ehe aber die Lebensgeister zurückkehrten, waren dem krästigen Hiebe noch mehrere andere gefolgt. Wie ein Raubvogel auf die Taube schoß ich jetzt auf meine Beute zu, kniete auf sie nieder und drückte ihr, mit beiden Händen den Hals umfassend, den Schlund zu. Als der Jndianer die eigentliche Gefahr vorüber sah, eilte er auf meinen Ruf herbei, löste mir einen der Hosenträger ab, machte eine Schlinge, legte ihr dieselbe oberhalb meiner Hand um den Hals und zog sie so fest als möglich zu. Das dicke Gehege verhinderte das kräftige Thier in seinen krampfhaften Windungen und machte es uns daher leichter, seiner Herr zu werden." Der Prinz von Wied sagt, daß man in Brasilien die Abgottschlange gewöhnlich mit einem Prügel todtschlägt oder mit der Flinte erlegt, da sie ein Schrot- schuß sogleich zu Boden streckt.
"Gute und wahrhafte Jäger in Brasilien", fährt der Prinz fort, "lachen, wenn man sie fragt, ob die Abgottschlange auch dem Menschen gefährlich sei; denn nur der rohe Haufe des Volkes erzählt abenteuerliche Geschichten von diesen Thieren, welche jedoch von allen Kennern und gründlichen Beob- achtern stets widerlegt werden." Die Nahrung besteht in kleinen Säugethieren und Vögeln ver- schiedener Art, namentlich in Agutis, Pakkas, Ratten, Mäusen und vielleicht auch in anderen Kriech- thieren oder Lurchen, beispielsweise in kleineren Schlangen und Fröschen. Alte Stücke sollen sich an Thiere bis zur Größe eines Hundes oder Rehes wagen. Ein brasilianischer Jäger erzählte dem Prinzen, daß er einst im Walde seinen Hund schreien gehört, und als er hinzu gekommen sei, den- selben von einer großen Abgottschlange im Schenkel gebissen, umschlungen und schon dergestalt gedrückt gefunden habe, daß er aus dem Halse geblutet. Der Hund war durch einen Schuß schnell befreit, konnte sich aber erst nach langer Zeit wieder erholen. Geschichten, wie sie Gardner mittheilt, daß amerikanische Riesenschlangen erwachsene Pferde verschlingen sollen, gehören in das Bereich der Fabel und werden höchst wahrscheinlich von den Reisenden selbst erfunden, in der Absicht, ihren Schilde- rungen prickelnde Würze beizumischen.
Die Art und Weise, wie die Riesenschlangen ihren Raub ergreifen, erwürgen und verschlingen, hat man an Gefangenen oft beobachtet und auch mehrfach beschrieben. Als die beste Schilderung, welche ich kenne, möchte ich die von Schinz, nach mehrfacher Beobachtung einer etwa siebzehn Fuß langen Abgottschlange gegebene, bezeichnen. "Um die Fütterung den Zuschauern anschaulicher zu machen, wurde die Schlange auf ein erhöhtes Gerüst gelegt, und, damit der Tisch wenig schlüpfrig sei, ein Tuch darüber gespannt. Die sehr muntere, frisch gehäutete Boa sah sich allenthalben um, erhob den Kopf und züngelte lebhaft. Nun hielt man ihr ein blökendes, ziemlich großes Böckchen vor. Sie zog den Kopf ganz zurück, bog den Hals, züngelte sehr stark und verfolgte, vollkommen still liegend und lauernd, jede Bewegung des Thierchens mit leuchtenden Augen. Plötzlich, wie ein Blitz, schoß sie mit ausgerecktem Halse nach dem Kopfe des Böckchens und nahm seine Schnauze in den geöffneten Rachen, wobei jenes noch blökte; nun aber, da der Aufseher schnell losließ, rollte sie sich mit unbegreiflicher Schnelligkeit, wie eine ausgestreckte und losgelassene Uhrfeder in einen engen Klumpen zusammen, umfaßte mit zwei Windungen das arme Thierchen und drückte ihm die Brust zu, daß es nicht mehr athmen konnte. Die Hinterbeine lagen gerade ausgestreckt auf dem unteren Theile der Schlange. Ganz unbeweglich ruhte diese nun in dieser Stellung, bis das anfangs stark zappelnde Böckchen keine Bewegung mehr zeigte, also wohl acht Minuten lang; dann öffnete sie ihre Ringe und ließ den Kopf fahren, lag wiederum einige Zeit lang ruhig, beschnupperte und bezüngelte nun das Schlachtopfer, faßte es aufs Neue mit einem schnellen Rucke beim Kopfe und machte sich jetzt an die mühsame, man möchte meinen, fast schmerzhafte Arbeit des Verschlingens. Nach und nach rückte der Kopf in den Rachen hinein, zusehends wich die untere Kinnlade aus ihren Gelenken, und späterhin theilte sich auch vorn ihr Bogen, sodaß der Kopf ein häßliches und widerliches Ansehen bekam, so zierlich auch derselbe vorher aussah. Nun kam es an die Schulter, und hier ging die mühsame Arbeit erst recht an. Höchst langsam wurde der Nachen vorgeschoben; aus den gedrückten Drüsen der Zunge floß sehr viel Speichel aus, welcher das Opfer schlüpferig machte; dabei trat die Luströhre mehrere Zoll weit vor und blieb so, bis endlich auch Schulter und Brust bezwungen waren,
Die Schlangen. Stummelſüßler. Königsſchlinger.
