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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Nattern. Kletternattern. Fleckennattern.
Fahndungen näher kennen, die Sache zum unauflöslichen Räthsel zu machen." Acht Tage später
etwa wurde auch das Männchen wieder entdeckt und zwar auf einem Reißighaufen in der Nähe der
Holzkammer, wo es sich vergnüglich im warmen Sonnenschein reckte. Dem Umfange des Leibes
nach zu schließen, hatte es während der Tage der Abwesenheit seinen sterblichen Leib nicht kasteiet.

Metaxa, ein italienischer Forscher, meint, daß man in der Streifennatter (Elaphis
quadriradiatus)
die Boa des Plinius zu erkennen habe, will aber selbstverständlich mit dieser
Ansicht die alte Mähr, daß zu Claudius' Zeiten eine derartige Schlange getödtet worden wäre,
in deren Bauche man ein Kind gefunden habe, nicht unterstützen. Wie bereits bemerkt, gibt Plinius
ausdrücklich an, daß die Boaschlange sich von Kuhmilch nähre und daher ihren Namen erhalten habe,
und heutigentages wird unsere Streifennatter, laut Erber, in Dalmatien sehr gefürchtet, verfolgt
und unerbittlich getödtet, weil man allgemein glaubt, daß sie Kühen und Ziegen nachschleiche, um
ihnen die Milch auszusaugen, weshalb sie denn auch geradezu den Namen "Cravorciza" oder Kuh-
melkerin führt.

Die Streifennatter, die größte aller europäischen Schlangen, erreicht eine Länge von 6 bis 7 Fuß
und ist oben auf olivenbräunlichem, ins Fleischfarbige ziehendem Grunde jederseits mit zwei braunen
Längslinien gezeichnet, unten dagegen einfach strohgelb. Auch diese Färbung unterliegt vielfachem
Wechsel; Erber fing einzelne, welche ganz schwarz gefärbt waren, und andere Forscher beobachteten,
daß die Jungen auf der Oberseite gewöhnlich drei Reihen braune Flecken zeigen, an den Seiten
ebenfalls gefleckt sind und auf der Unterseite schwärzlichstahlgrau aussehen.

Der Verbreitungskreis der Streifennatter erstreckt sich über das ganze südliche Europa, von
Südungarn an bis nach Spanien hin; sie soll aber nirgends häufig sein, unzweifelhaft nur der
unausgesetzten Verfolgung halber, welche sie in den meisten Ländern zu erleiden hat. Alle Beobachter
nennen sie ein äußerst harmloses und nützliches Thier, welches selbst dann nicht beißt, wenn man es
im Freien einfängt, und in kürzester Zeit sich an den Pfleger gewöhnt, durch Aufzehrung von Ratten
und Mäusen sich verdient macht, nebenbei aber auch den nützlichen Maulwürfen, kleinen Vögeln und
Eidechsen nachstellt.

"Vor zwei Jahren", so schreibt mir Erber, "fing ich in Albanien eine Streifennatter unter
sonderbaren Umständen. Während ich in der Umgebung eines Klosters Kerbthiere sammelte, ver-
nahm ich in einer bis zur Erde herabreichenden, geschlossenen Dachrinne des Gebäudes ein mir
unerklärliches Geräusch. Jch verhielt mich ruhig, in der Meinung, es dürfe einer von den kleinen
Vierfüßlern des Landes zum Vorschein kommen; nicht wenig aber staunte ich, als anstatt dessen zuerst
ein Hühnerei und nach diesem eine mehr als fünf Fuß lange Streifennatter erschien. Das Thier
kroch ins Gebüsch, verschlang dort mit unendlicher Mühe das Ei, ohne es zu zerbrechen, zerdrückte es
aber bald darauf dadurch, daß es sich an ein kleines Bäumchen anstemmte. Jch gestehe, es kostete
mir Ueberwindung, die schöne Schlange jetzt nicht sogleich einzufangen; aber -- ich wollte ihr ferneres
Treiben beobachten. Richtig, nach wenigen Minuten nahm sie ihren Weg wieder durch die Dachrinne
auf das Dach und von da durch ein Bodenfenster in das Jnnere des Klosters. Wahrscheinlich
befanden sich hier die Niststätten für die Hühner oder die Lagerstätten für die Eier; denn nach kurzer
Zeit erschien unsere Schlange wieder auf demselben Wege, zum zweiten Male mit einem Ei im
Maule, kletterte ebenso wie früher durch die Dachrinne herab, schlängelte sich in das Gebüsch und
verzehrte hier in angegebener Weise auch die neuerworbene Beute. Aber damit noch nicht genug:
siebenmal wiederholte die Streifennatter ihren Raubzug, und möglicherweise wäre sie noch nicht
zufriedengestellt gewesen; mir aber wurde die Zeit zu lang, und ich fing sie Dank der eingenommenen
Mahlzeit, ohne sonderliche Mühe. Da ich kein entsprechend großes Säckchen bei mir hatte, versorgte
ich die Gefangene in einer meiner Rocktaschen, welche alle entsprechend groß und mit verschiedenen
Knöpfen zum Schließen versehen sind, und sammelte nun ruhig weiter. Aber bald verspürte ich eine
sonderbare Feuchtigkeit an meiner Seite: die Schlange hatte mir ihren ganzen zerquetschten Eierraub

