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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen.
Hornviper, Aspisschlange u. a., eine Ausnahme aber macht die Wasserviper, deren
gewöhnliche Nahrung zwar Fische sind, welche jedoch auch Frösche und selbst Schlangen, giftige
nicht ausgenommen, frißt, und auch wiederum warmblütige Thiere, wie Mäuse und Vögel, nicht
verschmäht." Höchst wahrscheinlich würde man zu ähnlichen Ergebnissen gelangen, wenn man auch
außereuropäische Schlangen ebenso sorgfältig beobachten wollte, als Dies mit den europäischen geschehen
konnte. Daß nebenbei diejenigen Schlangen, welche in der Regel blos größere Beute zu sich nehmen,
auch wirbellose Thiere, insbesondere Kerfe, einzelne wohl auch Weich- und Krustenthiere verzehren,
läßt sich mit Bestimmtheit annehmen; man hat gesehen, daß sie anscheinend mit wahrem Behagen
Ameisenpuppen fraßen, auch in dem Magen einzelner Grillen gefunden.

Der Glaube an das Wunderbare und Unnatürliche, welcher so eifrig gelehrt und genährt, uns
Allen deshalb auch sorgsam anerzogen wird, hat eine sonderbare, noch heute in manchen Köpfen
spukende Meinung erzeugt. Bis in die neueste Zeit haben sich sogar "Naturforscher" nicht gescheut,
die Worte "Zauberkraft der Schlangen" auszusprechen, und sie in Verbindung zu bringen
mit der Art und Weise, wie die Schlangen Beute machen. Mat hat nämlich beobachtet, daß manche
Thiere, Mäuse und Vögel z. B., sich ohne Furcht Schlangen näherten, welche sie später abfingen und
verschlangen, und hat ebenso gesehen, daß Vögel mit höchster Besorgniß Schlangen umflatterten,
welche ihre Brut oder sie selbst bedroheten, sich schließlich versahen und ebenfalls ergriffen wurden.
Da nun, so scheint man gefolgert zu haben, der Naturtrieb oder Jnstinkt, welcher das Thier ohne
Weiteres über alle ihm drohenden Gefahren belehrte, in beiden Fällen sich nicht bewährte, die "Ein-
wirkung von Oben" die arme Maus, den beklagenswerthen Vogel also schmählich im Stiche ließ,
konnte nur noch Annahme einer anderen übernatürlichen Kraft etwaige Zweifel lösen. Allgemein
bekannt und unbestritten ist, daß die Schlange unsere brave Erzmutter Eva verführte und ver-
zauberte: -- und wie viel eher kann Dasselbe einem Thiere geschehen! Kurz, selbst ein geschultes
Gehirn konnte sich aussöhnen mit der Annahme, daß die Verwandten der "alten Schlange, die da
heißet Satanas", noch heutigen Tages ein Wenig von ihrer höllischen Abkunft zu bethätigen
vermöchten -- und der Glaube an Zauberei lebte wiederum auf in der "Naturgeschichte" der
Schlangen! Schlimm nur, daß der Naturforscher, welcher zunächst denkt, sich und Anderen sagen
muß: der erste Fall beweist, daß die Maus unerfahren war und ihren Feind nicht kannte, der zweite,
daß der Vogel ihn kannte, aber unvorsichtig war! So kann die schönste und verdienstvollste Gläubig-
keit Schiffbruch leiden!!