ehe aber die Lebensgeiſter zurückkehrten, waren dem kräſtigen Hiebe noch mehrere andere gefolgt. Wie ein Raubvogel auf die Taube ſchoß ich jetzt auf meine Beute zu, kniete auf ſie nieder und drückte ihr, mit beiden Händen den Hals umfaſſend, den Schlund zu. Als der Jndianer die eigentliche Gefahr vorüber ſah, eilte er auf meinen Ruf herbei, löſte mir einen der Hoſenträger ab, machte eine Schlinge, legte ihr dieſelbe oberhalb meiner Hand um den Hals und zog ſie ſo feſt als möglich zu. Das dicke Gehege verhinderte das kräftige Thier in ſeinen krampfhaften Windungen und machte es uns daher leichter, ſeiner Herr zu werden.“ Der Prinz von Wied ſagt, daß man in Braſilien die Abgottſchlange gewöhnlich mit einem Prügel todtſchlägt oder mit der Flinte erlegt, da ſie ein Schrot- ſchuß ſogleich zu Boden ſtreckt.
„Gute und wahrhafte Jäger in Braſilien“, fährt der Prinz fort, „lachen, wenn man ſie fragt, ob die Abgottſchlange auch dem Menſchen gefährlich ſei; denn nur der rohe Haufe des Volkes erzählt abenteuerliche Geſchichten von dieſen Thieren, welche jedoch von allen Kennern und gründlichen Beob- achtern ſtets widerlegt werden.“ Die Nahrung beſteht in kleinen Säugethieren und Vögeln ver- ſchiedener Art, namentlich in Agutis, Pakkas, Ratten, Mäuſen und vielleicht auch in anderen Kriech- thieren oder Lurchen, beiſpielsweiſe in kleineren Schlangen und Fröſchen. Alte Stücke ſollen ſich an Thiere bis zur Größe eines Hundes oder Rehes wagen. Ein braſilianiſcher Jäger erzählte dem Prinzen, daß er einſt im Walde ſeinen Hund ſchreien gehört, und als er hinzu gekommen ſei, den- ſelben von einer großen Abgottſchlange im Schenkel gebiſſen, umſchlungen und ſchon dergeſtalt gedrückt gefunden habe, daß er aus dem Halſe geblutet. Der Hund war durch einen Schuß ſchnell befreit, konnte ſich aber erſt nach langer Zeit wieder erholen. Geſchichten, wie ſie Gardner mittheilt, daß amerikaniſche Rieſenſchlangen erwachſene Pferde verſchlingen ſollen, gehören in das Bereich der Fabel und werden höchſt wahrſcheinlich von den Reiſenden ſelbſt erfunden, in der Abſicht, ihren Schilde- rungen prickelnde Würze beizumiſchen.
