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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.
ihrer Zellen oder Hohlräume im Jnneren Flüssigkeit und somit auch Blut oder selbst Gift ansaugen.
Der Reisende Hardy, welcher die Zubereitung der "piedra ponsona" oder des in Mejiko gebräuch-
lichen Schlangensteines kennen lernte, theilt uns sogar mit, wie derselbe hergerichtet wird. "Nimm
ein Stück Hirschgeweih von beliebiger Größe und Gestalt, umhülle dasselbe rundum mit Gras oder
Heu, schließe es in ein Stück Kupferblech ein und bringe es in ein Kohlenfeuer, bis der Knochen
genügend gebrannt ist, laß es abkühlen, entferne das verkalkte Horn aus seiner Umhüllung, und es
wird zum unmittelbaren Gebrauche fertig sein. Jn diesem Zustande ist es eine fest zusammenhängende,
obschon zellige Masse von schwarzer Farbe, welche in Form und Größe dem Hornstücke noch voll-
kommen ähnelt." Am Kap und in Mejiko gebraucht man noch die Vorsicht, die Bißwunde durch
einen Schnitt weiter zu öffnen, pflegt auch den Schlangenstein, wenn er sich vollgesogen hat, in Milch
oder Wasser zu werfen, so wieder zu reinigen, hierauf abzutrocknen, und von neuem auf die Wunde
zu legen. Daß ein derartiger Körper in der That eine gewisse Wirkung äußern kann, läßt sich nicht
wohl bezweifeln; dieselbe steht jedoch sicherlich hinter der eines Schröpfkopfes noch entschieden zurück,
und die vorher erwähnten Fälle können also nur beweisen, daß die durch den Schlangenstein geretteten
Kranken blos leicht verwundet und bezüglich vergiftet worden waren.

Von ungleich größerer Wichtigkeit als alle Erzählungen über Schlangensteine und deren Heil-
kraft scheint mir der nachstehende Bericht über die Wirksamkeit der bereits genannten indischen Pflanze
(Aristolochia indica) zu sein, obgleich ich meine Zweifel an der vollen Glaubwürdigkeit desselben
nicht verhehlen kann. Jch entnehme das Nachstehende der Naturgeschichte des englischen Geistlichen
Wood, welcher die von ihm gegebenen "Thatsachen" von einem englischen Beamten in Ostindien,
Lowther, erfuhr, einem Manne, der die Aristolochia sehr oft gegen Schlangenbiß angewendet und
die ausgezeichnetsten Erfolge erzielt haben will. Wäre Lowther ein Arzt: ich würde ihm gern
Glauben schenken, während ich den Versicherungen des Herrn Beamten nur das Eine wünschen
kann und will: daß sie wahr sein möchten!

"Ein von einer Schlange gebissenes junges Hinduweib wurde auf einer Sänfte zu mir gebracht.
Es befand sich in einem Zustande vollkommener Leblosigkeit, sodaß ich kein Bedenken trug, meine
Hilfe zu verweigern. Hierin wurde ich unterstützt durch einen Offizier, welcher sich gerade in meinem
Hause aufhielt und hervorhob, daß es am besten sei, die Gebissene wieder wegzuschicken, um mein
Heilmittel in den Augen des Volkes nicht herabzusetzen. Das Weib war kalt wie Marmor; von dem
Blutumlaufe bemerkte man gar Nichts mehr; ihr Aussehen glich dem einer Leiche.

