zurückgezogen; man bemerkt sodann eine rasche, kauende Bewegung der Kiefer, -- und das Thier erscheint wieder so regungslos als zuvor. War es aber längere Zeit im Fange unglücklich, so verfolgt es wirklich ein erspähtes Kerbthier auf einige Ellen weit, ohne jedoch den Busch, auf welchem es sich gerade befindet, zu verlassen.
Während meines Aufenthaltes in Alexandrien hielt ich einmal einige zwanzig lebende Chamäleons im Zimmer. Sie waren an einem und demselben Tage in meinen Besitz gelangt und hatten sich gleich von Anfang an in den ihnen angewiesenen Raum getheilt. Auf jedem Vorsprunge, an den Fenstergewänden, auf den Thürgesimsen, auf den in der Ecke stehenden Gewehren und Pfeifenröhren, auf Tischen, Stühlen, Kisten und Kasten saßen sie, jedes solange als möglich auf einem und demselben Platze. Durch ein mit Honig gefülltes Gefäß lockte ich Kerbthiere, also besonders Fliegen herbei; soviele von denselben aber auch kamen: der Hunger meiner Gefangenen schien unersättlich zu sein, oder die von ihnen gewählten Hinterhalte waren so ungünstig, daß sie sich wohl oder übel zu größeren Spaziergängen bequemen mußten. Diese Ausflüge brachten ihnen anfangs regelmäßig mehrere Fliegen ein; wenn ich aber das Fenster geschlossen und damit neuen Zuzug verhindert hatte, wurde die Jagd bald schwieriger; denn die Fliegen merkten die Verfolgung und wichen den sich ihnen nahenden Räubern vorsichtig aus. Bei dieser Gelegenheit habe ich die ausdauernde Geduld der Chamäleons bewundern gelernt.
Das eine der Thiere, welches sich auf der Stuhllehne festgesetzt hat, entdeckt, nachdem es seine Augen nach allen Richtungen hin hat spielen lassen, endlich auf dem benachbarten Tische eine Fliege. Die Entdeckung wird längere Zeit geprüft und der Fall scheinbar sorgfältig erwogen. Noch dürfte eine schwache Hoffnung vorhanden sein, daß die Fliege sich, fünf Zoll weit von der Schnauzenspitze entfernt, auf die Stuhllehne setzen könnte. Die erfreuliche Aussicht verwirklicht sich leider nicht. Jetzt kommt dem Chamäleon ein großer Gedanke, und es beeilt sich nach seiner Weise demselben die That folgen zu lassen. Bedächtig löst es den einen Vorderfuß, gemachsam erhebt es ihn ungefähr einen halben Zoll über die frühere Standfläche, langsam bringt es ihn vielleicht um einen Zoll weiter, und von Neuem klammert es ihn fest; einige Sekunden später löst sich auch die Schwanzschlinge, die fünfte Hand wird ebenfalls etwas vorgezogen, wiederum befestigt, und nunmehr kann auch das eine Hinterbein aus seiner Lage gebracht werden. Man erwartet natürlich, daß das dem Vorderfuße ent- gegengesetzte bewegt wird, bemerkt aber bald, daß es dem Chamäleon durchaus nicht darauf ankommt, eine Regel festzuhalten, daß es vielmehr die Beine einer und derselben Seite nach einander, bald die Vor- der- und Hinterfüße wechselseitig fürdersetzt. Ein Auge richtet sich fortwährend nach der Fliege, das andere dreht sich noch unablässig, als ob es auch seinerseits auf Jagd ausgehen müsse. Die Fliege bleibt sitzen -- es kann also vorwärts gegangen werden. Mit einer überaus komischen, aber für den Beschauer wirklich qualvollen Langweiligkeit steigt der geduldige Räuber an der Stuhllehne herab, auf dem Sitzbrete vorwärts, klammert sich mit überraschendem Geschick von unten an den Tisch und hilft sich nach unsäglichen Mühen, kletternd und sich weiter haspelnd, bis zum Rande der Platte empor. Beide Augen drehen sich jetzt, so schnell Dies überhaupt möglich ist; die Fliege sitzt glücklicherweise immer noch an derselben Stelle, kommt endlich in den Gesichtskreis, und die weitere Bewegung des Chamäleons wird wiederum eine geregelte. Endlich ist es bis in entsprechende Nähe gekommen, schon öffnen sich die Kiefer, der Kolben der Zungenspitze wird bereits sichtbar, da -- summt die besorgte Fliege davon, und das Chamäleon hat das Nachsehen. Von Neuem drehen sich die Augen, lange Zeit vergeblich; endlich dort in der fernen Ecke bleibt wenigstens das eine unbeweglich haften. Richtig, hier sitzt die Fliege wieder, wenn nicht dieselbe, so doch eine andere. Jetzt scheint es, als ob der Aerger über den fehlgeschlagenen Versuch die Schritte beschleunige; denn mit einer wirklich bewunderungswürdigen Hast ist das Chamäleon an dem Tische herabgestiegen und schreitet mit weit ausgebreiteten Beinen, den Schwanz als Stütze benutzend, über den flachen Boden dahin, anscheinend mit größter Beschwerde, jedoch noch immer viel schneller, als man erwartet hat. Ein langes Pfeifen- rohr bietet eine brauchbare Leiter, und nach einigen Minuten ist die Höhe derselben glücklich erreicht.
