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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Jndische Brillenschlange.
noch andere Bewohner des gesitteten Europa genau ebenso verfahren wie die Hindus, nämlich ihren
durch Bilder vertretenen Heiligen, einschließlich der "allerheiligsten Mutter Gottes", erst ihre Bitten aus
Herz legen, dann Drohungen und Verwünschungen folgen lassen und schließlich wiederum reuig zur
Anbetung sich bekehren. Wenn vormals ein Einwohner von Malabar eine Giftschlange in seinem
Hause fand, bat er sie freundlichst, hinauszugehen; half Das Nichts, so hielt er ihr Speisen vor, um
sie hinauszulocken, und ging sie dann noch nicht, so holte er die frommen Diener irgend einer seiner
Gottheiten herbei, welche, selbstverständlich gegen gebührende Entschädigung, der Schlange rührende
Vorstellungen machten.

Wood gibt eine anmuthige Sage der Jndier wieder, welche sich auf die Brillenschlange bezieht.
Als Buddha eines Tages auf Erden wandelte und in der Mittagssonne schlief, erschien eine Cobra,
breitete ihr Schild und beschattete dadurch das göttliche Antlitz. Der darob erfreuete Gott versprach
ihr eine außerordentliche Gnade, vergaß sein Versprechen jedoch wieder, und die Schlange sah sich
genöthigt, ihn zu erinnern, da die Milane gerade damals entsetzliche Verheerungen unter ihrem
Geschlechte anrichteten. Zum Schutze gegen diese Raubvögel verlieh Buddha der Cobra die Brille,
vor welcher jene sich fürchten. Eine andere Sage berichtet von einem kostbaren Steine, "Nege-
Menik-Kya
" genannt, welcher zuweilen im Magen der Cobra gefunden, von ihr aber sorgsam
geheim gehalten wird, weil sein unbeschreiblicher Glanz wie ein strahlendes Licht Jedermann anziehen
und das Thier gefährden würde. An diese und andere Märchen glauben die Hindus mit aner-
kennenswerther Jnbrunst.

Einem solchen Volke gegenüber haben Pfaffen und Gaukler leichtes Spiel. Die blinde Menge
hält die Kunststücke der letzteren für offenbare Zauberei und wird durch die Braminen in solchem
zuträglichen Glauben nach Kräften unterstützt. Allerdings läßt sich nicht leugnen, daß die Gaukler
mit den gefährlichen Thieren in einer Weise verkehren, welche wohl geeignet ist, auch dem ungläubigen
Europäer hohe Achtung vor ihrer Fertigkeit abzunöthigen; ihre ganze Kunst aber begründet sich
einzig und allein auf genaue Kenntniß des Wesens und der Eigenthümlichkeiten der Schlange.
Verschiedene Schriftsteller haben behauptet, daß der Cobra ebenso wie der Aspis, ihrer egyptischen
Schwester, vor dem Gebrauche verständiger Weise erst die Giftzähne ausgebrochen würden, und ihr
Biß deshalb nicht schaden könne; schon Davy aber bestreitet diese Annahme auf das Entschiedenste,
und neuere Beobachter geben ihm vollständig Recht. Wohl mag es vorkommen, daß Gaukler ihren
Schlangen die Zähne ausbrechen; in der Regel jedoch ist die Cobra im Besitze ihrer tödtlichen Waffen
und kann sie gebrauchen, und auch die Abrichtung, welche sie durchgemacht hat, hindert sie schwerlich
daran. Eine solche Abrichtung findet allerdings statt; dieselbe hat aber gewiß nicht den Erfolg, das
Thier vom Beißen abzuhalten, und nur die Gewandtheit und Achtsamkeit des Gauklers sichert diesen
vor der Gefahr, welche er in frevelhafter Weise herausfordert -- wenn auch nicht in allen Fällen: gar
mancher dieser Leute verliert durch die Brillenschlange sein Leben. "Der Schlangenbeschwörer",
erzählt Davy, "reizt die Cobra de Capello durch Schläge oder schnelle, drohende Bewegungen der
Hand und beruhigt sie wieder durch seine Stimme, durch langsame, kreisende Handbewegungen und
sanfte Schläge. Wird sie böse, so vermeidet er geschickt ihren Angriff und spielt nur mit ihr, wenn
sie beruhigt ist. Dann bringt er das Maul des Thieres an seine Stirn, dann fährt er mit ihr über
das Gesicht. Das Volk glaubt, der Mann besitze wirklich einen Zauber, in Folge dessen er die
Schlange ohne Gefahr behandeln könne; der Aufgeklärte lacht darüber und betrachtet den Gaukler
als einen Betrüger, welcher der Cobra die Giftzähne ausgerissen hat: er aber irrt sich, und
das Volk hat Recht
. Jch habe solche Schlangen untersucht, und ihre Zähne unversehrt gefunden.
