aussperren muß. Kleine Wirbelthiere der beiden ersten Klassen nimmt sie wohl nur in seltenen Aus- nahmsfällen zu sich; an Gefangenen wenigstens hat man beobachtet, daß sie Mäuse oder Vögel und deren Eier regelmäßig verschmähen. Ob sie wirbellose Thiere verschiedener Klassen verzehrt, ist zur Zeit noch nicht mit Genüge festgestellt, läßt sich aber wohl annehmen, da man bei verwandten Schlangenarten Grillen, Raupen und andere Kerbthiere im Magen gefunden hat.
So nothwendig das Wasser zum Wohlbefinden einer Ringelnatter ist, so selten trinkt sie. Lenz hat niemals Wasser in dem Magen der von ihm untersuchten Nattern gefunden, obgleich er sie bei heißem Wetter lange ohne Wasser ließ, sie in dieses legte und bald darauf schlachtete. Trotzdem darf das Gegentheil nicht bezweifelt werden: ein Freund unseres eben genannten Forschers beobachtete, daß eine seiner Gefangenen, nachdem sie im Hochsommer vierzehn Tage lang gedurstet, ein mit Wasser gefülltes Näpfchen rein austrank, und auch andere Schlangenfreunde haben Dasselbe erfahren. Noch viel weniger als an Wasser geht sie an Milch, und mit Recht bezeichnet es Linck als unbe- greiflich, daß die alte Volkssage sich selbst in den Urkunden der Wissenschaft Bürgerrecht erschlichen hat, "da sie doch zu den haltlosesten Ausgeburten des Afterglaubens gehört, die herüber aus finsterer Zeit ihre Schatten noch in den Kreis des angebrochenen Lichtes werfen.... Ein Geschlecht sagts, und ein Nachbar thuts kund dem anderen, wie die Hausunken sich in die Viehställe schleichen, um eigenmündig die Euter zu entleeren, in die Keller, um die Milchnäpfe zu plündern, ein Autor, sich begnügend das Melktalent anzuzweifeln, erzählt dem anderen von der Milchgier der Schlangen, und der Unkundige baut getrost und gläubig anziehende Geschichtchen auf den Grund der viel und oft gehörten, nur bestrittenen, doch freilich auch nirgends beglaubigten Sage. Mir war längst auf- gefallen, daß nicht eine einzige der vielen Ringelnattern, welche ich im Laufe der Jahre beobachtete, so manche derselben auch tapfer zugriff, wenn ich feste Nahrung bot, die mindeste Lust zeigte, den Jnhalt des beigesetzten Trinkgeschirres zu kosten. Jch ließ nun Ringelnattern, die so zahm geworden waren, daß sie Mäuse und Frösche nicht nur vor meinen Augen, sondern unmittelbar aus meinen Händen aufnahmen, erst Wochen, später Monate lang fasten; ja, ich entzog ihnen selbst die gewohnten Bäder, um ihren Durst auf das Höchste zu reizen. Nun bot ich ihnen Milch in allen möglichen Zuständen, warm vom Euter weg, gekühlt, gesotten, gegohren -- Alles vergeblich: keine erwies dem Tranke auch nur die geringste Aufmerksamkeit. Mit entschiedener Gleichgültigkeit und Verdrossenheit glitten sie über die Schale hinweg, sichtlich bemüht, den Mund rein zu halten von der Flüssigkeit, die, wie der Volksmund erfand und die Wissenschaft auf Treu und Glauben annahm, so köstlich munden soll, daß sie Freiheit und Leben wagen, um sich in den Besitz der ersehnten Leckerei zu setzen. Meine Versuche, den Mundrand der Thiere unterzutauchen, erfuhren den möglichsten Widerstand. Jn passenden Gaben eingegossen, wurde die Milch unter Anstrengung blasig und schäumig wieder aus- gewürgt; und so oft ich die ganze Reihenfolge der Versuche wiederholte, nie stellte sich ein anderes Ergebniß heraus, nie vermochte ich einer Ringelnatter auch nur einen Tropfen Milch aufzuzwingen. Der Raum würde mir fehlen, wollte ich alle einschlägigen Bersuche des Genauern beschreiben; daher nur soviel: mir steht als Ergebniß meiner Forschungen unverrücklich fest, daß die Behauptung, die Schlange säuft Milch, mit Allem, was drum und dran hängt, in den Kehricht der Wissenschaft gehört, zum obstspießenden Jgel, zum erbsenriechenden Aale und dem famosen Fuhrwerke, welches durch die Geschichte der Murmelthiere spukt". Dieselben Beobachtungen hat Lenz schon dreiundzwanzig Jahre vor Linck angestellt und genau dieselben Ergebnisse gewonnen.
