sie sei frisch gefangen oder lange eingesperrt gewesen; aber sie wagen es mit keiner anderen Gift- schlange." -- "Die Wahrheit der Davy'schen Annahme", bemerkt Tennent, "erhielt während meines Aufenthaltes auf Ceylon eine traurige Bestätigung durch den Tod eines dieser Beschwörer, welcher in Folge seiner Schaustellungen eine ungewöhnliche Dreistigkeit in Behandlung der Schlangen sich ange- eignet hatte, von einer aber in die Brust gebissen wurde und noch am selben Tage verendete."
Eine sehr lebendige Beschreibung der Beschwörung hat der Franzose Rondot gegeben. "Gegen sechs Uhr abends kommt ein indischer Gaukler an Bord. Er ist armselig gekleidet, trägt aber zur Auszeichnung einen mit drei Pfauenfedern geschmückten Turbahn. Jn seinen Säcken führt er Hals- bänder, Amulette und dergleichen, in einem flachen Körbchen eine Cobra de Capello mit sich. Er richtet sich auf dem Vorderdecke ein; wir lassen uns auf den Bänken des Hinterdeckes nieder; die Matrosen bilden einen Kreis ringsum.
"Das Körbchen wird niedergesetzt und sein Deckel weggenommen. Die Schlange liegt zusammengeringelt auf dem Boden. Der Gaukler hockt sich in einiger Entfernung vor ihr nieder und beginnt auf einer Art von Klarinette eine getragene, klägliche, eintönige Weise zu spielen. Die Schlange erhebt sich ein wenig, streckt sich und steigt empor. Es sieht aus, als ob sie sich auf ihren Schwanz, welcher noch zusammengeringelt ist, gesetzt hat. Sie verläßt den Korb nicht. Nach einem Weilchen zeigt sie sich unruhig, sucht die Oertlichkeit, auf welcher sie sich befindet, zu erkunden, wird beweglich, entfaltet und breitet ihr Schild, erzürnt sich, schnauft mehr als sie zischt, züngelt lebhaft und wirft sich mehrmals mit Kraft gegen den Gaukler, als ob sie diesen beißen wollte, springt dabei auch wiederholt auf und führt ungeschickte Sätze aus. Je mehr sie ihr Schild bewegt, um so mehr breitet sie es. Der Gaukler hat die Augen fortwährend auf sie gerichtet und sieht sie mit einer sonderbaren Starrheit an. Nach Verlauf von zehn bis zwölf Minuten etwa zeigt sich die Schlange weniger erregt, beruhigt sich allmählich und wiegt sich endlich, als ob sie für die nach und nach sich abschwächende Musik des Meisters empfänglich wäre, züngelt jedoch dabei noch immer mit außerordentlicher Leb- haftigkeit. Mehr und mehr scheint ihr Zustand in den der Schlaftrunkenheit oder Traumseligkeit überzugehen. Jhre Augen, welche anfänglich den Beschwörer vernichten zu wollen schienen, starren unbeweglich, gewissermaßen bezaubert nach ihm. Der Hindu macht sich diesen Augenblick der Ver- blüffung der Schlange zu Nutze, nähert sich ihr langsam, ohne mit seinem Spielen aufzuhören, und drückt zuerst seine Nase, dann seine Zunge auf ihren Kopf. Das währt nicht länger als einen Augen- blick; aber in demselben Augenblicke erholt sich die Schlange und wirft sich mit rasender Wuth nach dem Gaukler, welcher mit genauer Noth aus ihrem Bereiche sich zurückzieht.
"Als der Mann sein Spiel geendet hat, erscheint einer der Offiziere des Schiffes und wünscht auch zu sehen, wie der Hindu seine Lippen auf den beschuppten Kopf des Thieres drückt. Der arme Teufel beginnt seine eintönige Weise von neuem und hestet seinen starren Blick wiederum auf die Cobra. Seine Bemühungen sind vergeblich. Die Schlange befindet sich in einem Zustande der äußersten Erregung; Nichts wirkt auf sie ein. Sie will das Körbchen verlassen, und dieses muß bedacht werden.