Die Gaukler besitzen wirklich einen Zauber, -- einen übernatürlichen allerdings nicht, aber den des
Vertrauens und des Muthes. Sie kennen die Sitten und Neigungen dieser Schlange, wissen, wie
ungern sie ihre tödtliche Wasse gebraucht, und daß sie nur nach vielen vorhergegangenen Reizungen
beißt. Wer die Zuversicht und Hurtigkeit dieser Menschen besitzt, kann ihr Spiel auch nachahmen, und
ich habe es mehr als einmal gethan. Die Gaukler können ihr Spiel mit jeder Hutschlange treiben,

Jndiſche Brillenſchlange.
noch andere Bewohner des geſitteten Europa genau ebenſo verfahren wie die Hindus, nämlich ihren
durch Bilder vertretenen Heiligen, einſchließlich der „allerheiligſten Mutter Gottes“, erſt ihre Bitten aus
Herz legen, dann Drohungen und Verwünſchungen folgen laſſen und ſchließlich wiederum reuig zur
Anbetung ſich bekehren. Wenn vormals ein Einwohner von Malabar eine Giftſchlange in ſeinem
Hauſe fand, bat er ſie freundlichſt, hinauszugehen; half Das Nichts, ſo hielt er ihr Speiſen vor, um
ſie hinauszulocken, und ging ſie dann noch nicht, ſo holte er die frommen Diener irgend einer ſeiner
Gottheiten herbei, welche, ſelbſtverſtändlich gegen gebührende Entſchädigung, der Schlange rührende
Vorſtellungen machten.

Wood gibt eine anmuthige Sage der Jndier wieder, welche ſich auf die Brillenſchlange bezieht.
Als Buddha eines Tages auf Erden wandelte und in der Mittagsſonne ſchlief, erſchien eine Cobra,
breitete ihr Schild und beſchattete dadurch das göttliche Antlitz. Der darob erfreuete Gott verſprach
ihr eine außerordentliche Gnade, vergaß ſein Verſprechen jedoch wieder, und die Schlange ſah ſich
genöthigt, ihn zu erinnern, da die Milane gerade damals entſetzliche Verheerungen unter ihrem
Geſchlechte anrichteten. Zum Schutze gegen dieſe Raubvögel verlieh Buddha der Cobra die Brille,
vor welcher jene ſich fürchten. Eine andere Sage berichtet von einem koſtbaren Steine, „Nege-
Menik-Kya
“ genannt, welcher zuweilen im Magen der Cobra gefunden, von ihr aber ſorgſam
geheim gehalten wird, weil ſein unbeſchreiblicher Glanz wie ein ſtrahlendes Licht Jedermann anziehen
und das Thier gefährden würde. An dieſe und andere Märchen glauben die Hindus mit aner-
kennenswerther Jnbrunſt.

Einem ſolchen Volke gegenüber haben Pfaffen und Gaukler leichtes Spiel. Die blinde Menge
hält die Kunſtſtücke der letzteren für offenbare Zauberei und wird durch die Braminen in ſolchem
zuträglichen Glauben nach Kräften unterſtützt. Allerdings läßt ſich nicht leugnen, daß die Gaukler
mit den gefährlichen Thieren in einer Weiſe verkehren, welche wohl geeignet iſt, auch dem ungläubigen
Europäer hohe Achtung vor ihrer Fertigkeit abzunöthigen; ihre ganze Kunſt aber begründet ſich
einzig und allein auf genaue Kenntniß des Weſens und der Eigenthümlichkeiten der Schlange.
