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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Allgemeines.
Thiere angesehen werden; aber sie fehlen auch der dürrsten Wüste nicht und finden sich noch bis zu
bedeutenden Höhen, in den Gebirgen jedenfalls bis zur Grenze des Baumwuchses. Ueberhaupt kann
man sie die verbreitetsten aller Kriechthiere nennen, da sie ja ebensogut wie die Schildkröten auch im
Wasser leben, und zwar in süßen Gewässern ebensowohl wie im Meere. Dieser außerordentlichen
Verbreitung entspricht die Vielseitigkeit ihrer Aufenthaltsorte. Jnnerhalb ihres Verbreitungskreises
begegnet man ihnen buchstäblich überall. Selbst die einzelnen Arten, deren Verbreitungskreis ver-
hältnißmäßig beschränkt ist, scheinen weit weniger als andere Klassenverwandte von einem und dem-
felben Gebiete abhängig zu sein, obwohl sich nicht verkennen läßt, daß jede Art mehr oder weniger eine
gewisse Oertlichkeit bevorzugt. Ungeachtet ihrer Fußlosigkeit wissen sie sich einzurichten, die einen im
Wasser, die anderen im Sumpfe, diese auf ebenem Boden, jene an steilen Gehängen, nicht wenige
auch im Gezweige der Bäume. An dem einmal gewählten Aufenthaltsorte scheinen sie beharrlich
festzuhalten, also, mit anderen Worten, nur einen sehr kleinen Bezirk zu durchstreifen. Jn einem
beschränkten Grade wandern auch sie; denn sie übersetzen Flüsse und andere Gewässer, um sich am
jenseitigen Ufer oder auf Jnseln anzusiedeln, kommen vom Walde, von der Steppe in Dörfer und
Städte herein u. s. w.; im allgemeinen aber lieben sie das Umherstreifen nicht, sondern wählen sich
einen Standort, womöglich einen solchen, welcher ein passendes Versteck enthält und lauern in der
Nähe desselben auf Beute. Nicht ganz unwahrscheinlich ist es, daß sie freiwillig überhaupt nur
während der Paarungszeit und gegen den Winter hin Streifzüge antreten. Zum Auswandern
gezwungen werden sie, wenn sich ein Platz, welchen sie bewohnen, durch Umarbeitung derartig ver-
ändert, daß ihnen der Schlupfwinkel und die Nahrung, oder die Möglichkeit, sich behaglich zu sonnen,
entzogen wird. Jn der Regel findet man auch sie fern von menschlichen Behausungen, Dies aber
nur deshalb, weil sie der Mensch in der Nähe der Ortschaften verfolgt und vertreibt; denn sie selbst
fürchten die Nähe ihres Erzfeindes keineswegs, drängen sich ihm vielmehr oft in höchst unerwünschter
Weise auf. Auch bei uns begegnet man nicht selten Schlangen in solchen Gärten, welche inmitten
von Städten liegen, ohne daß man eigentlich begreift, wie sie dahin gelangen; in südlichen Ländern
empfängt man häufig ihre unerwünschten Besuche in den Häusern, und namentlich die Nachtschlangen,
also gerade die gefährlichsten, werden hier manchmal höchst unangenehm.

Waldungen, welche jahraus, jahrein mehr oder weniger dasselbe Gepräge zeigen, bieten den
Schlangen beständig annähernd dieselben Annehmlichkeiten: hinlängliche Nahrung, behagliche Wärme,
Wasser zum Baden etc. Natürliche Folge davon ist, daß sie sich jahraus, jahrein so ziemlich in gleicher
Weise betragen. Anders verhält es sich da, wo der merkliche Wechsel der Jahreszeiten eine ver-
schiedene Lebensweise der Thiere bedingt. Jn allen Gegenden, welche einen kalten oder heißen,
trocknen Winter haben, sind die Schlangen genöthigt, sich gegen die Einwirkungen der Kälte oder
bezüglich der Trockenheit zu schützen. Sämmtliche Arten, welche den nördlichen Theil unseres
gemäßigten Gürtels bewohnen, ziehen sich mit Beginn des Winters in tiefe Schlupfhöhlen zurück und
verbringen in ihnen die ungünstige Jahreszeit in einem Zustande der Erstarrung. Dasselbe findet,
wie bereits angegeben, in den Ländern unter den Wendekreisen statt, beschränkt sich hier aber vielleicht
auf diejenigen Arten, welche im Wasser oder in feuchten Gegenden leben und durch die Dürre belästigt
werden. Einzelne Arten scheinen sich während des Winterschlafs zu gesellen, möglicherweise nur
deshalb, weil entsprechende Schlupfwinkel schwer zu finden sind und somit ein Zusammendrängen der
über ein gewisses Gebiet zerstreuten Schlangen nöthig wird. So behauptet man in Nordamerika all-
gemein, daß die Klapperschlange während des Winters hier und da dutzendweise ein und dasselbe
Winterbett beziehe, und will Aehnliches ebenso von unserer Kreuzotter beobachtet haben; die Angabe
erscheint auch, wie aus dem Folgenden hervorgehen wird, durchaus glaublich. Ueber den Winter-
schlaf selbst, d. h. über die Zeit, in welcher die Erstarrung eintritt, über die Zeitdauer derselben u. s. w.
