breiter, zackiger Längsstreifen, in welchem eigestaltige, an beiden Seiten ausgerandete, graugelbliche Flecken stehen; den Kopf zeichnen drei dunkle Längsstreifen. Bei jungen Abgottschlangen sind die Farben lebhafter, und die eiförmigen Flecken werden durch hellere Linien verbunden. Die Länge ausgewachsener Thiere soll 20 Fuß erreichen, ja, falls den Angaben der Eingeborenen zu glauben, sogar noch übersteigen. "Diese Schlange", sagt der Prinz, "erreichte ehemals und selbst noch jetzt (1825) in gänzlich unbewohnten Gegenden eine Länge von zwanzig bis dreißig Fuß und vielleicht darüber. Noch jetzt findet man Stücke von der Dicke eines Mannsschenkels, welche fähig sind, ein Reh zu fangen und zu erdrücken. Jm Sertong von Bahia und am Riacho de Ressaque gab man mir Nachricht von einem daselbst vor kurzer Zeit erlegten Thiere dieser Größe. Jn gänzlich wüsten, wilden Einöden findet man noch jetzt gewöhnlich bei Ausrodung und Urbarmachung derselben riesen- hafte Stücke der genannten Art." Auch Schomburgk behauptet, daß die Schlange eine Länge von zwanzig bis dreißig Fuß erreiche; doch dürften Ungeheuer von solcher Größe außerordentlich selten sein.
Der Verbreitungskreis der Königsschlange scheint beschränkter zu sein, als man gewöhnlich angenommen hat, da man nach Ansicht der ausgezeichnetsten Schlangenkenner häufig verschiedenartige Niesenschlangen mit einander verwechselte. Dumeril und Bibron glauben, daß sich das Vaterland auf die nördlichen und östlichen Länder Südamerikas, also auf Guyana, Brasilien und Vuenos- Ayres beschränkt. Nach Prinz von Wied ist sie an der Ostküste Brasiliens nirgends selten und wird südlich bis Rio de Janeiro und Cabo Frio gefunden; nach Schomburgk verbreitet sie sich über ganz Britisch-Guyana. Beide Forscher stimmen darin überein, daß sie sich nur in trocknen, erhitzten Gegenden, Wäldern und Gebüschen aufhält. Sie bewohnt Erdhöhlen und Klüfte der Felsen, Gewurzel und andere Schlupfwinkel, nicht selten in kleinen Gesellschaften von vier, fünf und mehr Stücken, besteigt auch zuweilen die Bäume, um von dortaus auf Raub zu lauern. Jn das Wasser geht sie nie, während verwandte Arten gerade hier ihren Aufenthalt nehmen.
Könnte man das nächtliche Treiben der Abgottschlange belauschen, so würde man unzweifelhaft ein ganz anderes Bild von ihrem Sein und Wesen gewinnen, als wir meinen, es gewonnen zu haben. Allerdings läßt sie auch bei Tage eine sich ihnen bietende Beute nicht vorübergehen; ihre eigentliche Raubzeit aber beginnt gewiß erst mit Einbruch der Dämmerung. Dies beweist ihr Gebahren im Freien und in der Gefangenschaft deutlich genug. Alle Reisenden, welche die Waldungen Süd- amerikas durchstreiften und mit Abgottschlangen zusammenkamen, stimmen darin überein, daß diese unbeweglich oder doch wenigstens träge auf einer und derselben Stelle verharrten und erst dann die Flucht ergriffen, wenn sich ihr Gegner bis auf wenige Schritte ihnen genaht hatte, daß sie sogar mit einem Knüppel sich erschlagen ließen. Schomburgk traf bei einem seiner Ausflüge mit einer großen Abgottschlange zusammen, welche ihn und seinen indianischen Begleiter gewiß schon seit einiger Zeit gesehen hatte, aber doch nicht entflohen war, sondern unbeweglich in einer und derselben Stellung verharrte. "Wäre mir", sagt der Reisende, "der Gegenstand früher in die Augen gefallen, ich würde ihn für das Ende eines emporragenden Astes gehalten haben. Ungeachtet der Vorstellung und Furcht meines Begleiters, sowie des Widerwillens unseres Hundes, war mein Entschluß schnell gefaßt, wenigstens den Versuch zu machen, das Thier zu tödten. Ein tüchtiger Prügel als Angriffs- wasse war bald gefunden. Noch steckte die Schlange den Kopf unbeweglich über das Gehege empor: vorsichtig näherte ich mich demselben, um mit meiner Waffe ihn erreichen und einen betäubenden Hieb ausführen zu können; in dem Augenblicke aber, wo ich Dies thun wollte, war das Thier unter der grünen Decke verschwunden, und die eigenthümlich raschen Bewegungen der Farrenwedel zeigten mir, daß es die Flucht ergriff. Das dicke Gehege verwehrte mir den Eintritt, die Bewegung verrieth mir aber die Richtung, welche die fliehende Schlange nahm. Sie näherte sich bald wieder dem Saume, den ich daher entlang eilte, um in gleicher Linie zu bleiben. Plötzlich hörte die windende Bewegung der Farrenkräuter auf, und der Kopf durchbrach das grüne Laubdach, wahrscheinlich um sich nach dem Verfolger umzusehen. Ein glücklicher Schlag traf den Kopf so heftig, daß sie betäubt zurücksank;
Abgottſchlange.
