kehren. Doch will die eben ausgesprochene Meinung wenig besagen; denn ich kann recht wohl getäuscht worden sein, und Lenz und andere Naturforscher, welche das Gehör als äußerst stumpf bezeichnen, mögen vielleicht vollkommen Recht behalten.
Noch schwieriger ist es, über den Geruch der Schlangen ins Klare zu kommen. Die Bildung der Geruchswerkzeuge scheint so ungünstig als möglich zu sein, und die Beobachtung berichtigt eine dahin gehende Annahme nicht. "Daß der Geruchssinn bei den Schlangen sehr schwach ist", sagt Lenz, "schließe ich theils daraus, daß der Riechnerv sehr kurz ist, theils daraus, daß man sie nie Etwas durch den Geruch aufsuchen oder untersuchen sieht, was man doch bei den Säugethieren leicht bemerken würde, theils auch aus Folgendem: Jch nahm in Tabakssaft getauchte Stäbchen und hielt sie Kreuzottern, glatten Nattern, gelben Nattern, Ringelnattern vor die Nase, alle jedoch kehrten sich gar nicht daran. Bekanntlich aber ist der Tabakssaft nicht nur von starkem Geruche, sondern hat auch die Eigenschaft, daß er Kreuzottern, gelbe und glatte Nattern leicht tödtet oder doch wenigstens krank macht; so hätte ich wohl erwarten dürfen, daß diese Thiere, wenn ihr Geruchssinn scharf wäre, vor dem Geruche des Tabakssaftes schaudern würden." Hierbei ist freilich Eins noch zu bemerken. Alle Thiere riechen nur dann, wenn sie durch die Nase Luft einziehen oder, was Dasselbe sagen will, Gerüche, d. h. verschiedene Gase mit den Geruchsnerven in Berührung bringen; die Schlangen nun athmen bekanntlich sehr wenig und unregelmäßig: es bleibt also die Annahme, daß sie während der Dauer der von Lenz angestellten Versuche nicht geathmet haben, keineswegs ausgeschlossen. Anderer- seits spricht das sonstige Benehmen der Thiere wiederum für die Schlußfolgerung unseres trefflichen Forschers: keine Schlange bekundet durch irgend eine Bewegung oder ein sonstiges Zeichen, daß fort- dauernde Gerüche auf sie irgend welchen Eindruck machen, keine, daß sie wittert u. s. w.
Leichter als über alle anderen Sinnesthätigkeiten mit Ausnahme des Tastsinnes vermögen wir über den Geschmackssinn zu urtheilen, weil wir dreist behaupten dürfen, daß derselbe gar nicht vor- handen ist. Hierfür spricht die Untersuchung der Zunge, hierfür die Beobachtung der lebenden Schlangen. An der Zunge hat man noch keine Geschmacksdrüsen entdeckt, an der Schlange beob- achtet, daß sie beim Hinabwürgen ihrer Beutestücke die Zunge selbst gewöhnlich in ihre Scheide zurück- zieht, und wenn man andererseits wahrnehmen mußte, daß sie zwischen verschiedenartiger Beute wohl einen Unterschied macht, so ist man berechtigt, diese Thatsache nicht zu Gunsten des Geschmackssinnes zu deuten, sondern sie höchstens auf Rechnung des Gefühls zu stellen. Die Behauptung des Aristo- teles, daß die Schlangen unter den Thieren die ärgsten Leckermäuler seien, ist ebenso unrichtig als seine Angabe, daß sie im Genusse des Weines weder Maß noch Ziel kennen und sich betrinken sollen.
"Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben" -- dieser Ausspruch ist in doppelter Hinsicht unrichtig, am unrichtigsten aber, soweit er sich auf den Verstand der Schlangen bezieht; denn dieser ist außerordentlich gering -- so gering, daß sich außer dem bereits im allgemeinen Mitgetheilten kaum noch etwas Besonderes hierüber sagen läßt. Wahrscheinlich thut man den Schlangen nicht Unrecht, wenn man annimmt, daß sie unter den tiefstehenden Kriechthieren die tiesst- stehenden sind. Bei ihrer Jagd legen sie eine gewisse List an den Tag, und einem Feinde gegenüber benehmen sie sich ebenfalls zuweilen scheinbar verständig, gegen ihren Pfleger in einem gewissen Grade zuthunlich; niemals und unter keinen Umständen aber zeigen sie ein höheres Maß von Verstand als andere Kriechthiere: sie sind nicht blos stumpfsinnig, sondern auch stumpfgeistig.
