Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.Kreuzotter. sie sich oft ganz ruhig verhalten, jedoch auch mitunter sehr lustig umherkriechen; auch habe ichzwei Mal bei Mondschein einsam und so leise als möglich im Freien Orte besucht, wo ich Kreuzottern wußte, habe aber keine gefunden, woraus jedoch noch kein Schluß gezogen werden kann, weil man selbst am hellen Tage beim schönsten Wetter keine auffindet. Soviel ist gewiß, daß, wenn man die Schlangenjagd betreibt, man selten nach Sonnenuntergang unsere einheimischen Schlangen auf freien Flecken findet; sie verkriechen sich dann unter Mos, Haide u. s. w." Hätte der Zufall unseren Forscher belehrt, wie mich, hätte er einmal an denselben Orten, welche er bei Mond- schein nach Kreuzottern absuchte, in dunkler Nacht ein Feuer angezündet, er würde anderer Ansicht geworden sein. Die "Vorliebe" der Kreuzotter für den Sonnenschein beweist nur das Eine: daß sie wie ihre Verwandten überhaupt Wärme über Alles liebt und sich soviel als möglich diesen Hoch- genuß zu verschaffen sucht, keinesweges aber, daß sie ein Tagthier ist. Schon die Jedermann auf- fallende Trägheit, welche sie bekundet, wenn sie sich sonnt, die Gleichgiltigkeit um Alles, was sie nicht unmittelbar berührt, deutet darauf hin, daß sie sich übertages nicht in wachem Zustande, sondern eher in einer Art von Halbschlummer befindet. Alle Nachtthiere ohne Ausnahme lieben die Sonne, obgleich sie das Licht scheuen und vermeiden; die Katze oder die Eule, welche sich ebenfalls besonnen lassen, sind dafür sprechende Belege: gefangene Eulen gehen zu Grunde, wenn man ihnen längere Zeit die Sonne gänzlich entzieht. Für die Kreuzotter nun, für ein Kriechthier, dessen Wärme mit der umgebenden steigt und fällt, ist es ein unabweisliches Bedürfniß, sich stundenlang in den Strahlen der Sonne zu recken, ist es eine Wohlthat, dem Leibe die Wärme zu verschaffen, welche ihr das träg umlaufende Blut nicht gewähren kann. Aber ein Tagthier ist sie nicht, diese Schlange; ein Tagthier ist keine andere Angehörige ihrer Zunft. Umsonst wurde ihr das einer ungewöhnlichen Ausdehnung und Zusammenziehung fähige Auge nicht gegeben, umsonst dasselbe nicht noch besonders geschützt durch die vorspringende Braue oder das anderer verwandter Arten durch Hautgebilde, welche nur mit Fühlhaaren der nächtlichen Raubsäugethiere verglichen werden können; denn jede Anlage, jede Fähigkeit, welche ein Thier besitzt, wird von ihm auch in Anwendung gebracht. Erst mit Beginn der Dämmerung beginnt die Kreuzotter ihre Thätigkeit, ihre Geschäfte, ihre Jagd. Von dieser Wahrheit kann sich jeder überzeugen, welcher Ottern gefangen hält und den Käsig so einrichtet, daß er, ohne von den Thieren bemerkt zu werden, sehen kann, was vorgeht, von dieser Wahrheit jeder fanglustige Forscher, wenn er, wie ich bereits angegeben habe, jedoch mit aller Absicht wiederhole, da, wo Kreuzottern häufig sind, nachts ein Feuer anzündet. Der ungewohnte Lichtstrahl fällt den jetzt regen und munteren Thieren auf, und sie eilen herbei, um sich über die fremdartige Erscheinung genauere Kunde zu verschaffen, kriechen dicht bis an das Feuer heran, starren verwundert in die Glut und entschließen sich scheinbar nur schwer, umzukehren. Wem es also daran gelegen ist, die Kreuz- otter zu fangen, erreicht seinen Zweck des Nachts mit Hilfe des Feuers viel leichter als bei Tage, erreicht ihn selbst da, wo er in den Mittagsstunden vergeblich suchte, vorausgesetzt natürlich, daß die Oertlichkeit wirklich von Ottern und bezüglich anderen Nachtschlangen bewohnt wird. Erkenntniß des Jrrthums rücksichtlich der Zeit, in welcher die Kreuzotter thätig ist, berichtigt 19*