Die Schuppenechſen. Chamäleons.
zurückgezogen; man bemerkt ſodann eine raſche, kauende Bewegung der Kiefer, — und das Thier erſcheint wieder ſo regungslos als zuvor. War es aber längere Zeit im Fange unglücklich, ſo verfolgt es wirklich ein erſpähtes Kerbthier auf einige Ellen weit, ohne jedoch den Buſch, auf welchem es ſich gerade befindet, zu verlaſſen.
Während meines Aufenthaltes in Alexandrien hielt ich einmal einige zwanzig lebende Chamäleons im Zimmer. Sie waren an einem und demſelben Tage in meinen Beſitz gelangt und hatten ſich gleich von Anfang an in den ihnen angewieſenen Raum getheilt. Auf jedem Vorſprunge, an den Fenſtergewänden, auf den Thürgeſimſen, auf den in der Ecke ſtehenden Gewehren und Pfeifenröhren, auf Tiſchen, Stühlen, Kiſten und Kaſten ſaßen ſie, jedes ſolange als möglich auf einem und demſelben Platze. Durch ein mit Honig gefülltes Gefäß lockte ich Kerbthiere, alſo beſonders Fliegen herbei; ſoviele von denſelben aber auch kamen: der Hunger meiner Gefangenen ſchien unerſättlich zu ſein, oder die von ihnen gewählten Hinterhalte waren ſo ungünſtig, daß ſie ſich wohl oder übel zu größeren Spaziergängen bequemen mußten. Dieſe Ausflüge brachten ihnen anfangs regelmäßig mehrere Fliegen ein; wenn ich aber das Fenſter geſchloſſen und damit neuen Zuzug verhindert hatte, wurde die Jagd bald ſchwieriger; denn die Fliegen merkten die Verfolgung und wichen den ſich ihnen nahenden Räubern vorſichtig aus. Bei dieſer Gelegenheit habe ich die ausdauernde Geduld der Chamäleons bewundern gelernt.