"Wir bezweifeln, daß die Cobra noch im Besitze ihrer Gifthaken und die von dem Hindu aus- gedrückte Furcht vor ihr wirklich begründet ist. Deshalb verlangen wir, daß der Mann zwei Hühner beißen lassen soll und versprechen ihm einen spanischen Piaster dafür. Er nimmt ein schwarzes Huhn und hält es der Schlange vor. Sie erhebt sich zur Hälfte, betrachtet das Huhn einen Augenblick, beißt und läßt los. Das Huhn wird freigegeben und flüchtet erschreckt. Sechs Minuten später (die Uhr in der Hand) erbricht es sich, streckt die Beine von sich und stirbt. Ein zweites Huhn wird der Schlange vorgehalten: sie beißt es zweimal, und es stirbt nach acht Minuten."
Graf Karl von Görtz beschreibt in seiner Reise um die Welt das Gaukelspiel etwas anders. Die vier bis fünf Fuß langen Brillenschlangen, mit welchen die Beschwörer in Madras vor ihm spielten, lagen ebenfalls in flachen Körben zusammengerollt; der Hauptmann des Trupps aber nahm eine nach der anderen beim Kopfe, legte sie frei auf den Boden und begann nun erst die ohrzer-
Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.
ſie ſei friſch gefangen oder lange eingeſperrt geweſen; aber ſie wagen es mit keiner anderen Gift- ſchlange.“ — „Die Wahrheit der Davy’ſchen Annahme“, bemerkt Tennent, „erhielt während meines Aufenthaltes auf Ceylon eine traurige Beſtätigung durch den Tod eines dieſer Beſchwörer, welcher in Folge ſeiner Schauſtellungen eine ungewöhnliche Dreiſtigkeit in Behandlung der Schlangen ſich ange- eignet hatte, von einer aber in die Bruſt gebiſſen wurde und noch am ſelben Tage verendete.“
Eine ſehr lebendige Beſchreibung der Beſchwörung hat der Franzoſe Rondot gegeben. „Gegen ſechs Uhr abends kommt ein indiſcher Gaukler an Bord. Er iſt armſelig gekleidet, trägt aber zur Auszeichnung einen mit drei Pfauenfedern geſchmückten Turbahn. Jn ſeinen Säcken führt er Hals- bänder, Amulette und dergleichen, in einem flachen Körbchen eine Cobra de Capello mit ſich. Er richtet ſich auf dem Vorderdecke ein; wir laſſen uns auf den Bänken des Hinterdeckes nieder; die Matroſen bilden einen Kreis ringsum.
„Das Körbchen wird niedergeſetzt und ſein Deckel weggenommen. Die Schlange liegt zuſammengeringelt auf dem Boden. Der Gaukler hockt ſich in einiger Entfernung vor ihr nieder und beginnt auf einer Art von Klarinette eine getragene, klägliche, eintönige Weiſe zu ſpielen. Die Schlange erhebt ſich ein wenig, ſtreckt ſich und ſteigt empor. Es ſieht aus, als ob ſie ſich auf ihren Schwanz, welcher noch zuſammengeringelt iſt, geſetzt hat. Sie verläßt den Korb nicht. Nach einem Weilchen zeigt ſie ſich unruhig, ſucht die Oertlichkeit, auf welcher ſie ſich befindet, zu erkunden, wird beweglich, entfaltet und breitet ihr Schild, erzürnt ſich, ſchnauft mehr als ſie ziſcht, züngelt lebhaft und wirft ſich mehrmals mit Kraft gegen den Gaukler, als ob ſie dieſen beißen wollte, ſpringt dabei auch wiederholt auf und führt ungeſchickte