Alle Erdtheile beherbergen Schlangen. Schon Europa hat deren eine namhafte Anzahl aufzuweisen; in Nordamerika kommen unter gleicher Breite weit mehr Arten vor als in unserem heimatlichen Erdtheile; in Südamerika hausen ungefähr ebensoviele als in Südasien; auch das trockene Afrika und Neuholland sind reich an ihnen. Nach den Polen zu nimmt ihre Anzahl sehr rasch ab, ebensowohl was die Arten als die einzelnen Stücke anlangt; gegen die Wendekreisländer steigert sie sich in demselben Verhältnisse. Je wechselreicher eine Gegend, um so mehr Schlangen beherbergt sie, aus dem einfachen Grunde, weil sie ihnen mehr Nahrung liefert, als eine andere. Wasserreiche und feuchte Waldungen in den Gleicherländern dürfen als die wahre Heimat dieser
Die Schlangen.
kehren. Doch will die eben ausgeſprochene Meinung wenig beſagen; denn ich kann recht wohl getäuſcht worden ſein, und Lenz und andere Naturforſcher, welche das Gehör als äußerſt ſtumpf bezeichnen, mögen vielleicht vollkommen Recht behalten.
Noch ſchwieriger iſt es, über den Geruch der Schlangen ins Klare zu kommen. Die Bildung der Geruchswerkzeuge ſcheint ſo ungünſtig als möglich zu ſein, und die Beobachtung berichtigt eine dahin gehende Annahme nicht. „Daß der Geruchsſinn bei den Schlangen ſehr ſchwach iſt“, ſagt Lenz, „ſchließe ich theils daraus, daß der Riechnerv ſehr kurz iſt, theils daraus, daß man ſie nie Etwas durch den Geruch aufſuchen oder unterſuchen ſieht, was man doch bei den Säugethieren leicht bemerken würde, theils auch aus Folgendem: Jch nahm in Tabaksſaft getauchte Stäbchen und hielt ſie Kreuzottern, glatten Nattern, gelben Nattern, Ringelnattern vor die Naſe, alle jedoch kehrten ſich gar nicht daran. Bekanntlich aber iſt der Tabaksſaft nicht nur von ſtarkem Geruche, ſondern hat auch die Eigenſchaft, daß er Kreuzottern, gelbe und glatte Nattern leicht tödtet oder doch wenigſtens krank macht; ſo hätte ich wohl erwarten dürfen, daß dieſe Thiere, wenn ihr Geruchsſinn ſcharf wäre, vor dem Geruche des Tabaksſaftes ſchaudern würden.“ Hierbei iſt freilich Eins noch zu bemerken. Alle Thiere riechen nur dann, wenn ſie durch die Naſe Luft einziehen oder, was Daſſelbe ſagen will, Gerüche, d. h. verſchiedene Gaſe mit den Geruchsnerven in Berührung bringen; die Schlangen nun athmen bekanntlich ſehr wenig und unregelmäßig: es bleibt alſo die Annahme, daß ſie während der Dauer der von Lenz angeſtellten Verſuche nicht geathmet haben, keineswegs ausgeſchloſſen. Anderer- ſeits ſpricht das ſonſtige Benehmen der Thiere wiederum für die Schlußfolgerung unſeres trefflichen Forſchers: keine Schlange bekundet durch irgend eine Bewegung oder ein ſonſtiges Zeichen, daß fort- dauernde Gerüche auf ſie irgend welchen Eindruck machen, keine, daß ſie wittert u. ſ. w.
