ihre Lebhaftigkeit, umsomehr wächst ihr Muth. Jn den Morgen- und Abendstunden zeigen sie sich zuweilen träge und auffallend sanft, in den Mittagsstunden nicht nur äußerst behend, sondern oft auch sehr muthig, ja förmlich rauflustig. Gegen den Herbst hin bringen sie viele Zeit im Jnneren ihrer Höhle zu, und mit Beginn des Oktobers suchen sie ihr Winterlager, in welchem sie, gänzlich erstarrt, kalt und regungslos bis zum Eintritte des Frühlings, mindestens bis zu den letzten Tagen des März verweilen.
Alle echten Eidechsen sind muntere, lebendige, feinsinnige und verhältnißmäßig kluge Thiere. Wenn sie sich nicht sonnen, streifen sie gern innerhalb ihres Wohnkreises umher, machen sich überhaupt immer Etwas zu schaffen. Jhr Gesicht ist scharf, den lebhaften Augen entsprechend, das Gehör so gut, daß schon das geringste Geräusch ihre Aufmerksamkeit erregt; eine feine Empfindung beweisen sie durch ihre Vorliebe für die Wärme, die Schärfe ihres Tastsinnes durch das beständige Züngeln. Aber ihre Zunge scheint auch wirklich Geschmackswerkzeug zu sein, da man beobachten kann, daß sie süße Fruchtsäfte oder Honig gar wohl von anderer Nahrung unterscheiden. An Verstand stehen sie gewiß nicht hinter irgend einem anderen Mitgliede ihrer Klasse zurück, übertreffen im Gegentheile auch in dieser Hinsicht die meisten ihrer Verwandten. Sie benehmen sich so klug, als sich ein Kriechthier überhaupt benehmen kann, unterscheiden richtig, sammeln Erfahrungen und verändern in Folge davon ihr Betragen, gewöhnen sich an veränderte Verhältnisse und gewinnen Zuneigung zu Geschöpfen, welche sie früher ängstlich flohen, beispielsweise zum Menschen. Auch sie denken.
Die Eidechsen sind tüchtige Räuber. Sie stellen Kerbthieren, Regenwürmern, Landschnecken eifrig nach, fallen aber auch kleine Wirbelthiere an, plündern Nester aus und verschlingen namentlich die Eier von Kriechthieren sehr gern. Fliegen verschmähen sie, wie Glückselig beobachtete, gänzlich, scheinen sich sogar vor den großen Summfliegen zu fürchten; Spinnen verfolgen sie eifrig, um sie zu verzehren; die nackten Gartenschnecken nehmen sie gern, minder gern Regenwürmer an; Heuschrecken, Nachtschmetterlinge und Käfer scheinen ihre Lieblingsnahrung zu bilden. Alles aber, welches sie erbeuten, muß lebend sein; denn todte Kerfe berühren sie nicht, falls man sie nicht täuscht, d. h. vor Gezähmten derartige Speise bewegt. Sie ergreifen ihren Raub plötzlich; oft mit einem großen Sprunge, quetschen ihn mit den Zähnen und schlucken ihn dann langsam hinab. Größere Kerfe schütteln sie solange im Munde, bis sie betäubt sind, lassen sie auch wohl wieder los, betrachten sie und fassen sie von Neuem. Durch Leckerbissen, beispielsweise Mehlwürmer, kann man sie so verwöhnen, daß sie längere Zeit andere Nahrung verschmähen. Gewisse Käfer nehmen sie einige Male nach einander, scheinbar ohne Widerstreben, lassen sie später jedoch hartnäckig liegen, unterscheiden also wohl zwischen der einen und der anderen Beute. Das Ver- schlingen eines größeren Kerbthieres scheint ihnen viele Mühe zu verursachen; sie wenden den Bissen solange im Munde hin und her, bis der Kopf voran liegt und würgen ihn hierauf mühselig hinunter. Jst Dies ihnen geglückt, so bezüngeln sie sich mit sichtbarem Wohlbehagen das Maul. Als echte Kriechthiere zeigen sie sich insofern, als sie ihre eigenen Jungen rücksichtslos verfolgen und wenn es ihnen glückt, dieselben zu erhaschen, ohne Weiteres umbringen und auffressen. An warmen Sonnen- tagen trinken sie viel und zwar durch wiederholtes Eintauchen ihrer Zunge in die Flüssigkeit. Honig lecken sie begierig und mit sichtbarem Vergnügen auf, süße Fruchtsäfte sagen ihnen ebenfalls sehr zu; wahrscheinlich also verschmähen sie auch während ihres Freilebens Früchte nicht gänzlich.