Sätze aus. Je mehr ſie ihr Schild bewegt, um ſo mehr breitet ſie es. Der Gaukler hat die Augen fortwährend auf ſie gerichtet und ſieht ſie mit einer ſonderbaren Starrheit an. Nach Verlauf von zehn bis zwölf Minuten etwa zeigt ſich die Schlange weniger erregt, beruhigt ſich allmählich und wiegt ſich endlich, als ob ſie für die nach und nach ſich abſchwächende Muſik des Meiſters empfänglich wäre, züngelt jedoch dabei noch immer mit außerordentlicher Leb- haftigkeit. Mehr und mehr ſcheint ihr Zuſtand in den der Schlaftrunkenheit oder Traumſeligkeit überzugehen. Jhre Augen, welche anfänglich den Beſchwörer vernichten zu wollen ſchienen, ſtarren unbeweglich, gewiſſermaßen bezaubert nach ihm. Der Hindu macht ſich dieſen Augenblick der Ver- blüffung der Schlange zu Nutze, nähert ſich ihr langſam, ohne mit ſeinem Spielen aufzuhören, und drückt zuerſt ſeine Naſe, dann ſeine Zunge auf ihren Kopf. Das währt nicht länger als einen Augen- blick; aber in demſelben Augenblicke erholt ſich die Schlange und wirft ſich mit raſender Wuth nach dem Gaukler, welcher mit genauer Noth aus ihrem Bereiche ſich zurückzieht.
„Als der Mann ſein Spiel geendet hat, erſcheint einer der Offiziere des Schiffes und wünſcht auch zu ſehen, wie der Hindu ſeine Lippen auf den beſchuppten Kopf des Thieres drückt. Der arme Teufel beginnt ſeine eintönige Weiſe von neuem und heſtet ſeinen ſtarren Blick wiederum auf die Cobra. Seine Bemühungen ſind vergeblich. Die Schlange befindet ſich in einem Zuſtande der äußerſten Erregung; Nichts wirkt auf ſie ein. Sie will das Körbchen verlaſſen, und dieſes muß bedacht werden.
„Wir bezweifeln, daß die Cobra noch im Beſitze ihrer Gifthaken und die von dem Hindu aus- gedrückte Furcht vor ihr wirklich begründet iſt. Deshalb verlangen wir, daß der Mann zwei Hühner beißen laſſen ſoll und verſprechen ihm einen ſpaniſchen Piaſter dafür. Er nimmt ein ſchwarzes Huhn und hält es der Schlange vor. Sie erhebt ſich zur Hälfte, betrachtet das Huhn einen Augenblick, beißt und läßt los. Das Huhn wird freigegeben und flüchtet erſchreckt. Sechs Minuten ſpäter (die Uhr in der Hand) erbricht es ſich, ſtreckt die Beine von ſich und ſtirbt. Ein zweites Huhn wird der Schlange vorgehalten: ſie beißt es zweimal, und es ſtirbt nach acht Minuten.“
Graf Karl von Görtz beſchreibt in ſeiner Reiſe um die Welt das Gaukelſpiel etwas anders. Die vier bis fünf Fuß langen Brillenſchlangen, mit welchen die Beſchwörer in Madras vor ihm ſpielten, lagen ebenfalls in flachen Körben zuſammengerollt; der Hauptmann des Trupps aber nahm eine nach der anderen beim Kopfe, legte ſie frei auf den Boden und begann nun erſt die ohrzer-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0290"n="268"/><fwplace="top"type="header">Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.</fw><lb/>ſie ſei friſch gefangen oder lange eingeſperrt geweſen; aber ſie wagen es mit keiner anderen Gift-<lb/>ſchlange.“—„Die Wahrheit der <hirendition="#g">Davy</hi>’ſchen Annahme“, bemerkt <hirendition="#g">Tennent</hi>, „erhielt während meines<lb/>