Leichter als über alle anderen Sinnesthätigkeiten mit Ausnahme des Taſtſinnes vermögen wir über den Geſchmacksſinn zu urtheilen, weil wir dreiſt behaupten dürfen, daß derſelbe gar nicht vor- handen iſt. Hierfür ſpricht die Unterſuchung der Zunge, hierfür die Beobachtung der lebenden Schlangen. An der Zunge hat man noch keine Geſchmacksdrüſen entdeckt, an der Schlange beob- achtet, daß ſie beim Hinabwürgen ihrer Beuteſtücke die Zunge ſelbſt gewöhnlich in ihre Scheide zurück- zieht, und wenn man andererſeits wahrnehmen mußte, daß ſie zwiſchen verſchiedenartiger Beute wohl einen Unterſchied macht, ſo iſt man berechtigt, dieſe Thatſache nicht zu Gunſten des Geſchmacksſinnes zu deuten, ſondern ſie höchſtens auf Rechnung des Gefühls zu ſtellen. Die Behauptung des Ariſto- teles, daß die Schlangen unter den Thieren die ärgſten Leckermäuler ſeien, iſt ebenſo unrichtig als ſeine Angabe, daß ſie im Genuſſe des Weines weder Maß noch Ziel kennen und ſich betrinken ſollen.
„Seid klug wie die Schlangen und ohne Falſch wie die Tauben“ — dieſer Ausſpruch iſt in doppelter Hinſicht unrichtig, am unrichtigſten aber, ſoweit er ſich auf den Verſtand der Schlangen bezieht; denn dieſer iſt außerordentlich gering — ſo gering, daß ſich außer dem bereits im allgemeinen Mitgetheilten kaum noch etwas Beſonderes hierüber ſagen läßt. Wahrſcheinlich thut man den Schlangen nicht Unrecht, wenn man annimmt, daß ſie unter den tiefſtehenden Kriechthieren die tieſſt- ſtehenden ſind. Bei ihrer Jagd legen ſie eine gewiſſe Liſt an den Tag, und einem Feinde gegenüber benehmen ſie ſich ebenfalls zuweilen ſcheinbar verſtändig, gegen ihren Pfleger in einem gewiſſen Grade zuthunlich; niemals und unter keinen Umſtänden aber zeigen ſie ein höheres Maß von Verſtand als andere Kriechthiere: ſie ſind nicht blos ſtumpfſinnig, ſondern auch ſtumpfgeiſtig.
Alle Erdtheile beherbergen Schlangen. Schon Europa hat deren eine namhafte Anzahl aufzuweiſen; in Nordamerika kommen unter gleicher Breite weit mehr Arten vor als in unſerem heimatlichen Erdtheile; in Südamerika hauſen ungefähr ebenſoviele als in Südaſien; auch das trockene Afrika und Neuholland ſind reich an ihnen. Nach den Polen zu nimmt ihre Anzahl ſehr raſch ab, ebenſowohl was die Arten als die einzelnen Stücke anlangt; gegen die Wendekreisländer ſteigert ſie ſich in demſelben Verhältniſſe. Je wechſelreicher eine Gegend, um ſo mehr Schlangen beherbergt ſie, aus dem einfachen Grunde, weil ſie ihnen mehr Nahrung liefert, als eine andere. Waſſerreiche und feuchte Waldungen in den Gleicherländern dürfen als die wahre Heimat dieſer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0200"n="180"/><fwplace="top"type="header">Die Schlangen.</fw><lb/>
kehren. Doch will die eben ausgeſprochene Meinung wenig beſagen; denn ich kann recht wohl<lb/>
getäuſcht worden ſein, und <hirendition="#g">Lenz</hi> und andere Naturforſcher, welche das Gehör als äußerſt ſtumpf<lb/>
bezeichnen, mögen vielleicht vollkommen Recht behalten.</p><lb/><p>Noch ſchwieriger iſt es, über den Geruch der Schlangen ins Klare zu kommen. Die Bildung<lb/>
der Geruchswerkzeuge ſcheint ſo ungünſtig als möglich zu ſein, und die Beobachtung berichtigt eine<lb/>
