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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Allgemeines.
Nicht blos das jüdisch-christliche Märchen, sondern das eines jeden Volkes überhaupt gedenkt ihrer,
bald mit Furcht und Abscheu, bald mit Liebe und Verehrung. Schlangen galten als Sinnbilder der
Geschwindigkeit, der Schlauheit, der ärztlichen Kunst, selbst als solche der Zeit; Schlangen wurden,
wie es heutigentages noch unter den rohen Völkern geschieht, bereits im grauen Alterthume angebetet,
von den Jndiern als Sinnbild der Weisheit, von anderen Völkern als solches der Falschheit, Tücke
und Verführung, von anderen wiederum, wie z. B. von den Juden, als Götzen, wie denn ja auch
Moses eine Schlange aufrichtete, um durch dieselbe das "Volk Gottes" von einer Plage zu befreien.
Alle denkbaren Eigenschaften wurden ihnen angedichtet, gute und böse, und so mußten sie bald die
Stelle eines Gottes, bald die eines Teufels vertreten. Und nicht blos Eigenschaften, welche sie nicht
besitzen, schrieb man ihnen zu, sondern auch Flügel, Beine und andere Glieder, kronenartigen Kopfputz
und dergleichen, weil sich mit ihnen die Einbildungskraft mehr beschäftigt hat als wirkliche Beobach-
tung. Für die Pfaffen waren sie lange Zeit eine Quelle reicher Einnahmen, weil sie sich leichter als
jedes andere Wesen zur Bethörung der blindgläubigen Menge benutzen ließen; und da sich Pfaffen
und Quacksalber von jeher gern die Hände gereicht haben, beschäftigte sich die "ärztliche Wissenschaft"
bald ebenso eifrig mit ihnen, wie früher oder gleichzeitig Pfaffentrug und Gauklerkunst. Bei den
alten Griechen und Römern kamen Vipernkuren in hohen Schwung. Man verordnete den Kranken
Arzeneien, welche aus dem Leibe gekochter Schlangen, aus Wein, in welchen Giftschlangen gelegen
hatten, und getrocknetem Hirn, Fett und anderen Theilen des Leibes dieser Thiere bereitet waren.
Die Vipernkuren scheinen, nach Lenz, auch das ganze Mittelalter hindurch gedauert zu haben; noch
in den letzten Jahrhunderten sind Hunderttausende von verschiedenen zum Otterngeschlechte gehörigen
Schlangen in Europa, vorzüglich in Jtalien und Frankreich, für die Apotheke gesammelt worden; ja, es
ging soweit, daß, weil man mit den europäischen noch nicht ausreichte, man egyptische Giftschlangen
in Unzahl aufkaufte. Schon der berühmte Arzt des Kaisers Octavianus Augustus, Autonius
Musa,
hatte mit Vipern kurirt; allein erst der Leibarzt des Kaisers Andromachus aus Kreta erfand
den Theriak, welcher noch im vorigen Jahrhunderte in fast allen Apotheken Europa's unter Aufsicht
der Physiker und Aerzte, welche alle dazu kommenden Dinge untersuchen mußten, bereitet wurde.
Besonders berühmt, des Theriaks wegen, war Venedig, kaum weniger Rom, woselbst ihn die Jesuiten
zubereiteten und von Obrigkeitswegen gegen mißgünstige Nachahmungen geschützt wurden. Der
Theriak wurde verordnet als Mittel zur Reinigung des Blutes bei Flechten, Aussatz, Krätze, Skrofeln,
Kropf, als Gegenmittel bei Vergiftungen etc., und besaß genau dieselben Heilkräfte, welche den Wunder-
mitteln unserer Tage beigelegt werden. Außerdem verordneten die Aerzte gesottene und gebratene
Ottern, Suppe, Gallerte, Sirup, Pulver aus Herz und Leber, in Weingeist aufgelöste oder durch
solchen ausgezogene Körpertheile gegen Fieber, Pocken, fallende Sucht, Lähmung, Schlagfluß, Zahn-
fäule. Das Fett galt als ein ganz vortreffliches Mittel bei Quetschungen und Wunden, bei Augen-
krankheiten etc., wurde auch von Schwindsüchtigen eingenommen und von gefallsüchtigen Närrinnen
ins Gesicht geschmiert, um die Runzeln zu vertreiben und die Hautfarbe zu verbessern. Noch bis in
die späteste Zeit hat sich der Glaube an die Heilkräftigkeit des Otternfettes erhalten, und selbst ein so
vorurtheilsfreier Mann, wie unser Lenz, konnte sich desselben wenigstens in früheren Jahren nicht
gänzlich entschlagen. Jedenfalls hatte dieser Wahn, wie jeder andere, auch eine gute Folge: er trug
wesentlich dazu bei, das Otterngezücht zu vermindern. Heutigentages glaubt kein vernünftiger Mensch
mehr an all den Unsinn vergangener Jahrhunderte und Jahrzehnte, weil sich der Segen der natur-
wissenschaftlichen Bildung unserer Tage am allerglänzendsten in der Arzneiwissenschaft gezeigt hat;
gerade deshalb aber erscheint es um so mehr geboten, die natürlichen Feinde der Schlangen gewähren,
d. h. ihnen unsern Schutz im vollsten Maße zu Theil werden zu lassen.