Kreuzotter. ſie ſich oft ganz ruhig verhalten, jedoch auch mitunter ſehr luſtig umherkriechen; auch habe ichzwei Mal bei Mondſchein einſam und ſo leiſe als möglich im Freien Orte beſucht, wo ich Kreuzottern wußte, habe aber keine gefunden, woraus jedoch noch kein Schluß gezogen werden kann, weil man ſelbſt am hellen Tage beim ſchönſten Wetter keine auffindet. Soviel iſt gewiß, daß, wenn man die Schlangenjagd betreibt, man ſelten nach Sonnenuntergang unſere einheimiſchen Schlangen auf freien Flecken findet; ſie verkriechen ſich dann unter Mos, Haide u. ſ. w.“ Hätte der Zufall unſeren Forſcher belehrt, wie mich, hätte er einmal an denſelben Orten, welche er bei Mond- ſchein nach Kreuzottern abſuchte, in dunkler Nacht ein Feuer angezündet, er würde anderer Anſicht geworden ſein. Die „Vorliebe“ der Kreuzotter für den Sonnenſchein beweiſt nur das Eine: daß ſie wie ihre Verwandten überhaupt Wärme über Alles liebt und ſich ſoviel als möglich dieſen Hoch- genuß zu verſchaffen ſucht, keinesweges aber, daß ſie ein Tagthier iſt. Schon die Jedermann auf- fallende Trägheit, welche ſie bekundet, wenn ſie ſich ſonnt, die Gleichgiltigkeit um Alles, was ſie nicht unmittelbar berührt, deutet darauf hin, daß ſie ſich übertages nicht in wachem Zuſtande, ſondern eher in einer Art von Halbſchlummer befindet. Alle Nachtthiere ohne Ausnahme lieben die Sonne, obgleich ſie das Licht ſcheuen und vermeiden; die Katze oder die Eule, welche ſich ebenfalls beſonnen laſſen, ſind dafür ſprechende Belege: gefangene Eulen gehen zu Grunde, wenn man ihnen längere Zeit die Sonne gänzlich entzieht. Für die Kreuzotter nun, für ein Kriechthier, deſſen Wärme mit der umgebenden ſteigt und fällt, iſt es ein unabweisliches Bedürfniß, ſich ſtundenlang in den Strahlen der Sonne zu recken, iſt es eine Wohlthat, dem Leibe die Wärme zu verſchaffen, welche ihr das träg umlaufende Blut nicht gewähren kann. Aber ein Tagthier iſt ſie nicht, dieſe Schlange; ein Tagthier iſt keine andere Angehörige ihrer Zunft. Umſonſt wurde ihr das einer ungewöhnlichen Ausdehnung und Zuſammenziehung fähige Auge nicht gegeben, umſonſt daſſelbe nicht noch beſonders geſchützt durch die vorſpringende Braue oder das anderer verwandter Arten durch Hautgebilde, welche nur mit Fühlhaaren der nächtlichen Raubſäugethiere verglichen werden können; denn jede Anlage, jede Fähigkeit, welche ein Thier beſitzt, wird von ihm auch in Anwendung gebracht. Erſt mit Beginn der Dämmerung beginnt die Kreuzotter ihre Thätigkeit, ihre Geſchäfte, ihre Jagd. Von dieſer Wahrheit kann ſich jeder überzeugen, welcher Ottern gefangen hält und den Käſig ſo einrichtet, daß er, ohne von den Thieren bemerkt zu werden, ſehen kann, was vorgeht, von dieſer Wahrheit jeder fangluſtige Forſcher, wenn er, wie ich bereits angegeben habe, jedoch mit aller Abſicht wiederhole, da, wo Kreuzottern häufig ſind, nachts ein Feuer anzündet. Der ungewohnte Lichtſtrahl fällt den jetzt regen und munteren Thieren auf, und ſie eilen herbei, um ſich über die fremdartige Erſcheinung genauere Kunde zu verſchaffen, kriechen dicht bis an das Feuer heran, ſtarren verwundert in die Glut und entſchließen ſich ſcheinbar nur ſchwer, umzukehren. Wem es alſo daran gelegen iſt, die Kreuz- otter zu fangen, erreicht ſeinen Zweck des Nachts mit Hilfe des Feuers viel leichter als bei Tage, erreicht ihn ſelbſt da, wo er in den Mittagsſtunden vergeblich ſuchte, vorausgeſetzt natürlich, daß die Oertlichkeit wirklich von Ottern und bezüglich anderen Nachtſchlangen bewohnt wird. Erkenntniß des Jrrthums rückſichtlich der Zeit, in welcher die Kreuzotter thätig iſt, berichtigt 19*
