Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeines.
in dichten Zügen, in unbeschreiblichem Gewimmel. Hunderte gesellen sich zu Tausenden, Tausende
zu Hunderttausenden, alle getrieben von demselben Drange. Um die Berge schwirrt und summt es
ohne Unterbrechung, scheinbar ohne Rast, ohne Ruhe, auf den Vorsprüngen und Gesimsen drängt sich
das unzählbare Heer, welches den ganzen Berg in ein Festgewand kleidet. Jeder Raum wird benutzt,
jede Spalte bewohnt, jeder Ritz in Besitz genommen, die Torfrinde, das mürbe Gestein durchwühlt,
untergraben. Ein unbeschreibliches Leben wird rege, und dennoch herrscht ein ewiger Friede unter
der Gemeinde, welche an Anzahl die unserer größten Städte übertrifft. Jn diesen geschieht es, daß
der Mensch an seinem verhungernden Mitbruder kalt vorübergeht: -- in den Gemeinden der tief-
stehenden Vögel finden sich Hunderte, welche nur auf die Gelegenheit warten, Barmherzigkeit zu
üben. Das Junge, welches seine Eltern verlor, ist nicht verloren: die Gesammtheit steht ein für
das Wohl des Einzelnen. Unendliche Liebe kommt auf diesen öden Felsen im Meere zur Geltung.
Die Eltern vergessen über ihren Kindern sich selbst.

Doch der innere Frieden wird gestört von außen her. Unten im Meere lauern die Raubfische,
um die Berge schweben die gefiederten Räuber. Zu ihnen gesellt sich der Mensch, für welchen diese
Vögel die Wachteln der Wüste sind. Hunderttausende von Eiern, Hunderttausende von Jungen
werden alljährlich eingesammelt auf diesen Bergen, oft Angesichts des lauernden Todes, die Meeres-
ernte wird eingeheimst, ohne Erbarmen. Einer der Bergvögel ist der Rücksichtslosigkeit des Menschen
bereits erlegen und hat aufgehört zu sein: die übrigen schützt zur Zeit noch ihre unendliche Menge
vor demselben Schicksale. Aber was wäre der arme Mensch des armen Nordens, ohne diese "Vögel
des Segens?!"



An erster Stelle mögen die Steißfüße oder Lappentaucher (Podicipites) Erwähnung
finden, weil sie den süßen Gewässern angehören und demgemäß zu den Vögeln des Binnenlandes
zählen. Die Familie, welche sie bilden, wurde von einigen Forschern in der Nähe der Wasserhühner
eingereiht, weil diese und die Steißfüße sich im Fußbaue ähneln; letztere gehören aber unzweifelhaft
zu den Tauchern. Jhr Leib ist auffallend breit und plattgedrückt, der Hals lang und ziemlich
dünn, der Kopf klein, gestreckt und niedrig, der Schnabel ein verlängerter, auf den Seiten zusammen-
gedrückter Kegel mit eingezogenen, sehr scharfen Schneiden, deren untere ein wenig in die obere ein-
greift. Die Füße sind ganz am Ende des Leibes eingelenkt und durch ihren Bau höchst ausgezeichnet,
nicht besonders hoch, seitlich so zusammengedrückt, daß sie vorn an der Spanne eine scharfe, glatte
Kante erhalten; unter den drei Vorderzehen ist die äußerste ebenso lang oder noch etwas länger als
die mittlere, die innere aber viel kürzer als die letztere, die hintere ziemlich hoch eingelenkt und
stummelartig; alle Vorderzehen werden von der Wurzel an bis zum ersten Gelenk durch eine Spann-
haut verbunden, sind von hier an zwar gespalten, beiderseits jedoch mit breiten, nicht ausgeschnittenen,
vorn abgerundeten Schwimmlappen besetzt, auf denen die breiten, platten Nägel aufliegen; an der
Hinterseite findet sich nur an der nach unten gekehrten Seite ein breiter, auf der entgegengesetzten blos
ein sehr schmaler Lappen. Die Flügel sind klein, kurz und schmal, unter den Schwingen die zweite,
erste und dritte die längsten. Ein Schwanz fehlt gänzlich; an seiner Stelle steht blos ein kleiner
Büschel zerschlissener Federn. Das Kleingefieder liegt überall dicht an und bildet auf der Unterseite
einen wahren Pelz, ist glatt und besitzt einen sanften Atlasglanz, während es am Kopfe, Halse, auf
dem Unterrücken und Bürzel haarartig zerschlissen erscheint. Jm Hochzeitskleide trägt der Kopf älterer
Vögel einen prachtvollen Schmuck in Gestalt eines breiten Wangen- und Kehlkragens oder eines
zweitheiligen Federbusches, welcher in der Regel durch lebhaftere Färbung sich auszeichnet.