Wie alle Schlangen ist die Ringelnatter im Stande, monatelang ohne Nahrung auszuhalten. Hierüber hat neuerdings Herklotz eine Beobachtung veröffentlicht, welche wohl verdient, auch in weiteren Kreisen bekannt zu werden. Nachdem er den Zweckmäßigkeitslehrern eine naturwissen- schaftliche Predigt gehalten, in welcher jedenfalls mehr Sinn und Verstand zu finden sein dürfte als in dem haltlosen Geschwätz und Gesalbader Jener, und sich über die Fähigkeit verschiedener Thiere, den Hunger zu ertragen, im allgemeinen ausgelassen, läßt er sich hinsichtlich seiner Natter vernehmen, wie folgt: "Jm vorigen Jahre (1864) am 19. Juni fing ich auf einem Jagdausfluge in die Sümpfe
Ringelnatter.
auſſperren muß. Kleine Wirbelthiere der beiden erſten Klaſſen nimmt ſie wohl nur in ſeltenen Aus- nahmsfällen zu ſich; an Gefangenen wenigſtens hat man beobachtet, daß ſie Mäuſe oder Vögel und deren Eier regelmäßig verſchmähen. Ob ſie wirbelloſe Thiere verſchiedener Klaſſen verzehrt, iſt zur Zeit noch nicht mit Genüge feſtgeſtellt, läßt ſich aber wohl annehmen, da man bei verwandten Schlangenarten Grillen, Raupen und andere Kerbthiere im Magen gefunden hat.
So nothwendig das Waſſer zum Wohlbefinden einer Ringelnatter iſt, ſo ſelten trinkt ſie. Lenz hat niemals Waſſer in dem Magen der von ihm unterſuchten Nattern gefunden, obgleich er ſie bei heißem Wetter lange ohne Waſſer ließ, ſie in dieſes legte und bald darauf ſchlachtete. Trotzdem darf das Gegentheil nicht bezweifelt werden: ein Freund unſeres eben genannten Forſchers beobachtete, daß eine ſeiner Gefangenen, nachdem ſie im Hochſommer vierzehn Tage lang gedurſtet, ein mit Waſſer gefülltes Näpfchen rein austrank, und auch andere Schlangenfreunde haben Daſſelbe erfahren. Noch viel weniger als an Waſſer geht ſie an Milch, und mit Recht bezeichnet es Linck als unbe- greiflich, daß die alte Volksſage ſich ſelbſt in den Urkunden der Wiſſenſchaft Bürgerrecht erſchlichen hat, „da ſie doch zu den haltloſeſten Ausgeburten des Afterglaubens gehört, die herüber aus finſterer Zeit ihre Schatten noch in den Kreis des angebrochenen Lichtes werfen.... Ein Geſchlecht ſagts, und ein Nachbar thuts kund dem anderen, wie die Hausunken ſich in die Viehſtälle ſchleichen, um eigenmündig die Euter zu entleeren, in die Keller, um die Milchnäpfe zu plündern, ein Autor, ſich begnügend das Melktalent anzuzweifeln, erzählt dem anderen von der Milchgier der Schlangen, und der Unkundige baut getroſt und gläubig anziehende Geſchichtchen auf den Grund der viel und oft gehörten, nur beſtrittenen, doch freilich auch nirgends beglaubigten Sage. Mir war längſt auf- gefallen, daß nicht eine einzige der vielen Ringelnattern, welche ich im Laufe der Jahre beobachtete, ſo manche derſelben auch tapfer zugriff, wenn ich feſte Nahrung bot, die mindeſte Luſt zeigte, den Jnhalt des beigeſetzten Trinkgeſchirres zu koſten. Jch ließ nun Ringelnattern, die