bald wie der Klang einer Kindertrompete. Jede einzelne versucht ihre Erregung auch durch die Stimme kund zu thun, und da nun Millionen von demselben Gedanken erfüllt sind, werden Faber's Worte begreiflich. "Selbst wenn sie Erde zum Bau des Nestes im Schnabel tragen", meint dieser Forscher, "können sie nicht schweigen, sondern stoßen ununterbrochen heisere Kehllaute aus." Nach der Fortpflanzungszeit haben sie keinen Grund zum Schwatzen mehr, und damit erklärt sich auch ihr Schweigen.
Auch Derjenige, welcher meint, eine Vorstellung von dem unendlichen Reichthume des Meeres zu haben, wirft sich die Frage auf: wie ist es möglich, daß ein kleiner Umkreis der See diese Millionen ernähren kann? Man weiß, daß die Stummelmöve fast nur Fische frißt; Holboell hat auch beobachtet, daß während der Brutzeit das nördliche Eismeer gleichsam angefüllt ist mit Massen von Lodden, daß die Seehunde, wenn sie diese Fische von unten verfolgen, der Möve zu einem leichten Fange verhelfen, daß sie später genöthigt ist, zehn und mehr Meilen weit zu fliegen, um die Nahrung zu gewinnen, -- findet aber doch noch keine genügende Antwort für jene Frage und zweifelt, obgleich man alle Zweifel durch die thatsächliche Erfahrung widerlegt sieht. Wie unendlich reich das Meer ist, wie freigebig es auch dieser Möve den Tisch beschickt: Das bemerkt man, wenn sie, verschlagen und verirrt, das Jnnere des Festlandes besucht. Hier findet man sie oft todt am Strande liegen, und wenn man dann ihren Magen untersucht, diesen vollständig leer. Sie, die vom Reichthum Verwöhnte, erliegt dem Mangel des Landes: sie verhungert.
Graba fand, daß die Brutplätze dieser Möve, welche er auf den Faröern besuchte, nach Westen und Nordwesten gegen das Meer gerichtet waren und schließt daraus, daß die Stummelmöve solche Felsenwände zum Brüten benutze, welche senkrecht zur herrschenden Windrichtung stehen und dem abfliegenden Vogel es möglich machen, sogleich den zum Fluge günstigsten Wind zu benutzen; Boje meint, daß die Fülle der Nahrung, welche zu gewissen Zeiten in der Nähe bestimmter Küsten vorhanden, der hauptsächlichste Grund für die Wahl sein möge, und Faber glaubt, daß Heimats- und Gesellschaftstrieb diese Wahl bestimmen. Wie Dem auch sein möge, Eins steht fest, daß die einmal erwählten Felsenwände jahraus, jahrein wieder bezogen werden, anscheinend in immer gleicher Anzahl, daß aber die Vögel selbstverständlich nur solche Wände wählen, welche ihnen Raum zur Anlage ihrer Nester gewähren. Alle Mövenberge bestehen aus einzelnen Absätzen oder Gesimsen über einander und sind reich an Höhlen und Vorsprüngen; in den Höhlen und auf den Absätzen steht Nest an Nest, vom Fuße des Berges bis zur Höhe hinauf; jedes Plätzchen ist benutzt worden, jedes Gesims dient Tausenden von Pärchen zur Brutstätte ihrer Kinder. Bald nach ihrer Ankunft sieht man die Pärchen neben den Nestern sitzen, in den anmuthigsten Stellungen sich liebkosen, wie Tauben schnäbeln, sich gegenseitig im Gefieder nesteln und vernimmt ihr Girren oder, wie man es sonst nennen will, die zartesten Laute nämlich, welche eine Möve hervorbringen kann, vorausgesetzt natürlich, daß jene Laute nicht wie gewöhnlich von dem allgemeinen Lärm verschlungen werden. Während diese sich liebkosen, fliegen jene ab und zu, Neststoffe herbeischleppend, und so wird der Berg beständig eingehüllt von einer Vogelwolke, und ununterbrochen wimmelt und wirrt es durch einander. Das Nest selbst besteht der Hauptsache nach aus Tangen, wird aber durch den Koth der Vögel im Laufe der Jahre mit hohen Rändern versehen, und braucht also vor Beginn der Brut nur ein wenig ausgebessert zu werden. Drei bis vier, auf schmuzigrostgelbem, weißgrünlichen oder roströthlichen Grunde spärlich dunkler gefleckte und getüpfelte Eier bilden das Gelege. Man nimmt an, daß jedes Pärchen nur seiner eigenen Brut sich widmet, ist aber nicht im Stande, zu begreifen, wie es möglich, daß das Paar unter den Hunderttausenden sein Nest, ja den Gatten herauszufinden vermag. Die Jungen verweilen bis Mitte Augusts im Neste, sind bis dahin vollkommen flügge geworden und schwärmen nun auf das hohe Meer hinaus, vorher selbstverständlich zum unendlichen Geschrei noch nach Kräften beitragend.