Am Schädel fällt, nach den Untersuchungen von Wagner, die starke Entwickelung der Muskeln-
gräten am Hinterhaupte auf; das Hinterhauptsloch ist mehr nach hinten als nach unten gerichtet, die

Allgemeines.
in dichten Zügen, in unbeſchreiblichem Gewimmel. Hunderte geſellen ſich zu Tauſenden, Tauſende
zu Hunderttauſenden, alle getrieben von demſelben Drange. Um die Berge ſchwirrt und ſummt es
ohne Unterbrechung, ſcheinbar ohne Raſt, ohne Ruhe, auf den Vorſprüngen und Geſimſen drängt ſich
das unzählbare Heer, welches den ganzen Berg in ein Feſtgewand kleidet. Jeder Raum wird benutzt,
jede Spalte bewohnt, jeder Ritz in Beſitz genommen, die Torfrinde, das mürbe Geſtein durchwühlt,
untergraben. Ein unbeſchreibliches Leben wird rege, und dennoch herrſcht ein ewiger Friede unter
der Gemeinde, welche an Anzahl die unſerer größten Städte übertrifft. Jn dieſen geſchieht es, daß
der Menſch an ſeinem verhungernden Mitbruder kalt vorübergeht: — in den Gemeinden der tief-
ſtehenden Vögel finden ſich Hunderte, welche nur auf die Gelegenheit warten, Barmherzigkeit zu
üben. Das Junge, welches ſeine Eltern verlor, iſt nicht verloren: die Geſammtheit ſteht ein für
das Wohl des Einzelnen. Unendliche Liebe kommt auf dieſen öden Felſen im Meere zur Geltung.
Die Eltern vergeſſen über ihren Kindern ſich ſelbſt.

Doch der innere Frieden wird geſtört von außen her. Unten im Meere lauern die Raubfiſche,
um die Berge ſchweben die gefiederten Räuber. Zu ihnen geſellt ſich der Menſch, für welchen dieſe
Vögel die Wachteln der Wüſte ſind. Hunderttauſende von Eiern, Hunderttauſende von Jungen
werden alljährlich eingeſammelt auf dieſen Bergen, oft Angeſichts des lauernden Todes, die Meeres-
ernte wird eingeheimſt, ohne Erbarmen. Einer der Bergvögel iſt der Rückſichtsloſigkeit des Menſchen
bereits erlegen und hat aufgehört zu ſein: die übrigen ſchützt zur Zeit noch ihre unendliche Menge
vor demſelben Schickſale. Aber was wäre der arme Menſch des armen Nordens, ohne dieſe „Vögel
des Segens?!“



An erſter Stelle mögen die Steißfüße oder Lappentaucher (Podicipites) Erwähnung
finden, weil ſie den ſüßen Gewäſſern angehören und demgemäß zu den Vögeln des Binnenlandes
zählen. Die Familie, welche ſie bilden, wurde von einigen Forſchern in der Nähe der Waſſerhühner
eingereiht, weil dieſe und die Steißfüße ſich im Fußbaue ähneln; letztere gehören aber unzweifelhaft
zu den Tauchern. Jhr Leib iſt auffallend breit und plattgedrückt, der Hals lang und ziemlich
dünn, der Kopf klein, geſtreckt und niedrig, der Schnabel ein verlängerter, auf den Seiten zuſammen-
gedrückter Kegel mit eingezogenen, ſehr ſcharfen Schneiden, deren untere ein wenig in die obere ein-
greift. Die Füße ſind ganz am Ende des Leibes eingelenkt und durch ihren Bau höchſt ausgezeichnet,
nicht beſonders hoch, ſeitlich ſo zuſammengedrückt, daß ſie vorn an der Spanne eine ſcharfe, glatte
