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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Chamaleon.
Busche oder einer Baumkrone sitzen, unbeweglich, als wären sie ein dem Aste angewachsener Holz-
knorren, mit den vier Klammerfüßen und dem Schwanze an einem oder mehreren Zweigen befestigt.
Tagelang beschränkt sich ihre Bewegung darauf, sich bald auf dem Aste, welchen sie sich zum Ruhe-
platze erwählten, niederzudrücken und wieder zu erheben, und erst, wenn besondere Umstände eintreten,
verändern sie nicht blos ihre Stellung, sondern auch ihre Plätze. Das verschriene Faulthier und
jedes andere derjenigen Geschöpfe, welche auf Bäumen leben, bewegt sich mehr und öfterer als sie,
falls man absieht von Augen und Zunge; denn erstere sind in beständiger Thätigkeit, und letztere
[Abbildung] Das Chamäleon (Chama[e]leo vulgaris). [1/2] der nat Größe.
wird so oft, als sich Beute findet, hervorgeschnellt. Kein anderes Wirbelthier lauert ebenso beharrlich
wie das Chamäleon auf seine Beute; es läßt sich in dieser Hinsicht nur mit den tiefststehenden,
dem Felsen gleichsam angewachsenen wirbellosen Thieren vergleichen. Wer so glücklich gewesen ist, das
so schwer zu entdeckende Geschöpf aufzufinden, sieht, wie beide Augen sich beständig und zwar ruckweise
drehen und unabhängig von einander nach den verschiedensten Richtungen auslugen. Hat längeres
Fasten die sehr rege Freßlust nicht angestachelt, so verweilt das Chamäleon in derselben Stellung,
auch wenn es glücklich ein Kerbthier gesehen hat, und wartet ruhig, bis sich in entsprechender Ent-
fernung von ihm ein solches auf einem Zweige oder Blatte niederläßt. Sowie Dies geschehen, richtet
sich der Kopf dem Kerbthiere zu, beide Augen kehren sich mit ihren Spitzen nach vorn, der Mund
öffnet sich langsam, die Zunge schießt 5 bis 6 Zoll weit hervor, leimt das Kerbthier an und wird

Chamaleon.
Buſche oder einer Baumkrone ſitzen, unbeweglich, als wären ſie ein dem Aſte angewachſener Holz-
knorren, mit den vier Klammerfüßen und dem Schwanze an einem oder mehreren Zweigen befeſtigt.
Tagelang beſchränkt ſich ihre Bewegung darauf, ſich bald auf dem Aſte, welchen ſie ſich zum Ruhe-
platze erwählten, niederzudrücken und wieder zu erheben, und erſt, wenn beſondere Umſtände eintreten,
verändern ſie nicht blos ihre Stellung, ſondern auch ihre Plätze. Das verſchriene Faulthier und
jedes andere derjenigen Geſchöpfe, welche auf Bäumen leben, bewegt ſich mehr und öfterer als ſie,
falls man abſieht von Augen und Zunge; denn erſtere ſind in beſtändiger Thätigkeit, und letztere
[Abbildung] Das Chamäleon (Chama[e]leo vulgaris). [½] der nat Größe.
wird ſo oft, als ſich Beute findet, hervorgeſchnellt. Kein anderes Wirbelthier lauert ebenſo beharrlich
wie das Chamäleon auf ſeine Beute; es läßt ſich in dieſer Hinſicht nur mit den tiefſtſtehenden,
dem Felſen gleichſam angewachſenen wirbelloſen Thieren vergleichen. Wer ſo glücklich geweſen iſt, das
ſo ſchwer zu entdeckende Geſchöpf aufzufinden, ſieht, wie beide Augen ſich beſtändig und zwar ruckweiſe
drehen und unabhängig von einander nach den verſchiedenſten Richtungen auslugen. Hat längeres
Faſten die ſehr rege Freßluſt nicht angeſtachelt, ſo verweilt das Chamäleon in derſelben Stellung,
auch wenn es glücklich ein Kerbthier geſehen hat, und wartet ruhig, bis ſich in entſprechender Ent-
fernung von ihm ein ſolches auf einem Zweige oder Blatte niederläßt. Sowie Dies geſchehen, richtet
ſich der Kopf dem Kerbthiere zu, beide Augen kehren ſich mit ihren Spitzen nach vorn, der Mund
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[119/0135] Chamaleon. Buſche oder einer Baumkrone ſitzen, unbeweglich, als wären ſie ein dem Aſte angewachſener Holz- knorren, mit den vier Klammerfüßen und dem Schwanze an einem oder mehreren Zweigen befeſtigt. Tagelang beſchränkt ſich ihre Bewegung darauf, ſich bald auf dem Aſte, welchen ſie ſich zum Ruhe- platze erwählten, niederzudrücken und wieder zu erheben, und erſt, wenn beſondere Umſtände eintreten, verändern ſie nicht blos ihre Stellung, ſondern auch ihre Plätze. Das verſchriene Faulthier und jedes andere derjenigen Geſchöpfe, welche auf Bäumen leben, bewegt ſich mehr und öfterer als ſie, falls man abſieht von Augen und Zunge; denn erſtere ſind in beſtändiger Thätigkeit, und letztere [Abbildung Das Chamäleon (Chamaeleo vulgaris). ½ der nat Größe.] wird ſo oft, als ſich Beute findet, hervorgeſchnellt. Kein anderes Wirbelthier lauert ebenſo beharrlich wie das Chamäleon auf ſeine Beute; es läßt ſich in dieſer Hinſicht nur mit den tiefſtſtehenden, dem Felſen gleichſam angewachſenen wirbelloſen Thieren vergleichen. Wer ſo glücklich geweſen iſt, das ſo ſchwer zu entdeckende Geſchöpf aufzufinden, ſieht, wie beide Augen ſich beſtändig und zwar ruckweiſe drehen und unabhängig von einander nach den verſchiedenſten Richtungen auslugen. Hat längeres Faſten die ſehr rege Freßluſt nicht angeſtachelt, ſo verweilt das Chamäleon in derſelben Stellung, auch wenn es glücklich ein Kerbthier geſehen hat, und wartet ruhig, bis ſich in entſprechender Ent- fernung von ihm ein ſolches auf einem Zweige oder Blatte niederläßt. Sowie Dies geſchehen, richtet ſich der Kopf dem Kerbthiere zu, beide Augen kehren ſich mit ihren Spitzen nach vorn, der Mund öffnet ſich langſam, die Zunge ſchießt 5 bis 6 Zoll weit hervor, leimt das Kerbthier an und wird

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/135>, abgerufen am 20.05.2024.