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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Jndische Brillenschlange.
reißenden Töne aus einer wunderlichen Klarinette, an deren Ende ein kleiner Kürbis angebracht war,
hervorzulocken. Die Thiere richteten sich mit Kopf und Hals etwa einen Fuß hoch empor, sahen ihm
starr ins Gesicht und breiteten ihren Hals wohl drei Zoll weit aus, ohne sich weiter zu rühren.
Nunmehr hielt ihnen der Mann die Faust vor den Kopf, sie zuckten mit diesem nach ihr zu, als
wollten sie beißen, össneten aber das Maul nicht. Mit Nasenspitze und Zunge führte er Dasselbe
aus wie mit jener. Durch einen festen Blick suchte er nicht zu bezaubern, griff vielmehr oft nachlässig an
den Thieren vorüber und schlang sie zuletzt gar an seinen Hals. Von einer tanzenden Bewegung der
Schlange war Nichts zu sehen; in ihrem Benehmen sprach sich einerseits alle Bosheit und Wuth
ihrer Art, andererseits aber auch Furcht vor dem Beschwörer deutlich aus, und es war leicht zu
errathen, daß die Zähmung in der Weise vor sich geht, daß man sie in harte oder heiß gemachte
Gegenstände beißen ließ. "Die Giftzähne waren ausgerissen, wie ich mich selbst überzeugte und wie
die Leute auch willig zugestanden."

Letztere Behauptung wird bestätigt durch folgende Erzählung Johnson's: "Ein Mann ließ vor
einer zahlreichen Gesellschaft eine große Cobra de Capello tanzen. Sein Sohn, ein Jüngling von sech-
zehn Jahren, machte das Thier wüthend, wurde gebissen und starb eine Stunde später. Der Vater war
erstaunt und betheuerte, der Tod seines Sohnes könne nicht durch den Biß verursacht worden sein; denn
die Schlange habe keine Zähne, und er sowohl als sein Sohn seien schon oft von ihr gebissen worden,
ohne üble Folgen zu empfinden. Als man die Schlange jedoch untersuchte, fand man, daß die aus-
gerissenen Gifthaken durch neue ersetzt worden waren, welche zwar noch nicht weit hervorragten, dem
Knaben aber doch die tödtliche Wunde beigebracht hatten. Der alte Mann betheuerte, nie etwas
Aehnliches gesehen zu haben und war über den Verlust seines Sohnes untröstlich."

Mit dem Fange und der Abrichtung der Brillenschlange beschäftigen sich außer den Gauklern
auch die Braminen. Nach Johnson's Mittheilungen untersuchen die Fänger auf geeigneten
Oertlichkeiten alle Höhlungen im Boden und beginnen zu graben, wenn das Erdreich am Eingange
durch das Ein- und Auskriechen der Schlange glatt gerieben ist, da sie wissen, daß diese Stelle,
wenn die Höhlung von fußbegabten Thieren bewohnt wird, rauh zu sein pflegt. Haben sie eine
Schlange ausgemittelt, so graben sie vorsichtig nach, bis sie auf jene stoßen, versuchen sie mit der
linken Hand beim Schwanze zu ergreifen, packen sie mit der rechten höher oben am Leibe und ziehen
sie so schnell als möglich durch die Hand, bis sie mit dem Daumen und Zeigefinger den Nacken packen
können. Johnson versichert, daß er auf diese Weise auch im Freien Schlangen fangen sah.
Uebrigens gehen die Fänger niemals allein auf die Schlangenjagd, und immer führen sie die nöthigen
Werkzeuge und Mittel bei sich, um im Falle des Gebissenwerdens einschreiten zu können. So trägt
der Eine gewöhnlich ein Kohlenbecken, dazu bestimmt, ein kleines eisernes Werkzeug, von der Größe
einer gewöhnlichen Gabelzinke und Gestalt eines Schlangenzahnes, glühend zu erhalten, mit welchem
er, wenn einer das Mißgeschick hat, gebissen zu werden, die wunde Stelle ausbrennt, nachdem er
zuerst das Blut herausgedrückt und ausgesaugt, auch den verwundeten Theil unterbunden hat.
Andere begnügen sich, einen sogenannten "Schlangenstein", von welchem ich mehr zu berichten haben
werde, auf die Wunde zu legen. Jnnerlich gebraucht man einen Aufguß von Bezoargeist auf wilden
Hanf oder Tabak, Gongea genannt, laut Johnson oft mit gutem Erfolge.