"Der Gatte bekundete die tiefste Niedergeschlagenheit in Folge meiner Weigerung und bat und
flehte, daß ich doch das Mittel wenigstens versuchen möge. Jch setzte ihm meine Gründe aus einander
und verschwieg ihm nicht, daß ich fest überzeugt sei, seine Gattin sei lange, bevor sie mein Haus
erreicht, bereits verschieden. Um jedoch seine Niedergeschlagenheit durch fortgesetzte Weigerung nicht
zu erhöhen, öffnete ich ihr die Kinnladen gewaltsam und goß ihr von meiner Arzenei ein, welche ich
aus drei mittelgroßen, zu Brei geriebenen Blättern der Aristolochia und zehn Pfefferkörnern
zusammengesetzt und in einer Unze Wasser aufgelöst hatte. Nachdem der Trank eingeflossen, ließ ich
den Leib in eine sitzende Stellung heben und wartete mit einiger Spannung, jedoch ohne die geringste
Aussicht auf Erfolg, der Wirkung. Nach Verlauf von acht oder zehn Minuten nahm ich ein leichtes
Pulsiren an ihrer unteren Lippe wahr. Augenblicklich befahl ich ihrem Gatten, sie mit Hilfe meiner
eigenen Diener hin- und herzuschleppen, in der Absicht, wenn es möglich, den Blutumlauf wieder in
Gang zu bringen. Gehalten von zwei Leuten, welche sie unter ihren Armen gefaßt hatten, wurde sie
nunmehr hin und her bewegt, wobei ihre Füße hilflos hinter ihr herschleppten. Einige Minuten
später bemerkte ich, daß die Leidende einen schwachen Versuch machte, die Füße zu gebrauchen, und
ließ sie deshalb so hochheben, daß die Sohlen den Boden berührten. Noch einige Minuten: und ein
tiefer Athemzug, begleitet von einem sonderbaren Schrei, bekundete das Rückkehren der Besinnung.
Hierauf folgte der Ausruf: "Ein Feuer verbrennt meine Eingeweide!" Zu dieser Zeit waren Brust
und Arme noch leichenkalt. Sofort gab ich ihr noch die Auflösung eines Blattes in einer Unze

Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.
ihrer Zellen oder Hohlräume im Jnneren Flüſſigkeit und ſomit auch Blut oder ſelbſt Gift anſaugen.
Der Reiſende Hardy, welcher die Zubereitung der „piedra ponsona“ oder des in Mejiko gebräuch-
lichen Schlangenſteines kennen lernte, theilt uns ſogar mit, wie derſelbe hergerichtet wird. „Nimm
ein Stück Hirſchgeweih von beliebiger Größe und Geſtalt, umhülle daſſelbe rundum mit Gras oder
Heu, ſchließe es in ein Stück Kupferblech ein und bringe es in ein Kohlenfeuer, bis der Knochen
genügend gebrannt iſt, laß es abkühlen, entferne das verkalkte Horn aus ſeiner Umhüllung, und es
wird zum unmittelbaren Gebrauche fertig ſein. Jn dieſem Zuſtande iſt es eine feſt zuſammenhängende,
obſchon zellige Maſſe von ſchwarzer Farbe, welche in Form und Größe dem Hornſtücke noch voll-
kommen ähnelt.“ Am Kap und in Mejiko gebraucht man noch die Vorſicht, die Bißwunde durch
einen Schnitt weiter zu öffnen, pflegt auch den Schlangenſtein, wenn er ſich vollgeſogen hat, in Milch
oder Waſſer zu werfen, ſo wieder zu reinigen, hierauf abzutrocknen, und von neuem auf die Wunde
zu legen. Daß ein derartiger Körper in der That eine gewiſſe Wirkung äußern kann, läßt ſich nicht
wohl bezweifeln; dieſelbe ſteht jedoch ſicherlich hinter der eines Schröpfkopfes noch entſchieden zurück,
und die vorher erwähnten Fälle können alſo nur beweiſen, daß die durch den Schlangenſtein geretteten
Kranken blos leicht verwundet und bezüglich vergiftet worden waren.

Von ungleich größerer Wichtigkeit als alle Erzählungen über Schlangenſteine und deren Heil-
kraft ſcheint mir der nachſtehende Bericht über die Wirkſamkeit der bereits genannten indiſchen Pflanze
(Aristolochia indica) zu ſein, obgleich ich meine Zweifel an der vollen Glaubwürdigkeit deſſelben
nicht verhehlen kann. Jch entnehme das Nachſtehende der Naturgeſchichte des engliſchen Geiſtlichen
Wood, welcher die von ihm gegebenen „Thatſachen“ von einem engliſchen Beamten in Oſtindien,
Lowther, erfuhr, einem Manne, der die Ariſtolochia ſehr oft gegen Schlangenbiß angewendet und
die ausgezeichnetſten Erfolge erzielt haben will. Wäre Lowther ein Arzt: ich würde ihm gern
Glauben ſchenken, während ich den Verſicherungen des Herrn Beamten nur das Eine wünſchen
kann und will: daß ſie wahr ſein möchten!