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Für die Kreuzotter nun, für ein Kriechthier, deſſen Wärme mit<lb/> der umgebenden ſteigt und fällt, iſt es ein unabweisliches Bedürfniß, ſich ſtundenlang in den Strahlen<lb/> der Sonne zu recken, iſt es eine Wohlthat, dem Leibe die Wärme zu verſchaffen, welche ihr das träg<lb/> umlaufende Blut nicht gewähren kann. Aber ein Tagthier iſt ſie nicht, dieſe Schlange; ein Tagthier<lb/> iſt keine andere Angehörige ihrer Zunft. Umſonſt wurde ihr das einer ungewöhnlichen Ausdehnung<lb/> und Zuſammenziehung fähige Auge nicht gegeben, umſonſt daſſelbe nicht noch beſonders geſchützt<lb/> durch die vorſpringende Braue oder das anderer verwandter Arten durch Hautgebilde, welche nur<lb/> mit Fühlhaaren der nächtlichen Raubſäugethiere verglichen werden können; denn jede Anlage, jede<lb/> Fähigkeit, welche ein Thier beſitzt, wird von ihm auch in Anwendung gebracht. Erſt mit Beginn der<lb/> Dämmerung beginnt die Kreuzotter ihre Thätigkeit, ihre Geſchäfte, ihre Jagd. Von dieſer Wahrheit<lb/> kann ſich jeder überzeugen, welcher Ottern gefangen hält und den Käſig ſo einrichtet, daß er, ohne<lb/> von den Thieren bemerkt zu werden, ſehen kann, was vorgeht, von dieſer Wahrheit jeder fangluſtige<lb/> Forſcher, wenn er, wie ich bereits angegeben habe, jedoch mit aller Abſicht wiederhole, da,<lb/> wo Kreuzottern häufig ſind, nachts ein Feuer anzündet. Der ungewohnte Lichtſtrahl fällt den jetzt<lb/> regen und munteren Thieren auf, und ſie eilen herbei, um ſich über die fremdartige Erſcheinung<lb/> genauere Kunde zu verſchaffen, kriechen dicht bis an das Feuer heran, ſtarren verwundert in die Glut<lb/> und entſchließen ſich ſcheinbar nur ſchwer, umzukehren. 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Kreuzotter.
ſie ſich oft ganz ruhig verhalten, jedoch auch mitunter ſehr luſtig umherkriechen; auch habe ich
zwei Mal bei Mondſchein einſam und ſo leiſe als möglich im Freien Orte beſucht, wo ich
Kreuzottern wußte, habe aber keine gefunden, woraus jedoch noch kein Schluß gezogen werden
kann, weil man ſelbſt am hellen Tage beim ſchönſten Wetter keine auffindet. Soviel iſt gewiß,
daß, wenn man die Schlangenjagd betreibt, man ſelten nach Sonnenuntergang unſere einheimiſchen
Schlangen auf freien Flecken findet; ſie verkriechen ſich dann unter Mos, Haide u. ſ. w.“ Hätte der
Zufall unſeren Forſcher belehrt, wie mich, hätte er einmal an denſelben Orten, welche er bei Mond-
ſchein nach Kreuzottern abſuchte, in dunkler Nacht ein Feuer angezündet, er würde anderer Anſicht
geworden ſein. Die „Vorliebe“ der Kreuzotter für den Sonnenſchein beweiſt nur das Eine: daß
ſie wie ihre Verwandten überhaupt Wärme über Alles liebt und ſich ſoviel als möglich dieſen Hoch-
genuß zu verſchaffen ſucht, keinesweges aber, daß ſie ein Tagthier iſt. Schon die Jedermann auf-
fallende Trägheit, welche ſie bekundet, wenn ſie ſich ſonnt, die Gleichgiltigkeit um Alles, was ſie nicht
unmittelbar berührt, deutet darauf hin, daß ſie ſich übertages nicht in wachem Zuſtande, ſondern