Das eine der Thiere, welches ſich auf der Stuhllehne feſtgeſetzt hat, entdeckt, nachdem es ſeine Augen nach allen Richtungen hin hat ſpielen laſſen, endlich auf dem benachbarten Tiſche eine Fliege. Die Entdeckung wird längere Zeit geprüft und der Fall ſcheinbar ſorgfältig erwogen. Noch dürfte eine ſchwache Hoffnung vorhanden ſein, daß die Fliege ſich, fünf Zoll weit von der Schnauzenſpitze entfernt, auf die Stuhllehne ſetzen könnte. Die erfreuliche Ausſicht verwirklicht ſich leider nicht. Jetzt kommt dem Chamäleon ein großer Gedanke, und es beeilt ſich nach ſeiner Weiſe demſelben die That folgen zu laſſen. Bedächtig löſt es den einen Vorderfuß, gemachſam erhebt es ihn ungefähr einen halben Zoll über die frühere Standfläche, langſam bringt es ihn vielleicht um einen Zoll weiter, und von Neuem klammert es ihn feſt; einige Sekunden ſpäter löſt ſich auch die Schwanzſchlinge, die fünfte Hand wird ebenfalls etwas vorgezogen, wiederum befeſtigt, und nunmehr kann auch das eine Hinterbein aus ſeiner Lage gebracht werden. Man erwartet natürlich, daß das dem Vorderfuße ent- gegengeſetzte bewegt wird, bemerkt aber bald, daß es dem Chamäleon durchaus nicht darauf ankommt, eine Regel feſtzuhalten, daß es vielmehr die Beine einer und derſelben Seite nach einander, bald die Vor- der- und Hinterfüße wechſelſeitig fürderſetzt. Ein Auge richtet ſich fortwährend nach der Fliege, das andere dreht ſich noch unabläſſig, als ob es auch ſeinerſeits auf Jagd ausgehen müſſe. Die Fliege bleibt ſitzen — es kann alſo vorwärts gegangen werden. Mit einer überaus komiſchen, aber für den Beſchauer wirklich qualvollen Langweiligkeit ſteigt der geduldige Räuber an der Stuhllehne herab, auf dem Sitzbrete vorwärts, klammert ſich mit überraſchendem Geſchick von unten an den Tiſch und hilft ſich nach unſäglichen Mühen, kletternd und ſich weiter haſpelnd, bis zum Rande der Platte empor. Beide Augen drehen ſich jetzt, ſo ſchnell Dies überhaupt möglich iſt; die Fliege ſitzt glücklicherweiſe immer noch an derſelben Stelle, kommt endlich in den Geſichtskreis, und die weitere Bewegung des Chamäleons wird wiederum eine geregelte. Endlich iſt es bis in entſprechende Nähe gekommen, ſchon öffnen ſich die Kiefer, der Kolben der Zungenſpitze wird bereits ſichtbar, da — ſummt die beſorgte Fliege davon, und das Chamäleon hat das Nachſehen. Von Neuem drehen ſich die Augen, lange Zeit vergeblich; endlich dort in der fernen Ecke bleibt wenigſtens das eine unbeweglich haften. Richtig, hier ſitzt die Fliege wieder, wenn nicht dieſelbe, ſo doch eine andere. Jetzt ſcheint es, als ob der Aerger über den fehlgeſchlagenen Verſuch die Schritte beſchleunige; denn mit einer wirklich bewunderungswürdigen Haſt iſt das Chamäleon an dem Tiſche herabgeſtiegen und ſchreitet mit weit ausgebreiteten Beinen, den Schwanz als Stütze benutzend, über den flachen Boden dahin, anſcheinend mit größter Beſchwerde, jedoch noch immer viel ſchneller, als man erwartet hat. Ein langes Pfeifen- rohr bietet eine brauchbare Leiter, und nach einigen Minuten iſt die Höhe derſelben glücklich erreicht.
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Die Schuppenechſen. Chamäleons.
zurückgezogen; man bemerkt ſodann eine raſche, kauende Bewegung der Kiefer, — und das Thier
erſcheint wieder ſo regungslos als zuvor. War es aber längere Zeit im Fange unglücklich, ſo verfolgt
es wirklich ein erſpähtes Kerbthier auf einige Ellen weit, ohne jedoch den Buſch, auf welchem es ſich
gerade befindet, zu verlaſſen.
Während meines Aufenthaltes in Alexandrien hielt ich einmal einige zwanzig lebende Chamäleons
im Zimmer. Sie waren an einem und demſelben Tage in meinen Beſitz gelangt und hatten ſich
gleich von Anfang an in den ihnen angewieſenen Raum getheilt. Auf jedem Vorſprunge, an den
Fenſtergewänden, auf den Thürgeſimſen, auf den in der Ecke ſtehenden Gewehren und Pfeifenröhren,
auf Tiſchen, Stühlen, Kiſten und Kaſten ſaßen ſie, jedes ſolange als möglich auf einem und demſelben
Platze. Durch ein mit Honig gefülltes Gefäß lockte ich Kerbthiere, alſo beſonders Fliegen herbei;
ſoviele von denſelben aber auch kamen: der Hunger meiner Gefangenen ſchien unerſättlich zu ſein,
oder die von ihnen gewählten Hinterhalte waren ſo ungünſtig, daß ſie ſich wohl oder übel zu größeren
Spaziergängen bequemen mußten. Dieſe Ausflüge brachten ihnen anfangs regelmäßig mehrere
Fliegen ein; wenn ich aber das Fenſter geſchloſſen und damit neuen Zuzug verhindert hatte, wurde
die Jagd bald ſchwieriger; denn die Fliegen merkten die Verfolgung und wichen den ſich ihnen
nahenden Räubern vorſichtig aus. Bei dieſer Gelegenheit habe ich die ausdauernde Geduld der
Chamäleons bewundern gelernt.