dahin gehende Annahme nicht. „Daß der Geruchsſinn bei den Schlangen ſehr ſchwach iſt“, ſagt<lb/><hirendition="#g">Lenz,</hi>„ſchließe ich theils daraus, daß der Riechnerv ſehr kurz iſt, theils daraus, daß man ſie nie<lb/>
Etwas durch den Geruch aufſuchen oder unterſuchen ſieht, was man doch bei den Säugethieren leicht<lb/>
bemerken würde, theils auch aus Folgendem: Jch nahm in Tabaksſaft getauchte Stäbchen und hielt<lb/>ſie Kreuzottern, glatten Nattern, gelben Nattern, Ringelnattern vor die Naſe, alle jedoch kehrten ſich<lb/>
gar nicht daran. Bekanntlich aber iſt der Tabaksſaft nicht nur von ſtarkem Geruche, ſondern hat auch<lb/>
die Eigenſchaft, daß er Kreuzottern, gelbe und glatte Nattern leicht tödtet oder doch wenigſtens krank<lb/>
macht; ſo hätte ich wohl erwarten dürfen, daß dieſe Thiere, wenn ihr Geruchsſinn ſcharf wäre, vor<lb/>
dem Geruche des Tabaksſaftes ſchaudern würden.“ Hierbei iſt freilich Eins noch zu bemerken. Alle<lb/>
Thiere riechen nur dann, wenn ſie durch die Naſe Luft einziehen oder, was Daſſelbe ſagen will,<lb/>
Gerüche, d. h. verſchiedene Gaſe mit den Geruchsnerven in Berührung bringen; die Schlangen nun<lb/>
athmen bekanntlich ſehr wenig und unregelmäßig: es bleibt alſo die Annahme, daß ſie während der<lb/>
Dauer der von <hirendition="#g">Lenz</hi> angeſtellten Verſuche nicht geathmet haben, keineswegs ausgeſchloſſen. Anderer-<lb/>ſeits ſpricht das ſonſtige Benehmen der Thiere wiederum für die Schlußfolgerung unſeres trefflichen<lb/>
Forſchers: keine Schlange bekundet durch irgend eine Bewegung oder ein ſonſtiges Zeichen, daß fort-<lb/>
dauernde Gerüche auf ſie irgend welchen Eindruck machen, keine, daß ſie wittert u. ſ. w.</p><lb/><p>Leichter als über alle anderen Sinnesthätigkeiten mit Ausnahme des Taſtſinnes vermögen wir<lb/>
über den Geſchmacksſinn zu urtheilen, weil wir dreiſt behaupten dürfen, daß derſelbe gar nicht vor-<lb/>
handen iſt. Hierfür ſpricht die Unterſuchung der Zunge, hierfür die Beobachtung der lebenden<lb/>
Schlangen. An der Zunge hat man noch keine Geſchmacksdrüſen entdeckt, an der Schlange beob-<lb/>
achtet, daß ſie beim Hinabwürgen ihrer Beuteſtücke die Zunge ſelbſt gewöhnlich in ihre Scheide zurück-<lb/>
zieht, und wenn man andererſeits wahrnehmen mußte, daß ſie zwiſchen verſchiedenartiger Beute wohl<lb/>
einen Unterſchied macht, ſo iſt man berechtigt, dieſe Thatſache nicht zu Gunſten des Geſchmacksſinnes<lb/>
zu deuten, ſondern ſie höchſtens auf Rechnung des Gefühls zu ſtellen. Die Behauptung des <hirendition="#g">Ariſto-<lb/>
teles,</hi> daß die Schlangen unter den Thieren die ärgſten Leckermäuler ſeien, iſt ebenſo unrichtig als<lb/>ſeine Angabe, daß ſie im Genuſſe des Weines weder Maß noch Ziel kennen und ſich betrinken ſollen.</p><lb/><p>„Seid klug wie die Schlangen und ohne Falſch wie die Tauben“— dieſer Ausſpruch iſt in<lb/>
doppelter Hinſicht unrichtig, am unrichtigſten aber, ſoweit er ſich auf den Verſtand der Schlangen<lb/>
bezieht; denn dieſer iſt außerordentlich gering —ſo gering, daß ſich außer dem bereits im allgemeinen<lb/>
Mitgetheilten kaum noch etwas Beſonderes hierüber ſagen läßt. Wahrſcheinlich thut man den<lb/>
Schlangen nicht Unrecht, wenn man annimmt, daß ſie unter den tiefſtehenden Kriechthieren die tieſſt-<lb/>ſtehenden ſind. Bei ihrer Jagd legen ſie eine gewiſſe Liſt an den Tag, und einem Feinde gegenüber<lb/>
