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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Schwimmer. Zahnschnäbler. Gänse.

Liebschaften zwischen wilden und zahmen Gänsen veranlassen die ersteren zuweilen, den zahmen bis
ins Gehöft zu folgen, selten aber können es die Wildlinge über sich gewinnen, hier zu verweilen.
Aus solchem geheimen Umgange gehen Junge hervor, welche in ihrer Gestalt und in ihrem Wesen
sich als echte Mittelglieder zwischen Zahmen und Wilden erweisen und, wie zu erwarten, fort-
pflanzungsfähig sind. Alte Graugänse fallen den größeren Adlern und den großen Edelfalken nicht
selten, Füchsen und Wölfen zuweilen zur Beute; an Feinden fehlt es also nicht. Vor dem Menschen
nehmen sich die Wildgänse stets sehr in Acht, und ihre Jagd erfordert deshalb einen ausgelernten
Jäger. Man erlauert sie gewöhnlich auf dem Anstande oder sucht sie abends aufzutreiben und
schießt sie sodann aus der Luft herab. Neuerdings hat man hier und da eine abscheuliche Jagd
begonnen: man verfolgt sie nämlich, nach Art der Lappen, während der Zeit, in welcher sie
flugunfähig sind, vom Boote aus, zwingt sie zu beständigem Untertauchen, bis sie, ermattet, nicht
mehr tauchen können, und schlägt sie dann mit Stangen todt oder gibt ihnen einen Gnaden-
schuß. Daß zu solcher unedlen Hatze ein wahrer Jäger sich nicht herbeiläßt, braucht nicht hervorgehoben
zu werden. Der vernünftige Weidmann schützt sie vielmehr nach besten Kräften, schießt im Frühjahre
höchstens die eine oder die andere von denen weg, welche sich noch nicht gepaart, und hält im Herbste
vor der Zugzeit eine einzige größere Jagd ab. Das Wildpret der alten Wildgänse ist hart und
zäh, das der jungen dagegen außerordentlich schmackhaft, eine ehrbare Jagd also in jeder Hinsicht
gerechtfertigt. Die Federn werden hochgeschätzt und wohl mit Recht für besser gehalten als die der
Hausgans, namentlich die Dunen gelten als vorzüglich. Der Nutzen, welchen die Erlegten bringen,
ist demnach immerhin nicht ganz unbedeutend; dagegen schaden sie nun auch wieder auf den Feldern
durch Auflesen von Getreidekörnern, Ausklauben der Aehren, Abweiden der Saat, Abpflücken von
Kraut und dergleichen: doch will es mir scheinen, als ob bei der Erwähnung dieses Schadens eher die
Mißgunst als die Gerechtigkeit maßgebend ist.



Eine andere, der Beachtung werthe Gans bewohnt ebenfalls hauptsächlich den Norden Amerikas,
verbreitet sich aber auch über Nordostasien und verirrt sich zuweilen nach Europa, zählt sogar
zu denjenigen Vögeln, welche als deutsche aufgeführt werden. Doch ist ihr Vorkommen auf der
Osthälfte der Erde immerhin ein seltenes; denn ihr Nistgebiet beschränkt sich auf die Küstenländer
von der Hudsonsbay an bis zu den Aleuten und ihre Wanderungen geschehen mehr in südöstlicher
als in südwestlicher Richtung. Allerdings bemerkt man sie in jedem Winter im nördlichen China und
einzeln auch in Japan, die Hauptmasse aber wandert durch Nordamerika und nimmt in den süd-
licheren Theilen der Vereinigten Staaten oder in Mittelamerika Herberge. Jn Tejas, Mejiko, auf
Cuba und auf den übrigen westindischen Jnseln ist sie während der Wintermonate, d. h. vom Oktober
bis zum April gemein; in Südkalifornien, Tejas, Louisiana, Mississippi, Alabama, Georgia
und Florida sieht man um diese Zeit Flüge von vielen Tausenden. Auch diese verweilen während
des Winters nicht in einer und derselben Oertlichkeit, sondern richten sich nach der Witterung und
fliegen, dementsprechend, bald mehr nach Süden hin, bald wieder nach Norden zurück.

