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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen.
innig umschlungen auf den beliebtesten Lagerstellen ruhend, im Sonnenscheine stundenlang auf einer
und derselben Stelle liegend, ohne sich zu regen. Die Vereinigung beider Geschlechter ist aus dem
Grunde eine sehr innige, als die walzenförmigen Ruthen des Männchens, welche bei der Paarung
umgestülpt werden, an der inneren Seite mit harten Stacheln besetzt sind, die fest in dem Geschlechts-
theile des Weibchens haften. Wie lange die Paarung dauert, weiß man noch nicht; wohl aber darf
man annehmen, daß sie mehrere Stunden beansprucht: Effeldt fand ein Dutzend verknäuelte Kreuz-
ottern, welche er am Abend aufgespürt hatte, noch am folgenden Tage in derselben Lage vor. "Wenn
die Schlangen einmal zusammenhängen", sagt Lenz, "kann man sie, falls man sich ruhig verhält,
aus mäßiger Ferne recht gut beobachten, ohne sie zu verscheuchen; sobald man jedoch nah hinzutritt
oder gar nach ihnen schlägt, suchen sie Reißaus zu nehmen. Das geht aber so leicht nicht, weil sie
um einander geschlungen und somit zum Kriechen unfähig sind. Erst versuchen sie, vereinigt und
umschlungen zu entwischen; sehen sie aber, daß Das nicht geht, so wickeln sie sich theilweise oder ganz
von einander ab und kriechen nun fort. Da sie nun durch die Stacheln des Männchens noch fest ver-
bunden sind, und jede ihren eigenen Weg einschlagen will, so zerren sie eine wie die andere, und die kleinste
muß der größten folgen. Eine solche Flucht geht dann natürlich sehr langsam. Schlägt man tüchtig
auf sie los oder tritt auf sie, so reißen sie sich endlich durch einen gewaltsamen Ruck von einander
los." Nach etwa vier Monaten sind die Eier, sechs bis vierzig an der Zahl, legereif und werden nun
von der Mutter in feuchtwarmen Orten abgelegt, falls die Art nicht zu denjenigen gehört, welche
lebendige Junge, d. h. soweit entwickelte Eier zur Welt bringen, daß die Jungen sofort nach dem
Ablegen des Eies oder schon im Mutterleibe die Eihülle sprengen. Hierbei leistet die Mutter keine
Hilfe, wie sie sich überhaupt um die ausgeschlüpften Jungen wenig oder nicht bekümmert. Letztere
wachsen außerordentlich langsam, möglicherweise aber bis aus Ende ihres Lebens fort, in höheren
Jahren selbstverständlich ungleich langsamer als in jüngeren. Sie mögen außerordentlich alt werden.

Die Bedeutung der Schlangen der übrigen Thierwelt gegenüber ist so gering, daß man wohl
behaupten darf, das "Gleichgewicht der Natur" werde auch ohne jene nicht verändert werden. Aller-
dings nützen einige von ihnen durch Wegfangen von Mäusen und anderen schädlichen Nagethieren;
der Vortheil jedoch, welchen sie dem Menschen hierdurch bringen, wird, wie ich bereits gesagt habe,
mehr als aufgewogen durch den Schaden, welchen sie, mindestens die giftigen Arten unter ihnen,
verursachen, und der Haß, unter welchen die ganze Ordnung zu leiden hat, darf deshalb gewiß nicht
als unberechtigt bezeichnet werden. Es gereicht dem Menschen zur Ehre, wenn er die ungiftigen
Schlangen nicht der giftigen halber verdammt, verfolgt und tödtet; zur Unterscheidung dieser und
jener gehört aber eine so genaue Kenntniß des ganzen Gezüchtes, daß man schwerlich wohlthut, dem
Laien Schonung desselben anzurathen. Bei uns zu Lande hält es allerdings nicht schwer, die einzige
Giftschlange, welche wir haben, von den giftlosen Arten zu unterscheiden; schon im südlichen Europa
hingegen kommt eine Natter vor, welche dieser Kreuzotter so ähnlich sieht, daß selbst der berühmte
Dumeril sich täuschen und anstatt gedachter Natter eine Kreuzotter aufnehmen konnte, deren Biß ihn
in Lebensgefahr brachte. Und in allen übrigen Erdtheilen werden Schlangen gefunden, von denen
man ungeachtet unserer vorgeschrittenen Kenntniß noch heutigentages nicht weiß, ob sie giftig oder
ungiftig sind. Wer also Schonung der Schlangen predigen will, muß sich wenigstens streng auf
Deutschland beschränken, damit er nicht etwa Unheil anrichte. Jch meinestheils bin weit entfernt,
diesem Gezüchte das Wort zu reden, und wäre es auch nur, weil unsere ungiftigen Schlangen haupt-
sächlich solche Thiere fressen, welche uns unzweifelhaft mehr nützen als ihre Räuber. Wer alle
Schlangen tödtet, deren er habhaft werden kann, richtet dadurch, ich wiederhole es, keinen Schaden an;
wer ein einzigesmal eine giftige Schlange mit einer ungiftigen verwechselt, kann Dies mit Leben und
Gesundheit zu büßen haben!