benehmen ſie ſich ebenfalls zuweilen ſcheinbar verſtändig, gegen ihren Pfleger in einem gewiſſen Grade<lb/>
zuthunlich; niemals und unter keinen Umſtänden aber zeigen ſie ein höheres Maß von Verſtand als<lb/>
andere Kriechthiere: ſie ſind nicht blos ſtumpfſinnig, ſondern auch ſtumpfgeiſtig.</p><lb/><p>Alle Erdtheile beherbergen Schlangen. Schon Europa hat deren eine namhafte Anzahl<lb/>
aufzuweiſen; in Nordamerika kommen unter gleicher Breite weit mehr Arten vor als in unſerem<lb/>
heimatlichen Erdtheile; in Südamerika hauſen ungefähr ebenſoviele als in Südaſien; auch das<lb/>
trockene Afrika und Neuholland ſind reich an ihnen. Nach den Polen zu nimmt ihre Anzahl ſehr<lb/>
raſch ab, ebenſowohl was die Arten als die einzelnen Stücke anlangt; gegen die Wendekreisländer<lb/>ſteigert ſie ſich in demſelben Verhältniſſe. Je wechſelreicher eine Gegend, um ſo mehr Schlangen<lb/>
beherbergt ſie, aus dem einfachen Grunde, weil ſie ihnen mehr Nahrung liefert, als eine andere.<lb/>
Waſſerreiche und feuchte Waldungen in den Gleicherländern dürfen als die wahre Heimat dieſer<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[180/0200]
Die Schlangen.
kehren. Doch will die eben ausgeſprochene Meinung wenig beſagen; denn ich kann recht wohl
getäuſcht worden ſein, und Lenz und andere Naturforſcher, welche das Gehör als äußerſt ſtumpf
bezeichnen, mögen vielleicht vollkommen Recht behalten.
Noch ſchwieriger iſt es, über den Geruch der Schlangen ins Klare zu kommen. Die Bildung
der Geruchswerkzeuge ſcheint ſo ungünſtig als möglich zu ſein, und die Beobachtung berichtigt eine
dahin gehende Annahme nicht. „Daß der Geruchsſinn bei den Schlangen ſehr ſchwach iſt“, ſagt
Lenz, „ſchließe ich theils daraus, daß der Riechnerv ſehr kurz iſt, theils daraus, daß man ſie nie
Etwas durch den Geruch aufſuchen oder unterſuchen ſieht, was man doch bei den Säugethieren leicht
bemerken würde, theils auch aus Folgendem: Jch nahm in Tabaksſaft getauchte Stäbchen und hielt
ſie Kreuzottern, glatten Nattern, gelben Nattern, Ringelnattern vor die Naſe, alle jedoch kehrten ſich
gar nicht daran. Bekanntlich aber iſt der Tabaksſaft nicht nur von ſtarkem Geruche, ſondern hat auch
die Eigenſchaft, daß er Kreuzottern, gelbe und glatte Nattern leicht tödtet oder doch wenigſtens krank
macht; ſo hätte ich wohl erwarten dürfen, daß dieſe Thiere, wenn ihr Geruchsſinn ſcharf wäre, vor
dem Geruche des Tabaksſaftes ſchaudern würden.“ Hierbei iſt freilich Eins noch zu bemerken. Alle
Thiere riechen nur dann, wenn ſie durch die Naſe Luft einziehen oder, was Daſſelbe ſagen will,
Gerüche, d. h. verſchiedene Gaſe mit den Geruchsnerven in Berührung bringen; die Schlangen nun
athmen bekanntlich ſehr wenig und unregelmäßig: es bleibt alſo die Annahme, daß ſie während der
Dauer der von Lenz angeſtellten Verſuche nicht geathmet haben, keineswegs ausgeſchloſſen. Anderer-
ſeits ſpricht das ſonſtige Benehmen der Thiere wiederum für die Schlußfolgerung unſeres trefflichen
Forſchers: keine Schlange bekundet durch irgend eine Bewegung oder ein ſonſtiges Zeichen, daß fort-
dauernde Gerüche auf ſie irgend welchen Eindruck machen, keine, daß ſie wittert u. ſ. w.
