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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Jndische Brillenschlange.

Ein anderer Fall trug sich im Jahre 1853 zu und wurde Tennent von Lavalliere, einem
Augenzeugen, mitgetheilt. Letztgenannter, damals Bezirksrichter von Kenty, traf einen Schlangen-
beschwörer nah bei der Stadt im Walde auf der Suche nach Brillenschlangen, folgte demselben und
fah, wie der Mann eine fand und fing, von ihr jedoch dabei in den Schenkel gebissen wurde, daß das
Blut von der Wunde lief. Er legte augenblicklich den Schlangenstein auf, welcher sich auch etwa
zehn Minuten lang fest ansaugte, und bewegte gleichzeitig eine Wurzel, welche er in der Hand hielt,
über dem Steine auf und ab, bis der letztere abfiel. Nunmehr versicherte er dem Europäer, daß alle
Sorge vorüber sei, gab ihm auch denselben Schlangenstein, welchen er angewandt hatte. Lavalliere
sah den Mann später wiederholt und bei vollster Gesundheit.

Auch jener Jndianer, von welchem Reyne erzählt, daß er gebissen wurde, wandte den Pembu-
Kelu an, umschnürte aber gleichzeitig das Glied oberhalb des Bisses. Einige wenige Minuten lang
schien er große Schmerzen zu leiden, nach und nach aber sich zu erholen und Linderung zu verspüren,
just als der Stein abfiel. Nachdem er wieder etwas zu Kräften gekommen war, hielt er der Schlange
ein Tuch vor, in welches sie biß, ergriff sie, noch ehe sie sich losgemacht hatte, mit der Hand im Nacken
und zog ihr in Reyne's Gegenwart die Gisthaken aus. Letzterer verfolgte mit aller Aufmerksamkeit
die ganze Vornahme und wurde in der Ueberwachung durch seinen Gehilfen und zwei oder drei
Andere unterstützt.

Die Schlangensteine und die Wurzel, welche in den erst erwähnten Fällen benutzt wurden,
gelangten später in den Besitz von Tennent. "Die Wurzeln", sagt er, "sind nicht gleichartig. Eine
scheint ein Aststück von einer Aristolochia zu sein, die andere ist so trocken, daß ihre Bestimmung
sehr schwierig sein dürfte; sie ähnelt aber dem vierseitigen Stück einer Waldrebe. Mehrere Arten
der Aristolochia, beispielsweise die in Amerika wachsende Aristolochia serpentaria, stehen schon längst
in dem Rufe, dem Schlangenbisse entgegenzuwirken, und die indische Art dieses Geschlechts (Aristo-
lochia indica)
ist diejenige Pflanze, zu welcher der Mungos der Volkssage nach seine Zuflucht nehmen
soll, wenn er gebissen wird." Tennent sügt Diesem und gewiß mit vollstem Rechte hinzu, daß er
an die Wirksamkeit der Wurzel nicht glaube, vielmehr der Ueberzeugung sei, daß sie nur eine ein-
gebildete Bedeutung habe, indem sie dem Schlangenfänger Muth und Vertrauen auf seine eigene
Geschicklichkeit einflöße. Beachtenswerth bleibt es aber doch, daß die Jndier gerade die Wurzel einer
Pflanze wählen, in deren Blättern man neuerdings ein für unseren Fall in Anwendung zu bringendes
Gegengift gefunden haben will.