Der Aufgeklärte, welcher sich darüber klar geworden ist, daß den Rückständigen das Böse stets
wichtiger erschienen ist als das Gute, der Teufel wichtiger als die Gottheit, wird es sehr begreiflich
finden, daß die Schlangen von jeher in den Sagen der Völker eine bedeutende Rolle gespielt haben.

Die Schlangen.
innig umſchlungen auf den beliebteſten Lagerſtellen ruhend, im Sonnenſcheine ſtundenlang auf einer
und derſelben Stelle liegend, ohne ſich zu regen. Die Vereinigung beider Geſchlechter iſt aus dem
Grunde eine ſehr innige, als die walzenförmigen Ruthen des Männchens, welche bei der Paarung
umgeſtülpt werden, an der inneren Seite mit harten Stacheln beſetzt ſind, die feſt in dem Geſchlechts-
theile des Weibchens haften. Wie lange die Paarung dauert, weiß man noch nicht; wohl aber darf
man annehmen, daß ſie mehrere Stunden beanſprucht: Effeldt fand ein Dutzend verknäuelte Kreuz-
ottern, welche er am Abend aufgeſpürt hatte, noch am folgenden Tage in derſelben Lage vor. „Wenn
die Schlangen einmal zuſammenhängen“, ſagt Lenz, „kann man ſie, falls man ſich ruhig verhält,
aus mäßiger Ferne recht gut beobachten, ohne ſie zu verſcheuchen; ſobald man jedoch nah hinzutritt
oder gar nach ihnen ſchlägt, ſuchen ſie Reißaus zu nehmen. Das geht aber ſo leicht nicht, weil ſie
um einander geſchlungen und ſomit zum Kriechen unfähig ſind. Erſt verſuchen ſie, vereinigt und
umſchlungen zu entwiſchen; ſehen ſie aber, daß Das nicht geht, ſo wickeln ſie ſich theilweiſe oder ganz
von einander ab und kriechen nun fort. Da ſie nun durch die Stacheln des Männchens noch feſt ver-
bunden ſind, und jede ihren eigenen Weg einſchlagen will, ſo zerren ſie eine wie die andere, und die kleinſte
muß der größten folgen. Eine ſolche Flucht geht dann natürlich ſehr langſam. Schlägt man tüchtig
auf ſie los oder tritt auf ſie, ſo reißen ſie ſich endlich durch einen gewaltſamen Ruck von einander
los.“ Nach etwa vier Monaten ſind die Eier, ſechs bis vierzig an der Zahl, legereif und werden nun
von der Mutter in feuchtwarmen Orten abgelegt, falls die Art nicht zu denjenigen gehört, welche
lebendige Junge, d. h. ſoweit entwickelte Eier zur Welt bringen, daß die Jungen ſofort nach dem
Ablegen des Eies oder ſchon im Mutterleibe die Eihülle ſprengen. Hierbei leiſtet die Mutter keine
Hilfe, wie ſie ſich überhaupt um die ausgeſchlüpften Jungen wenig oder nicht bekümmert. Letztere
wachſen außerordentlich langſam, möglicherweiſe aber bis aus Ende ihres Lebens fort, in höheren
Jahren ſelbſtverſtändlich ungleich langſamer als in jüngeren. Sie mögen außerordentlich alt werden.