Kante erhalten; unter den drei Vorderzehen iſt die äußerſte ebenſo lang oder noch etwas länger als
die mittlere, die innere aber viel kürzer als die letztere, die hintere ziemlich hoch eingelenkt und
ſtummelartig; alle Vorderzehen werden von der Wurzel an bis zum erſten Gelenk durch eine Spann-
haut verbunden, ſind von hier an zwar geſpalten, beiderſeits jedoch mit breiten, nicht ausgeſchnittenen,
vorn abgerundeten Schwimmlappen beſetzt, auf denen die breiten, platten Nägel aufliegen; an der
Hinterſeite findet ſich nur an der nach unten gekehrten Seite ein breiter, auf der entgegengeſetzten blos
ein ſehr ſchmaler Lappen. Die Flügel ſind klein, kurz und ſchmal, unter den Schwingen die zweite,
erſte und dritte die längſten. Ein Schwanz fehlt gänzlich; an ſeiner Stelle ſteht blos ein kleiner
Büſchel zerſchliſſener Federn. Das Kleingefieder liegt überall dicht an und bildet auf der Unterſeite
einen wahren Pelz, iſt glatt und beſitzt einen ſanften Atlasglanz, während es am Kopfe, Halſe, auf
dem Unterrücken und Bürzel haarartig zerſchliſſen erſcheint. Jm Hochzeitskleide trägt der Kopf älterer
Vögel einen prachtvollen Schmuck in Geſtalt eines breiten Wangen- und Kehlkragens oder eines
zweitheiligen Federbuſches, welcher in der Regel durch lebhaftere Färbung ſich auszeichnet.

Am Schädel fällt, nach den Unterſuchungen von Wagner, die ſtarke Entwickelung der Muskeln-
gräten am Hinterhaupte auf; das Hinterhauptsloch iſt mehr nach hinten als nach unten gerichtet, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0987" n="935"/><fw place="top" type="header">Allgemeines.</fw><lb/>
in dichten Zügen, in unbe&#x017F;chreiblichem Gewimmel. Hunderte ge&#x017F;ellen &#x017F;ich zu Tau&#x017F;enden, Tau&#x017F;ende<lb/>
zu Hunderttau&#x017F;enden, alle getrieben von dem&#x017F;elben Drange. Um die Berge &#x017F;chwirrt und &#x017F;ummt es<lb/>
ohne Unterbrechung, &#x017F;cheinbar ohne Ra&#x017F;t, ohne Ruhe, auf den Vor&#x017F;prüngen und Ge&#x017F;im&#x017F;en drängt &#x017F;ich<lb/>
das unzählbare Heer, welches den ganzen Berg in ein Fe&#x017F;tgewand kleidet. Jeder Raum wird benutzt,<lb/>
jede Spalte bewohnt, jeder Ritz in Be&#x017F;itz genommen, die Torfrinde, das mürbe Ge&#x017F;tein durchwühlt,<lb/>
untergraben. Ein unbe&#x017F;chreibliches Leben wird rege, und dennoch herr&#x017F;cht ein ewiger Friede unter<lb/>
der Gemeinde, welche an Anzahl die un&#x017F;erer größten Städte übertrifft. Jn die&#x017F;en ge&#x017F;chieht es, daß<lb/>
der Men&#x017F;ch an &#x017F;einem verhungernden Mitbruder kalt vorübergeht: &#x2014; in den Gemeinden der tief-<lb/>
&#x017F;tehenden Vögel finden &#x017F;ich Hunderte, welche nur auf die Gelegenheit warten, Barmherzigkeit zu<lb/>
üben. Das Junge, welches &#x017F;eine Eltern verlor, i&#x017F;t nicht verloren: die Ge&#x017F;ammtheit &#x017F;teht ein für<lb/>