breiter, zackiger Längsſtreifen, in welchem eigeſtaltige, an beiden Seiten ausgerandete, graugelbliche Flecken ſtehen; den Kopf zeichnen drei dunkle Längsſtreifen. Bei jungen Abgottſchlangen ſind die Farben lebhafter, und die eiförmigen Flecken werden durch hellere Linien verbunden. Die Länge ausgewachſener Thiere ſoll 20 Fuß erreichen, ja, falls den Angaben der Eingeborenen zu glauben, ſogar noch überſteigen. „Dieſe Schlange“, ſagt der Prinz, „erreichte ehemals und ſelbſt noch jetzt (1825) in gänzlich unbewohnten Gegenden eine Länge von zwanzig bis dreißig Fuß und vielleicht darüber. Noch jetzt findet man Stücke von der Dicke eines Mannsſchenkels, welche fähig ſind, ein Reh zu fangen und zu erdrücken. Jm Sertong von Bahia und am Riacho de Reſſaque gab man mir Nachricht von einem daſelbſt vor kurzer Zeit erlegten Thiere dieſer Größe. Jn gänzlich wüſten, wilden Einöden findet man noch jetzt gewöhnlich bei Ausrodung und Urbarmachung derſelben rieſen- hafte Stücke der genannten Art.“ Auch Schomburgk behauptet, daß die Schlange eine Länge von zwanzig bis dreißig Fuß erreiche; doch dürften Ungeheuer von ſolcher Größe außerordentlich ſelten ſein.
Der Verbreitungskreis der Königsſchlange ſcheint beſchränkter zu ſein, als man gewöhnlich angenommen hat, da man nach Anſicht der ausgezeichnetſten Schlangenkenner häufig verſchiedenartige Nieſenſchlangen mit einander verwechſelte. Dumeril und Bibron glauben, daß ſich das Vaterland auf die nördlichen und öſtlichen Länder Südamerikas, alſo auf Guyana, Braſilien und Vuenos- Ayres beſchränkt. Nach Prinz von Wied iſt ſie an der Oſtküſte Braſiliens nirgends ſelten und wird ſüdlich bis Rio de Janeiro und Cabo Frio gefunden; nach Schomburgk verbreitet ſie ſich über ganz Britiſch-Guyana. Beide Forſcher ſtimmen darin überein, daß ſie ſich nur in trocknen, erhitzten Gegenden, Wäldern und Gebüſchen aufhält. Sie bewohnt Erdhöhlen und Klüfte der Felſen, Gewurzel und andere Schlupfwinkel, nicht ſelten in kleinen Geſellſchaften von vier, fünf und mehr Stücken, beſteigt auch zuweilen die Bäume, um von dortaus auf Raub zu lauern. Jn das Waſſer geht ſie nie, während verwandte Arten gerade hier ihren Aufenthalt nehmen.