Die Bedeutung der Schlangen der übrigen Thierwelt gegenüber iſt ſo gering, daß man wohl
behaupten darf, das „Gleichgewicht der Natur“ werde auch ohne jene nicht verändert werden. Aller-
dings nützen einige von ihnen durch Wegfangen von Mäuſen und anderen ſchädlichen Nagethieren;
der Vortheil jedoch, welchen ſie dem Menſchen hierdurch bringen, wird, wie ich bereits geſagt habe,
mehr als aufgewogen durch den Schaden, welchen ſie, mindeſtens die giftigen Arten unter ihnen,
verurſachen, und der Haß, unter welchen die ganze Ordnung zu leiden hat, darf deshalb gewiß nicht
als unberechtigt bezeichnet werden. Es gereicht dem Menſchen zur Ehre, wenn er die ungiftigen
Schlangen nicht der giftigen halber verdammt, verfolgt und tödtet; zur Unterſcheidung dieſer und
jener gehört aber eine ſo genaue Kenntniß des ganzen Gezüchtes, daß man ſchwerlich wohlthut, dem
Laien Schonung deſſelben anzurathen. Bei uns zu Lande hält es allerdings nicht ſchwer, die einzige
Giftſchlange, welche wir haben, von den giftloſen Arten zu unterſcheiden; ſchon im ſüdlichen Europa
hingegen kommt eine Natter vor, welche dieſer Kreuzotter ſo ähnlich ſieht, daß ſelbſt der berühmte
Dumeril ſich täuſchen und anſtatt gedachter Natter eine Kreuzotter aufnehmen konnte, deren Biß ihn
in Lebensgefahr brachte. Und in allen übrigen Erdtheilen werden Schlangen gefunden, von denen
man ungeachtet unſerer vorgeſchrittenen Kenntniß noch heutigentages nicht weiß, ob ſie giftig oder
ungiftig ſind. Wer alſo Schonung der Schlangen predigen will, muß ſich wenigſtens ſtreng auf
Deutſchland beſchränken, damit er nicht etwa Unheil anrichte. Jch meinestheils bin weit entfernt,
dieſem Gezüchte das Wort zu reden, und wäre es auch nur, weil unſere ungiftigen Schlangen haupt-
ſächlich ſolche Thiere freſſen, welche uns unzweifelhaft mehr nützen als ihre Räuber. Wer alle
Schlangen tödtet, deren er habhaft werden kann, richtet dadurch, ich wiederhole es, keinen Schaden an;
wer ein einzigesmal eine giftige Schlange mit einer ungiftigen verwechſelt, kann Dies mit Leben und
Geſundheit zu büßen haben!

Der Aufgeklärte, welcher ſich darüber klar geworden iſt, daß den Rückſtändigen das Böſe ſtets
wichtiger erſchienen iſt als das Gute, der Teufel wichtiger als die Gottheit, wird es ſehr begreiflich
finden, daß die Schlangen von jeher in den Sagen der Völker eine bedeutende Rolle geſpielt haben.

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[186/0206] Die Schlangen. innig umſchlungen auf den beliebteſten Lagerſtellen ruhend, im Sonnenſcheine ſtundenlang auf einer und derſelben Stelle liegend, ohne ſich zu regen. Die Vereinigung beider Geſchlechter iſt aus dem Grunde eine ſehr innige, als die walzenförmigen Ruthen des Männchens, welche bei der Paarung umgeſtülpt werden, an der inneren Seite mit harten Stacheln beſetzt ſind, die feſt in dem Geſchlechts- theile des Weibchens haften. Wie lange die Paarung dauert, weiß man noch nicht; wohl aber darf man annehmen, daß ſie mehrere Stunden beanſprucht: Effeldt fand ein Dutzend verknäuelte Kreuz- ottern, welche er am Abend aufgeſpürt hatte, noch am folgenden Tage in derſelben Lage vor. „Wenn die Schlangen einmal zuſammenhängen“, ſagt Lenz, „kann man ſie, falls man ſich ruhig verhält, aus mäßiger Ferne recht gut beobachten, ohne ſie zu verſcheuchen; ſobald man jedoch nah hinzutritt oder gar nach ihnen ſchlägt, ſuchen ſie Reißaus zu nehmen. Das geht aber ſo leicht nicht, weil ſie um einander geſchlungen und ſomit zum Kriechen unfähig ſind. Erſt verſuchen ſie, vereinigt und umſchlungen zu entwiſchen; ſehen ſie aber, daß Das nicht geht, ſo wickeln ſie ſich theilweiſe oder ganz von einander ab und kriechen nun fort. Da ſie nun durch die Stacheln des Männchens noch feſt ver- bunden ſind, und jede ihren eigenen Weg einſchlagen will, ſo zerren ſie eine wie die andere, und die kleinſte muß der größten folgen. Eine ſolche Flucht geht dann natürlich ſehr langſam. Schlägt man tüchtig auf ſie los oder tritt auf ſie, ſo reißen ſie ſich endlich durch einen gewaltſamen Ruck von einander los.