ſo zahm geworden waren, daß ſie Mäuſe und Fröſche nicht nur vor meinen Augen, ſondern unmittelbar aus meinen Händen aufnahmen, erſt Wochen, ſpäter Monate lang faſten; ja, ich entzog ihnen ſelbſt die gewohnten Bäder, um ihren Durſt auf das Höchſte zu reizen. Nun bot ich ihnen Milch in allen möglichen Zuſtänden, warm vom Euter weg, gekühlt, geſotten, gegohren — Alles vergeblich: keine erwies dem Tranke auch nur die geringſte Aufmerkſamkeit. Mit entſchiedener Gleichgültigkeit und Verdroſſenheit glitten ſie über die Schale hinweg, ſichtlich bemüht, den Mund rein zu halten von der Flüſſigkeit, die, wie der Volksmund erfand und die Wiſſenſchaft auf Treu und Glauben annahm, ſo köſtlich munden ſoll, daß ſie Freiheit und Leben wagen, um ſich in den Beſitz der erſehnten Leckerei zu ſetzen. Meine Verſuche, den Mundrand der Thiere unterzutauchen, erfuhren den möglichſten Widerſtand. Jn paſſenden Gaben eingegoſſen, wurde die Milch unter Anſtrengung blaſig und ſchäumig wieder aus- gewürgt; und ſo oft ich die ganze Reihenfolge der Verſuche wiederholte, nie ſtellte ſich ein anderes Ergebniß heraus, nie vermochte ich einer Ringelnatter auch nur einen Tropfen Milch aufzuzwingen. Der Raum würde mir fehlen, wollte ich alle einſchlägigen Berſuche des Genauern beſchreiben; daher nur ſoviel: mir ſteht als Ergebniß meiner Forſchungen unverrücklich feſt, daß die Behauptung, die Schlange ſäuft Milch, mit Allem, was drum und dran hängt, in den Kehricht der Wiſſenſchaft gehört, zum obſtſpießenden Jgel, zum erbſenriechenden Aale und dem famoſen Fuhrwerke, welches durch die Geſchichte der Murmelthiere ſpukt“. Dieſelben Beobachtungen hat Lenz ſchon dreiundzwanzig Jahre vor Linck angeſtellt und genau dieſelben Ergebniſſe gewonnen.
Wie alle Schlangen iſt die Ringelnatter im Stande, monatelang ohne Nahrung auszuhalten. Hierüber hat neuerdings Herklotz eine Beobachtung veröffentlicht, welche wohl verdient, auch in weiteren Kreiſen bekannt zu werden. Nachdem er den Zweckmäßigkeitslehrern eine naturwiſſen- ſchaftliche Predigt gehalten, in welcher jedenfalls mehr Sinn und Verſtand zu finden ſein dürfte als in dem haltloſen Geſchwätz und Geſalbader Jener, und ſich über die Fähigkeit verſchiedener Thiere, den Hunger zu ertragen, im allgemeinen ausgelaſſen, läßt er ſich hinſichtlich ſeiner Natter vernehmen, wie folgt: „Jm vorigen Jahre (1864) am 19. Juni fing ich auf einem Jagdausfluge in die Sümpfe
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0243"n="221"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Ringelnatter</hi>.</fw><lb/>
auſſperren muß. Kleine Wirbelthiere der beiden erſten Klaſſen nimmt ſie wohl nur in ſeltenen Aus-<lb/>
nahmsfällen zu ſich; an Gefangenen wenigſtens hat man beobachtet, daß ſie Mäuſe oder Vögel und<lb/>
deren Eier regelmäßig verſchmähen. Ob ſie wirbelloſe Thiere verſchiedener Klaſſen verzehrt, iſt zur<lb/>