Könnte man das nächtliche Treiben der Abgottſchlange belauſchen, ſo würde man unzweifelhaft ein ganz anderes Bild von ihrem Sein und Weſen gewinnen, als wir meinen, es gewonnen zu haben. Allerdings läßt ſie auch bei Tage eine ſich ihnen bietende Beute nicht vorübergehen; ihre eigentliche Raubzeit aber beginnt gewiß erſt mit Einbruch der Dämmerung. Dies beweiſt ihr Gebahren im Freien und in der Gefangenſchaft deutlich genug. Alle Reiſenden, welche die Waldungen Süd- amerikas durchſtreiften und mit Abgottſchlangen zuſammenkamen, ſtimmen darin überein, daß dieſe unbeweglich oder doch wenigſtens träge auf einer und derſelben Stelle verharrten und erſt dann die Flucht ergriffen, wenn ſich ihr Gegner bis auf wenige Schritte ihnen genaht hatte, daß ſie ſogar mit einem Knüppel ſich erſchlagen ließen. Schomburgk traf bei einem ſeiner Ausflüge mit einer großen Abgottſchlange zuſammen, welche ihn und ſeinen indianiſchen Begleiter gewiß ſchon ſeit einiger Zeit geſehen hatte, aber doch nicht entflohen war, ſondern unbeweglich in einer und derſelben Stellung verharrte. „Wäre mir“, ſagt der Reiſende, „der Gegenſtand früher in die Augen gefallen, ich würde ihn für das Ende eines emporragenden Aſtes gehalten haben. Ungeachtet der Vorſtellung und Furcht meines Begleiters, ſowie des Widerwillens unſeres Hundes, war mein Entſchluß ſchnell gefaßt, wenigſtens den Verſuch zu machen, das Thier zu tödten. Ein tüchtiger Prügel als Angriffs- waſſe war bald gefunden. Noch ſteckte die Schlange den Kopf unbeweglich über das Gehege empor: vorſichtig näherte ich mich demſelben, um mit meiner Waffe ihn erreichen und einen betäubenden Hieb ausführen zu können; in dem Augenblicke aber, wo ich Dies thun wollte, war das Thier unter der grünen Decke verſchwunden, und die eigenthümlich raſchen Bewegungen der Farrenwedel zeigten mir, daß es die Flucht ergriff. Das dicke Gehege verwehrte mir den Eintritt, die Bewegung verrieth mir aber die Richtung, welche die fliehende Schlange nahm. Sie näherte ſich bald wieder dem Saume, den ich daher entlang eilte, um in gleicher Linie zu bleiben. Plötzlich hörte die windende Bewegung der Farrenkräuter auf, und der Kopf durchbrach das grüne Laubdach, wahrſcheinlich um ſich nach dem Verfolger umzuſehen. Ein glücklicher Schlag traf den Kopf ſo heftig, daß ſie betäubt zurückſank;
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[197/0219]
Abgottſchlange.
breiter, zackiger Längsſtreifen, in welchem eigeſtaltige, an beiden Seiten ausgerandete, graugelbliche
Flecken ſtehen; den Kopf zeichnen drei dunkle Längsſtreifen. Bei jungen Abgottſchlangen ſind die
Farben lebhafter, und die eiförmigen Flecken werden durch hellere Linien verbunden. Die Länge
ausgewachſener Thiere ſoll 20 Fuß erreichen, ja, falls den Angaben der Eingeborenen zu glauben,
ſogar noch überſteigen. „Dieſe Schlange“, ſagt der Prinz, „erreichte ehemals und ſelbſt noch jetzt
(1825) in gänzlich unbewohnten Gegenden eine Länge von zwanzig bis dreißig Fuß und vielleicht
darüber. Noch jetzt findet man Stücke von der Dicke eines Mannsſchenkels, welche fähig ſind, ein
Reh zu fangen und zu erdrücken. Jm Sertong von Bahia und am Riacho de Reſſaque gab man
mir Nachricht von einem daſelbſt vor kurzer Zeit erlegten Thiere dieſer Größe. Jn gänzlich wüſten,
wilden Einöden findet man noch jetzt gewöhnlich bei Ausrodung und Urbarmachung derſelben rieſen-
hafte Stücke der genannten Art.“ Auch Schomburgk behauptet, daß die Schlange eine Länge
von zwanzig bis dreißig Fuß erreiche; doch dürften Ungeheuer von ſolcher Größe außerordentlich
ſelten ſein.