Reyne erzählt, daß die Schlangenfänger zuweilen eine kleine Pfeife anwenden, um die
Brillenschlange aus ihrem Verstecke zu locken, und will Dies selbst mit angesehen haben. "Ein
Schlangenbeschwörer erschien im Jahre 1854 in meinem Bungalau und bat mich, ihm zu gestatten,
daß er seine Schlangen vor mir tanzen lassen dürfe. Da ich dieses Kunststück schon wiederholt
gesehen hatte, erwiderte ich ihm, daß ich geneigt sei, ihm eine Rupie zu schenken, wenn er mich nach
dem Dschungel begleiten und eine Brillenschlange, deren Aufenthaltsort mir bekannt war, fangen
wollte. Er erklärte sich einverstanden. Jch zählte seine zahmen Schlangen und stellte einen Wächter
zu ihnen, mit dem Auftrage, bis zu meiner Rückkehr über sie Acht zu geben, untersuchte hierauf den

Jndiſche Brillenſchlange.
reißenden Töne aus einer wunderlichen Klarinette, an deren Ende ein kleiner Kürbis angebracht war,
hervorzulocken. Die Thiere richteten ſich mit Kopf und Hals etwa einen Fuß hoch empor, ſahen ihm
ſtarr ins Geſicht und breiteten ihren Hals wohl drei Zoll weit aus, ohne ſich weiter zu rühren.
Nunmehr hielt ihnen der Mann die Fauſt vor den Kopf, ſie zuckten mit dieſem nach ihr zu, als
wollten ſie beißen, öſſneten aber das Maul nicht. Mit Naſenſpitze und Zunge führte er Daſſelbe
aus wie mit jener. Durch einen feſten Blick ſuchte er nicht zu bezaubern, griff vielmehr oft nachläſſig an
den Thieren vorüber und ſchlang ſie zuletzt gar an ſeinen Hals. Von einer tanzenden Bewegung der
Schlange war Nichts zu ſehen; in ihrem Benehmen ſprach ſich einerſeits alle Bosheit und Wuth
ihrer Art, andererſeits aber auch Furcht vor dem Beſchwörer deutlich aus, und es war leicht zu
errathen, daß die Zähmung in der Weiſe vor ſich geht, daß man ſie in harte oder heiß gemachte
Gegenſtände beißen ließ. „Die Giftzähne waren ausgeriſſen, wie ich mich ſelbſt überzeugte und wie
die Leute auch willig zugeſtanden.“

Letztere Behauptung wird beſtätigt durch folgende Erzählung Johnſon’s: „Ein Mann ließ vor
einer zahlreichen Geſellſchaft eine große Cobra de Capello tanzen. Sein Sohn, ein Jüngling von ſech-
zehn Jahren, machte das Thier wüthend, wurde gebiſſen und ſtarb eine Stunde ſpäter. Der Vater war
erſtaunt und betheuerte, der Tod ſeines Sohnes könne nicht durch den Biß verurſacht worden ſein; denn
die Schlange habe keine Zähne, und er ſowohl als ſein Sohn ſeien ſchon oft von ihr gebiſſen worden,
ohne üble Folgen zu empfinden. Als man die Schlange jedoch unterſuchte, fand man, daß die aus-
geriſſenen Gifthaken durch neue erſetzt worden waren, welche zwar noch nicht weit hervorragten, dem
Knaben aber doch die tödtliche Wunde beigebracht hatten. Der alte Mann betheuerte, nie etwas
Aehnliches geſehen zu haben und war über den Verluſt ſeines Sohnes untröſtlich.“