Wie alle kleineren Arten der Familie haben auch die Stummelmöven von Edelfalken, Seeadlern und Raubmöven viel zu leiden; erstere nehmen sie vom Neste oder aus der Luft weg, letztere peinigen
Dreizehige Möve.
bald wie der Klang einer Kindertrompete. Jede einzelne verſucht ihre Erregung auch durch die Stimme kund zu thun, und da nun Millionen von demſelben Gedanken erfüllt ſind, werden Faber’s Worte begreiflich. „Selbſt wenn ſie Erde zum Bau des Neſtes im Schnabel tragen“, meint dieſer Forſcher, „können ſie nicht ſchweigen, ſondern ſtoßen ununterbrochen heiſere Kehllaute aus.“ Nach der Fortpflanzungszeit haben ſie keinen Grund zum Schwatzen mehr, und damit erklärt ſich auch ihr Schweigen.
Auch Derjenige, welcher meint, eine Vorſtellung von dem unendlichen Reichthume des Meeres zu haben, wirft ſich die Frage auf: wie iſt es möglich, daß ein kleiner Umkreis der See dieſe Millionen ernähren kann? Man weiß, daß die Stummelmöve faſt nur Fiſche frißt; Holboell hat auch beobachtet, daß während der Brutzeit das nördliche Eismeer gleichſam angefüllt iſt mit Maſſen von Lodden, daß die Seehunde, wenn ſie dieſe Fiſche von unten verfolgen, der Möve zu einem leichten Fange verhelfen, daß ſie ſpäter genöthigt iſt, zehn und mehr Meilen weit zu fliegen, um die Nahrung zu gewinnen, — findet aber doch noch keine genügende Antwort für jene Frage und zweifelt, obgleich man alle Zweifel durch die thatſächliche Erfahrung widerlegt ſieht. Wie unendlich reich das Meer iſt, wie freigebig es auch dieſer Möve den Tiſch beſchickt: Das bemerkt man, wenn ſie, verſchlagen und verirrt, das Jnnere des Feſtlandes beſucht. Hier findet man ſie oft todt am Strande liegen, und wenn man dann ihren Magen unterſucht, dieſen vollſtändig leer. Sie, die vom Reichthum Verwöhnte, erliegt dem Mangel des Landes: ſie verhungert.
