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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Vipern. Spießottern.
erweitert. Die Färbung der Regenbogenhaut ist gewöhnlich ein lebhaftes Feuerroth, bei dunklen
Weibchen ein lichtes Röthlichbraun.

Unter den Spielarten hat die dunkle, welche das Volk vorzugsweise Höllennatter zu nennen
pflegt, eine gewisse Bedeutung erlangt, weil sie lange Zeit als besondere Art (Vipera prester)
angesehen wurde. Den sorgfältigeren Beobachtern mußte jedoch bald auffallen, daß alle Höllen-
nattern Weibchen waren, und als nun endlich Linck eine trächtige Höllennatter erhielt und fand, daß
die Jungen sich in keiner Hinsicht von anderen Kreuzottern unterschieden, konnte es keinem Zweifel
mehr unterliegen, daß man es nur mit einer Spielart zu thun hatte.

Die Kreuzotter verbreitet sich über den größten Theil Europas; denn sie fehlt nur im höchsten
Norden und, wie es scheint, im äußersten Süden unseres Erdtheils. Außerdem findet man sie in
Mittelasien, nach Norden hin bis zum Jenisei, obschon, soviel bis jetzt bekannt, nur in gewissen
Gegenden. Jn den Alpen steigt sie nach den Angaben von Schinz und Tschudi bis in einen sechs-
bis achttausend Fuß über dem Meere gelegenen Gürtel empor, tritt also noch sehr oft oberhalb der
Laubholzgrenze auf und gefällt sich demnach in einer Gegend, in welcher sie sich höchstens drei Monate
im Jahre ihres Daseins erfreuen kann, drei Viertheile ihres Lebens aber winterschlafend verbringen
muß. Bedingung zu ihrem Wohlbefinden ist, daß sie gute Schlupfwinkel, genügende Nahrung und
Sonnenschein hat; im übrigen scheint sie keine besonderen Ansprüche zu machen an die Oertlichkeit,
welche ihre Wohnung gewähren soll. Steinige, mit Gebüsch überwucherte Halden, bebuschte Fels-
wände, Haide, Laub- und Nadelholzdickichte, in denen jedoch der Sonne zugängliche freie Plätze nicht
fehlen dürfen, insbesondere aber Moorgegenden, bieten ihr Alles, was sie zum Leben bedarf. An
solchen Orten begegnet man ihr hier und da in erschreckender Anzahl: im Brennerstädter Forste im
Lüneburgischen wurden beim Heumachen innerhalb dreier Tage auf einer Fläche von nur wenigen
Morgen einige dreißig Stück getödtet. Gewisse Haidegegenden in Norddeutschland sind geradezu
verrufen wegen der Menge dieser Giftschlangen; in der Nähe Berlins gibt es brüchige Wald-
stellen, welche von den grasenden Frauen der Kreuzotter halber nur mit hohen Stiefeln begangen
werden. Jm reinen Hochwalde findet man sie nicht; ist jedoch der Boden hier mit Haide bedeckt, so
meidet sie selbst den Hochbestand nicht, wandert auch da, wo sie zeitweilig nicht vorkam, allgemach
ein, wenn sich der Boden derart verändert, daß sie Sicherung und Beute findet. "Auf dem Thüringer-
walde", sagt Lenz, "war früherhin ihre Vermehrung dadurch sehr gefördert worden, daß man den
Boden da, wo hohe Bäume gefällt waren und eine neue Aussaat stattfinden sollte, in großen Schollen
umlegte, unter welchen sich dann alsbald Eidechsen und Mäuse, zuletzt auch Kreuzottern ansiedelten.
Ein solches Verfahren ist jetzt bei unserer Waldwirthschaft gänzlich aufgegeben; man pflanzt in die
entblößten Stellen junge, aus Baumschulen entnommene Stämmchen fest ein, die Höhlungen fallen
weg, und so hat sich die Menge des Otterngezüchtes alsbald ganz auffallend vermindert."