Mit dem Fange und der Abrichtung der Brillenſchlange beſchäftigen ſich außer den Gauklern
auch die Braminen. Nach Johnſon’s Mittheilungen unterſuchen die Fänger auf geeigneten
Oertlichkeiten alle Höhlungen im Boden und beginnen zu graben, wenn das Erdreich am Eingange
durch das Ein- und Auskriechen der Schlange glatt gerieben iſt, da ſie wiſſen, daß dieſe Stelle,
wenn die Höhlung von fußbegabten Thieren bewohnt wird, rauh zu ſein pflegt. Haben ſie eine
Schlange ausgemittelt, ſo graben ſie vorſichtig nach, bis ſie auf jene ſtoßen, verſuchen ſie mit der
linken Hand beim Schwanze zu ergreifen, packen ſie mit der rechten höher oben am Leibe und ziehen
ſie ſo ſchnell als möglich durch die Hand, bis ſie mit dem Daumen und Zeigefinger den Nacken packen
können. Johnſon verſichert, daß er auf dieſe Weiſe auch im Freien Schlangen fangen ſah.
Uebrigens gehen die Fänger niemals allein auf die Schlangenjagd, und immer führen ſie die nöthigen
Werkzeuge und Mittel bei ſich, um im Falle des Gebiſſenwerdens einſchreiten zu können. So trägt
der Eine gewöhnlich ein Kohlenbecken, dazu beſtimmt, ein kleines eiſernes Werkzeug, von der Größe
einer gewöhnlichen Gabelzinke und Geſtalt eines Schlangenzahnes, glühend zu erhalten, mit welchem
er, wenn einer das Mißgeſchick hat, gebiſſen zu werden, die wunde Stelle ausbrennt, nachdem er
zuerſt das Blut herausgedrückt und ausgeſaugt, auch den verwundeten Theil unterbunden hat.
Andere begnügen ſich, einen ſogenannten „Schlangenſtein“, von welchem ich mehr zu berichten haben
werde, auf die Wunde zu legen. Jnnerlich gebraucht man einen Aufguß von Bezoargeiſt auf wilden
Hanf oder Tabak, Gongea genannt, laut Johnſon oft mit gutem Erfolge.