Graba fand, daß die Brutplätze dieſer Möve, welche er auf den Faröern beſuchte, nach Weſten und Nordweſten gegen das Meer gerichtet waren und ſchließt daraus, daß die Stummelmöve ſolche Felſenwände zum Brüten benutze, welche ſenkrecht zur herrſchenden Windrichtung ſtehen und dem abfliegenden Vogel es möglich machen, ſogleich den zum Fluge günſtigſten Wind zu benutzen; Boje meint, daß die Fülle der Nahrung, welche zu gewiſſen Zeiten in der Nähe beſtimmter Küſten vorhanden, der hauptſächlichſte Grund für die Wahl ſein möge, und Faber glaubt, daß Heimats- und Geſellſchaftstrieb dieſe Wahl beſtimmen. Wie Dem auch ſein möge, Eins ſteht feſt, daß die einmal erwählten Felſenwände jahraus, jahrein wieder bezogen werden, anſcheinend in immer gleicher Anzahl, daß aber die Vögel ſelbſtverſtändlich nur ſolche Wände wählen, welche ihnen Raum zur Anlage ihrer Neſter gewähren. Alle Mövenberge beſtehen aus einzelnen Abſätzen oder Geſimſen über einander und ſind reich an Höhlen und Vorſprüngen; in den Höhlen und auf den Abſätzen ſteht Neſt an Neſt, vom Fuße des Berges bis zur Höhe hinauf; jedes Plätzchen iſt benutzt worden, jedes Geſims dient Tauſenden von Pärchen zur Brutſtätte ihrer Kinder. Bald nach ihrer Ankunft ſieht man die Pärchen neben den Neſtern ſitzen, in den anmuthigſten Stellungen ſich liebkoſen, wie Tauben ſchnäbeln, ſich gegenſeitig im Gefieder neſteln und vernimmt ihr Girren oder, wie man es ſonſt nennen will, die zarteſten Laute nämlich, welche eine Möve hervorbringen kann, vorausgeſetzt natürlich, daß jene Laute nicht wie gewöhnlich von dem allgemeinen Lärm verſchlungen werden. Während dieſe ſich liebkoſen, fliegen jene ab und zu, Neſtſtoffe herbeiſchleppend, und ſo wird der Berg beſtändig eingehüllt von einer Vogelwolke, und ununterbrochen wimmelt und wirrt es durch einander. Das Neſt ſelbſt beſteht der Hauptſache nach aus Tangen, wird aber durch den Koth der Vögel im Laufe der Jahre mit hohen Rändern verſehen, und braucht alſo vor Beginn der Brut nur ein wenig ausgebeſſert zu werden. Drei bis vier, auf ſchmuzigroſtgelbem, weißgrünlichen oder roſtröthlichen Grunde ſpärlich dunkler gefleckte und getüpfelte Eier bilden das Gelege. Man nimmt an, daß jedes Pärchen nur ſeiner eigenen Brut ſich widmet, iſt aber nicht im Stande, zu begreifen, wie es möglich, daß das Paar unter den Hunderttauſenden ſein Neſt, ja den Gatten herauszufinden vermag. Die Jungen verweilen bis Mitte Auguſts im Neſte, ſind bis dahin vollkommen flügge geworden und ſchwärmen nun auf das hohe Meer hinaus, vorher ſelbſtverſtändlich zum unendlichen Geſchrei noch nach Kräften beitragend.
Wie alle kleineren Arten der Familie haben auch die Stummelmöven von Edelfalken, Seeadlern und Raubmöven viel zu leiden; erſtere nehmen ſie vom Neſte oder aus der Luft weg, letztere peinigen
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Dreizehige Möve.
bald wie der Klang einer Kindertrompete. Jede einzelne verſucht ihre Erregung auch durch die
Stimme kund zu thun, und da nun Millionen von demſelben Gedanken erfüllt ſind, werden
Faber’s Worte begreiflich. „Selbſt wenn ſie Erde zum Bau des Neſtes im Schnabel tragen“,
meint dieſer Forſcher, „können ſie nicht ſchweigen, ſondern ſtoßen ununterbrochen heiſere Kehllaute
aus.“ Nach der Fortpflanzungszeit haben ſie keinen Grund zum Schwatzen mehr, und damit
erklärt ſich auch ihr Schweigen.
Auch Derjenige, welcher meint, eine Vorſtellung von dem unendlichen Reichthume des Meeres zu
haben, wirft ſich die Frage auf: wie iſt es möglich, daß ein kleiner Umkreis der See dieſe Millionen
ernähren kann? Man weiß, daß die Stummelmöve faſt nur Fiſche frißt; Holboell hat auch
beobachtet, daß während der Brutzeit das nördliche Eismeer gleichſam angefüllt iſt mit Maſſen
von Lodden, daß die Seehunde, wenn ſie dieſe Fiſche von unten verfolgen, der Möve zu einem
leichten Fange verhelfen, daß ſie ſpäter genöthigt iſt, zehn und mehr Meilen weit zu fliegen, um die
Nahrung zu gewinnen, — findet aber doch noch keine genügende Antwort für jene Frage und
zweifelt, obgleich man alle Zweifel durch die thatſächliche Erfahrung widerlegt ſieht. Wie unendlich
reich das Meer iſt, wie freigebig es auch dieſer Möve den Tiſch beſchickt: Das bemerkt man, wenn
ſie, verſchlagen und verirrt, das Jnnere des Feſtlandes beſucht. Hier findet man ſie oft todt am
Strande liegen, und wenn man dann ihren Magen unterſucht, dieſen vollſtändig leer. Sie, die vom
Reichthum Verwöhnte, erliegt dem Mangel des Landes: ſie verhungert.