Aufenthaltes auf Ceylon eine traurige Beſtätigung durch den Tod eines dieſer Beſchwörer, welcher in<lb/>
Folge ſeiner Schauſtellungen eine ungewöhnliche Dreiſtigkeit in Behandlung der Schlangen ſich ange-<lb/>
eignet hatte, von einer aber in die Bruſt gebiſſen wurde und noch am ſelben Tage verendete.“</p><lb/><p>Eine ſehr lebendige Beſchreibung der Beſchwörung hat der Franzoſe <hirendition="#g">Rondot</hi> gegeben. „Gegen<lb/>ſechs Uhr abends kommt ein indiſcher Gaukler an Bord. Er iſt armſelig gekleidet, trägt aber zur<lb/>
Auszeichnung einen mit drei Pfauenfedern geſchmückten Turbahn. Jn ſeinen Säcken führt er Hals-<lb/>
bänder, Amulette und dergleichen, in einem flachen Körbchen eine Cobra de Capello mit ſich. Er<lb/>
richtet ſich auf dem Vorderdecke ein; wir laſſen uns auf den Bänken des Hinterdeckes nieder; die<lb/>
Matroſen bilden einen Kreis ringsum.</p><lb/><p>„Das Körbchen wird niedergeſetzt und ſein Deckel weggenommen. Die Schlange liegt<lb/>
zuſammengeringelt auf dem Boden. Der Gaukler hockt ſich in einiger Entfernung vor ihr nieder<lb/>
und beginnt auf einer Art von Klarinette eine getragene, klägliche, eintönige Weiſe zu ſpielen. Die<lb/>
Schlange erhebt ſich ein wenig, ſtreckt ſich und ſteigt empor. Es ſieht aus, als ob ſie ſich auf ihren<lb/>
Schwanz, welcher noch zuſammengeringelt iſt, geſetzt hat. Sie verläßt den Korb nicht. Nach einem<lb/>
Weilchen zeigt ſie ſich unruhig, ſucht die Oertlichkeit, auf welcher ſie ſich befindet, zu erkunden, wird<lb/>
beweglich, entfaltet und breitet ihr Schild, erzürnt ſich, ſchnauft mehr als ſie ziſcht, züngelt lebhaft und<lb/>
wirft ſich mehrmals mit Kraft gegen den Gaukler, als ob ſie dieſen beißen wollte, ſpringt dabei auch<lb/>
wiederholt auf und führt ungeſchickte Sätze aus. Je mehr ſie ihr Schild bewegt, um ſo mehr breitet<lb/>ſie es. Der Gaukler hat die Augen fortwährend auf ſie gerichtet und ſieht ſie mit einer ſonderbaren<lb/>
Starrheit an. Nach Verlauf von zehn bis zwölf Minuten etwa zeigt ſich die Schlange weniger<lb/>
erregt, beruhigt ſich allmählich und wiegt ſich endlich, als ob ſie für die nach und nach ſich abſchwächende<lb/>
Muſik des Meiſters empfänglich wäre, züngelt jedoch dabei noch immer mit außerordentlicher Leb-<lb/>
haftigkeit. Mehr und mehr ſcheint ihr Zuſtand in den der Schlaftrunkenheit oder Traumſeligkeit<lb/>
überzugehen. Jhre Augen, welche anfänglich den Beſchwörer vernichten zu wollen ſchienen, ſtarren<lb/>
unbeweglich, gewiſſermaßen bezaubert nach ihm. Der Hindu macht ſich dieſen Augenblick der Ver-<lb/>
blüffung der Schlange zu Nutze, nähert ſich ihr langſam, ohne mit ſeinem Spielen aufzuhören, und<lb/>
drückt zuerſt ſeine Naſe, dann ſeine Zunge auf ihren Kopf. Das währt nicht länger als einen Augen-<lb/>