Zeit noch nicht mit Genüge feſtgeſtellt, läßt ſich aber wohl annehmen, da man bei verwandten<lb/>
Schlangenarten Grillen, Raupen und andere Kerbthiere im Magen gefunden hat.</p><lb/><p>So nothwendig das Waſſer zum Wohlbefinden einer Ringelnatter iſt, ſo ſelten trinkt ſie. <hirendition="#g">Lenz</hi><lb/>
hat niemals Waſſer in dem Magen der von ihm unterſuchten Nattern gefunden, obgleich er ſie bei<lb/>
heißem Wetter lange ohne Waſſer ließ, ſie in dieſes legte und bald darauf ſchlachtete. Trotzdem darf<lb/>
das Gegentheil nicht bezweifelt werden: ein Freund unſeres eben genannten Forſchers beobachtete,<lb/>
daß eine ſeiner Gefangenen, nachdem ſie im Hochſommer vierzehn Tage lang gedurſtet, ein mit<lb/>
Waſſer gefülltes Näpfchen rein austrank, und auch andere Schlangenfreunde haben Daſſelbe erfahren.<lb/>
Noch viel weniger als an Waſſer geht ſie an Milch, und mit Recht bezeichnet es <hirendition="#g">Linck</hi> als unbe-<lb/>
greiflich, daß die alte Volksſage ſich ſelbſt in den Urkunden der Wiſſenſchaft Bürgerrecht erſchlichen<lb/>
hat, „da ſie doch zu den haltloſeſten Ausgeburten des Afterglaubens gehört, die herüber aus finſterer<lb/>
Zeit ihre Schatten noch in den Kreis des angebrochenen Lichtes werfen.... Ein Geſchlecht ſagts,<lb/>
und ein Nachbar thuts kund dem anderen, wie die Hausunken ſich in die Viehſtälle ſchleichen, um<lb/>
eigenmündig die Euter zu entleeren, in die Keller, um die Milchnäpfe zu plündern, ein Autor, ſich<lb/>
begnügend das Melktalent anzuzweifeln, erzählt dem anderen von der Milchgier der Schlangen, und<lb/>
der Unkundige baut getroſt und gläubig anziehende Geſchichtchen auf den Grund der viel und oft<lb/>
gehörten, nur beſtrittenen, doch freilich auch nirgends beglaubigten Sage. Mir war längſt auf-<lb/>
gefallen, daß nicht eine einzige der vielen Ringelnattern, welche ich im Laufe der Jahre beobachtete, ſo<lb/>
manche derſelben auch tapfer zugriff, wenn ich feſte Nahrung bot, die mindeſte Luſt zeigte, den Jnhalt<lb/>
des beigeſetzten Trinkgeſchirres zu koſten. Jch ließ nun Ringelnattern, die ſo zahm geworden waren,<lb/>
daß ſie Mäuſe und Fröſche nicht nur vor meinen Augen, ſondern unmittelbar aus meinen Händen<lb/>
aufnahmen, erſt Wochen, ſpäter Monate lang faſten; ja, ich entzog ihnen ſelbſt die gewohnten Bäder,<lb/>
um ihren Durſt auf das Höchſte zu reizen. Nun bot ich ihnen Milch in allen möglichen Zuſtänden,<lb/>
warm vom Euter weg, gekühlt, geſotten, gegohren — Alles vergeblich: keine erwies dem Tranke<lb/>
auch nur die geringſte Aufmerkſamkeit. Mit entſchiedener Gleichgültigkeit und Verdroſſenheit glitten<lb/>ſie über die Schale hinweg, ſichtlich bemüht, den Mund rein zu halten von der Flüſſigkeit, die, wie<lb/>
der Volksmund erfand und die Wiſſenſchaft auf Treu und Glauben annahm, ſo köſtlich munden ſoll,<lb/>
daß ſie Freiheit und Leben wagen, um ſich in den Beſitz der erſehnten Leckerei zu ſetzen. Meine<lb/>