Die Schlangen. Nattern. Kletternattern. Fleckennattern.
Fahndungen näher kennen, die Sache zum unauflöslichen Räthſel zu machen.“ Acht Tage ſpäter
etwa wurde auch das Männchen wieder entdeckt und zwar auf einem Reißighaufen in der Nähe der
Holzkammer, wo es ſich vergnüglich im warmen Sonnenſchein reckte. Dem Umfange des Leibes
nach zu ſchließen, hatte es während der Tage der Abweſenheit ſeinen ſterblichen Leib nicht kaſteiet.

Metaxa, ein italieniſcher Forſcher, meint, daß man in der Streifennatter (Elaphis
quadriradiatus)
die Boa des Plinius zu erkennen habe, will aber ſelbſtverſtändlich mit dieſer
Anſicht die alte Mähr, daß zu Claudius’ Zeiten eine derartige Schlange getödtet worden wäre,
in deren Bauche man ein Kind gefunden habe, nicht unterſtützen. Wie bereits bemerkt, gibt Plinius
ausdrücklich an, daß die Boaſchlange ſich von Kuhmilch nähre und daher ihren Namen erhalten habe,
und heutigentages wird unſere Streifennatter, laut Erber, in Dalmatien ſehr gefürchtet, verfolgt
und unerbittlich getödtet, weil man allgemein glaubt, daß ſie Kühen und Ziegen nachſchleiche, um
ihnen die Milch auszuſaugen, weshalb ſie denn auch geradezu den Namen „Cravorciza“ oder Kuh-
melkerin führt.

Die Streifennatter, die größte aller europäiſchen Schlangen, erreicht eine Länge von 6 bis 7 Fuß
und iſt oben auf olivenbräunlichem, ins Fleiſchfarbige ziehendem Grunde jederſeits mit zwei braunen
Längslinien gezeichnet, unten dagegen einfach ſtrohgelb. Auch dieſe Färbung unterliegt vielfachem
Wechſel; Erber fing einzelne, welche ganz ſchwarz gefärbt waren, und andere Forſcher beobachteten,
daß die Jungen auf der Oberſeite gewöhnlich drei Reihen braune Flecken zeigen, an den Seiten
ebenfalls gefleckt ſind und auf der Unterſeite ſchwärzlichſtahlgrau ausſehen.

Der Verbreitungskreis der Streifennatter erſtreckt ſich über das ganze ſüdliche Europa, von
Südungarn an bis nach Spanien hin; ſie ſoll aber nirgends häufig ſein, unzweifelhaft nur der
unausgeſetzten Verfolgung halber, welche ſie in den meiſten Ländern zu erleiden hat. Alle Beobachter
nennen ſie ein äußerſt harmloſes und nützliches Thier, welches ſelbſt dann nicht beißt, wenn man es
im Freien einfängt, und in kürzeſter Zeit ſich an den Pfleger gewöhnt, durch Aufzehrung von Ratten
und Mäuſen ſich verdient macht, nebenbei aber auch den nützlichen Maulwürfen, kleinen Vögeln und
Eidechſen nachſtellt.