Ueber die Natur und Bestandtheile des Schlangensteines waren wir durch Barrow und Hardy
genügend unterrichtet; die Untersuchungen Tennent's haben frühere Mittheilungen jedoch bestätigt.
Schon der alte Kolbe erwähnt, daß die am Vorgebirge der guten Hoffnung wohnenden Europäer
sich des Schlangensteines bedienen und denselben aus Jndien erhalten, wo er von den Braminen
verfertigt werde. Letztere allein scheinen das Geheimniß ihrer Zusammensetzung zu kennen und theilen
dasselbe um keinen Preis Leuten mit, welche nicht zu ihrer Kaste gehören. "Es thut mir außer-
ordentlich leid", sagt Kolbe, "daß das Geheimniß unter den Christen nicht bekannt ist, und daß die
Braminen in dieser Beziehung unerbittlich sind; denn die erwähnten Steine haben wirklich eine
wunderbare Kraft." Dieser Aeußerung folgt eine Schilderung der Anwendung, welche im wesent-
lichen der bereits besprochenen gleicht. Thunberg, welcher das Kapland nach Kolbe besuchte,
erzählt ebenfalls von den Schlangensteinen und gibt als Kennzeichen ihrer Echtheit an, daß Luft-
bläschen aufsteigen, wenn man sie ins Wasser legt, oder sie sich am Gaumen fest anhängen, wenn man
sie in den Mund bringt. "Bringt man sie an einen Körpertheil, den eine Schlange gebissen hat, so
legen sie sich fest auf die Wunde, ziehen das Gift heraus und fallen von selbst ab, wenn sie gesättigt
sind." Nach Johnson's Versicherung befindet sich das Geheimniß der Bereitung noch heutigentages
im Besitze der indischen Pfassen und bringt ihnen erkleckliche Summen ein; aber die Bereitung des
Schlangensteines ist kein Geheimniß mehr. Unsere Chemiker haben die Masse untersucht und sie als
gebrannte Knochen, als Kalk und eigenthümlich zubereitetes Harz erkannt, welche Stoffe vermöge

Brehm, Thierleben. V. 18
Jndiſche Brillenſchlange.

Ein anderer Fall trug ſich im Jahre 1853 zu und wurde Tennent von Lavallière, einem
Augenzeugen, mitgetheilt. Letztgenannter, damals Bezirksrichter von Kenty, traf einen Schlangen-
beſchwörer nah bei der Stadt im Walde auf der Suche nach Brillenſchlangen, folgte demſelben und
fah, wie der Mann eine fand und fing, von ihr jedoch dabei in den Schenkel gebiſſen wurde, daß das
Blut von der Wunde lief. Er legte augenblicklich den Schlangenſtein auf, welcher ſich auch etwa
zehn Minuten lang feſt anſaugte, und bewegte gleichzeitig eine Wurzel, welche er in der Hand hielt,
über dem Steine auf und ab, bis der letztere abfiel. Nunmehr verſicherte er dem Europäer, daß alle
Sorge vorüber ſei, gab ihm auch denſelben Schlangenſtein, welchen er angewandt hatte. Lavallière
ſah den Mann ſpäter wiederholt und bei vollſter Geſundheit.

Auch jener Jndianer, von welchem Reyne erzählt, daß er gebiſſen wurde, wandte den Pembu-
Kelu an, umſchnürte aber gleichzeitig das Glied oberhalb des Biſſes. Einige wenige Minuten lang
ſchien er große Schmerzen zu leiden, nach und nach aber ſich zu erholen und Linderung zu verſpüren,
juſt als der Stein abfiel. Nachdem er wieder etwas zu Kräften gekommen war, hielt er der Schlange
ein Tuch vor, in welches ſie biß, ergriff ſie, noch ehe ſie ſich losgemacht hatte, mit der Hand im Nacken
und zog ihr in Reyne’s Gegenwart die Giſthaken aus. Letzterer verfolgte mit aller Aufmerkſamkeit
die ganze Vornahme und wurde in der Ueberwachung durch ſeinen Gehilfen und zwei oder drei
Andere unterſtützt.

Die Schlangenſteine und die Wurzel, welche in den erſt erwähnten Fällen benutzt wurden,
gelangten ſpäter in den Beſitz von Tennent. „Die Wurzeln“, ſagt er, „ſind nicht gleichartig. Eine
ſcheint ein Aſtſtück von einer Ariſtolochia zu ſein, die andere iſt ſo trocken, daß ihre Beſtimmung
ſehr ſchwierig ſein dürfte; ſie ähnelt aber dem vierſeitigen Stück einer Waldrebe. Mehrere Arten
der Ariſtolochia, beiſpielsweiſe die in Amerika wachſende Aristolochia serpentaria, ſtehen ſchon längſt
in dem Rufe, dem Schlangenbiſſe entgegenzuwirken, und die indiſche Art dieſes Geſchlechts (Aristo-
lochia indica)
iſt diejenige Pflanze, zu welcher der Mungos der Volksſage nach ſeine Zuflucht nehmen
ſoll, wenn er gebiſſen wird.“ Tennent ſügt Dieſem und gewiß mit vollſtem Rechte hinzu, daß er
an die Wirkſamkeit der Wurzel nicht glaube, vielmehr der Ueberzeugung ſei, daß ſie nur eine ein-
gebildete Bedeutung habe, indem ſie dem Schlangenfänger Muth und Vertrauen auf ſeine eigene
Geſchicklichkeit einflöße. Beachtenswerth bleibt es aber doch, daß die Jndier gerade die Wurzel einer
Pflanze wählen, in deren Blättern man neuerdings ein für unſeren Fall in Anwendung zu bringendes
Gegengift gefunden haben will.