Verſchiedene Schriftſteller haben behauptet, daß der Cobra ebenſo wie der Aſpis, ihrer egyptiſchen
Schweſter, vor dem Gebrauche verſtändiger Weiſe erſt die Giftzähne ausgebrochen würden, und ihr
Biß deshalb nicht ſchaden könne; ſchon Davy aber beſtreitet dieſe Annahme auf das Entſchiedenſte,
und neuere Beobachter geben ihm vollſtändig Recht. Wohl mag es vorkommen, daß Gaukler ihren
Schlangen die Zähne ausbrechen; in der Regel jedoch iſt die Cobra im Beſitze ihrer tödtlichen Waffen
und kann ſie gebrauchen, und auch die Abrichtung, welche ſie durchgemacht hat, hindert ſie ſchwerlich
daran. Eine ſolche Abrichtung findet allerdings ſtatt; dieſelbe hat aber gewiß nicht den Erfolg, das
Thier vom Beißen abzuhalten, und nur die Gewandtheit und Achtſamkeit des Gauklers ſichert dieſen
vor der Gefahr, welche er in frevelhafter Weiſe herausfordert — wenn auch nicht in allen Fällen: gar
mancher dieſer Leute verliert durch die Brillenſchlange ſein Leben. „Der Schlangenbeſchwörer“,
erzählt Davy, „reizt die Cobra de Capello durch Schläge oder ſchnelle, drohende Bewegungen der
Hand und beruhigt ſie wieder durch ſeine Stimme, durch langſame, kreiſende Handbewegungen und
ſanfte Schläge. Wird ſie böſe, ſo vermeidet er geſchickt ihren Angriff und ſpielt nur mit ihr, wenn
ſie beruhigt iſt. Dann bringt er das Maul des Thieres an ſeine Stirn, dann fährt er mit ihr über
das Geſicht. Das Volk glaubt, der Mann beſitze wirklich einen Zauber, in Folge deſſen er die
Schlange ohne Gefahr behandeln könne; der Aufgeklärte lacht darüber und betrachtet den Gaukler
als einen Betrüger, welcher der Cobra die Giftzähne ausgeriſſen hat: er aber irrt ſich, und
das Volk hat Recht
. Jch habe ſolche Schlangen unterſucht, und ihre Zähne unverſehrt gefunden.
Die Gaukler beſitzen wirklich einen Zauber, — einen übernatürlichen allerdings nicht, aber den des
Vertrauens und des Muthes. Sie kennen die Sitten und Neigungen dieſer Schlange, wiſſen, wie
ungern ſie ihre tödtliche Waſſe gebraucht, und daß ſie nur nach vielen vorhergegangenen Reizungen
beißt. Wer die Zuverſicht und Hurtigkeit dieſer Menſchen beſitzt, kann ihr Spiel auch nachahmen, und
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[267/0289] Jndiſche Brillenſchlange. noch andere Bewohner des geſitteten Europa genau ebenſo verfahren wie die Hindus, nämlich ihren durch Bilder vertretenen Heiligen, einſchließlich der „allerheiligſten Mutter Gottes“, erſt ihre Bitten aus Herz legen, dann Drohungen und Verwünſchungen folgen laſſen und ſchließlich wiederum reuig zur Anbetung ſich bekehren. Wenn vormals ein Einwohner von Malabar eine Giftſchlange in ſeinem Hauſe fand, bat er ſie freundlichſt, hinauszugehen; half Das Nichts, ſo hielt er ihr Speiſen vor, um ſie hinauszulocken, und ging ſie dann noch nicht, ſo holte er die frommen Diener irgend einer ſeiner Gottheiten herbei, welche, ſelbſtverſtändlich gegen gebührende Entſchädigung, der Schlange rührende Vorſtellungen machten. Wood gibt eine anmuthige Sage der Jndier wieder, welche ſich auf die Brillenſchlange bezieht. Als Buddha eines Tages auf Erden wandelte und in der Mittagsſonne ſchlief, erſchien eine Cobra, breitete ihr Schild und beſchattete dadurch das göttliche Antlitz. Der darob erfreuete Gott verſprach ihr eine außerordentliche Gnade, vergaß ſein Verſprechen jedoch wieder, und die Schlange ſah ſich genöthigt, ihn zu erinnern, da die Milane gerade damals entſetzliche