Leichter als über alle anderen Sinnesthätigkeiten mit Ausnahme des Taſtſinnes vermögen wir
über den Geſchmacksſinn zu urtheilen, weil wir dreiſt behaupten dürfen, daß derſelbe gar nicht vor-
handen iſt. Hierfür ſpricht die Unterſuchung der Zunge, hierfür die Beobachtung der lebenden
Schlangen. An der Zunge hat man noch keine Geſchmacksdrüſen entdeckt, an der Schlange beob-
achtet, daß ſie beim Hinabwürgen ihrer Beuteſtücke die Zunge ſelbſt gewöhnlich in ihre Scheide zurück-
zieht, und wenn man andererſeits wahrnehmen mußte, daß ſie zwiſchen verſchiedenartiger Beute wohl
einen Unterſchied macht, ſo iſt man berechtigt, dieſe Thatſache nicht zu Gunſten des Geſchmacksſinnes
zu deuten, ſondern ſie höchſtens auf Rechnung des Gefühls zu ſtellen. Die Behauptung des Ariſto-
teles, daß die Schlangen unter den Thieren die ärgſten Leckermäuler ſeien, iſt ebenſo unrichtig als
ſeine Angabe, daß ſie im Genuſſe des Weines weder Maß noch Ziel kennen und ſich betrinken ſollen.
„Seid klug wie die Schlangen und ohne Falſch wie die Tauben“ — dieſer Ausſpruch iſt in
doppelter Hinſicht unrichtig, am unrichtigſten aber, ſoweit er ſich auf den Verſtand der Schlangen
bezieht; denn dieſer iſt außerordentlich gering — ſo gering, daß ſich außer dem bereits im allgemeinen
Mitgetheilten kaum noch etwas Beſonderes hierüber ſagen läßt. Wahrſcheinlich thut man den
Schlangen nicht Unrecht, wenn man annimmt, daß ſie unter den tiefſtehenden Kriechthieren die tieſſt-
ſtehenden ſind. Bei ihrer Jagd legen ſie eine gewiſſe Liſt an den Tag, und einem Feinde gegenüber
benehmen ſie ſich ebenfalls zuweilen ſcheinbar verſtändig, gegen ihren Pfleger in einem gewiſſen Grade
zuthunlich; niemals und unter keinen Umſtänden aber zeigen ſie ein höheres Maß von Verſtand als
andere Kriechthiere: ſie ſind nicht blos ſtumpfſinnig, ſondern auch ſtumpfgeiſtig.
Alle Erdtheile beherbergen Schlangen. Schon Europa hat deren eine namhafte Anzahl
aufzuweiſen; in Nordamerika kommen unter gleicher Breite weit mehr Arten vor als in unſerem
heimatlichen Erdtheile; in Südamerika hauſen ungefähr ebenſoviele als in Südaſien; auch das
trockene Afrika und Neuholland ſind reich an ihnen. Nach den Polen zu nimmt ihre Anzahl ſehr
raſch ab, ebenſowohl was die Arten als die einzelnen Stücke anlangt; gegen die Wendekreisländer
ſteigert ſie ſich in demſelben Verhältniſſe. Je wechſelreicher eine Gegend, um ſo mehr Schlangen
beherbergt ſie, aus dem einfachen Grunde, weil ſie ihnen mehr Nahrung liefert, als eine andere.
Waſſerreiche und feuchte Waldungen in den Gleicherländern dürfen als die wahre Heimat dieſer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/200>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.