Verſuche, den Mundrand der Thiere unterzutauchen, erfuhren den möglichſten Widerſtand. Jn<lb/>
paſſenden Gaben eingegoſſen, wurde die Milch unter Anſtrengung blaſig und ſchäumig wieder aus-<lb/>
gewürgt; und ſo oft ich die ganze Reihenfolge der Verſuche wiederholte, nie ſtellte ſich ein anderes<lb/>
Ergebniß heraus, nie vermochte ich einer Ringelnatter auch nur einen Tropfen Milch aufzuzwingen.<lb/>
Der Raum würde mir fehlen, wollte ich alle einſchlägigen Berſuche des Genauern beſchreiben; daher<lb/>
nur ſoviel: mir ſteht als Ergebniß meiner Forſchungen unverrücklich feſt, daß die Behauptung, die<lb/>
Schlange ſäuft Milch, mit Allem, was drum und dran hängt, in den Kehricht der Wiſſenſchaft<lb/>
gehört, zum obſtſpießenden Jgel, zum erbſenriechenden Aale und dem famoſen Fuhrwerke, welches durch<lb/>
die Geſchichte der Murmelthiere ſpukt“. Dieſelben Beobachtungen hat <hirendition="#g">Lenz</hi>ſchon dreiundzwanzig<lb/>
Jahre vor <hirendition="#g">Linck</hi> angeſtellt und genau dieſelben Ergebniſſe gewonnen.</p><lb/><p>Wie alle Schlangen iſt die Ringelnatter im Stande, monatelang ohne Nahrung auszuhalten.<lb/>
Hierüber hat neuerdings <hirendition="#g">Herklotz</hi> eine Beobachtung veröffentlicht, welche wohl verdient, auch in<lb/>
weiteren Kreiſen bekannt zu werden. Nachdem er den Zweckmäßigkeitslehrern eine naturwiſſen-<lb/>ſchaftliche Predigt gehalten, in welcher jedenfalls mehr Sinn und Verſtand zu finden ſein dürfte als<lb/>
in dem haltloſen Geſchwätz und Geſalbader Jener, und ſich über die Fähigkeit verſchiedener Thiere,<lb/>
den Hunger zu ertragen, im allgemeinen ausgelaſſen, läßt er ſich hinſichtlich ſeiner Natter vernehmen,<lb/>
wie folgt: „Jm vorigen Jahre (1864) am 19. Juni fing ich auf einem Jagdausfluge in die Sümpfe<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[221/0243]
Ringelnatter.
auſſperren muß. Kleine Wirbelthiere der beiden erſten Klaſſen nimmt ſie wohl nur in ſeltenen Aus-
nahmsfällen zu ſich; an Gefangenen wenigſtens hat man beobachtet, daß ſie Mäuſe oder Vögel und
deren Eier regelmäßig verſchmähen. Ob ſie wirbelloſe Thiere verſchiedener Klaſſen verzehrt, iſt zur
Zeit noch nicht mit Genüge feſtgeſtellt, läßt ſich aber wohl annehmen, da man bei verwandten
Schlangenarten Grillen, Raupen und andere Kerbthiere im Magen gefunden hat.
So nothwendig das Waſſer zum Wohlbefinden einer Ringelnatter iſt, ſo ſelten trinkt ſie. Lenz
hat niemals Waſſer in dem Magen der von ihm unterſuchten Nattern gefunden, obgleich er ſie bei
heißem Wetter lange ohne Waſſer ließ, ſie in dieſes legte und bald darauf ſchlachtete. Trotzdem darf
das Gegentheil nicht bezweifelt werden: ein Freund unſeres eben genannten Forſchers beobachtete,
daß eine ſeiner Gefangenen, nachdem ſie im Hochſommer vierzehn Tage lang gedurſtet, ein mit
Waſſer gefülltes Näpfchen rein austrank, und auch andere Schlangenfreunde haben Daſſelbe erfahren.