Die Schneegans (Anser-Chen-hyperboreus) unterscheidet sich in ihrer Färbung von allen
übrigen Wildgänsen. Der alte Vogel ist bis auf die ersten zehn Schwingen schneeweiß; letztere
sind schwarz, ihre Schäfte am Grunde weiß, nach der Spitze hin ebenfalls schwarz. Die jungen
Vögel tragen ein von den Alten sehr verschiedenes Kleid: ihr Gefieder ist nur auf dem Kopfe
und dem Nacken weißgraulich überflogen, auf der Unterseite des Halses, dem Oberrücken, den
Schulterfedern, der Brust und den Seiten schwärzlichgrau, weiter unten blässer; die hinteren Theile
des Rückens und die Oberschwanzdeckfedern sind aschgrau, die Handschwingen grauschwarz, die Arm-

Die Schwimmer. Zahnſchnäbler. Gänſe.

Liebſchaften zwiſchen wilden und zahmen Gänſen veranlaſſen die erſteren zuweilen, den zahmen bis
ins Gehöft zu folgen, ſelten aber können es die Wildlinge über ſich gewinnen, hier zu verweilen.
Aus ſolchem geheimen Umgange gehen Junge hervor, welche in ihrer Geſtalt und in ihrem Weſen
ſich als echte Mittelglieder zwiſchen Zahmen und Wilden erweiſen und, wie zu erwarten, fort-
pflanzungsfähig ſind. Alte Graugänſe fallen den größeren Adlern und den großen Edelfalken nicht
ſelten, Füchſen und Wölfen zuweilen zur Beute; an Feinden fehlt es alſo nicht. Vor dem Menſchen
nehmen ſich die Wildgänſe ſtets ſehr in Acht, und ihre Jagd erfordert deshalb einen ausgelernten
Jäger. Man erlauert ſie gewöhnlich auf dem Anſtande oder ſucht ſie abends aufzutreiben und
ſchießt ſie ſodann aus der Luft herab. Neuerdings hat man hier und da eine abſcheuliche Jagd
begonnen: man verfolgt ſie nämlich, nach Art der Lappen, während der Zeit, in welcher ſie
flugunfähig ſind, vom Boote aus, zwingt ſie zu beſtändigem Untertauchen, bis ſie, ermattet, nicht
mehr tauchen können, und ſchlägt ſie dann mit Stangen todt oder gibt ihnen einen Gnaden-
ſchuß. Daß zu ſolcher unedlen Hatze ein wahrer Jäger ſich nicht herbeiläßt, braucht nicht hervorgehoben
zu werden. Der vernünftige Weidmann ſchützt ſie vielmehr nach beſten Kräften, ſchießt im Frühjahre
höchſtens die eine oder die andere von denen weg, welche ſich noch nicht gepaart, und hält im Herbſte
vor der Zugzeit eine einzige größere Jagd ab. Das Wildpret der alten Wildgänſe iſt hart und
zäh, das der jungen dagegen außerordentlich ſchmackhaft, eine ehrbare Jagd alſo in jeder Hinſicht
gerechtfertigt. Die Federn werden hochgeſchätzt und wohl mit Recht für beſſer gehalten als die der
Hausgans, namentlich die Dunen gelten als vorzüglich. Der Nutzen, welchen die Erlegten bringen,
iſt demnach immerhin nicht ganz unbedeutend; dagegen ſchaden ſie nun auch wieder auf den Feldern
durch Aufleſen von Getreidekörnern, Ausklauben der Aehren, Abweiden der Saat, Abpflücken von
Kraut und dergleichen: doch will es mir ſcheinen, als ob bei der Erwähnung dieſes Schadens eher die
Mißgunſt als die Gerechtigkeit maßgebend iſt.