lassen sich im Freien genügende Beobachtungen unmöglich anstellen; wer also etwas hierauf Bezüg-
liches erfahren will, muß es machen, wie Lenz, welcher einige dreißig Schlangen mit annähernd
ebensoviel Schuppenechsen überwinterte. "Jch wählte dazu", sagt er, "eine nach Süden gelegene

Allgemeines.
Thiere angeſehen werden; aber ſie fehlen auch der dürrſten Wüſte nicht und finden ſich noch bis zu
bedeutenden Höhen, in den Gebirgen jedenfalls bis zur Grenze des Baumwuchſes. Ueberhaupt kann
man ſie die verbreitetſten aller Kriechthiere nennen, da ſie ja ebenſogut wie die Schildkröten auch im
Waſſer leben, und zwar in ſüßen Gewäſſern ebenſowohl wie im Meere. Dieſer außerordentlichen
Verbreitung entſpricht die Vielſeitigkeit ihrer Aufenthaltsorte. Jnnerhalb ihres Verbreitungskreiſes
begegnet man ihnen buchſtäblich überall. Selbſt die einzelnen Arten, deren Verbreitungskreis ver-
hältnißmäßig beſchränkt iſt, ſcheinen weit weniger als andere Klaſſenverwandte von einem und dem-
felben Gebiete abhängig zu ſein, obwohl ſich nicht verkennen läßt, daß jede Art mehr oder weniger eine
gewiſſe Oertlichkeit bevorzugt. Ungeachtet ihrer Fußloſigkeit wiſſen ſie ſich einzurichten, die einen im
Waſſer, die anderen im Sumpfe, dieſe auf ebenem Boden, jene an ſteilen Gehängen, nicht wenige
auch im Gezweige der Bäume. An dem einmal gewählten Aufenthaltsorte ſcheinen ſie beharrlich
feſtzuhalten, alſo, mit anderen Worten, nur einen ſehr kleinen Bezirk zu durchſtreifen. Jn einem
beſchränkten Grade wandern auch ſie; denn ſie überſetzen Flüſſe und andere Gewäſſer, um ſich am
jenſeitigen Ufer oder auf Jnſeln anzuſiedeln, kommen vom Walde, von der Steppe in Dörfer und
Städte herein u. ſ. w.; im allgemeinen aber lieben ſie das Umherſtreifen nicht, ſondern wählen ſich
einen Standort, womöglich einen ſolchen, welcher ein paſſendes Verſteck enthält und lauern in der
Nähe deſſelben auf Beute. Nicht ganz unwahrſcheinlich iſt es, daß ſie freiwillig überhaupt nur
während der Paarungszeit und gegen den Winter hin Streifzüge antreten. Zum Auswandern
gezwungen werden ſie, wenn ſich ein Platz, welchen ſie bewohnen, durch Umarbeitung derartig ver-
ändert, daß ihnen der Schlupfwinkel und die Nahrung, oder die Möglichkeit, ſich behaglich zu ſonnen,
entzogen wird. Jn der Regel findet man auch ſie fern von menſchlichen Behauſungen, Dies aber
nur deshalb, weil ſie der Menſch in der Nähe der Ortſchaften verfolgt und vertreibt; denn ſie ſelbſt
fürchten die Nähe ihres Erzfeindes keineswegs, drängen ſich ihm vielmehr oft in höchſt unerwünſchter
Weiſe auf. Auch bei uns begegnet man nicht ſelten Schlangen in ſolchen Gärten, welche inmitten
von Städten liegen, ohne daß man eigentlich begreift, wie ſie dahin gelangen; in ſüdlichen Ländern
empfängt man häufig ihre unerwünſchten Beſuche in den Häuſern, und namentlich die Nachtſchlangen,
alſo gerade die gefährlichſten, werden hier manchmal höchſt unangenehm.