Das eine der Thiere, welches ſich auf der Stuhllehne feſtgeſetzt hat, entdeckt, nachdem es
ſeine Augen nach allen Richtungen hin hat ſpielen laſſen, endlich auf dem benachbarten Tiſche eine
Fliege. Die Entdeckung wird längere Zeit geprüft und der Fall ſcheinbar ſorgfältig erwogen. Noch
dürfte eine ſchwache Hoffnung vorhanden ſein, daß die Fliege ſich, fünf Zoll weit von der Schnauzenſpitze
entfernt, auf die Stuhllehne ſetzen könnte. Die erfreuliche Ausſicht verwirklicht ſich leider nicht.
Jetzt kommt dem Chamäleon ein großer Gedanke, und es beeilt ſich nach ſeiner Weiſe demſelben die
That folgen zu laſſen. Bedächtig löſt es den einen Vorderfuß, gemachſam erhebt es ihn ungefähr
einen halben Zoll über die frühere Standfläche, langſam bringt es ihn vielleicht um einen Zoll weiter,
und von Neuem klammert es ihn feſt; einige Sekunden ſpäter löſt ſich auch die Schwanzſchlinge, die
fünfte Hand wird ebenfalls etwas vorgezogen, wiederum befeſtigt, und nunmehr kann auch das eine
Hinterbein aus ſeiner Lage gebracht werden. Man erwartet natürlich, daß das dem Vorderfuße ent-
gegengeſetzte bewegt wird, bemerkt aber bald, daß es dem Chamäleon durchaus nicht darauf ankommt,
eine Regel feſtzuhalten, daß es vielmehr die Beine einer und derſelben Seite nach einander, bald die Vor-
der- und Hinterfüße wechſelſeitig fürderſetzt. Ein Auge richtet ſich fortwährend nach der Fliege, das
andere dreht ſich noch unabläſſig, als ob es auch ſeinerſeits auf Jagd ausgehen müſſe. Die Fliege
bleibt ſitzen — es kann alſo vorwärts gegangen werden. Mit einer überaus komiſchen, aber für den
Beſchauer wirklich qualvollen Langweiligkeit ſteigt der geduldige Räuber an der Stuhllehne herab,
auf dem Sitzbrete vorwärts, klammert ſich mit überraſchendem Geſchick von unten an den Tiſch und
hilft ſich nach unſäglichen Mühen, kletternd und ſich weiter haſpelnd, bis zum Rande der Platte empor.
Beide Augen drehen ſich jetzt, ſo ſchnell Dies überhaupt möglich iſt; die Fliege ſitzt glücklicherweiſe
immer noch an derſelben Stelle, kommt endlich in den Geſichtskreis, und die weitere Bewegung des
Chamäleons wird wiederum eine geregelte. Endlich iſt es bis in entſprechende Nähe gekommen,
ſchon öffnen ſich die Kiefer, der Kolben der Zungenſpitze wird bereits ſichtbar, da — ſummt die beſorgte
Fliege davon, und das Chamäleon hat das Nachſehen. Von Neuem drehen ſich die Augen, lange
Zeit vergeblich; endlich dort in der fernen Ecke bleibt wenigſtens das eine unbeweglich haften.
Richtig, hier ſitzt die Fliege wieder, wenn nicht dieſelbe, ſo doch eine andere. Jetzt ſcheint es, als ob
der Aerger über den fehlgeſchlagenen Verſuch die Schritte beſchleunige; denn mit einer wirklich
bewunderungswürdigen Haſt iſt das Chamäleon an dem Tiſche herabgeſtiegen und ſchreitet mit weit
ausgebreiteten Beinen, den Schwanz als Stütze benutzend, über den flachen Boden dahin, anſcheinend
mit größter Beſchwerde, jedoch noch immer viel ſchneller, als man erwartet hat. Ein langes Pfeifen-
rohr bietet eine brauchbare Leiter, und nach einigen Minuten iſt die Höhe derſelben glücklich erreicht.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/136>, abgerufen am 22.12.2024.
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