Die Art und Weiſe, wie die Rieſenſchlangen ihren Raub ergreifen, erwürgen und verſchlingen, hat man an Gefangenen oft beobachtet und auch mehrfach beſchrieben. Als die beſte Schilderung, welche ich kenne, möchte ich die von Schinz, nach mehrfacher Beobachtung einer etwa ſiebzehn Fuß langen Abgottſchlange gegebene, bezeichnen. „Um die Fütterung den Zuſchauern anſchaulicher zu machen, wurde die Schlange auf ein erhöhtes Gerüſt gelegt, und, damit der Tiſch wenig ſchlüpfrig ſei, ein Tuch darüber geſpannt. Die ſehr muntere, friſch gehäutete Boa ſah ſich allenthalben um, erhob den Kopf und züngelte lebhaft. Nun hielt man ihr ein blökendes, ziemlich großes Böckchen vor. Sie zog den Kopf ganz zurück, bog den Hals, züngelte ſehr ſtark und verfolgte, vollkommen ſtill liegend und lauernd, jede Bewegung des Thierchens mit leuchtenden Augen. Plötzlich, wie ein Blitz, ſchoß ſie mit ausgerecktem Halſe nach dem Kopfe des Böckchens und nahm ſeine Schnauze in den geöffneten Rachen, wobei jenes noch blökte; nun aber, da der Aufſeher ſchnell losließ, rollte ſie ſich mit unbegreiflicher Schnelligkeit, wie eine ausgeſtreckte und losgelaſſene Uhrfeder in einen engen Klumpen zuſammen, umfaßte mit zwei Windungen das arme Thierchen und drückte ihm die Bruſt zu, daß es nicht mehr athmen konnte. Die Hinterbeine lagen gerade ausgeſtreckt auf dem unteren Theile der Schlange. Ganz unbeweglich ruhte dieſe nun in dieſer Stellung, bis das anfangs ſtark zappelnde Böckchen keine Bewegung mehr zeigte, alſo wohl acht Minuten lang; dann öffnete ſie ihre Ringe und ließ den Kopf fahren, lag wiederum einige Zeit lang ruhig, beſchnupperte und bezüngelte nun das Schlachtopfer, faßte es aufs Neue mit einem ſchnellen Rucke beim Kopfe und machte ſich jetzt an die mühſame, man möchte meinen, faſt ſchmerzhafte Arbeit des Verſchlingens. Nach und nach rückte der Kopf in den Rachen hinein, zuſehends wich die untere Kinnlade aus ihren Gelenken, und ſpäterhin theilte ſich auch vorn ihr Bogen, ſodaß der Kopf ein häßliches und widerliches Anſehen bekam, ſo zierlich auch derſelbe vorher ausſah. Nun kam es an die Schulter, und hier ging die mühſame Arbeit erſt recht an. Höchſt langſam wurde der Nachen vorgeſchoben; aus den gedrückten Drüſen der Zunge floß ſehr viel Speichel aus, welcher das Opfer ſchlüpferig machte; dabei trat die Luſtröhre mehrere Zoll weit vor und blieb ſo, bis endlich auch Schulter und Bruſt bezwungen waren,
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[198/0220]
Die Schlangen. Stummelſüßler. Königsſchlinger.
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Wie ein Raubvogel auf die Taube ſchoß ich jetzt auf meine Beute zu, kniete auf ſie nieder und drückte
ihr, mit beiden Händen den Hals umfaſſend, den Schlund zu. Als der Jndianer die eigentliche
Gefahr vorüber ſah, eilte er auf meinen Ruf herbei, löſte mir einen der Hoſenträger ab, machte eine
Schlinge, legte ihr dieſelbe oberhalb meiner Hand um den Hals und zog ſie ſo feſt als möglich zu.
Das dicke Gehege verhinderte das kräftige Thier in ſeinen krampfhaften Windungen und machte es
uns daher leichter, ſeiner Herr zu werden.“ Der Prinz von Wied ſagt, daß man in Braſilien die
Abgottſchlange gewöhnlich mit einem Prügel todtſchlägt oder mit der Flinte erlegt, da ſie ein Schrot-
ſchuß ſogleich zu Boden ſtreckt.