Waldungen, welche jahraus, jahrein mehr oder weniger daſſelbe Gepräge zeigen, bieten den
Schlangen beſtändig annähernd dieſelben Annehmlichkeiten: hinlängliche Nahrung, behagliche Wärme,
Waſſer zum Baden ꝛc. Natürliche Folge davon iſt, daß ſie ſich jahraus, jahrein ſo ziemlich in gleicher
Weiſe betragen. Anders verhält es ſich da, wo der merkliche Wechſel der Jahreszeiten eine ver-
ſchiedene Lebensweiſe der Thiere bedingt. Jn allen Gegenden, welche einen kalten oder heißen,
trocknen Winter haben, ſind die Schlangen genöthigt, ſich gegen die Einwirkungen der Kälte oder
bezüglich der Trockenheit zu ſchützen. Sämmtliche Arten, welche den nördlichen Theil unſeres
gemäßigten Gürtels bewohnen, ziehen ſich mit Beginn des Winters in tiefe Schlupfhöhlen zurück und
verbringen in ihnen die ungünſtige Jahreszeit in einem Zuſtande der Erſtarrung. Daſſelbe findet,
wie bereits angegeben, in den Ländern unter den Wendekreiſen ſtatt, beſchränkt ſich hier aber vielleicht
auf diejenigen Arten, welche im Waſſer oder in feuchten Gegenden leben und durch die Dürre beläſtigt
werden. Einzelne Arten ſcheinen ſich während des Winterſchlafs zu geſellen, möglicherweiſe nur
deshalb, weil entſprechende Schlupfwinkel ſchwer zu finden ſind und ſomit ein Zuſammendrängen der
über ein gewiſſes Gebiet zerſtreuten Schlangen nöthig wird. So behauptet man in Nordamerika all-
gemein, daß die Klapperſchlange während des Winters hier und da dutzendweiſe ein und daſſelbe
Winterbett beziehe, und will Aehnliches ebenſo von unſerer Kreuzotter beobachtet haben; die Angabe
erſcheint auch, wie aus dem Folgenden hervorgehen wird, durchaus glaublich. Ueber den Winter-
ſchlaf ſelbſt, d. h. über die Zeit, in welcher die Erſtarrung eintritt, über die Zeitdauer derſelben u. ſ. w.
laſſen ſich im Freien genügende Beobachtungen unmöglich anſtellen; wer alſo etwas hierauf Bezüg-
liches erfahren will, muß es machen, wie Lenz, welcher einige dreißig Schlangen mit annähernd
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[181/0201] Allgemeines. Thiere angeſehen werden; aber ſie fehlen auch der dürrſten Wüſte nicht und finden ſich noch bis zu bedeutenden Höhen, in den Gebirgen jedenfalls bis zur Grenze des Baumwuchſes. Ueberhaupt kann man ſie die verbreitetſten aller Kriechthiere nennen, da ſie ja ebenſogut wie die Schildkröten auch im Waſſer leben, und zwar in ſüßen Gewäſſern ebenſowohl wie im Meere. Dieſer außerordentlichen Verbreitung entſpricht die Vielſeitigkeit ihrer Aufenthaltsorte. Jnnerhalb ihres Verbreitungskreiſes begegnet man ihnen buchſtäblich überall. Selbſt die einzelnen Arten, deren Verbreitungskreis ver- hältnißmäßig beſchränkt iſt, ſcheinen weit weniger als andere Klaſſenverwandte von einem und dem- felben Gebiete abhängig zu ſein, obwohl ſich nicht verkennen läßt, daß jede Art mehr oder weniger eine gewiſſe Oertlichkeit bevorzugt. Ungeachtet ihrer Fußloſigkeit wiſſen ſie ſich einzurichten, die einen im Waſſer, die anderen im Sumpfe, dieſe auf ebenem Boden, jene an ſteilen Gehängen, nicht wenige auch im Gezweige der Bäume. An dem einmal gewählten Aufenthaltsorte ſcheinen ſie beharrlich feſtzuhalten, alſo, mit anderen Worten, nur einen ſehr kleinen Bezirk zu durchſtreifen. Jn einem beſchränkten Grade wandern auch ſie; denn ſie überſetzen Flüſſe und andere Gewäſſer, um ſich am jenſeitigen Ufer oder auf Jnſeln anzuſiedeln, kommen vom Walde, von der Steppe