„Ein von einer Schlange gebiſſenes junges Hinduweib wurde auf einer Sänfte zu mir gebracht.
Es befand ſich in einem Zuſtande vollkommener Lebloſigkeit, ſodaß ich kein Bedenken trug, meine
Hilfe zu verweigern. Hierin wurde ich unterſtützt durch einen Offizier, welcher ſich gerade in meinem
Hauſe aufhielt und hervorhob, daß es am beſten ſei, die Gebiſſene wieder wegzuſchicken, um mein
Heilmittel in den Augen des Volkes nicht herabzuſetzen. Das Weib war kalt wie Marmor; von dem
Blutumlaufe bemerkte man gar Nichts mehr; ihr Ausſehen glich dem einer Leiche.

„Der Gatte bekundete die tiefſte Niedergeſchlagenheit in Folge meiner Weigerung und bat und
flehte, daß ich doch das Mittel wenigſtens verſuchen möge. Jch ſetzte ihm meine Gründe aus einander
und verſchwieg ihm nicht, daß ich feſt überzeugt ſei, ſeine Gattin ſei lange, bevor ſie mein Haus
erreicht, bereits verſchieden. Um jedoch ſeine Niedergeſchlagenheit durch fortgeſetzte Weigerung nicht
zu erhöhen, öffnete ich ihr die Kinnladen gewaltſam und goß ihr von meiner Arzenei ein, welche ich
aus drei mittelgroßen, zu Brei geriebenen Blättern der Ariſtolochia und zehn Pfefferkörnern
zuſammengeſetzt und in einer Unze Waſſer aufgelöſt hatte. Nachdem der Trank eingefloſſen, ließ ich
den Leib in eine ſitzende Stellung heben und wartete mit einiger Spannung, jedoch ohne die geringſte
Ausſicht auf Erfolg, der Wirkung. Nach Verlauf von acht oder zehn Minuten nahm ich ein leichtes
Pulſiren an ihrer unteren Lippe wahr. Augenblicklich befahl ich ihrem Gatten, ſie mit Hilfe meiner
eigenen Diener hin- und herzuſchleppen, in der Abſicht, wenn es möglich, den Blutumlauf wieder in
Gang zu bringen. Gehalten von zwei Leuten, welche ſie unter ihren Armen gefaßt hatten, wurde ſie
nunmehr hin und her bewegt, wobei ihre Füße hilflos hinter ihr herſchleppten. Einige Minuten
ſpäter bemerkte ich, daß die Leidende einen ſchwachen Verſuch machte, die Füße zu gebrauchen, und
ließ ſie deshalb ſo hochheben, daß die Sohlen den Boden berührten. Noch einige Minuten: und ein
tiefer Athemzug, begleitet von einem ſonderbaren Schrei, bekundete das Rückkehren der Beſinnung.
Hierauf folgte der Ausruf: „Ein Feuer verbrennt meine Eingeweide!“ Zu dieſer Zeit waren Bruſt
und Arme noch leichenkalt. Sofort gab ich ihr noch die Auflöſung eines Blattes in einer Unze