blick; aber in demſelben Augenblicke erholt ſich die Schlange und wirft ſich mit raſender Wuth nach<lb/>
dem Gaukler, welcher mit genauer Noth aus ihrem Bereiche ſich zurückzieht.</p><lb/><p>„Als der Mann ſein Spiel geendet hat, erſcheint einer der Offiziere des Schiffes und wünſcht<lb/>
auch zu ſehen, wie der Hindu ſeine Lippen auf den beſchuppten Kopf des Thieres drückt. Der arme<lb/>
Teufel beginnt ſeine eintönige Weiſe von neuem und heſtet ſeinen ſtarren Blick wiederum auf die<lb/>
Cobra. Seine Bemühungen ſind vergeblich. Die Schlange befindet ſich in einem Zuſtande der<lb/>
äußerſten Erregung; Nichts wirkt auf ſie ein. Sie will das Körbchen verlaſſen, und dieſes muß<lb/>
bedacht werden.</p><lb/><p>„Wir bezweifeln, daß die Cobra noch im Beſitze ihrer Gifthaken und die von dem Hindu aus-<lb/>
gedrückte Furcht vor ihr wirklich begründet iſt. Deshalb verlangen wir, daß der Mann zwei Hühner<lb/>
beißen laſſen ſoll und verſprechen ihm einen ſpaniſchen Piaſter dafür. Er nimmt ein ſchwarzes Huhn<lb/>
und hält es der Schlange vor. Sie erhebt ſich zur Hälfte, betrachtet das Huhn einen Augenblick,<lb/>
beißt und läßt los. Das Huhn wird freigegeben und flüchtet erſchreckt. Sechs Minuten ſpäter (die<lb/>
Uhr in der Hand) erbricht es ſich, ſtreckt die Beine von ſich und ſtirbt. Ein zweites Huhn wird der<lb/>
Schlange vorgehalten: ſie beißt es zweimal, und es ſtirbt nach acht Minuten.“</p><lb/><p>Graf <hirendition="#g">Karl von Görtz</hi> beſchreibt in ſeiner Reiſe um die Welt das Gaukelſpiel etwas anders.<lb/>
Die vier bis fünf Fuß langen Brillenſchlangen, mit welchen die Beſchwörer in Madras vor ihm<lb/>ſpielten, lagen ebenfalls in flachen Körben zuſammengerollt; der Hauptmann des Trupps aber nahm<lb/>
eine nach der anderen beim Kopfe, legte ſie frei auf den Boden und begann nun erſt die ohrzer-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[268/0290]
Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.
ſie ſei friſch gefangen oder lange eingeſperrt geweſen; aber ſie wagen es mit keiner anderen Gift-
ſchlange.“ — „Die Wahrheit der Davy’ſchen Annahme“, bemerkt Tennent, „erhielt während meines
Aufenthaltes auf Ceylon eine traurige Beſtätigung durch den Tod eines dieſer Beſchwörer, welcher in
Folge ſeiner Schauſtellungen eine ungewöhnliche Dreiſtigkeit in Behandlung der Schlangen ſich ange-
eignet hatte, von einer aber in die Bruſt gebiſſen wurde und noch am ſelben Tage verendete.“
Eine ſehr lebendige Beſchreibung der Beſchwörung hat der Franzoſe Rondot gegeben. „Gegen
ſechs Uhr abends kommt ein indiſcher Gaukler an Bord. Er iſt armſelig gekleidet, trägt aber zur
Auszeichnung einen mit drei Pfauenfedern geſchmückten Turbahn. Jn ſeinen Säcken führt er Hals-
bänder, Amulette und dergleichen, in einem flachen Körbchen eine Cobra de Capello mit ſich. Er
richtet ſich auf dem Vorderdecke ein; wir laſſen uns auf den Bänken des Hinterdeckes nieder; die
Matroſen bilden einen Kreis ringsum.