Reyne erzählt, daß die Schlangenfänger zuweilen eine kleine Pfeife anwenden, um die
Brillenſchlange aus ihrem Verſtecke zu locken, und will Dies ſelbſt mit angeſehen haben. „Ein
Schlangenbeſchwörer erſchien im Jahre 1854 in meinem Bungalau und bat mich, ihm zu geſtatten,
daß er ſeine Schlangen vor mir tanzen laſſen dürfe. Da ich dieſes Kunſtſtück ſchon wiederholt
geſehen hatte, erwiderte ich ihm, daß ich geneigt ſei, ihm eine Rupie zu ſchenken, wenn er mich nach
dem Dſchungel begleiten und eine Brillenſchlange, deren Aufenthaltsort mir bekannt war, fangen
wollte. Er erklärte ſich einverſtanden. Jch zählte ſeine zahmen Schlangen und ſtellte einen Wächter
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[269/0291] Jndiſche Brillenſchlange. reißenden Töne aus einer wunderlichen Klarinette, an deren Ende ein kleiner Kürbis angebracht war, hervorzulocken. Die Thiere richteten ſich mit Kopf und Hals etwa einen Fuß hoch empor, ſahen ihm ſtarr ins Geſicht und breiteten ihren Hals wohl drei Zoll weit aus, ohne ſich weiter zu rühren. Nunmehr hielt ihnen der Mann die Fauſt vor den Kopf, ſie zuckten mit dieſem nach ihr zu, als wollten ſie beißen, öſſneten aber das Maul nicht. Mit Naſenſpitze und Zunge führte er Daſſelbe aus wie mit jener. Durch einen feſten Blick ſuchte er nicht zu bezaubern, griff vielmehr oft nachläſſig an den Thieren vorüber und ſchlang ſie zuletzt gar an ſeinen Hals. Von einer tanzenden Bewegung der Schlange war Nichts zu ſehen; in ihrem Benehmen ſprach ſich einerſeits alle Bosheit und Wuth ihrer Art, andererſeits aber auch Furcht vor dem Beſchwörer deutlich aus, und es war leicht zu errathen, daß die Zähmung in der Weiſe vor ſich geht, daß man ſie in harte oder heiß gemachte Gegenſtände beißen ließ. „Die Giftzähne waren ausgeriſſen, wie ich mich ſelbſt überzeugte und wie die Leute auch willig zugeſtanden.“ Letztere Behauptung wird beſtätigt durch folgende Erzählung Johnſon’s: „Ein Mann ließ vor einer zahlreichen Geſellſchaft eine große Cobra de Capello tanzen. Sein Sohn, ein Jüngling von ſech- zehn Jahren, machte das Thier wüthend, wurde gebiſſen und ſtarb eine Stunde ſpäter. Der Vater war erſtaunt und betheuerte, der Tod ſeines Sohnes könne nicht durch den Biß verurſacht worden ſein; denn die Schlange habe keine Zähne, und er ſowohl als ſein Sohn ſeien ſchon oft von ihr gebiſſen worden, ohne üble Folgen zu empfinden. Als man die Schlange jedoch unterſuchte, fand man, daß die aus- geriſſenen Gifthaken durch neue erſetzt worden waren, welche zwar noch nicht weit hervorragten, dem Knaben aber doch die tödtliche Wunde beigebracht hatten. Der alte Mann betheuerte, nie etwas Aehnliches geſehen zu haben und war über den Verluſt ſeines Sohnes untröſtlich.“ Mit dem Fange und der Abrichtung der Brillenſchlange beſchäftigen ſich außer den Gauklern auch die Braminen. Nach Johnſon’s Mittheilungen unterſuchen die Fänger auf geeigneten Oertlichkeiten alle Höhlungen im Boden und beginnen zu graben, wenn das Erdreich am Eingange durch das Ein- und Auskriechen der Schlange glatt gerieben iſt, da ſie wiſſen, daß dieſe Stelle, wenn die Höhlung von fußbegabten Thieren bewohnt wird, rauh zu ſein pflegt. Haben ſie eine Schlange ausgemittelt, ſo graben ſie vorſichtig nach, bis ſie auf jene ſtoßen, verſuchen ſie mit der linken Hand beim Schwanze zu ergreifen, packen ſie mit der rechten höher oben am Leibe und ziehen ſie ſo ſchnell als möglich durch die Hand, bis ſie mit dem Daumen und Zeigefinger den Nacken packen können. Johnſon verſichert, daß er auf dieſe Weiſe auch im Freien Schlangen fangen ſah. Uebrigens gehen die Fänger niemals allein auf die Schlangenjagd, und immer führen ſie die nöthigen Werkzeuge und Mittel bei ſich, um im Falle des Gebiſſenwerdens einſchreiten zu können. So trägt der Eine gewöhnlich ein Kohlenbecken, dazu beſtimmt, ein kleines eiſernes Werkzeug, von der Größe einer gewöhnlichen Gabelzinke und Geſtalt eines Schlangenzahnes, glühend zu erhalten, mit welchem er, wenn einer das Mißgeſchick hat, gebiſſen zu werden, die wunde Stelle ausbrennt, nachdem er zuerſt das Blut herausgedrückt und ausgeſaugt, auch den verwundeten Theil unterbunden hat. Andere begnügen ſich, einen ſogenannten „Schlangenſtein“, von welchem ich mehr zu berichten haben werde, auf die Wunde zu legen. Jnnerlich gebraucht man einen Aufguß von Bezoargeiſt auf wilden Hanf oder Tabak, Gongea genannt, laut Johnſon oft mit gutem Erfolge. Reyne erzählt, daß die Schlangenfänger zuweilen eine kleine Pfeife anwenden, um die Brillenſchlange aus ihrem Verſtecke zu locken, und will Dies ſelbſt mit angeſehen haben. „Ein Schlangenbeſchwörer erſchien im Jahre 1854 in meinem Bungalau und bat mich, ihm zu geſtatten, daß er ſeine Schlangen vor mir tanzen laſſen dürfe. Da ich dieſes Kunſtſtück ſchon wiederholt geſehen hatte, erwiderte ich ihm, daß ich geneigt ſei, ihm eine Rupie zu ſchenken, wenn er mich nach dem Dſchungel begleiten und eine Brillenſchlange, deren Aufenthaltsort mir bekannt war, fangen wollte. Er erklärte ſich einverſtanden. Jch zählte ſeine zahmen Schlangen und ſtellte einen Wächter zu ihnen, mit dem Auftrage, bis zu meiner Rückkehr über ſie Acht zu geben, unterſuchte hierauf den

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/291>, abgerufen am 22.12.2024.