Der Verbreitungskreis der Königsſchlange ſcheint beſchränkter zu ſein, als man gewöhnlich
angenommen hat, da man nach Anſicht der ausgezeichnetſten Schlangenkenner häufig verſchiedenartige
Nieſenſchlangen mit einander verwechſelte. Dumeril und Bibron glauben, daß ſich das Vaterland
auf die nördlichen und öſtlichen Länder Südamerikas, alſo auf Guyana, Braſilien und Vuenos-
Ayres beſchränkt. Nach Prinz von Wied iſt ſie an der Oſtküſte Braſiliens nirgends ſelten und
wird ſüdlich bis Rio de Janeiro und Cabo Frio gefunden; nach Schomburgk verbreitet ſie ſich
über ganz Britiſch-Guyana. Beide Forſcher ſtimmen darin überein, daß ſie ſich nur in trocknen,
erhitzten Gegenden, Wäldern und Gebüſchen aufhält. Sie bewohnt Erdhöhlen und Klüfte der Felſen,
Gewurzel und andere Schlupfwinkel, nicht ſelten in kleinen Geſellſchaften von vier, fünf und mehr
Stücken, beſteigt auch zuweilen die Bäume, um von dortaus auf Raub zu lauern. Jn das Waſſer
geht ſie nie, während verwandte Arten gerade hier ihren Aufenthalt nehmen.
Könnte man das nächtliche Treiben der Abgottſchlange belauſchen, ſo würde man unzweifelhaft
ein ganz anderes Bild von ihrem Sein und Weſen gewinnen, als wir meinen, es gewonnen zu haben.
Allerdings läßt ſie auch bei Tage eine ſich ihnen bietende Beute nicht vorübergehen; ihre eigentliche
Raubzeit aber beginnt gewiß erſt mit Einbruch der Dämmerung. Dies beweiſt ihr Gebahren im
Freien und in der Gefangenſchaft deutlich genug. Alle Reiſenden, welche die Waldungen Süd-
amerikas durchſtreiften und mit Abgottſchlangen zuſammenkamen, ſtimmen darin überein, daß dieſe
unbeweglich oder doch wenigſtens träge auf einer und derſelben Stelle verharrten und erſt dann die
Flucht ergriffen, wenn ſich ihr Gegner bis auf wenige Schritte ihnen genaht hatte, daß ſie ſogar mit
einem Knüppel ſich erſchlagen ließen. Schomburgk traf bei einem ſeiner Ausflüge mit einer
großen Abgottſchlange zuſammen, welche ihn und ſeinen indianiſchen Begleiter gewiß ſchon ſeit einiger
Zeit geſehen hatte, aber doch nicht entflohen war, ſondern unbeweglich in einer und derſelben Stellung
verharrte. „Wäre mir“, ſagt der Reiſende, „der Gegenſtand früher in die Augen gefallen, ich würde
ihn für das Ende eines emporragenden Aſtes gehalten haben. Ungeachtet der Vorſtellung und
Furcht meines Begleiters, ſowie des Widerwillens unſeres Hundes, war mein Entſchluß ſchnell
gefaßt, wenigſtens den Verſuch zu machen, das Thier zu tödten. Ein tüchtiger Prügel als Angriffs-
waſſe war bald gefunden. Noch ſteckte die Schlange den Kopf unbeweglich über das Gehege empor:
vorſichtig näherte ich mich demſelben, um mit meiner Waffe ihn erreichen und einen betäubenden Hieb
ausführen zu können; in dem Augenblicke aber, wo ich Dies thun wollte, war das Thier unter der
grünen Decke verſchwunden, und die eigenthümlich raſchen Bewegungen der Farrenwedel zeigten mir,
daß es die Flucht ergriff. Das dicke Gehege verwehrte mir den Eintritt, die Bewegung verrieth mir
aber die Richtung, welche die fliehende Schlange nahm. Sie näherte ſich bald wieder dem Saume,
den ich daher entlang eilte, um in gleicher Linie zu bleiben. Plötzlich hörte die windende Bewegung
der Farrenkräuter auf, und der Kopf durchbrach das grüne Laubdach, wahrſcheinlich um ſich nach dem
Verfolger umzuſehen. Ein glücklicher Schlag traf den Kopf ſo heftig, daß ſie betäubt zurückſank;
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/219>, abgerufen am 22.12.2024.
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