das Wohl des Einzelnen. Unendliche Liebe kommt auf die&#x017F;en öden Fel&#x017F;en im Meere zur Geltung.<lb/>
Die Eltern verge&#x017F;&#x017F;en über ihren Kindern &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Doch der innere Frieden wird ge&#x017F;tört von außen her. Unten im Meere lauern die Raubfi&#x017F;che,<lb/>
um die Berge &#x017F;chweben die gefiederten Räuber. Zu ihnen ge&#x017F;ellt &#x017F;ich der Men&#x017F;ch, für welchen die&#x017F;e<lb/>
Vögel die Wachteln der Wü&#x017F;te &#x017F;ind. Hunderttau&#x017F;ende von Eiern, Hunderttau&#x017F;ende von Jungen<lb/>
werden alljährlich einge&#x017F;ammelt auf die&#x017F;en Bergen, oft Ange&#x017F;ichts des lauernden Todes, die Meeres-<lb/>
ernte wird eingeheim&#x017F;t, ohne Erbarmen. Einer der Bergvögel i&#x017F;t der Rück&#x017F;ichtslo&#x017F;igkeit des Men&#x017F;chen<lb/>
bereits erlegen und hat aufgehört zu &#x017F;ein: die übrigen &#x017F;chützt zur Zeit noch ihre unendliche Menge<lb/>
vor dem&#x017F;elben Schick&#x017F;ale. Aber was wäre der arme Men&#x017F;ch des armen Nordens, ohne die&#x017F;e &#x201E;Vögel<lb/>
des Segens?!&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>An er&#x017F;ter Stelle mögen die <hi rendition="#g">Steißfüße</hi> oder <hi rendition="#g">Lappentaucher</hi> <hi rendition="#aq">(Podicipites)</hi> Erwähnung<lb/>
finden, weil &#x017F;ie den &#x017F;üßen Gewä&#x017F;&#x017F;ern angehören und demgemäß zu den Vögeln des Binnenlandes<lb/>
zählen. Die Familie, welche &#x017F;ie bilden, wurde von einigen For&#x017F;chern in der Nähe der Wa&#x017F;&#x017F;erhühner<lb/>
eingereiht, weil die&#x017F;e und die Steißfüße &#x017F;ich im Fußbaue ähneln; letztere gehören aber unzweifelhaft<lb/>
zu den Tauchern. Jhr Leib i&#x017F;t auffallend breit und plattgedrückt, der Hals lang und ziemlich<lb/>
dünn, der Kopf klein, ge&#x017F;treckt und niedrig, der Schnabel ein verlängerter, auf den Seiten zu&#x017F;ammen-<lb/>
gedrückter Kegel mit eingezogenen, &#x017F;ehr &#x017F;charfen Schneiden, deren untere ein wenig in die obere ein-<lb/>
greift. Die Füße &#x017F;ind ganz am Ende des Leibes eingelenkt und durch ihren Bau höch&#x017F;t ausgezeichnet,<lb/>
nicht be&#x017F;onders hoch, &#x017F;eitlich &#x017F;o zu&#x017F;ammengedrückt, daß &#x017F;ie vorn an der Spanne eine &#x017F;charfe, glatte<lb/>
Kante erhalten; unter den drei Vorderzehen i&#x017F;t die äußer&#x017F;te eben&#x017F;o lang oder noch etwas länger als<lb/>
die mittlere, die innere aber viel kürzer als die letztere, die hintere ziemlich hoch eingelenkt und<lb/>
&#x017F;tummelartig; alle Vorderzehen werden von der Wurzel an bis zum er&#x017F;ten Gelenk durch eine Spann-<lb/>
haut verbunden, &#x017F;ind von hier an zwar ge&#x017F;palten, beider&#x017F;eits jedoch mit breiten, nicht ausge&#x017F;chnittenen,<lb/>
vorn abgerundeten Schwimmlappen be&#x017F;etzt, auf denen die breiten, platten Nägel aufliegen; an der<lb/>