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[274/0296] Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern. ihrer Zellen oder Hohlräume im Jnneren Flüſſigkeit und ſomit auch Blut oder ſelbſt Gift anſaugen. Der Reiſende Hardy, welcher die Zubereitung der „piedra ponsona“ oder des in Mejiko gebräuch- lichen Schlangenſteines kennen lernte, theilt uns ſogar mit, wie derſelbe hergerichtet wird. „Nimm ein Stück Hirſchgeweih von beliebiger Größe und Geſtalt, umhülle daſſelbe rundum mit Gras oder Heu, ſchließe es in ein Stück Kupferblech ein und bringe es in ein Kohlenfeuer, bis der Knochen genügend gebrannt iſt, laß es abkühlen, entferne das verkalkte Horn aus ſeiner Umhüllung, und es wird zum unmittelbaren Gebrauche fertig ſein. Jn dieſem Zuſtande iſt es eine feſt zuſammenhängende, obſchon zellige Maſſe von ſchwarzer Farbe, welche in Form und Größe dem Hornſtücke noch voll- kommen ähnelt.“ Am Kap und in Mejiko gebraucht man noch die Vorſicht, die Bißwunde durch einen Schnitt weiter zu öffnen, pflegt auch den Schlangenſtein, wenn er ſich vollgeſogen hat, in Milch oder Waſſer zu werfen, ſo wieder zu reinigen, hierauf abzutrocknen, und von neuem auf die Wunde zu legen. Daß ein derartiger Körper in der That eine gewiſſe Wirkung äußern kann, läßt ſich nicht wohl bezweifeln; dieſelbe ſteht jedoch ſicherlich hinter der eines Schröpfkopfes noch entſchieden zurück, und die vorher erwähnten Fälle können alſo nur beweiſen, daß die durch den Schlangenſtein geretteten Kranken blos leicht verwundet und bezüglich vergiftet worden waren. Von ungleich größerer Wichtigkeit als alle Erzählungen über Schlangenſteine und deren Heil- kraft ſcheint mir der nachſtehende Bericht über die Wirkſamkeit der bereits genannten indiſchen Pflanze (Aristolochia indica) zu ſein, obgleich ich meine Zweifel an der vollen Glaubwürdigkeit deſſelben nicht verhehlen kann. Jch entnehme das Nachſtehende der Naturgeſchichte des engliſchen Geiſtlichen Wood, welcher die von ihm gegebenen „Thatſachen“ von einem engliſchen Beamten in Oſtindien, Lowther, erfuhr, einem Manne, der die Ariſtolochia ſehr oft gegen Schlangenbiß angewendet und die ausgezeichnetſten Erfolge erzielt haben will. Wäre Lowther ein Arzt: ich würde ihm gern Glauben ſchenken, während ich den Verſicherungen des Herrn Beamten nur das Eine wünſchen kann und will: daß ſie wahr ſein möchten! „Ein von einer Schlange gebiſſenes junges Hinduweib wurde auf einer Sänfte zu mir gebracht. Es befand ſich in einem Zuſtande vollkommener Lebloſigkeit, ſodaß ich kein Bedenken trug, meine Hilfe zu verweigern. Hierin wurde ich unterſtützt durch einen Offizier, welcher ſich gerade in meinem Hauſe aufhielt und hervorhob, daß es am beſten ſei, die Gebiſſene wieder wegzuſchicken, um mein Heilmittel in den Augen des Volkes nicht herabzuſetzen. Das Weib war kalt wie Marmor; von dem Blutumlaufe bemerkte man gar Nichts mehr; ihr Ausſehen glich dem einer Leiche. „Der Gatte bekundete die tiefſte Niedergeſchlagenheit in Folge meiner Weigerung und bat und flehte, daß ich doch das Mittel wenigſtens verſuchen möge. Jch ſetzte ihm meine Gründe aus einander und verſchwieg ihm nicht, daß ich feſt überzeugt ſei, ſeine Gattin ſei lange, bevor ſie mein Haus erreicht, bereits verſchieden. Um jedoch ſeine Niedergeſchlagenheit durch fortgeſetzte Weigerung nicht zu erhöhen, öffnete ich ihr die Kinnladen gewaltſam und goß ihr von meiner Arzenei ein, welche ich aus drei mittelgroßen, zu Brei geriebenen Blättern der Ariſtolochia und zehn Pfefferkörnern zuſammengeſetzt und in einer Unze Waſſer aufgelöſt hatte. Nachdem der Trank eingefloſſen, ließ ich den Leib in eine ſitzende Stellung heben und wartete mit einiger Spannung, jedoch ohne die geringſte Ausſicht auf Erfolg, der Wirkung. Nach Verlauf von acht oder zehn Minuten nahm ich ein leichtes Pulſiren an ihrer unteren Lippe wahr. Augenblicklich befahl ich ihrem Gatten, ſie mit Hilfe meiner eigenen Diener hin- und herzuſchleppen, in der Abſicht, wenn es möglich, den Blutumlauf wieder in Gang zu bringen. Gehalten von zwei Leuten, welche ſie unter ihren Armen gefaßt hatten, wurde ſie nunmehr hin und her bewegt, wobei ihre Füße hilflos hinter ihr herſchleppten. Einige Minuten ſpäter bemerkte ich, daß die Leidende einen ſchwachen Verſuch machte, die Füße zu gebrauchen, und ließ ſie deshalb ſo hochheben, daß die Sohlen den Boden berührten. Noch einige Minuten: und ein tiefer Athemzug, begleitet von einem ſonderbaren Schrei, bekundete das Rückkehren der Beſinnung. Hierauf folgte der Ausruf: „Ein Feuer verbrennt meine Eingeweide!“ Zu dieſer Zeit waren Bruſt und Arme noch leichenkalt. Sofort gab ich ihr noch die Auflöſung eines Blattes in einer Unze

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/296>, abgerufen am 22.12.2024.