Graba fand, daß die Brutplätze dieſer Möve, welche er auf den Faröern beſuchte, nach Weſten
und Nordweſten gegen das Meer gerichtet waren und ſchließt daraus, daß die Stummelmöve ſolche
Felſenwände zum Brüten benutze, welche ſenkrecht zur herrſchenden Windrichtung ſtehen und dem
abfliegenden Vogel es möglich machen, ſogleich den zum Fluge günſtigſten Wind zu benutzen; Boje
meint, daß die Fülle der Nahrung, welche zu gewiſſen Zeiten in der Nähe beſtimmter Küſten
vorhanden, der hauptſächlichſte Grund für die Wahl ſein möge, und Faber glaubt, daß Heimats- und
Geſellſchaftstrieb dieſe Wahl beſtimmen. Wie Dem auch ſein möge, Eins ſteht feſt, daß die einmal
erwählten Felſenwände jahraus, jahrein wieder bezogen werden, anſcheinend in immer gleicher
Anzahl, daß aber die Vögel ſelbſtverſtändlich nur ſolche Wände wählen, welche ihnen Raum zur
Anlage ihrer Neſter gewähren. Alle Mövenberge beſtehen aus einzelnen Abſätzen oder Geſimſen
über einander und ſind reich an Höhlen und Vorſprüngen; in den Höhlen und auf den Abſätzen ſteht
Neſt an Neſt, vom Fuße des Berges bis zur Höhe hinauf; jedes Plätzchen iſt benutzt worden, jedes
Geſims dient Tauſenden von Pärchen zur Brutſtätte ihrer Kinder. Bald nach ihrer Ankunft ſieht
man die Pärchen neben den Neſtern ſitzen, in den anmuthigſten Stellungen ſich liebkoſen, wie
Tauben ſchnäbeln, ſich gegenſeitig im Gefieder neſteln und vernimmt ihr Girren oder, wie man es
ſonſt nennen will, die zarteſten Laute nämlich, welche eine Möve hervorbringen kann, vorausgeſetzt
natürlich, daß jene Laute nicht wie gewöhnlich von dem allgemeinen Lärm verſchlungen werden.
Während dieſe ſich liebkoſen, fliegen jene ab und zu, Neſtſtoffe herbeiſchleppend, und ſo wird der Berg
beſtändig eingehüllt von einer Vogelwolke, und ununterbrochen wimmelt und wirrt es durch einander.
Das Neſt ſelbſt beſteht der Hauptſache nach aus Tangen, wird aber durch den Koth der Vögel im
Laufe der Jahre mit hohen Rändern verſehen, und braucht alſo vor Beginn der Brut nur ein wenig
ausgebeſſert zu werden. Drei bis vier, auf ſchmuzigroſtgelbem, weißgrünlichen oder roſtröthlichen
Grunde ſpärlich dunkler gefleckte und getüpfelte Eier bilden das Gelege. Man nimmt an,
daß jedes Pärchen nur ſeiner eigenen Brut ſich widmet, iſt aber nicht im Stande, zu begreifen, wie
es möglich, daß das Paar unter den Hunderttauſenden ſein Neſt, ja den Gatten herauszufinden
vermag. Die Jungen verweilen bis Mitte Auguſts im Neſte, ſind bis dahin vollkommen flügge
geworden und ſchwärmen nun auf das hohe Meer hinaus, vorher ſelbſtverſtändlich zum unendlichen
Geſchrei noch nach Kräften beitragend.
Wie alle kleineren Arten der Familie haben auch die Stummelmöven von Edelfalken, Seeadlern
und Raubmöven viel zu leiden; erſtere nehmen ſie vom Neſte oder aus der Luft weg, letztere peinigen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 875. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/927>, abgerufen am 22.11.2024.
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