Ueber die Natur und Beſtandtheile des Schlangenſteines waren wir durch Barrow und Hardy
genügend unterrichtet; die Unterſuchungen Tennent’s haben frühere Mittheilungen jedoch beſtätigt.
Schon der alte Kolbe erwähnt, daß die am Vorgebirge der guten Hoffnung wohnenden Europäer
ſich des Schlangenſteines bedienen und denſelben aus Jndien erhalten, wo er von den Braminen
verfertigt werde. Letztere allein ſcheinen das Geheimniß ihrer Zuſammenſetzung zu kennen und theilen
daſſelbe um keinen Preis Leuten mit, welche nicht zu ihrer Kaſte gehören. „Es thut mir außer-
ordentlich leid“, ſagt Kolbe, „daß das Geheimniß unter den Chriſten nicht bekannt iſt, und daß die
Braminen in dieſer Beziehung unerbittlich ſind; denn die erwähnten Steine haben wirklich eine
wunderbare Kraft.“ Dieſer Aeußerung folgt eine Schilderung der Anwendung, welche im weſent-
lichen der bereits beſprochenen gleicht. Thunberg, welcher das Kapland nach Kolbe beſuchte,
erzählt ebenfalls von den Schlangenſteinen und gibt als Kennzeichen ihrer Echtheit an, daß Luft-
bläschen aufſteigen, wenn man ſie ins Waſſer legt, oder ſie ſich am Gaumen feſt anhängen, wenn man
ſie in den Mund bringt. „Bringt man ſie an einen Körpertheil, den eine Schlange gebiſſen hat, ſo
legen ſie ſich feſt auf die Wunde, ziehen das Gift heraus und fallen von ſelbſt ab, wenn ſie geſättigt
ſind.“ Nach Johnſon’s Verſicherung befindet ſich das Geheimniß der Bereitung noch heutigentages
im Beſitze der indiſchen Pfaſſen und bringt ihnen erkleckliche Summen ein; aber die Bereitung des
Schlangenſteines iſt kein Geheimniß mehr. Unſere Chemiker haben die Maſſe unterſucht und ſie als
gebrannte Knochen, als Kalk und eigenthümlich zubereitetes Harz erkannt, welche Stoffe vermöge