Zur Beruhigung aller Derer, welche sich vor den Schlangen fürchten und zur Freude aller
Gegner des gefährlichen oder doch furchterregenden Gezüchtes ist das Heer seiner Feinde sehr
zahlreich. Bei uns zu Lande stellen Füchse, Marder, Jltisse, Wiesel und Jgel, in südlicheren
Gegenden die Schleichkatzen und namentlich die Mangusten den Schlangen eifrig nach, und ebenso

Allgemeines.
Nicht blos das jüdiſch-chriſtliche Märchen, ſondern das eines jeden Volkes überhaupt gedenkt ihrer,
bald mit Furcht und Abſcheu, bald mit Liebe und Verehrung. Schlangen galten als Sinnbilder der
Geſchwindigkeit, der Schlauheit, der ärztlichen Kunſt, ſelbſt als ſolche der Zeit; Schlangen wurden,
wie es heutigentages noch unter den rohen Völkern geſchieht, bereits im grauen Alterthume angebetet,
von den Jndiern als Sinnbild der Weisheit, von anderen Völkern als ſolches der Falſchheit, Tücke
und Verführung, von anderen wiederum, wie z. B. von den Juden, als Götzen, wie denn ja auch
Moſes eine Schlange aufrichtete, um durch dieſelbe das „Volk Gottes“ von einer Plage zu befreien.
Alle denkbaren Eigenſchaften wurden ihnen angedichtet, gute und böſe, und ſo mußten ſie bald die
Stelle eines Gottes, bald die eines Teufels vertreten. Und nicht blos Eigenſchaften, welche ſie nicht
beſitzen, ſchrieb man ihnen zu, ſondern auch Flügel, Beine und andere Glieder, kronenartigen Kopfputz
und dergleichen, weil ſich mit ihnen die Einbildungskraft mehr beſchäftigt hat als wirkliche Beobach-
tung. Für die Pfaffen waren ſie lange Zeit eine Quelle reicher Einnahmen, weil ſie ſich leichter als
jedes andere Weſen zur Bethörung der blindgläubigen Menge benutzen ließen; und da ſich Pfaffen
und Quackſalber von jeher gern die Hände gereicht haben, beſchäftigte ſich die „ärztliche Wiſſenſchaft“
bald ebenſo eifrig mit ihnen, wie früher oder gleichzeitig Pfaffentrug und Gauklerkunſt. Bei den
alten Griechen und Römern kamen Vipernkuren in hohen Schwung. Man verordnete den Kranken
Arzeneien, welche aus dem Leibe gekochter Schlangen, aus Wein, in welchen Giftſchlangen gelegen
hatten, und getrocknetem Hirn, Fett und anderen Theilen des Leibes dieſer Thiere bereitet waren.
Die Vipernkuren ſcheinen, nach Lenz, auch das ganze Mittelalter hindurch gedauert zu haben; noch
in den letzten Jahrhunderten ſind Hunderttauſende von verſchiedenen zum Otterngeſchlechte gehörigen
Schlangen in Europa, vorzüglich in Jtalien und Frankreich, für die Apotheke geſammelt worden; ja, es
ging ſoweit, daß, weil man mit den europäiſchen noch nicht ausreichte, man egyptiſche Giftſchlangen
in Unzahl aufkaufte. Schon der berühmte Arzt des Kaiſers Octavianus Auguſtus, Autonius
Muſa,
hatte mit Vipern kurirt; allein erſt der Leibarzt des Kaiſers Andromachus aus Kreta erfand
den Theriak, welcher noch im vorigen Jahrhunderte in faſt allen Apotheken Europa’s unter Aufſicht
der Phyſiker und Aerzte, welche alle dazu kommenden Dinge unterſuchen mußten, bereitet wurde.