Eine andere, der Beachtung werthe Gans bewohnt ebenfalls hauptſächlich den Norden Amerikas,
verbreitet ſich aber auch über Nordoſtaſien und verirrt ſich zuweilen nach Europa, zählt ſogar
zu denjenigen Vögeln, welche als deutſche aufgeführt werden. Doch iſt ihr Vorkommen auf der
Oſthälfte der Erde immerhin ein ſeltenes; denn ihr Niſtgebiet beſchränkt ſich auf die Küſtenländer
von der Hudſonsbay an bis zu den Alëuten und ihre Wanderungen geſchehen mehr in ſüdöſtlicher
als in ſüdweſtlicher Richtung. Allerdings bemerkt man ſie in jedem Winter im nördlichen China und
einzeln auch in Japan, die Hauptmaſſe aber wandert durch Nordamerika und nimmt in den ſüd-
licheren Theilen der Vereinigten Staaten oder in Mittelamerika Herberge. Jn Tejas, Mejiko, auf
Cuba und auf den übrigen weſtindiſchen Jnſeln iſt ſie während der Wintermonate, d. h. vom Oktober
bis zum April gemein; in Südkalifornien, Tejas, Louiſiana, Miſſiſſippi, Alabama, Georgia
und Florida ſieht man um dieſe Zeit Flüge von vielen Tauſenden. Auch dieſe verweilen während
des Winters nicht in einer und derſelben Oertlichkeit, ſondern richten ſich nach der Witterung und
fliegen, dementſprechend, bald mehr nach Süden hin, bald wieder nach Norden zurück.

Die Schneegans (Anser-Chen-hyperboreus) unterſcheidet ſich in ihrer Färbung von allen
übrigen Wildgänſen. Der alte Vogel iſt bis auf die erſten zehn Schwingen ſchneeweiß; letztere
ſind ſchwarz, ihre Schäfte am Grunde weiß, nach der Spitze hin ebenfalls ſchwarz. Die jungen
Vögel tragen ein von den Alten ſehr verſchiedenes Kleid: ihr Gefieder iſt nur auf dem Kopfe
und dem Nacken weißgraulich überflogen, auf der Unterſeite des Halſes, dem Oberrücken, den
Schulterfedern, der Bruſt und den Seiten ſchwärzlichgrau, weiter unten bläſſer; die hinteren Theile
des Rückens und die Oberſchwanzdeckfedern ſind aſchgrau, die Handſchwingen grauſchwarz, die Arm-