in Dörfer und Städte herein u. ſ. w.; im allgemeinen aber lieben ſie das Umherſtreifen nicht, ſondern wählen ſich einen Standort, womöglich einen ſolchen, welcher ein paſſendes Verſteck enthält und lauern in der Nähe deſſelben auf Beute. Nicht ganz unwahrſcheinlich iſt es, daß ſie freiwillig überhaupt nur während der Paarungszeit und gegen den Winter hin Streifzüge antreten. Zum Auswandern gezwungen werden ſie, wenn ſich ein Platz, welchen ſie bewohnen, durch Umarbeitung derartig ver- ändert, daß ihnen der Schlupfwinkel und die Nahrung, oder die Möglichkeit, ſich behaglich zu ſonnen, entzogen wird. Jn der Regel findet man auch ſie fern von menſchlichen Behauſungen, Dies aber nur deshalb, weil ſie der Menſch in der Nähe der Ortſchaften verfolgt und vertreibt; denn ſie ſelbſt fürchten die Nähe ihres Erzfeindes keineswegs, drängen ſich ihm vielmehr oft in höchſt unerwünſchter Weiſe auf. Auch bei uns begegnet man nicht ſelten Schlangen in ſolchen Gärten, welche inmitten von Städten liegen, ohne daß man eigentlich begreift, wie ſie dahin gelangen; in ſüdlichen Ländern empfängt man häufig ihre unerwünſchten Beſuche in den Häuſern, und namentlich die Nachtſchlangen, alſo gerade die gefährlichſten, werden hier manchmal höchſt unangenehm. Waldungen, welche jahraus, jahrein mehr oder weniger daſſelbe Gepräge zeigen, bieten den Schlangen beſtändig annähernd dieſelben Annehmlichkeiten: hinlängliche Nahrung, behagliche Wärme, Waſſer zum Baden ꝛc. Natürliche Folge davon iſt, daß ſie ſich jahraus, jahrein ſo ziemlich in gleicher Weiſe betragen. Anders verhält es ſich da, wo der merkliche Wechſel der Jahreszeiten eine ver- ſchiedene Lebensweiſe der Thiere bedingt. Jn allen Gegenden, welche einen kalten oder heißen, trocknen Winter haben, ſind die Schlangen genöthigt, ſich gegen die Einwirkungen der Kälte oder bezüglich der Trockenheit zu ſchützen. Sämmtliche Arten, welche den nördlichen Theil unſeres gemäßigten Gürtels bewohnen, ziehen ſich mit Beginn des Winters in tiefe Schlupfhöhlen zurück und verbringen in ihnen die ungünſtige Jahreszeit in einem Zuſtande der Erſtarrung. Daſſelbe findet, wie bereits angegeben, in den Ländern unter den Wendekreiſen ſtatt, beſchränkt ſich hier aber vielleicht auf diejenigen Arten, welche im Waſſer oder in feuchten Gegenden leben und durch die Dürre beläſtigt werden. Einzelne Arten ſcheinen ſich während des Winterſchlafs zu geſellen, möglicherweiſe nur deshalb, weil entſprechende Schlupfwinkel ſchwer zu finden ſind und ſomit ein Zuſammendrängen der über ein gewiſſes Gebiet zerſtreuten Schlangen nöthig wird. So behauptet man in Nordamerika all- gemein, daß die Klapperſchlange während des Winters hier und da dutzendweiſe ein und daſſelbe Winterbett beziehe, und will Aehnliches ebenſo von unſerer Kreuzotter beobachtet haben; die Angabe erſcheint auch, wie aus dem Folgenden hervorgehen wird, durchaus glaublich. Ueber den Winter- ſchlaf ſelbſt, d. h. über die Zeit, in welcher die Erſtarrung eintritt, über die Zeitdauer derſelben u. ſ. w. laſſen ſich im Freien genügende Beobachtungen unmöglich anſtellen; wer alſo etwas hierauf Bezüg- liches erfahren will, muß es machen, wie Lenz, welcher einige dreißig Schlangen mit annähernd ebenſoviel Schuppenechſen überwinterte. „Jch wählte dazu“, ſagt er, „eine nach Süden gelegene

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/201>, abgerufen am 22.12.2024.