Bald nach ihrem Wiedererwachen im Frühjahre regt sich der Paarungstrieb, und nunmehr vereinigen sich beide Geschlechter. Die Männchen zeigen sich jetzt sehr streitsüchtig; das stärkere verfolgt schwächere wüthend, richtet sich hoch auf den steifgehaltenen Beinen auf und rückt mit gesenktem Kopfe auf den Gegner los, welcher seinen Angreifer eine Zeitlang betrachtet und dann, nachdem er sich von dessen Stärke überzeugt, sein Heil in der Flucht sucht. Der Angreifer verfolgt ihn in größter Eile und wird zuweilen so zornig, daß er sogar nach dem ihm in den Weg kommenden Weibchen beißt; erreicht er den Flüchtling, so versucht er, ihn am Schwanze zu packen, -- daher mögen die Verstümmelungen rühren, welche man so oft bei den Eidechsen beobachten kann. Hat ein
Die Schuppenechſen. Eidechſen. Halsbandeidechſen.
ihre Lebhaftigkeit, umſomehr wächſt ihr Muth. Jn den Morgen- und Abendſtunden zeigen ſie ſich zuweilen träge und auffallend ſanft, in den Mittagsſtunden nicht nur äußerſt behend, ſondern oft auch ſehr muthig, ja förmlich raufluſtig. Gegen den Herbſt hin bringen ſie viele Zeit im Jnneren ihrer Höhle zu, und mit Beginn des Oktobers ſuchen ſie ihr Winterlager, in welchem ſie, gänzlich erſtarrt, kalt und regungslos bis zum Eintritte des Frühlings, mindeſtens bis zu den letzten Tagen des März verweilen.
Alle echten Eidechſen ſind muntere, lebendige, feinſinnige und verhältnißmäßig kluge Thiere. Wenn ſie ſich nicht ſonnen, ſtreifen ſie gern innerhalb ihres Wohnkreiſes umher, machen ſich überhaupt immer Etwas zu ſchaffen. Jhr Geſicht iſt ſcharf, den lebhaften Augen entſprechend, das Gehör ſo gut, daß ſchon das geringſte Geräuſch ihre Aufmerkſamkeit erregt; eine feine Empfindung beweiſen ſie durch ihre Vorliebe für die Wärme, die Schärfe ihres Taſtſinnes durch das beſtändige Züngeln. Aber ihre Zunge ſcheint auch wirklich Geſchmackswerkzeug zu ſein, da man beobachten kann, daß ſie ſüße Fruchtſäfte oder Honig gar wohl von anderer Nahrung unterſcheiden. An Verſtand ſtehen ſie gewiß nicht hinter irgend einem anderen Mitgliede ihrer Klaſſe zurück, übertreffen im Gegentheile auch in dieſer Hinſicht die meiſten ihrer Verwandten. Sie benehmen ſich ſo klug, als ſich ein Kriechthier überhaupt benehmen kann, unterſcheiden richtig, ſammeln Erfahrungen und verändern in Folge davon ihr Betragen, gewöhnen ſich an veränderte Verhältniſſe und gewinnen Zuneigung zu Geſchöpfen, welche ſie früher ängſtlich flohen, beiſpielsweiſe zum Menſchen. Auch ſie denken.