Da die Schlangen alle Nahrung unzerstückelt und zuweilen Bissen verschlingen, welche doppelt
so dick sind als ihr Kopf, erfordert das Hinabwürgen einen bedeutenden Kraftaufwand und geht nur
langsam vor sich. Wo möglich packen sie die Beute vorn am Kopfe, halten sie mit den Zähnen fest,
schieben die eine Kopsseite vor, haken die Zähne wiederum ein, schieben die der anderen Kopfseite nach,
und greifen so abwechselnd bald mit dieser, bald mit jener Zahnreihe weiter, bis sie den Bissen in
den Rachen gefördert haben. Jn Folge des bedeutenden Druckes sondern die Speicheldrüsen sehr
reichlich ab, machen dadurch den Bissen schlüpferig und erleichtern den Durchgang desselben durch die
Maulöffnung, welche allmählich bis auf das Aeußerste ausgedehnt wird. Während des Verschlingens
sehr großer Beutestücke erscheint der Kopf unförmlich auseinandergezerrt und jeder einzelne Knochen des
Kieferngerüstes verrenkt; sobald jedoch der Bissen durchgegangen ist, nimmt er seine vorige Gestalt
rasch wieder an. Es kommt vor, daß Schlangen Thiere packen und zu verschlingen suchen, welche
selbst für ihr unglaublich dehnbares Kieferngerüst zu groß sind; dann liegen sie stundenlang mit der
Beute im Rachen auf einer und derselben Stelle, die Luftröhre soweit vorgestoßen, daß die Athmung
nicht unterbrochen wird, und mühen sich vergeblich, die Masse zu bewältigen, falls es ihnen nicht
glückt, die Zähne aus ihr herauszuziehen und sie durch Schütteln mit dem Kopfe wieder heraus-
zuwerfen; die Angabe aber, daß die Schlange sich des einmal gepackten und verschlungenen Beute-
stückes nicht wieder entledigen könne und unter Umständen an einem zu großen Bissen ersticken müsse,
ist gänzlich falsch. Bei südländischen Arten mag es vorkommen, daß die Beute während des Ver-

Die Schlangen.
Hornviper, Aspisſchlange u. a., eine Ausnahme aber macht die Waſſerviper, deren
gewöhnliche Nahrung zwar Fiſche ſind, welche jedoch auch Fröſche und ſelbſt Schlangen, giftige
nicht ausgenommen, frißt, und auch wiederum warmblütige Thiere, wie Mäuſe und Vögel, nicht
verſchmäht.“ Höchſt wahrſcheinlich würde man zu ähnlichen Ergebniſſen gelangen, wenn man auch
außereuropäiſche Schlangen ebenſo ſorgfältig beobachten wollte, als Dies mit den europäiſchen geſchehen
konnte. Daß nebenbei diejenigen Schlangen, welche in der Regel blos größere Beute zu ſich nehmen,
auch wirbelloſe Thiere, insbeſondere Kerfe, einzelne wohl auch Weich- und Kruſtenthiere verzehren,
läßt ſich mit Beſtimmtheit annehmen; man hat geſehen, daß ſie anſcheinend mit wahrem Behagen
Ameiſenpuppen fraßen, auch in dem Magen einzelner Grillen gefunden.

Der Glaube an das Wunderbare und Unnatürliche, welcher ſo eifrig gelehrt und genährt, uns
Allen deshalb auch ſorgſam anerzogen wird, hat eine ſonderbare, noch heute in manchen Köpfen
ſpukende Meinung erzeugt. Bis in die neueſte Zeit haben ſich ſogar „Naturforſcher“ nicht geſcheut,
die Worte „Zauberkraft der Schlangen“ auszuſprechen, und ſie in Verbindung zu bringen
mit der Art und Weiſe, wie die Schlangen Beute machen. Mat hat nämlich beobachtet, daß manche
Thiere, Mäuſe und Vögel z. B., ſich ohne Furcht Schlangen näherten, welche ſie ſpäter abfingen und
verſchlangen, und hat ebenſo geſehen, daß Vögel mit höchſter Beſorgniß Schlangen umflatterten,
welche ihre Brut oder ſie ſelbſt bedroheten, ſich ſchließlich verſahen und ebenfalls ergriffen wurden.
Da nun, ſo ſcheint man gefolgert zu haben, der Naturtrieb oder Jnſtinkt, welcher das Thier ohne
Weiteres über alle ihm drohenden Gefahren belehrte, in beiden Fällen ſich nicht bewährte, die „Ein-
wirkung von Oben“ die arme Maus, den beklagenswerthen Vogel alſo ſchmählich im Stiche ließ,
konnte nur noch Annahme einer anderen übernatürlichen Kraft etwaige Zweifel löſen. Allgemein
bekannt und unbeſtritten iſt, daß die Schlange unſere brave Erzmutter Eva verführte und ver-
zauberte: — und wie viel eher kann Daſſelbe einem Thiere geſchehen! Kurz, ſelbſt ein geſchultes
Gehirn konnte ſich ausſöhnen mit der Annahme, daß die Verwandten der „alten Schlange, die da
heißet Satanas“, noch heutigen Tages ein Wenig von ihrer hölliſchen Abkunft zu bethätigen
vermöchten — und der Glaube an Zauberei lebte wiederum auf in der „Naturgeſchichte“ der
Schlangen! Schlimm nur, daß der Naturforſcher, welcher zunächſt denkt, ſich und Anderen ſagen
muß: der erſte Fall beweiſt, daß die Maus unerfahren war und ihren Feind nicht kannte, der zweite,
daß der Vogel ihn kannte, aber unvorſichtig war! So kann die ſchönſte und verdienſtvollſte Gläubig-
keit Schiffbruch leiden!!