“ Nach etwa vier Monaten ſind die Eier, ſechs bis vierzig an der Zahl, legereif und werden nun von der Mutter in feuchtwarmen Orten abgelegt, falls die Art nicht zu denjenigen gehört, welche lebendige Junge, d. h. ſoweit entwickelte Eier zur Welt bringen, daß die Jungen ſofort nach dem Ablegen des Eies oder ſchon im Mutterleibe die Eihülle ſprengen. Hierbei leiſtet die Mutter keine Hilfe, wie ſie ſich überhaupt um die ausgeſchlüpften Jungen wenig oder nicht bekümmert. Letztere wachſen außerordentlich langſam, möglicherweiſe aber bis aus Ende ihres Lebens fort, in höheren Jahren ſelbſtverſtändlich ungleich langſamer als in jüngeren. Sie mögen außerordentlich alt werden. Die Bedeutung der Schlangen der übrigen Thierwelt gegenüber iſt ſo gering, daß man wohl behaupten darf, das „Gleichgewicht der Natur“ werde auch ohne jene nicht verändert werden. Aller- dings nützen einige von ihnen durch Wegfangen von Mäuſen und anderen ſchädlichen Nagethieren; der Vortheil jedoch, welchen ſie dem Menſchen hierdurch bringen, wird, wie ich bereits geſagt habe, mehr als aufgewogen durch den Schaden, welchen ſie, mindeſtens die giftigen Arten unter ihnen, verurſachen, und der Haß, unter welchen die ganze Ordnung zu leiden hat, darf deshalb gewiß nicht als unberechtigt bezeichnet werden. Es gereicht dem Menſchen zur Ehre, wenn er die ungiftigen Schlangen nicht der giftigen halber verdammt, verfolgt und tödtet; zur Unterſcheidung dieſer und jener gehört aber eine ſo genaue Kenntniß des ganzen Gezüchtes, daß man ſchwerlich wohlthut, dem Laien Schonung deſſelben anzurathen. Bei uns zu Lande hält es allerdings nicht ſchwer, die einzige Giftſchlange, welche wir haben, von den giftloſen Arten zu unterſcheiden; ſchon im ſüdlichen Europa hingegen kommt eine Natter vor, welche dieſer Kreuzotter ſo ähnlich ſieht, daß ſelbſt der berühmte Dumeril ſich täuſchen und anſtatt gedachter Natter eine Kreuzotter aufnehmen konnte, deren Biß ihn in Lebensgefahr brachte. Und in allen übrigen Erdtheilen werden Schlangen gefunden, von denen man ungeachtet unſerer vorgeſchrittenen Kenntniß noch heutigentages nicht weiß, ob ſie giftig oder ungiftig ſind. Wer alſo Schonung der Schlangen predigen will, muß ſich wenigſtens ſtreng auf Deutſchland beſchränken, damit er nicht etwa Unheil anrichte. Jch meinestheils bin weit entfernt, dieſem Gezüchte das Wort zu reden, und wäre es auch nur, weil unſere ungiftigen Schlangen haupt- ſächlich ſolche Thiere freſſen, welche uns unzweifelhaft mehr nützen als ihre Räuber. Wer alle Schlangen tödtet, deren er habhaft werden kann, richtet dadurch, ich wiederhole es, keinen Schaden an; wer ein einzigesmal eine giftige Schlange mit einer ungiftigen verwechſelt, kann Dies mit Leben und Geſundheit zu büßen haben! Der Aufgeklärte, welcher ſich darüber klar geworden iſt, daß den Rückſtändigen das Böſe ſtets wichtiger erſchienen iſt als das Gute, der Teufel wichtiger als die Gottheit, wird es ſehr begreiflich finden, daß die Schlangen von jeher in den Sagen der Völker eine bedeutende Rolle geſpielt haben.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/206>, abgerufen am 22.12.2024.