Hinter&#x017F;eite findet &#x017F;ich nur an der nach unten gekehrten Seite ein breiter, auf der entgegenge&#x017F;etzten blos<lb/>
ein &#x017F;ehr &#x017F;chmaler Lappen. Die Flügel &#x017F;ind klein, kurz und &#x017F;chmal, unter den Schwingen die zweite,<lb/>
er&#x017F;te und dritte die läng&#x017F;ten. Ein Schwanz fehlt gänzlich; an &#x017F;einer Stelle &#x017F;teht blos ein kleiner<lb/>&#x017F;chel zer&#x017F;chli&#x017F;&#x017F;ener Federn. Das Kleingefieder liegt überall dicht an und bildet auf der Unter&#x017F;eite<lb/>
einen wahren Pelz, i&#x017F;t glatt und be&#x017F;itzt einen &#x017F;anften Atlasglanz, während es am Kopfe, Hal&#x017F;e, auf<lb/>
dem Unterrücken und Bürzel haarartig zer&#x017F;chli&#x017F;&#x017F;en er&#x017F;cheint. Jm Hochzeitskleide trägt der Kopf älterer<lb/>
Vögel einen prachtvollen Schmuck in Ge&#x017F;talt eines breiten Wangen- und Kehlkragens oder eines<lb/>
zweitheiligen Federbu&#x017F;ches, welcher in der Regel durch lebhaftere Färbung &#x017F;ich auszeichnet.</p><lb/>
          <p>Am Schädel fällt, nach den Unter&#x017F;uchungen von <hi rendition="#g">Wagner,</hi> die &#x017F;tarke Entwickelung der Muskeln-<lb/>
gräten am Hinterhaupte auf; das Hinterhauptsloch i&#x017F;t mehr nach hinten als nach unten gerichtet, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[935/0987] Allgemeines. in dichten Zügen, in unbeſchreiblichem Gewimmel. Hunderte geſellen ſich zu Tauſenden, Tauſende zu Hunderttauſenden, alle getrieben von demſelben Drange. Um die Berge ſchwirrt und ſummt es ohne Unterbrechung, ſcheinbar ohne Raſt, ohne Ruhe, auf den Vorſprüngen und Geſimſen drängt ſich das unzählbare Heer, welches den ganzen Berg in ein Feſtgewand kleidet. Jeder Raum wird benutzt, jede Spalte bewohnt, jeder Ritz in Beſitz genommen, die Torfrinde, das mürbe Geſtein durchwühlt, untergraben. Ein unbeſchreibliches Leben wird rege, und dennoch herrſcht ein ewiger Friede unter der Gemeinde, welche an Anzahl die unſerer größten Städte übertrifft. Jn dieſen geſchieht es, daß der Menſch an ſeinem verhungernden Mitbruder kalt vorübergeht: — in den Gemeinden der tief- ſtehenden Vögel finden ſich Hunderte, welche nur auf die Gelegenheit warten, Barmherzigkeit zu üben. Das Junge, welches ſeine Eltern verlor, iſt nicht verloren: die Geſammtheit ſteht ein für das Wohl des Einzelnen. Unendliche Liebe kommt auf dieſen öden Felſen im Meere zur Geltung. Die Eltern vergeſſen über ihren Kindern ſich ſelbſt. Doch der innere Frieden wird geſtört von außen her. Unten im Meere lauern die Raubfiſche, um die Berge ſchweben die gefiederten Räuber. Zu ihnen geſellt ſich der Menſch, für welchen dieſe Vögel die Wachteln der Wüſte ſind. Hunderttauſende von Eiern, Hunderttauſende von Jungen werden alljährlich eingeſammelt auf dieſen Bergen, oft Angeſichts des lauernden Todes, die Meeres- ernte wird eingeheimſt, ohne Erbarmen. Einer der Bergvögel iſt der Rückſichtsloſigkeit des Menſchen bereits erlegen und hat aufgehört zu ſein: die übrigen ſchützt zur Zeit noch ihre unendliche Menge vor demſelben Schickſale. Aber was wäre der arme Menſch des armen Nordens, ohne dieſe „Vögel des Segens?!