Beſonders berühmt, des Theriaks wegen, war Venedig, kaum weniger Rom, woſelbſt ihn die Jeſuiten
zubereiteten und von Obrigkeitswegen gegen mißgünſtige Nachahmungen geſchützt wurden. Der
Theriak wurde verordnet als Mittel zur Reinigung des Blutes bei Flechten, Ausſatz, Krätze, Skrofeln,
Kropf, als Gegenmittel bei Vergiftungen ꝛc., und beſaß genau dieſelben Heilkräfte, welche den Wunder-
mitteln unſerer Tage beigelegt werden. Außerdem verordneten die Aerzte geſottene und gebratene
Ottern, Suppe, Gallerte, Sirup, Pulver aus Herz und Leber, in Weingeiſt aufgelöſte oder durch
ſolchen ausgezogene Körpertheile gegen Fieber, Pocken, fallende Sucht, Lähmung, Schlagfluß, Zahn-
fäule. Das Fett galt als ein ganz vortreffliches Mittel bei Quetſchungen und Wunden, bei Augen-
krankheiten ꝛc., wurde auch von Schwindſüchtigen eingenommen und von gefallſüchtigen Närrinnen
ins Geſicht geſchmiert, um die Runzeln zu vertreiben und die Hautfarbe zu verbeſſern. Noch bis in
die ſpäteſte Zeit hat ſich der Glaube an die Heilkräftigkeit des Otternfettes erhalten, und ſelbſt ein ſo
vorurtheilsfreier Mann, wie unſer Lenz, konnte ſich deſſelben wenigſtens in früheren Jahren nicht
gänzlich entſchlagen. Jedenfalls hatte dieſer Wahn, wie jeder andere, auch eine gute Folge: er trug
weſentlich dazu bei, das Otterngezücht zu vermindern. Heutigentages glaubt kein vernünftiger Menſch
mehr an all den Unſinn vergangener Jahrhunderte und Jahrzehnte, weil ſich der Segen der natur-
wiſſenſchaftlichen Bildung unſerer Tage am allerglänzendſten in der Arzneiwiſſenſchaft gezeigt hat;
gerade deshalb aber erſcheint es um ſo mehr geboten, die natürlichen Feinde der Schlangen gewähren,
d. h. ihnen unſern Schutz im vollſten Maße zu Theil werden zu laſſen.

Zur Beruhigung aller Derer, welche ſich vor den Schlangen fürchten und zur Freude aller
Gegner des gefährlichen oder doch furchterregenden Gezüchtes iſt das Heer ſeiner Feinde ſehr
zahlreich. Bei uns zu Lande ſtellen Füchſe, Marder, Jltiſſe, Wieſel und Jgel, in ſüdlicheren
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[187/0207] Allgemeines. Nicht blos das jüdiſch-chriſtliche Märchen, ſondern das eines jeden Volkes überhaupt gedenkt ihrer, bald mit Furcht und Abſcheu, bald mit Liebe und Verehrung. Schlangen galten als Sinnbilder der Geſchwindigkeit, der Schlauheit, der ärztlichen Kunſt, ſelbſt als ſolche der Zeit; Schlangen wurden, wie es heutigentages noch unter den rohen Völkern geſchieht, bereits im grauen Alterthume angebetet, von den Jndiern als Sinnbild der Weisheit, von anderen Völkern als ſolches der Falſchheit, Tücke und Verführung, von anderen wiederum, wie z. B. von den Juden, als Götzen, wie denn ja auch Moſes eine Schlange aufrichtete, um durch dieſelbe das „Volk Gottes“ von einer Plage zu befreien. Alle denkbaren Eigenſchaften wurden ihnen angedichtet, gute und böſe, und ſo mußten ſie bald die Stelle eines Gottes, bald die eines Teufels vertreten. Und nicht blos Eigenſchaften, welche ſie nicht beſitzen, ſchrieb man ihnen zu, ſondern auch Flügel, Beine und andere Glieder, kronenartigen Kopfputz und dergleichen, weil ſich mit ihnen die Einbildungskraft mehr beſchäftigt hat als wirkliche Beobach- tung. Für die Pfaffen waren ſie lange Zeit eine Quelle reicher Einnahmen, weil ſie ſich leichter als jedes andere Weſen zur Bethörung der blindgläubigen Menge benutzen ließen; und da ſich Pfaffen und Quackſalber von jeher gern die