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[800/0848] Die Schwimmer. Zahnſchnäbler. Gänſe. Liebſchaften zwiſchen wilden und zahmen Gänſen veranlaſſen die erſteren zuweilen, den zahmen bis ins Gehöft zu folgen, ſelten aber können es die Wildlinge über ſich gewinnen, hier zu verweilen. Aus ſolchem geheimen Umgange gehen Junge hervor, welche in ihrer Geſtalt und in ihrem Weſen ſich als echte Mittelglieder zwiſchen Zahmen und Wilden erweiſen und, wie zu erwarten, fort- pflanzungsfähig ſind. Alte Graugänſe fallen den größeren Adlern und den großen Edelfalken nicht ſelten, Füchſen und Wölfen zuweilen zur Beute; an Feinden fehlt es alſo nicht. Vor dem Menſchen nehmen ſich die Wildgänſe ſtets ſehr in Acht, und ihre Jagd erfordert deshalb einen ausgelernten Jäger. Man erlauert ſie gewöhnlich auf dem Anſtande oder ſucht ſie abends aufzutreiben und ſchießt ſie ſodann aus der Luft herab. Neuerdings hat man hier und da eine abſcheuliche Jagd begonnen: man verfolgt ſie nämlich, nach Art der Lappen, während der Zeit, in welcher ſie flugunfähig ſind, vom Boote aus, zwingt ſie zu beſtändigem Untertauchen, bis ſie, ermattet, nicht mehr tauchen können, und ſchlägt ſie dann mit Stangen todt oder gibt ihnen einen Gnaden- ſchuß. Daß zu ſolcher unedlen Hatze ein wahrer Jäger ſich nicht herbeiläßt, braucht nicht hervorgehoben zu werden. Der vernünftige Weidmann ſchützt ſie vielmehr nach beſten Kräften, ſchießt im Frühjahre höchſtens die eine oder die andere von denen weg, welche ſich noch nicht gepaart, und hält im Herbſte vor der Zugzeit eine einzige größere Jagd ab. Das Wildpret der alten Wildgänſe iſt hart und zäh, das der jungen dagegen außerordentlich ſchmackhaft, eine ehrbare Jagd alſo in jeder Hinſicht gerechtfertigt. Die Federn werden hochgeſchätzt und wohl mit Recht für beſſer gehalten als die der Hausgans, namentlich die Dunen gelten als vorzüglich. Der Nutzen, welchen die Erlegten bringen, iſt demnach immerhin nicht ganz unbedeutend; dagegen ſchaden ſie nun auch wieder auf den Feldern durch Aufleſen von Getreidekörnern, Ausklauben der Aehren, Abweiden der Saat, Abpflücken von Kraut und dergleichen: doch will es mir ſcheinen, als ob bei der Erwähnung dieſes Schadens eher die Mißgunſt als die Gerechtigkeit maßgebend iſt. Eine andere, der Beachtung werthe Gans bewohnt ebenfalls hauptſächlich den Norden Amerikas, verbreitet ſich aber auch über Nordoſtaſien und verirrt ſich zuweilen nach Europa, zählt ſogar zu denjenigen Vögeln, welche als deutſche aufgeführt werden. Doch iſt ihr Vorkommen auf der Oſthälfte der Erde immerhin ein ſeltenes; denn ihr Niſtgebiet beſchränkt ſich auf die Küſtenländer von der Hudſonsbay an bis zu den Alëuten und ihre Wanderungen geſchehen mehr in ſüdöſtlicher als in ſüdweſtlicher Richtung. Allerdings bemerkt man ſie in jedem Winter im nördlichen China und einzeln auch in Japan, die Hauptmaſſe aber wandert durch Nordamerika und nimmt in den ſüd- licheren Theilen der Vereinigten Staaten oder in Mittelamerika Herberge. Jn Tejas, Mejiko, auf Cuba und auf den übrigen weſtindiſchen Jnſeln iſt ſie während der Wintermonate, d. h. vom Oktober bis zum April gemein; in Südkalifornien, Tejas, Louiſiana, Miſſiſſippi, Alabama, Georgia und Florida ſieht man um dieſe Zeit Flüge von vielen Tauſenden. Auch dieſe verweilen während des Winters nicht in einer und derſelben Oertlichkeit, ſondern richten ſich nach der Witterung und fliegen, dementſprechend, bald mehr nach Süden hin, bald wieder nach Norden zurück. Die Schneegans (Anser-Chen-hyperboreus) unterſcheidet ſich in ihrer Färbung von allen übrigen Wildgänſen. Der alte Vogel iſt bis auf die erſten zehn Schwingen ſchneeweiß; letztere ſind ſchwarz, ihre Schäfte am Grunde weiß, nach der Spitze hin ebenfalls ſchwarz. Die jungen Vögel tragen ein von den Alten ſehr verſchiedenes Kleid: ihr Gefieder iſt nur auf dem Kopfe und dem Nacken weißgraulich überflogen, auf der Unterſeite des Halſes, dem Oberrücken, den Schulterfedern, der Bruſt und den Seiten ſchwärzlichgrau, weiter unten bläſſer; die hinteren Theile des Rückens und die Oberſchwanzdeckfedern ſind aſchgrau, die Handſchwingen grauſchwarz, die Arm-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 800. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/848>, abgerufen am 22.11.2024.