Die Eidechſen ſind tüchtige Räuber. Sie ſtellen Kerbthieren, Regenwürmern, Landſchnecken eifrig nach, fallen aber auch kleine Wirbelthiere an, plündern Neſter aus und verſchlingen namentlich die Eier von Kriechthieren ſehr gern. Fliegen verſchmähen ſie, wie Glückſelig beobachtete, gänzlich, ſcheinen ſich ſogar vor den großen Summfliegen zu fürchten; Spinnen verfolgen ſie eifrig, um ſie zu verzehren; die nackten Gartenſchnecken nehmen ſie gern, minder gern Regenwürmer an; Heuſchrecken, Nachtſchmetterlinge und Käfer ſcheinen ihre Lieblingsnahrung zu bilden. Alles aber, welches ſie erbeuten, muß lebend ſein; denn todte Kerfe berühren ſie nicht, falls man ſie nicht täuſcht, d. h. vor Gezähmten derartige Speiſe bewegt. Sie ergreifen ihren Raub plötzlich; oft mit einem großen Sprunge, quetſchen ihn mit den Zähnen und ſchlucken ihn dann langſam hinab. Größere Kerfe ſchütteln ſie ſolange im Munde, bis ſie betäubt ſind, laſſen ſie auch wohl wieder los, betrachten ſie und faſſen ſie von Neuem. Durch Leckerbiſſen, beiſpielsweiſe Mehlwürmer, kann man ſie ſo verwöhnen, daß ſie längere Zeit andere Nahrung verſchmähen. Gewiſſe Käfer nehmen ſie einige Male nach einander, ſcheinbar ohne Widerſtreben, laſſen ſie ſpäter jedoch hartnäckig liegen, unterſcheiden alſo wohl zwiſchen der einen und der anderen Beute. Das Ver- ſchlingen eines größeren Kerbthieres ſcheint ihnen viele Mühe zu verurſachen; ſie wenden den Biſſen ſolange im Munde hin und her, bis der Kopf voran liegt und würgen ihn hierauf mühſelig hinunter. Jſt Dies ihnen geglückt, ſo bezüngeln ſie ſich mit ſichtbarem Wohlbehagen das Maul. Als echte Kriechthiere zeigen ſie ſich inſofern, als ſie ihre eigenen Jungen rückſichtslos verfolgen und wenn es ihnen glückt, dieſelben zu erhaſchen, ohne Weiteres umbringen und auffreſſen. An warmen Sonnen- tagen trinken ſie viel und zwar durch wiederholtes Eintauchen ihrer Zunge in die Flüſſigkeit. Honig lecken ſie begierig und mit ſichtbarem Vergnügen auf, ſüße Fruchtſäfte ſagen ihnen ebenfalls ſehr zu; wahrſcheinlich alſo verſchmähen ſie auch während ihres Freilebens Früchte nicht gänzlich.
Bald nach ihrem Wiedererwachen im Frühjahre regt ſich der Paarungstrieb, und nunmehr vereinigen ſich beide Geſchlechter. Die Männchen zeigen ſich jetzt ſehr ſtreitſüchtig; das ſtärkere verfolgt ſchwächere wüthend, richtet ſich hoch auf den ſteifgehaltenen Beinen auf und rückt mit geſenktem Kopfe auf den Gegner los, welcher ſeinen Angreifer eine Zeitlang betrachtet und dann, nachdem er ſich von deſſen Stärke überzeugt, ſein Heil in der Flucht ſucht. Der Angreifer verfolgt ihn in größter Eile und wird zuweilen ſo zornig, daß er ſogar nach dem ihm in den Weg kommenden Weibchen beißt; erreicht er den Flüchtling, ſo verſucht er, ihn am Schwanze zu packen, — daher mögen die Verſtümmelungen rühren, welche man ſo oft bei den Eidechſen beobachten kann. Hat ein
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[110/0126]
Die Schuppenechſen. Eidechſen. Halsbandeidechſen.
ihre Lebhaftigkeit, umſomehr wächſt ihr Muth. Jn den Morgen- und Abendſtunden zeigen ſie
ſich zuweilen träge und auffallend ſanft, in den Mittagsſtunden nicht nur äußerſt behend, ſondern oft
auch ſehr muthig, ja förmlich raufluſtig. Gegen den Herbſt hin bringen ſie viele Zeit im Jnneren
ihrer Höhle zu, und mit Beginn des Oktobers ſuchen ſie ihr Winterlager, in welchem ſie, gänzlich
erſtarrt, kalt und regungslos bis zum Eintritte des Frühlings, mindeſtens bis zu den letzten Tagen
des März verweilen.
Alle echten Eidechſen ſind muntere, lebendige, feinſinnige und verhältnißmäßig kluge Thiere.
Wenn ſie ſich nicht ſonnen, ſtreifen ſie gern innerhalb ihres Wohnkreiſes umher, machen ſich überhaupt
immer Etwas zu ſchaffen. Jhr Geſicht iſt ſcharf, den lebhaften Augen entſprechend, das Gehör
ſo gut, daß ſchon das geringſte Geräuſch ihre Aufmerkſamkeit erregt; eine feine Empfindung beweiſen
ſie durch ihre Vorliebe für die Wärme, die Schärfe ihres Taſtſinnes durch das beſtändige Züngeln.