„Das Körbchen wird niedergeſetzt und ſein Deckel weggenommen. Die Schlange liegt
zuſammengeringelt auf dem Boden. Der Gaukler hockt ſich in einiger Entfernung vor ihr nieder
und beginnt auf einer Art von Klarinette eine getragene, klägliche, eintönige Weiſe zu ſpielen. Die
Schlange erhebt ſich ein wenig, ſtreckt ſich und ſteigt empor. Es ſieht aus, als ob ſie ſich auf ihren
Schwanz, welcher noch zuſammengeringelt iſt, geſetzt hat. Sie verläßt den Korb nicht. Nach einem
Weilchen zeigt ſie ſich unruhig, ſucht die Oertlichkeit, auf welcher ſie ſich befindet, zu erkunden, wird
beweglich, entfaltet und breitet ihr Schild, erzürnt ſich, ſchnauft mehr als ſie ziſcht, züngelt lebhaft und
wirft ſich mehrmals mit Kraft gegen den Gaukler, als ob ſie dieſen beißen wollte, ſpringt dabei auch
wiederholt auf und führt ungeſchickte Sätze aus. Je mehr ſie ihr Schild bewegt, um ſo mehr breitet
ſie es. Der Gaukler hat die Augen fortwährend auf ſie gerichtet und ſieht ſie mit einer ſonderbaren
Starrheit an. Nach Verlauf von zehn bis zwölf Minuten etwa zeigt ſich die Schlange weniger
erregt, beruhigt ſich allmählich und wiegt ſich endlich, als ob ſie für die nach und nach ſich abſchwächende
Muſik des Meiſters empfänglich wäre, züngelt jedoch dabei noch immer mit außerordentlicher Leb-
haftigkeit. Mehr und mehr ſcheint ihr Zuſtand in den der Schlaftrunkenheit oder Traumſeligkeit
überzugehen. Jhre Augen, welche anfänglich den Beſchwörer vernichten zu wollen ſchienen, ſtarren
unbeweglich, gewiſſermaßen bezaubert nach ihm. Der Hindu macht ſich dieſen Augenblick der Ver-
blüffung der Schlange zu Nutze, nähert ſich ihr langſam, ohne mit ſeinem Spielen aufzuhören, und
drückt zuerſt ſeine Naſe, dann ſeine Zunge auf ihren Kopf. Das währt nicht länger als einen Augen-
blick; aber in demſelben Augenblicke erholt ſich die Schlange und wirft ſich mit raſender Wuth nach
dem Gaukler, welcher mit genauer Noth aus ihrem Bereiche ſich zurückzieht.
„Als der Mann ſein Spiel geendet hat, erſcheint einer der Offiziere des Schiffes und wünſcht
auch zu ſehen, wie der Hindu ſeine Lippen auf den beſchuppten Kopf des Thieres drückt. Der arme
Teufel beginnt ſeine eintönige Weiſe von neuem und heſtet ſeinen ſtarren Blick wiederum auf die
Cobra. Seine Bemühungen ſind vergeblich. Die Schlange befindet ſich in einem Zuſtande der
äußerſten Erregung; Nichts wirkt auf ſie ein. Sie will das Körbchen verlaſſen, und dieſes muß
bedacht werden.
„Wir bezweifeln, daß die Cobra noch im Beſitze ihrer Gifthaken und die von dem Hindu aus-
gedrückte Furcht vor ihr wirklich begründet iſt. Deshalb verlangen wir, daß der Mann zwei Hühner
beißen laſſen ſoll und verſprechen ihm einen ſpaniſchen Piaſter dafür. Er nimmt ein ſchwarzes Huhn
und hält es der Schlange vor. Sie erhebt ſich zur Hälfte, betrachtet das Huhn einen Augenblick,
beißt und läßt los. Das Huhn wird freigegeben und flüchtet erſchreckt. Sechs Minuten ſpäter (die
Uhr in der Hand) erbricht es ſich, ſtreckt die Beine von ſich und ſtirbt. Ein zweites Huhn wird der
Schlange vorgehalten: ſie beißt es zweimal, und es ſtirbt nach acht Minuten.“
Graf Karl von Görtz beſchreibt in ſeiner Reiſe um die Welt das Gaukelſpiel etwas anders.
Die vier bis fünf Fuß langen Brillenſchlangen, mit welchen die Beſchwörer in Madras vor ihm
ſpielten, lagen ebenfalls in flachen Körben zuſammengerollt; der Hauptmann des Trupps aber nahm
eine nach der anderen beim Kopfe, legte ſie frei auf den Boden und begann nun erſt die ohrzer-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/290>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.