Da die Schlangen alle Nahrung unzerſtückelt und zuweilen Biſſen verſchlingen, welche doppelt
ſo dick ſind als ihr Kopf, erfordert das Hinabwürgen einen bedeutenden Kraftaufwand und geht nur
langſam vor ſich. Wo möglich packen ſie die Beute vorn am Kopfe, halten ſie mit den Zähnen feſt,
ſchieben die eine Kopſſeite vor, haken die Zähne wiederum ein, ſchieben die der anderen Kopfſeite nach,
und greifen ſo abwechſelnd bald mit dieſer, bald mit jener Zahnreihe weiter, bis ſie den Biſſen in
den Rachen gefördert haben. Jn Folge des bedeutenden Druckes ſondern die Speicheldrüſen ſehr
reichlich ab, machen dadurch den Biſſen ſchlüpferig und erleichtern den Durchgang deſſelben durch die
Maulöffnung, welche allmählich bis auf das Aeußerſte ausgedehnt wird. Während des Verſchlingens
ſehr großer Beuteſtücke erſcheint der Kopf unförmlich auseinandergezerrt und jeder einzelne Knochen des
Kieferngerüſtes verrenkt; ſobald jedoch der Biſſen durchgegangen iſt, nimmt er ſeine vorige Geſtalt
raſch wieder an. Es kommt vor, daß Schlangen Thiere packen und zu verſchlingen ſuchen, welche
ſelbſt für ihr unglaublich dehnbares Kieferngerüſt zu groß ſind; dann liegen ſie ſtundenlang mit der
Beute im Rachen auf einer und derſelben Stelle, die Luftröhre ſoweit vorgeſtoßen, daß die Athmung
nicht unterbrochen wird, und mühen ſich vergeblich, die Maſſe zu bewältigen, falls es ihnen nicht
glückt, die Zähne aus ihr herauszuziehen und ſie durch Schütteln mit dem Kopfe wieder heraus-
zuwerfen; die Angabe aber, daß die Schlange ſich des einmal gepackten und verſchlungenen Beute-
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iſt gänzlich falſch. Bei ſüdländiſchen Arten mag es vorkommen, daß die Beute während des Ver-

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[184/0204] Die Schlangen. Hornviper, Aspisſchlange u. a., eine Ausnahme aber macht die Waſſerviper, deren gewöhnliche Nahrung zwar Fiſche ſind, welche jedoch auch Fröſche und ſelbſt Schlangen, giftige nicht ausgenommen, frißt, und auch wiederum warmblütige Thiere, wie Mäuſe und Vögel, nicht verſchmäht.“ Höchſt wahrſcheinlich würde man zu ähnlichen Ergebniſſen gelangen, wenn man auch außereuropäiſche Schlangen ebenſo ſorgfältig beobachten wollte, als Dies mit den europäiſchen geſchehen konnte. Daß nebenbei diejenigen Schlangen, welche in der Regel blos größere Beute zu ſich nehmen, auch wirbelloſe Thiere, insbeſondere Kerfe, einzelne wohl auch Weich- und Kruſtenthiere verzehren, läßt ſich mit Beſtimmtheit annehmen; man hat geſehen, daß ſie anſcheinend mit wahrem Behagen Ameiſenpuppen fraßen, auch in dem Magen einzelner Grillen gefunden. Der Glaube an das Wunderbare und Unnatürliche, welcher ſo eifrig gelehrt und genährt, uns Allen deshalb auch ſorgſam anerzogen wird, hat eine ſonderbare, noch heute in manchen Köpfen ſpukende Meinung erzeugt. Bis in die neueſte Zeit haben ſich ſogar „Naturforſcher“ nicht geſcheut, die Worte „Zauberkraft der Schlangen“ auszuſprechen, und ſie in Verbindung zu bringen mit der Art und Weiſe, wie die Schlangen Beute machen. Mat hat nämlich beobachtet, daß manche Thiere, Mäuſe und Vögel z. B., ſich ohne Furcht Schlangen näherten, welche ſie ſpäter abfingen und verſchlangen, und