Aber ihre Zunge ſcheint auch wirklich Geſchmackswerkzeug zu ſein, da man beobachten kann, daß ſie
ſüße Fruchtſäfte oder Honig gar wohl von anderer Nahrung unterſcheiden. An Verſtand ſtehen ſie
gewiß nicht hinter irgend einem anderen Mitgliede ihrer Klaſſe zurück, übertreffen im Gegentheile auch
in dieſer Hinſicht die meiſten ihrer Verwandten. Sie benehmen ſich ſo klug, als ſich ein Kriechthier
überhaupt benehmen kann, unterſcheiden richtig, ſammeln Erfahrungen und verändern in Folge
davon ihr Betragen, gewöhnen ſich an veränderte Verhältniſſe und gewinnen Zuneigung zu
Geſchöpfen, welche ſie früher ängſtlich flohen, beiſpielsweiſe zum Menſchen. Auch ſie denken.
Die Eidechſen ſind tüchtige Räuber. Sie ſtellen Kerbthieren, Regenwürmern, Landſchnecken
eifrig nach, fallen aber auch kleine Wirbelthiere an, plündern Neſter aus und verſchlingen namentlich
die Eier von Kriechthieren ſehr gern. Fliegen verſchmähen ſie, wie Glückſelig beobachtete, gänzlich,
ſcheinen ſich ſogar vor den großen Summfliegen zu fürchten; Spinnen verfolgen ſie eifrig, um
ſie zu verzehren; die nackten Gartenſchnecken nehmen ſie gern, minder gern Regenwürmer an;
Heuſchrecken, Nachtſchmetterlinge und Käfer ſcheinen ihre Lieblingsnahrung zu bilden. Alles
aber, welches ſie erbeuten, muß lebend ſein; denn todte Kerfe berühren ſie nicht, falls man
ſie nicht täuſcht, d. h. vor Gezähmten derartige Speiſe bewegt. Sie ergreifen ihren Raub
plötzlich; oft mit einem großen Sprunge, quetſchen ihn mit den Zähnen und ſchlucken ihn dann
langſam hinab. Größere Kerfe ſchütteln ſie ſolange im Munde, bis ſie betäubt ſind, laſſen ſie
auch wohl wieder los, betrachten ſie und faſſen ſie von Neuem. Durch Leckerbiſſen, beiſpielsweiſe
Mehlwürmer, kann man ſie ſo verwöhnen, daß ſie längere Zeit andere Nahrung verſchmähen. Gewiſſe
Käfer nehmen ſie einige Male nach einander, ſcheinbar ohne Widerſtreben, laſſen ſie ſpäter jedoch
hartnäckig liegen, unterſcheiden alſo wohl zwiſchen der einen und der anderen Beute. Das Ver-
ſchlingen eines größeren Kerbthieres ſcheint ihnen viele Mühe zu verurſachen; ſie wenden den Biſſen
ſolange im Munde hin und her, bis der Kopf voran liegt und würgen ihn hierauf mühſelig hinunter.
Jſt Dies ihnen geglückt, ſo bezüngeln ſie ſich mit ſichtbarem Wohlbehagen das Maul. Als echte
Kriechthiere zeigen ſie ſich inſofern, als ſie ihre eigenen Jungen rückſichtslos verfolgen und wenn es
ihnen glückt, dieſelben zu erhaſchen, ohne Weiteres umbringen und auffreſſen. An warmen Sonnen-
tagen trinken ſie viel und zwar durch wiederholtes Eintauchen ihrer Zunge in die Flüſſigkeit. Honig
lecken ſie begierig und mit ſichtbarem Vergnügen auf, ſüße Fruchtſäfte ſagen ihnen ebenfalls ſehr zu;
wahrſcheinlich alſo verſchmähen ſie auch während ihres Freilebens Früchte nicht gänzlich.
Bald nach ihrem Wiedererwachen im Frühjahre regt ſich der Paarungstrieb, und nunmehr
vereinigen ſich beide Geſchlechter. Die Männchen zeigen ſich jetzt ſehr ſtreitſüchtig; das ſtärkere
verfolgt ſchwächere wüthend, richtet ſich hoch auf den ſteifgehaltenen Beinen auf und rückt mit
geſenktem Kopfe auf den Gegner los, welcher ſeinen Angreifer eine Zeitlang betrachtet und dann,
nachdem er ſich von deſſen Stärke überzeugt, ſein Heil in der Flucht ſucht. Der Angreifer verfolgt
ihn in größter Eile und wird zuweilen ſo zornig, daß er ſogar nach dem ihm in den Weg kommenden
Weibchen beißt; erreicht er den Flüchtling, ſo verſucht er, ihn am Schwanze zu packen, — daher
mögen die Verſtümmelungen rühren, welche man ſo oft bei den Eidechſen beobachten kann. Hat ein
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/126>, abgerufen am 22.12.2024.
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