Brehm, Thierleben. V. 18
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[273/0295] Jndiſche Brillenſchlange. Ein anderer Fall trug ſich im Jahre 1853 zu und wurde Tennent von Lavallière, einem Augenzeugen, mitgetheilt. Letztgenannter, damals Bezirksrichter von Kenty, traf einen Schlangen- beſchwörer nah bei der Stadt im Walde auf der Suche nach Brillenſchlangen, folgte demſelben und fah, wie der Mann eine fand und fing, von ihr jedoch dabei in den Schenkel gebiſſen wurde, daß das Blut von der Wunde lief. Er legte augenblicklich den Schlangenſtein auf, welcher ſich auch etwa zehn Minuten lang feſt anſaugte, und bewegte gleichzeitig eine Wurzel, welche er in der Hand hielt, über dem Steine auf und ab, bis der letztere abfiel. Nunmehr verſicherte er dem Europäer, daß alle Sorge vorüber ſei, gab ihm auch denſelben Schlangenſtein, welchen er angewandt hatte. Lavallière ſah den Mann ſpäter wiederholt und bei vollſter Geſundheit. Auch jener Jndianer, von welchem Reyne erzählt, daß er gebiſſen wurde, wandte den Pembu- Kelu an, umſchnürte aber gleichzeitig das Glied oberhalb des Biſſes. Einige wenige Minuten lang ſchien er große Schmerzen zu leiden, nach und nach aber ſich zu erholen und Linderung zu verſpüren, juſt als der Stein abfiel. Nachdem er wieder etwas zu Kräften gekommen war, hielt er der Schlange ein Tuch vor, in welches ſie biß, ergriff ſie, noch ehe ſie ſich losgemacht hatte, mit der Hand im Nacken und zog ihr in Reyne’s Gegenwart die Giſthaken aus. Letzterer verfolgte mit aller Aufmerkſamkeit die ganze Vornahme und wurde in der Ueberwachung durch ſeinen Gehilfen und zwei oder drei Andere unterſtützt. Die Schlangenſteine und die Wurzel, welche in den erſt erwähnten Fällen benutzt wurden, gelangten ſpäter in den Beſitz von Tennent. „Die Wurzeln“, ſagt er, „ſind nicht gleichartig. Eine ſcheint ein Aſtſtück von einer Ariſtolochia zu ſein, die andere iſt ſo trocken, daß ihre Beſtimmung ſehr ſchwierig ſein dürfte; ſie ähnelt aber dem vierſeitigen Stück einer Waldrebe. Mehrere Arten der Ariſtolochia, beiſpielsweiſe die in Amerika wachſende Aristolochia serpentaria, ſtehen ſchon längſt in dem Rufe, dem Schlangenbiſſe entgegenzuwirken, und die indiſche Art dieſes Geſchlechts (Aristo- lochia indica) iſt diejenige Pflanze, zu welcher der Mungos der Volksſage nach ſeine Zuflucht nehmen ſoll, wenn er gebiſſen wird.“ Tennent ſügt Dieſem und gewiß mit vollſtem Rechte hinzu, daß er an die Wirkſamkeit der Wurzel nicht glaube, vielmehr der Ueberzeugung ſei, daß ſie nur eine ein- gebildete Bedeutung habe, indem ſie dem Schlangenfänger Muth und Vertrauen auf ſeine eigene Geſchicklichkeit einflöße. Beachtenswerth bleibt es aber doch, daß die Jndier gerade die Wurzel einer Pflanze wählen, in deren Blättern man neuerdings ein für unſeren Fall in Anwendung zu bringendes Gegengift gefunden haben will. Ueber die Natur und Beſtandtheile des Schlangenſteines waren wir durch Barrow und Hardy genügend unterrichtet; die Unterſuchungen Tennent’s haben frühere Mittheilungen jedoch beſtätigt. Schon der alte Kolbe erwähnt, daß die am Vorgebirge der guten Hoffnung wohnenden Europäer ſich des Schlangenſteines bedienen und denſelben aus Jndien erhalten, wo er von den Braminen verfertigt werde. Letztere allein ſcheinen das Geheimniß ihrer Zuſammenſetzung zu kennen und theilen daſſelbe um keinen Preis Leuten mit, welche nicht zu ihrer Kaſte gehören. „Es thut mir außer- ordentlich leid“, ſagt Kolbe, „daß das Geheimniß unter den Chriſten nicht bekannt iſt, und daß die Braminen in dieſer Beziehung unerbittlich ſind; denn die erwähnten Steine haben wirklich eine wunderbare Kraft.“ Dieſer Aeußerung folgt eine Schilderung der Anwendung, welche im weſent- lichen der bereits beſprochenen gleicht. Thunberg, welcher das Kapland nach Kolbe beſuchte, erzählt ebenfalls von den Schlangenſteinen und gibt als Kennzeichen ihrer Echtheit an, daß Luft- bläschen aufſteigen, wenn man ſie ins Waſſer legt, oder ſie ſich am Gaumen feſt anhängen, wenn man ſie in den Mund bringt. „Bringt man ſie an einen Körpertheil, den eine Schlange gebiſſen hat, ſo legen ſie ſich feſt auf die Wunde, ziehen das Gift heraus und fallen von ſelbſt ab, wenn ſie geſättigt ſind.“ Nach Johnſon’s Verſicherung befindet ſich das Geheimniß der Bereitung noch heutigentages im Beſitze der indiſchen Pfaſſen und bringt ihnen erkleckliche Summen ein; aber die Bereitung des Schlangenſteines iſt kein Geheimniß mehr. Unſere Chemiker haben die Maſſe unterſucht und ſie als gebrannte Knochen, als Kalk und eigenthümlich zubereitetes Harz erkannt, welche Stoffe vermöge Brehm, Thierleben. V. 18

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/295>, abgerufen am 22.12.2024.