Noch viel weniger als an Waſſer geht ſie an Milch, und mit Recht bezeichnet es Linck als unbe-
greiflich, daß die alte Volksſage ſich ſelbſt in den Urkunden der Wiſſenſchaft Bürgerrecht erſchlichen
hat, „da ſie doch zu den haltloſeſten Ausgeburten des Afterglaubens gehört, die herüber aus finſterer
Zeit ihre Schatten noch in den Kreis des angebrochenen Lichtes werfen.... Ein Geſchlecht ſagts,
und ein Nachbar thuts kund dem anderen, wie die Hausunken ſich in die Viehſtälle ſchleichen, um
eigenmündig die Euter zu entleeren, in die Keller, um die Milchnäpfe zu plündern, ein Autor, ſich
begnügend das Melktalent anzuzweifeln, erzählt dem anderen von der Milchgier der Schlangen, und
der Unkundige baut getroſt und gläubig anziehende Geſchichtchen auf den Grund der viel und oft
gehörten, nur beſtrittenen, doch freilich auch nirgends beglaubigten Sage. Mir war längſt auf-
gefallen, daß nicht eine einzige der vielen Ringelnattern, welche ich im Laufe der Jahre beobachtete, ſo
manche derſelben auch tapfer zugriff, wenn ich feſte Nahrung bot, die mindeſte Luſt zeigte, den Jnhalt
des beigeſetzten Trinkgeſchirres zu koſten. Jch ließ nun Ringelnattern, die ſo zahm geworden waren,
daß ſie Mäuſe und Fröſche nicht nur vor meinen Augen, ſondern unmittelbar aus meinen Händen
aufnahmen, erſt Wochen, ſpäter Monate lang faſten; ja, ich entzog ihnen ſelbſt die gewohnten Bäder,
um ihren Durſt auf das Höchſte zu reizen. Nun bot ich ihnen Milch in allen möglichen Zuſtänden,
warm vom Euter weg, gekühlt, geſotten, gegohren — Alles vergeblich: keine erwies dem Tranke
auch nur die geringſte Aufmerkſamkeit. Mit entſchiedener Gleichgültigkeit und Verdroſſenheit glitten
ſie über die Schale hinweg, ſichtlich bemüht, den Mund rein zu halten von der Flüſſigkeit, die, wie
der Volksmund erfand und die Wiſſenſchaft auf Treu und Glauben annahm, ſo köſtlich munden ſoll,
daß ſie Freiheit und Leben wagen, um ſich in den Beſitz der erſehnten Leckerei zu ſetzen. Meine
Verſuche, den Mundrand der Thiere unterzutauchen, erfuhren den möglichſten Widerſtand. Jn
paſſenden Gaben eingegoſſen, wurde die Milch unter Anſtrengung blaſig und ſchäumig wieder aus-
gewürgt; und ſo oft ich die ganze Reihenfolge der Verſuche wiederholte, nie ſtellte ſich ein anderes
Ergebniß heraus, nie vermochte ich einer Ringelnatter auch nur einen Tropfen Milch aufzuzwingen.
Der Raum würde mir fehlen, wollte ich alle einſchlägigen Berſuche des Genauern beſchreiben; daher
nur ſoviel: mir ſteht als Ergebniß meiner Forſchungen unverrücklich feſt, daß die Behauptung, die
Schlange ſäuft Milch, mit Allem, was drum und dran hängt, in den Kehricht der Wiſſenſchaft
gehört, zum obſtſpießenden Jgel, zum erbſenriechenden Aale und dem famoſen Fuhrwerke, welches durch
die Geſchichte der Murmelthiere ſpukt“. Dieſelben Beobachtungen hat Lenz ſchon dreiundzwanzig
Jahre vor Linck angeſtellt und genau dieſelben Ergebniſſe gewonnen.
Wie alle Schlangen iſt die Ringelnatter im Stande, monatelang ohne Nahrung auszuhalten.
Hierüber hat neuerdings Herklotz eine Beobachtung veröffentlicht, welche wohl verdient, auch in
weiteren Kreiſen bekannt zu werden. Nachdem er den Zweckmäßigkeitslehrern eine naturwiſſen-
ſchaftliche Predigt gehalten, in welcher jedenfalls mehr Sinn und Verſtand zu finden ſein dürfte als
in dem haltloſen Geſchwätz und Geſalbader Jener, und ſich über die Fähigkeit verſchiedener Thiere,
den Hunger zu ertragen, im allgemeinen ausgelaſſen, läßt er ſich hinſichtlich ſeiner Natter vernehmen,
wie folgt: „Jm vorigen Jahre (1864) am 19. Juni fing ich auf einem Jagdausfluge in die Sümpfe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/243>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.