eher in einer Art von Halbſchlummer befindet. Alle Nachtthiere ohne Ausnahme lieben die Sonne,
obgleich ſie das Licht ſcheuen und vermeiden; die Katze oder die Eule, welche ſich ebenfalls beſonnen
laſſen, ſind dafür ſprechende Belege: gefangene Eulen gehen zu Grunde, wenn man ihnen längere
Zeit die Sonne gänzlich entzieht. Für die Kreuzotter nun, für ein Kriechthier, deſſen Wärme mit
der umgebenden ſteigt und fällt, iſt es ein unabweisliches Bedürfniß, ſich ſtundenlang in den Strahlen
der Sonne zu recken, iſt es eine Wohlthat, dem Leibe die Wärme zu verſchaffen, welche ihr das träg
umlaufende Blut nicht gewähren kann. Aber ein Tagthier iſt ſie nicht, dieſe Schlange; ein Tagthier
iſt keine andere Angehörige ihrer Zunft. Umſonſt wurde ihr das einer ungewöhnlichen Ausdehnung
und Zuſammenziehung fähige Auge nicht gegeben, umſonſt daſſelbe nicht noch beſonders geſchützt
durch die vorſpringende Braue oder das anderer verwandter Arten durch Hautgebilde, welche nur
mit Fühlhaaren der nächtlichen Raubſäugethiere verglichen werden können; denn jede Anlage, jede
Fähigkeit, welche ein Thier beſitzt, wird von ihm auch in Anwendung gebracht. Erſt mit Beginn der
Dämmerung beginnt die Kreuzotter ihre Thätigkeit, ihre Geſchäfte, ihre Jagd. Von dieſer Wahrheit
kann ſich jeder überzeugen, welcher Ottern gefangen hält und den Käſig ſo einrichtet, daß er, ohne
von den Thieren bemerkt zu werden, ſehen kann, was vorgeht, von dieſer Wahrheit jeder fangluſtige
Forſcher, wenn er, wie ich bereits angegeben habe, jedoch mit aller Abſicht wiederhole, da,
wo Kreuzottern häufig ſind, nachts ein Feuer anzündet. Der ungewohnte Lichtſtrahl fällt den jetzt
regen und munteren Thieren auf, und ſie eilen herbei, um ſich über die fremdartige Erſcheinung
genauere Kunde zu verſchaffen, kriechen dicht bis an das Feuer heran, ſtarren verwundert in die Glut
und entſchließen ſich ſcheinbar nur ſchwer, umzukehren. Wem es alſo daran gelegen iſt, die Kreuz-
otter zu fangen, erreicht ſeinen Zweck des Nachts mit Hilfe des Feuers viel leichter als bei Tage,
erreicht ihn ſelbſt da, wo er in den Mittagsſtunden vergeblich ſuchte, vorausgeſetzt natürlich, daß
die Oertlichkeit wirklich von Ottern und bezüglich anderen Nachtſchlangen bewohnt wird.
Erkenntniß des Jrrthums rückſichtlich der Zeit, in welcher die Kreuzotter thätig iſt, berichtigt
theilweiſe auch die allgemein giltigen, von mir ſelbſt bis in die neueſte Zeit getheilten Anſichten über
ihre Begabungen und Eigenſchaften. Wer ſie nur bei Tage beobachtet hat, ſagt die Wahrheit, wenn
er ſie ſelbſt anderen Schlangen gegenüber ein überaus träges, bewegungsunluſtiges, ſinnenſtumpfes
und geiſtloſes Thier nennt; wer ſie bei Nacht beobachtet, gewinnt bald eine andere Meinung. Aller-
dings kann ſie auch dann an Gewandtheit und Schnelligkeit mit der ſchlank gebauten Natter, mit der
Jachſchlange, nicht wetteifern: von der Trägheit aber, von der Langſamkeit und Bedachtſamkeit, mit
welcher ſie bei Tage ſich bewegt, bemerkt man nachts nur wenig. Sie iſt dann ſehr rege und munter,
durchkriecht ihren Käfig, alſo im Freien gewiß auch ihr Jagdgebiet, nach allen Richtungen hin und
achtet, ganz im Gegenſatze zu ihrem Betragen am Tage, auf Alles, was um ſie her vorgeht.
Beobachtungen und angeſtellte Verſuche haben erwieſen, daß ſie auf ebenem Boden ziemlich raſch
dahinſchlängelt, zwar nicht klettert, ſich aber doch an ſchiefen Stämmen emporhaſpeln kann und auch
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