Verheerungen unter ihrem Geſchlechte anrichteten. Zum Schutze gegen dieſe Raubvögel verlieh Buddha der Cobra die Brille, vor welcher jene ſich fürchten. Eine andere Sage berichtet von einem koſtbaren Steine, „Nege- Menik-Kya“ genannt, welcher zuweilen im Magen der Cobra gefunden, von ihr aber ſorgſam geheim gehalten wird, weil ſein unbeſchreiblicher Glanz wie ein ſtrahlendes Licht Jedermann anziehen und das Thier gefährden würde. An dieſe und andere Märchen glauben die Hindus mit aner- kennenswerther Jnbrunſt. Einem ſolchen Volke gegenüber haben Pfaffen und Gaukler leichtes Spiel. Die blinde Menge hält die Kunſtſtücke der letzteren für offenbare Zauberei und wird durch die Braminen in ſolchem zuträglichen Glauben nach Kräften unterſtützt. Allerdings läßt ſich nicht leugnen, daß die Gaukler mit den gefährlichen Thieren in einer Weiſe verkehren, welche wohl geeignet iſt, auch dem ungläubigen Europäer hohe Achtung vor ihrer Fertigkeit abzunöthigen; ihre ganze Kunſt aber begründet ſich einzig und allein auf genaue Kenntniß des Weſens und der Eigenthümlichkeiten der Schlange. Verſchiedene Schriftſteller haben behauptet, daß der Cobra ebenſo wie der Aſpis, ihrer egyptiſchen Schweſter, vor dem Gebrauche verſtändiger Weiſe erſt die Giftzähne ausgebrochen würden, und ihr Biß deshalb nicht ſchaden könne; ſchon Davy aber beſtreitet dieſe Annahme auf das Entſchiedenſte, und neuere Beobachter geben ihm vollſtändig Recht. Wohl mag es vorkommen, daß Gaukler ihren Schlangen die Zähne ausbrechen; in der Regel jedoch iſt die Cobra im Beſitze ihrer tödtlichen Waffen und kann ſie gebrauchen, und auch die Abrichtung, welche ſie durchgemacht hat, hindert ſie ſchwerlich daran. Eine ſolche Abrichtung findet allerdings ſtatt; dieſelbe hat aber gewiß nicht den Erfolg, das Thier vom Beißen abzuhalten, und nur die Gewandtheit und Achtſamkeit des Gauklers ſichert dieſen vor der Gefahr, welche er in frevelhafter Weiſe herausfordert — wenn auch nicht in allen Fällen: gar mancher dieſer Leute verliert durch die Brillenſchlange ſein Leben. „Der Schlangenbeſchwörer“, erzählt Davy, „reizt die Cobra de Capello durch Schläge oder ſchnelle, drohende Bewegungen der Hand und beruhigt ſie wieder durch ſeine Stimme, durch langſame, kreiſende Handbewegungen und ſanfte Schläge. Wird ſie böſe, ſo vermeidet er geſchickt ihren Angriff und ſpielt nur mit ihr, wenn ſie beruhigt iſt. Dann bringt er das Maul des Thieres an ſeine Stirn, dann fährt er mit ihr über das Geſicht. Das Volk glaubt, der Mann beſitze wirklich einen Zauber, in Folge deſſen er die Schlange ohne Gefahr behandeln könne; der Aufgeklärte lacht darüber und betrachtet den Gaukler als einen Betrüger, welcher der Cobra die Giftzähne ausgeriſſen hat: er aber irrt ſich, und das Volk hat Recht. Jch habe ſolche Schlangen unterſucht, und ihre Zähne unverſehrt gefunden. Die Gaukler beſitzen wirklich einen Zauber, — einen übernatürlichen allerdings nicht, aber den des Vertrauens und des Muthes. Sie kennen die Sitten und Neigungen dieſer Schlange, wiſſen, wie ungern ſie ihre tödtliche Waſſe gebraucht, und daß ſie nur nach vielen vorhergegangenen Reizungen beißt. Wer die Zuverſicht und Hurtigkeit dieſer Menſchen beſitzt, kann ihr Spiel auch nachahmen, und ich habe es mehr als einmal gethan. Die Gaukler können ihr Spiel mit jeder Hutſchlange treiben,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/289>, abgerufen am 22.12.2024.