“ An erſter Stelle mögen die Steißfüße oder Lappentaucher (Podicipites) Erwähnung finden, weil ſie den ſüßen Gewäſſern angehören und demgemäß zu den Vögeln des Binnenlandes zählen. Die Familie, welche ſie bilden, wurde von einigen Forſchern in der Nähe der Waſſerhühner eingereiht, weil dieſe und die Steißfüße ſich im Fußbaue ähneln; letztere gehören aber unzweifelhaft zu den Tauchern. Jhr Leib iſt auffallend breit und plattgedrückt, der Hals lang und ziemlich dünn, der Kopf klein, geſtreckt und niedrig, der Schnabel ein verlängerter, auf den Seiten zuſammen- gedrückter Kegel mit eingezogenen, ſehr ſcharfen Schneiden, deren untere ein wenig in die obere ein- greift. Die Füße ſind ganz am Ende des Leibes eingelenkt und durch ihren Bau höchſt ausgezeichnet, nicht beſonders hoch, ſeitlich ſo zuſammengedrückt, daß ſie vorn an der Spanne eine ſcharfe, glatte Kante erhalten; unter den drei Vorderzehen iſt die äußerſte ebenſo lang oder noch etwas länger als die mittlere, die innere aber viel kürzer als die letztere, die hintere ziemlich hoch eingelenkt und ſtummelartig; alle Vorderzehen werden von der Wurzel an bis zum erſten Gelenk durch eine Spann- haut verbunden, ſind von hier an zwar geſpalten, beiderſeits jedoch mit breiten, nicht ausgeſchnittenen, vorn abgerundeten Schwimmlappen beſetzt, auf denen die breiten, platten Nägel aufliegen; an der Hinterſeite findet ſich nur an der nach unten gekehrten Seite ein breiter, auf der entgegengeſetzten blos ein ſehr ſchmaler Lappen. Die Flügel ſind klein, kurz und ſchmal, unter den Schwingen die zweite, erſte und dritte die längſten. Ein Schwanz fehlt gänzlich; an ſeiner Stelle ſteht blos ein kleiner Büſchel zerſchliſſener Federn. Das Kleingefieder liegt überall dicht an und bildet auf der Unterſeite einen wahren Pelz, iſt glatt und beſitzt einen ſanften Atlasglanz, während es am Kopfe, Halſe, auf dem Unterrücken und Bürzel haarartig zerſchliſſen erſcheint. Jm Hochzeitskleide trägt der Kopf älterer Vögel einen prachtvollen Schmuck in Geſtalt eines breiten Wangen- und Kehlkragens oder eines zweitheiligen Federbuſches, welcher in der Regel durch lebhaftere Färbung ſich auszeichnet. Am Schädel fällt, nach den Unterſuchungen von Wagner, die ſtarke Entwickelung der Muskeln- gräten am Hinterhaupte auf; das Hinterhauptsloch iſt mehr nach hinten als nach unten gerichtet, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/987
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 935. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/987>, abgerufen am 16.07.2024.