„Vor zwei Jahren“, ſo ſchreibt mir Erber, „fing ich in Albanien eine Streifennatter unter
ſonderbaren Umſtänden. Während ich in der Umgebung eines Kloſters Kerbthiere ſammelte, ver-
nahm ich in einer bis zur Erde herabreichenden, geſchloſſenen Dachrinne des Gebäudes ein mir
unerklärliches Geräuſch. Jch verhielt mich ruhig, in der Meinung, es dürfe einer von den kleinen
Vierfüßlern des Landes zum Vorſchein kommen; nicht wenig aber ſtaunte ich, als anſtatt deſſen zuerſt
ein Hühnerei und nach dieſem eine mehr als fünf Fuß lange Streifennatter erſchien. Das Thier
kroch ins Gebüſch, verſchlang dort mit unendlicher Mühe das Ei, ohne es zu zerbrechen, zerdrückte es
aber bald darauf dadurch, daß es ſich an ein kleines Bäumchen anſtemmte. Jch geſtehe, es koſtete
mir Ueberwindung, die ſchöne Schlange jetzt nicht ſogleich einzufangen; aber — ich wollte ihr ferneres
Treiben beobachten. Richtig, nach wenigen Minuten nahm ſie ihren Weg wieder durch die Dachrinne
auf das Dach und von da durch ein Bodenfenſter in das Jnnere des Kloſters. Wahrſcheinlich
befanden ſich hier die Niſtſtätten für die Hühner oder die Lagerſtätten für die Eier; denn nach kurzer
Zeit erſchien unſere Schlange wieder auf demſelben Wege, zum zweiten Male mit einem Ei im
Maule, kletterte ebenſo wie früher durch die Dachrinne herab, ſchlängelte ſich in das Gebüſch und
verzehrte hier in angegebener Weiſe auch die neuerworbene Beute. Aber damit noch nicht genug:
ſiebenmal wiederholte die Streifennatter ihren Raubzug, und möglicherweiſe wäre ſie noch nicht
zufriedengeſtellt geweſen; mir aber wurde die Zeit zu lang, und ich fing ſie Dank der eingenommenen
Mahlzeit, ohne ſonderliche Mühe. Da ich kein entſprechend großes Säckchen bei mir hatte, verſorgte
ich die Gefangene in einer meiner Rocktaſchen, welche alle entſprechend groß und mit verſchiedenen
Knöpfen zum Schließen verſehen ſind, und ſammelte nun ruhig weiter. Aber bald verſpürte ich eine
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[234/0256] Die Schlangen. Nattern. Kletternattern. Fleckennattern. Fahndungen näher kennen, die Sache zum unauflöslichen Räthſel zu machen.“ Acht Tage ſpäter etwa wurde auch das Männchen wieder entdeckt und zwar auf einem Reißighaufen in der Nähe der Holzkammer, wo es ſich vergnüglich im warmen Sonnenſchein reckte. Dem Umfange des Leibes nach zu ſchließen, hatte es während der Tage der Abweſenheit ſeinen ſterblichen Leib nicht kaſteiet. Metaxa, ein italieniſcher Forſcher, meint, daß man in der Streifennatter (Elaphis quadriradiatus) die Boa des Plinius zu erkennen habe, will aber ſelbſtverſtändlich mit dieſer Anſicht die alte Mähr, daß zu Claudius’ Zeiten eine derartige Schlange getödtet worden wäre, in deren Bauche man ein Kind gefunden habe, nicht unterſtützen. Wie bereits bemerkt, gibt Plinius ausdrücklich an, daß die Boaſchlange ſich von Kuhmilch nähre und daher ihren Namen erhalten habe, und heutigentages wird unſere Streifennatter, laut Erber, in Dalmatien ſehr gefürchtet, verfolgt und unerbittlich getödtet, weil man allgemein glaubt, daß ſie Kühen und Ziegen nachſchleiche, um ihnen die Milch auszuſaugen, weshalb ſie denn auch geradezu den Namen „Cravorciza“ oder Kuh- melkerin führt. Die Streifennatter, die größte aller europäiſchen