber, wie zuerſt die größeren, dann die kleineren ihren Durſt ſtillten. Der Wieſenknarrer war der erſte; als er ſich ſatt getrunken hatte, lief er zunächſt fröhlich umher mit aufgehobenem Schwanze und heruntergelaſſenen Schwingen; dann wurde ſein Schritt langſamer, er beugte den Körper hernieder, ſchlich in dieſer Stellung ſacht an das Trinkgefäß und hieb mit dem Schnabel nach einem Rothkehlchen. Als der Vogel umfiel, ergriff er ihn mit den langen Zehen und verzehrte vor unſeren Augen ſeine, wie es ſchien, alltägliche Beute. Wir ließen den Räuber noch einige Tage in dem Geſellſchaftsbauer, um uns zu überzeugen, wie viele
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[749/0795]
Wieſenknarrer.
bei der Ernte von dieſem in das Gebüſch; aber er thut Dies nicht eher, als bis ihn die Senſe
dazu zwingt.
Jn ſeinem Weſen ähnelt er anderen Rallen, hat aber doch ſein Eigenthümliches. Auch er iſt
mehr Nacht- als Tagvogel, ſchweigt wenigſtens in den heißen Stunden gänzlich und läßt ſich mit
Ausnahme der Mitternachtsſtunden die ganze Nacht hindurch hören. Aber er verſteckt ſich bei Tage,
wie bei Nacht. „Um recht verſteckt ſein zu können“, ſagt mein Vater, „macht er ſich im tieferen
Graſe beſondere Gänge, in denen er mit der größten Leichtigkeit und ohne daß ſich nur ein Grashalm
rührt, hin- und herläuft. Daraus läßt ſich auch erklären, daß man ihn bald da und, kurz darauf,
bald dort ſchreien hört und ſein Hin- und Herlaufen nicht an den Bewegungen des Graſes bemerken
kann. Schmale Gräben, welche durch die Wieſen gezogen ſind, benutzt er auch zu ſolchen Gängen.
Jn ihnen iſt er, da ſie oben durch überhängendes Gras völlig geſchloſſen ſind, vor den Nachſtellungen
der Raubvögel und vieler Raubthiere geſichert. Beim Laufen, welches mit ungeheuerer Geſchwindig-
keit von ſtatten geht, drückt er den Kopf nieder, zieht den Hals ein, hält den Leib wagerecht und nickt
bei jedem Schritte mit dem Kopfe. Wegen ſeines ungewöhnlich ſchmalen Körpers iſt es ihm auch
da, wo er keine Gänge hat, möglich, im dichten Graſe und Getreide ſchnell umherzulaufen, da er ſich
überall leicht durchdrängen kann. Er fliegt ſchnell, geradeaus, tief auf der Erde hin und nur kurze
Strecken, iſt aber ſehr ſchwer zum Auffliegen zu bringen. Sehr wohl weiß er, daß er unter dem
dichten Graſe weit ſicherer als in der freien Luft iſt, und deswegen bringt ihn gewöhnlich auch nur
der Hühnerhund zum Auffliegen. Vor dem Menſchen ſucht er ſich faſt immer zu retten. Eine
beſondere Geſchicklichkeit hat er, ſich zu verbergen; er verkriecht ſich nicht nur unter dem Graſe, im
Getreide und Gebüſche, ſondern ſogar unter den Schwaden und Gelegen und wird gewöhnlich erſt
bemerkt, wenn er davoneilt.“ Vor dem Hunde hält er oft ſolange aus, daß es erſterem nicht ſelten
gelingt, ihn beim Auffliegen wegzuſchnappen, und wenn er ſich wirklich erhebt, flattert er mehr, als
er fliegt, wie ein junger Vogel, welcher ſeine Flugwerkzeuge zum erſtenmale verſucht, und ſtürzt
ſobald als möglich zum Boden herab. Seine außerordentliche Gewandtheit und Scharffinnigkeit
ſichern ihn übrigens vor den meiſten Nachſtellungen.
So ſchmuck und nett der Wieſenknarrer ausſieht, ſo unfreundlich iſt ſein Weſen anderen ſeiner
Art oder ſchwächeren Thieren gegenüber. Auch er gehört zu den Raubvögeln und iſt wahrſcheinlich
einer der ſchlimmſten Neſtplünderer. Schon Naumann beobachtete an Gefangenen eine große
Biſſigkeit und Herrſchſucht, erfuhr auch, daß ſie kleine Sänger oder finkenartige Vögel hackten oder
ſelbſt todtbiſſen und dann das Gehirn verzehrten, fand ſelbſt getödtete Mäuſe, welche der Wieſenknarrer
beim Futternapfe ergriffen hatte; Wodzicki hatte Gelegenheit, dieſe Naubſucht in ausgedehnterem
Maße kennen zu lernen. Jn einem Geſellſchaftsbauer lebten viele kleine Vögel froh und in Eintracht,
bis ein Wieſenknarrer zu ihnen geſetzt wurde. Von dieſer Zeit an fand man täglich getödtete und
theilweiſe verzehrte Vögel und zwar nicht nur unter den kleineren Singvögeln, ſondern zuweilen auch
ſolche bis zur Größe der Droſſel. Es wurden Eiſen und Fallen geſtellt, alle Oeffnungen zugemacht,
aber Nichts konnte die Vögel ſchützen, weil Niemand auf den Gedanken kam, daß der Feind eben der
Wieſenknarrer war. Ein glücklicher Zufall belehrte, daß der Mörder ſich in dem Geſellſchaftsbauer
ſelbſt befand; man vergaß nämlich, den Vögeln einmal Waſſer zu geben. „Als wir nach Hauſe
kamen“, ſagt Wodzicki, „fanden wir die armen Geſchöpfe traurig und mit aufgeſträubtem Gefieder
ſitzen, ließen daher gleich das Trinkgefäß füllen und beluſtigten uns darüber, wie zuerſt die größeren,
dann die kleineren ihren Durſt ſtillten. Der Wieſenknarrer war der erſte; als er ſich ſatt getrunken
hatte, lief er zunächſt fröhlich umher mit aufgehobenem Schwanze und heruntergelaſſenen Schwingen;
dann wurde ſein Schritt langſamer, er beugte den Körper hernieder, ſchlich in dieſer Stellung ſacht an
das Trinkgefäß und hieb mit dem Schnabel nach einem Rothkehlchen. Als der Vogel umfiel, ergriff
er ihn mit den langen Zehen und verzehrte vor unſeren Augen ſeine, wie es ſchien, alltägliche Beute.
Wir ließen den Räuber noch einige Tage in dem Geſellſchaftsbauer, um uns zu überzeugen, wie viele
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 749. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/795>, abgerufen am 22.11.2024.
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