hat ebenſo geſehen, daß Vögel mit höchſter Beſorgniß Schlangen umflatterten, welche ihre Brut oder ſie ſelbſt bedroheten, ſich ſchließlich verſahen und ebenfalls ergriffen wurden. Da nun, ſo ſcheint man gefolgert zu haben, der Naturtrieb oder Jnſtinkt, welcher das Thier ohne Weiteres über alle ihm drohenden Gefahren belehrte, in beiden Fällen ſich nicht bewährte, die „Ein- wirkung von Oben“ die arme Maus, den beklagenswerthen Vogel alſo ſchmählich im Stiche ließ, konnte nur noch Annahme einer anderen übernatürlichen Kraft etwaige Zweifel löſen. Allgemein bekannt und unbeſtritten iſt, daß die Schlange unſere brave Erzmutter Eva verführte und ver- zauberte: — und wie viel eher kann Daſſelbe einem Thiere geſchehen! Kurz, ſelbſt ein geſchultes Gehirn konnte ſich ausſöhnen mit der Annahme, daß die Verwandten der „alten Schlange, die da heißet Satanas“, noch heutigen Tages ein Wenig von ihrer hölliſchen Abkunft zu bethätigen vermöchten — und der Glaube an Zauberei lebte wiederum auf in der „Naturgeſchichte“ der Schlangen! Schlimm nur, daß der Naturforſcher, welcher zunächſt denkt, ſich und Anderen ſagen muß: der erſte Fall beweiſt, daß die Maus unerfahren war und ihren Feind nicht kannte, der zweite, daß der Vogel ihn kannte, aber unvorſichtig war! So kann die ſchönſte und verdienſtvollſte Gläubig- keit Schiffbruch leiden!! Da die Schlangen alle Nahrung unzerſtückelt und zuweilen Biſſen verſchlingen, welche doppelt ſo dick ſind als ihr Kopf, erfordert das Hinabwürgen einen bedeutenden Kraftaufwand und geht nur langſam vor ſich. Wo möglich packen ſie die Beute vorn am Kopfe, halten ſie mit den Zähnen feſt, ſchieben die eine Kopſſeite vor, haken die Zähne wiederum ein, ſchieben die der anderen Kopfſeite nach, und greifen ſo abwechſelnd bald mit dieſer, bald mit jener Zahnreihe weiter, bis ſie den Biſſen in den Rachen gefördert haben. Jn Folge des bedeutenden Druckes ſondern die Speicheldrüſen ſehr reichlich ab, machen dadurch den Biſſen ſchlüpferig und erleichtern den Durchgang deſſelben durch die Maulöffnung, welche allmählich bis auf das Aeußerſte ausgedehnt wird. Während des Verſchlingens ſehr großer Beuteſtücke erſcheint der Kopf unförmlich auseinandergezerrt und jeder einzelne Knochen des Kieferngerüſtes verrenkt; ſobald jedoch der Biſſen durchgegangen iſt, nimmt er ſeine vorige Geſtalt raſch wieder an. Es kommt vor, daß Schlangen Thiere packen und zu verſchlingen ſuchen, welche ſelbſt für ihr unglaublich dehnbares Kieferngerüſt zu groß ſind; dann liegen ſie ſtundenlang mit der Beute im Rachen auf einer und derſelben Stelle, die Luftröhre ſoweit vorgeſtoßen, daß die Athmung nicht unterbrochen wird, und mühen ſich vergeblich, die Maſſe zu bewältigen, falls es ihnen nicht glückt, die Zähne aus ihr herauszuziehen und ſie durch Schütteln mit dem Kopfe wieder heraus- zuwerfen; die Angabe aber, daß die Schlange ſich des einmal gepackten und verſchlungenen Beute- ſtückes nicht wieder entledigen könne und unter Umſtänden an einem zu großen Biſſen erſticken müſſe, iſt gänzlich falſch. Bei ſüdländiſchen Arten mag es vorkommen, daß die Beute während des Ver-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/204>, abgerufen am 22.12.2024.