Hände gereicht haben, beſchäftigte ſich die „ärztliche Wiſſenſchaft“ bald ebenſo eifrig mit ihnen, wie früher oder gleichzeitig Pfaffentrug und Gauklerkunſt. Bei den alten Griechen und Römern kamen Vipernkuren in hohen Schwung. Man verordnete den Kranken Arzeneien, welche aus dem Leibe gekochter Schlangen, aus Wein, in welchen Giftſchlangen gelegen hatten, und getrocknetem Hirn, Fett und anderen Theilen des Leibes dieſer Thiere bereitet waren. Die Vipernkuren ſcheinen, nach Lenz, auch das ganze Mittelalter hindurch gedauert zu haben; noch in den letzten Jahrhunderten ſind Hunderttauſende von verſchiedenen zum Otterngeſchlechte gehörigen Schlangen in Europa, vorzüglich in Jtalien und Frankreich, für die Apotheke geſammelt worden; ja, es ging ſoweit, daß, weil man mit den europäiſchen noch nicht ausreichte, man egyptiſche Giftſchlangen in Unzahl aufkaufte. Schon der berühmte Arzt des Kaiſers Octavianus Auguſtus, Autonius Muſa, hatte mit Vipern kurirt; allein erſt der Leibarzt des Kaiſers Andromachus aus Kreta erfand den Theriak, welcher noch im vorigen Jahrhunderte in faſt allen Apotheken Europa’s unter Aufſicht der Phyſiker und Aerzte, welche alle dazu kommenden Dinge unterſuchen mußten, bereitet wurde. Beſonders berühmt, des Theriaks wegen, war Venedig, kaum weniger Rom, woſelbſt ihn die Jeſuiten zubereiteten und von Obrigkeitswegen gegen mißgünſtige Nachahmungen geſchützt wurden. Der Theriak wurde verordnet als Mittel zur Reinigung des Blutes bei Flechten, Ausſatz, Krätze, Skrofeln, Kropf, als Gegenmittel bei Vergiftungen ꝛc., und beſaß genau dieſelben Heilkräfte, welche den Wunder- mitteln unſerer Tage beigelegt werden. Außerdem verordneten die Aerzte geſottene und gebratene Ottern, Suppe, Gallerte, Sirup, Pulver aus Herz und Leber, in Weingeiſt aufgelöſte oder durch ſolchen ausgezogene Körpertheile gegen Fieber, Pocken, fallende Sucht, Lähmung, Schlagfluß, Zahn- fäule. Das Fett galt als ein ganz vortreffliches Mittel bei Quetſchungen und Wunden, bei Augen- krankheiten ꝛc., wurde auch von Schwindſüchtigen eingenommen und von gefallſüchtigen Närrinnen ins Geſicht geſchmiert, um die Runzeln zu vertreiben und die Hautfarbe zu verbeſſern. Noch bis in die ſpäteſte Zeit hat ſich der Glaube an die Heilkräftigkeit des Otternfettes erhalten, und ſelbſt ein ſo vorurtheilsfreier Mann, wie unſer Lenz, konnte ſich deſſelben wenigſtens in früheren Jahren nicht gänzlich entſchlagen. Jedenfalls hatte dieſer Wahn, wie jeder andere, auch eine gute Folge: er trug weſentlich dazu bei, das Otterngezücht zu vermindern. Heutigentages glaubt kein vernünftiger Menſch mehr an all den Unſinn vergangener Jahrhunderte und Jahrzehnte, weil ſich der Segen der natur- wiſſenſchaftlichen Bildung unſerer Tage am allerglänzendſten in der Arzneiwiſſenſchaft gezeigt hat; gerade deshalb aber erſcheint es um ſo mehr geboten, die natürlichen Feinde der Schlangen gewähren, d. h. ihnen unſern Schutz im vollſten Maße zu Theil werden zu laſſen. Zur Beruhigung aller Derer, welche ſich vor den Schlangen fürchten und zur Freude aller Gegner des gefährlichen oder doch furchterregenden Gezüchtes iſt das Heer ſeiner Feinde ſehr zahlreich. Bei uns zu Lande ſtellen Füchſe, Marder, Jltiſſe, Wieſel und Jgel, in ſüdlicheren Gegenden die Schleichkatzen und namentlich die Manguſten den Schlangen eifrig nach, und ebenſo

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/207>, abgerufen am 21.05.2024.