Schlangen, erreicht eine Länge von 6 bis 7 Fuß und iſt oben auf olivenbräunlichem, ins Fleiſchfarbige ziehendem Grunde jederſeits mit zwei braunen Längslinien gezeichnet, unten dagegen einfach ſtrohgelb. Auch dieſe Färbung unterliegt vielfachem Wechſel; Erber fing einzelne, welche ganz ſchwarz gefärbt waren, und andere Forſcher beobachteten, daß die Jungen auf der Oberſeite gewöhnlich drei Reihen braune Flecken zeigen, an den Seiten ebenfalls gefleckt ſind und auf der Unterſeite ſchwärzlichſtahlgrau ausſehen. Der Verbreitungskreis der Streifennatter erſtreckt ſich über das ganze ſüdliche Europa, von Südungarn an bis nach Spanien hin; ſie ſoll aber nirgends häufig ſein, unzweifelhaft nur der unausgeſetzten Verfolgung halber, welche ſie in den meiſten Ländern zu erleiden hat. Alle Beobachter nennen ſie ein äußerſt harmloſes und nützliches Thier, welches ſelbſt dann nicht beißt, wenn man es im Freien einfängt, und in kürzeſter Zeit ſich an den Pfleger gewöhnt, durch Aufzehrung von Ratten und Mäuſen ſich verdient macht, nebenbei aber auch den nützlichen Maulwürfen, kleinen Vögeln und Eidechſen nachſtellt. „Vor zwei Jahren“, ſo ſchreibt mir Erber, „fing ich in Albanien eine Streifennatter unter ſonderbaren Umſtänden. Während ich in der Umgebung eines Kloſters Kerbthiere ſammelte, ver- nahm ich in einer bis zur Erde herabreichenden, geſchloſſenen Dachrinne des Gebäudes ein mir unerklärliches Geräuſch. Jch verhielt mich ruhig, in der Meinung, es dürfe einer von den kleinen Vierfüßlern des Landes zum Vorſchein kommen; nicht wenig aber ſtaunte ich, als anſtatt deſſen zuerſt ein Hühnerei und nach dieſem eine mehr als fünf Fuß lange Streifennatter erſchien. Das Thier kroch ins Gebüſch, verſchlang dort mit unendlicher Mühe das Ei, ohne es zu zerbrechen, zerdrückte es aber bald darauf dadurch, daß es ſich an ein kleines Bäumchen anſtemmte. Jch geſtehe, es koſtete mir Ueberwindung, die ſchöne Schlange jetzt nicht ſogleich einzufangen; aber — ich wollte ihr ferneres Treiben beobachten. Richtig, nach wenigen Minuten nahm ſie ihren Weg wieder durch die Dachrinne auf das Dach und von da durch ein Bodenfenſter in das Jnnere des Kloſters. Wahrſcheinlich befanden ſich hier die Niſtſtätten für die Hühner oder die Lagerſtätten für die Eier; denn nach kurzer Zeit erſchien unſere Schlange wieder auf demſelben Wege, zum zweiten Male mit einem Ei im Maule, kletterte ebenſo wie früher durch die Dachrinne herab, ſchlängelte ſich in das Gebüſch und verzehrte hier in angegebener Weiſe auch die neuerworbene Beute. Aber damit noch nicht genug: ſiebenmal wiederholte die Streifennatter ihren Raubzug, und möglicherweiſe wäre ſie noch nicht zufriedengeſtellt geweſen; mir aber wurde die Zeit zu lang, und ich fing ſie Dank der eingenommenen Mahlzeit, ohne ſonderliche Mühe. Da ich kein entſprechend großes Säckchen bei mir hatte, verſorgte ich die Gefangene in einer meiner Rocktaſchen, welche alle entſprechend groß und mit verſchiedenen Knöpfen zum Schließen verſehen ſind, und ſammelte nun ruhig weiter. Aber bald verſpürte ich eine ſonderbare Feuchtigkeit an meiner Seite: die Schlange hatte mir ihren ganzen zerquetſchten Eierraub

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/256>, abgerufen am 22.12.2024.