„Gute und wahrhafte Jäger in Braſilien“, fährt der Prinz fort, „lachen, wenn man ſie fragt,
ob die Abgottſchlange auch dem Menſchen gefährlich ſei; denn nur der rohe Haufe des Volkes erzählt
abenteuerliche Geſchichten von dieſen Thieren, welche jedoch von allen Kennern und gründlichen Beob-
achtern ſtets widerlegt werden.“ Die Nahrung beſteht in kleinen Säugethieren und Vögeln ver-
ſchiedener Art, namentlich in Agutis, Pakkas, Ratten, Mäuſen und vielleicht auch in anderen Kriech-
thieren oder Lurchen, beiſpielsweiſe in kleineren Schlangen und Fröſchen. Alte Stücke ſollen ſich an
Thiere bis zur Größe eines Hundes oder Rehes wagen. Ein braſilianiſcher Jäger erzählte dem
Prinzen, daß er einſt im Walde ſeinen Hund ſchreien gehört, und als er hinzu gekommen ſei, den-
ſelben von einer großen Abgottſchlange im Schenkel gebiſſen, umſchlungen und ſchon dergeſtalt gedrückt
gefunden habe, daß er aus dem Halſe geblutet. Der Hund war durch einen Schuß ſchnell befreit,
konnte ſich aber erſt nach langer Zeit wieder erholen. Geſchichten, wie ſie Gardner mittheilt, daß
amerikaniſche Rieſenſchlangen erwachſene Pferde verſchlingen ſollen, gehören in das Bereich der Fabel
und werden höchſt wahrſcheinlich von den Reiſenden ſelbſt erfunden, in der Abſicht, ihren Schilde-
rungen prickelnde Würze beizumiſchen.
Die Art und Weiſe, wie die Rieſenſchlangen ihren Raub ergreifen, erwürgen und verſchlingen,
hat man an Gefangenen oft beobachtet und auch mehrfach beſchrieben. Als die beſte Schilderung,
welche ich kenne, möchte ich die von Schinz, nach mehrfacher Beobachtung einer etwa ſiebzehn Fuß
langen Abgottſchlange gegebene, bezeichnen. „Um die Fütterung den Zuſchauern anſchaulicher zu
machen, wurde die Schlange auf ein erhöhtes Gerüſt gelegt, und, damit der Tiſch wenig ſchlüpfrig
ſei, ein Tuch darüber geſpannt. Die ſehr muntere, friſch gehäutete Boa ſah ſich allenthalben um,
erhob den Kopf und züngelte lebhaft. Nun hielt man ihr ein blökendes, ziemlich großes Böckchen
vor. Sie zog den Kopf ganz zurück, bog den Hals, züngelte ſehr ſtark und verfolgte, vollkommen
ſtill liegend und lauernd, jede Bewegung des Thierchens mit leuchtenden Augen. Plötzlich, wie ein
Blitz, ſchoß ſie mit ausgerecktem Halſe nach dem Kopfe des Böckchens und nahm ſeine Schnauze in
den geöffneten Rachen, wobei jenes noch blökte; nun aber, da der Aufſeher ſchnell losließ, rollte ſie
ſich mit unbegreiflicher Schnelligkeit, wie eine ausgeſtreckte und losgelaſſene Uhrfeder in einen engen
Klumpen zuſammen, umfaßte mit zwei Windungen das arme Thierchen und drückte ihm die Bruſt zu,
daß es nicht mehr athmen konnte. Die Hinterbeine lagen gerade ausgeſtreckt auf dem unteren Theile
der Schlange. Ganz unbeweglich ruhte dieſe nun in dieſer Stellung, bis das anfangs ſtark zappelnde
Böckchen keine Bewegung mehr zeigte, alſo wohl acht Minuten lang; dann öffnete ſie ihre Ringe
und ließ den Kopf fahren, lag wiederum einige Zeit lang ruhig, beſchnupperte und bezüngelte nun
das Schlachtopfer, faßte es aufs Neue mit einem ſchnellen Rucke beim Kopfe und machte ſich jetzt an
die mühſame, man möchte meinen, faſt ſchmerzhafte Arbeit des Verſchlingens. Nach und nach rückte
der Kopf in den Rachen hinein, zuſehends wich die untere Kinnlade aus ihren Gelenken, und
ſpäterhin theilte ſich auch vorn ihr Bogen, ſodaß der Kopf ein häßliches und widerliches Anſehen
bekam, ſo zierlich auch derſelbe vorher ausſah. Nun kam es an die Schulter, und hier ging die
mühſame Arbeit erſt recht an. Höchſt langſam wurde der Nachen vorgeſchoben; aus den gedrückten
Drüſen der Zunge floß ſehr viel Speichel aus, welcher das Opfer ſchlüpferig machte; dabei trat die
Luſtröhre mehrere Zoll weit vor und blieb ſo, bis endlich auch Schulter und Bruſt bezwungen waren,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/220>, abgerufen am 22.12.2024.
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