Die eigentliche Wohnung unserer Schlange ist eine vorgefundene Höhlung im Boden unter dem
Gewurzel der Bäume oder im Gestein, ein Maus- oder Maulwurfsloch, ein verlassener Fuchs-
oder Kaninchenbau, eine Klust und ein ähnlicher Schlupfwinkel, in dessen Nähe womöglich ein kleines,
freies Plätzchen sich findet, auf welchem sie ihren wärmebedürftigen Leib den Strahlen der Sonne
aussetzen kann. Wenn sie nicht die Paarungslust erregt und zum Umherwandern treibt, findet man
sie übertages stets in der Nähe des gedachten Schlupfwinkels, nach welchem sie bei Gefahr zurückkehrt,
so eilig ihre Schlaftrunkenheit und Trägheit ihr Dies gestatten. Bei herannahendem Gewitter soll
sie, nach den Beobachtungen unseres Lenz, ebenfalls zuweilen kleine Streifzüge antreten; die Regel
aber ist, daß sie sich bei Tage niemals weit von der Höhle entfernt.

Lenz ist der Ansicht, daß die Kreuzotter ein echtes Tagthier sei, "da wenige Thiere sich so
anhaltend wie sie dem Sonnenscheine aussetzen", fügt vorstehenden Worten jedoch hinzu, daß sich
schwerer angeben läßt, wie sie sich des Nachts verhalte. "Daß die Ottern in lauen oder schwülen
Nächten über der Erde bleiben oder sich doch nur unter Mos oder Erde verkriechen, bezweifle ich
nicht. Jch habe meine Gefangenen bei Mondschein ganz leise beschlichen und gefunden, daß

Die Schlangen. Vipern. Spießottern.
erweitert. Die Färbung der Regenbogenhaut iſt gewöhnlich ein lebhaftes Feuerroth, bei dunklen
Weibchen ein lichtes Röthlichbraun.

Unter den Spielarten hat die dunkle, welche das Volk vorzugsweiſe Höllennatter zu nennen
pflegt, eine gewiſſe Bedeutung erlangt, weil ſie lange Zeit als beſondere Art (Vipera prester)
angeſehen wurde. Den ſorgfältigeren Beobachtern mußte jedoch bald auffallen, daß alle Höllen-
nattern Weibchen waren, und als nun endlich Linck eine trächtige Höllennatter erhielt und fand, daß
die Jungen ſich in keiner Hinſicht von anderen Kreuzottern unterſchieden, konnte es keinem Zweifel
mehr unterliegen, daß man es nur mit einer Spielart zu thun hatte.

Die Kreuzotter verbreitet ſich über den größten Theil Europas; denn ſie fehlt nur im höchſten
Norden und, wie es ſcheint, im äußerſten Süden unſeres Erdtheils. Außerdem findet man ſie in
Mittelaſien, nach Norden hin bis zum Jeniſei, obſchon, ſoviel bis jetzt bekannt, nur in gewiſſen
Gegenden. Jn den Alpen ſteigt ſie nach den Angaben von Schinz und Tſchudi bis in einen ſechs-
bis achttauſend Fuß über dem Meere gelegenen Gürtel empor, tritt alſo noch ſehr oft oberhalb der
Laubholzgrenze auf und gefällt ſich demnach in einer Gegend, in welcher ſie ſich höchſtens drei Monate
im Jahre ihres Daſeins erfreuen kann, drei Viertheile ihres Lebens aber winterſchlafend verbringen
muß. Bedingung zu ihrem Wohlbefinden iſt, daß ſie gute Schlupfwinkel, genügende Nahrung und
Sonnenſchein hat; im übrigen ſcheint ſie keine beſonderen Anſprüche zu machen an die Oertlichkeit,
welche ihre Wohnung gewähren ſoll. Steinige, mit Gebüſch überwucherte Halden, bebuſchte Fels-
wände, Haide, Laub- und Nadelholzdickichte, in denen jedoch der Sonne zugängliche freie Plätze nicht
fehlen dürfen, insbeſondere aber Moorgegenden, bieten ihr Alles, was ſie zum Leben bedarf. An
ſolchen Orten begegnet man ihr hier und da in erſchreckender Anzahl: im Brennerſtädter Forſte im
Lüneburgiſchen wurden beim Heumachen innerhalb dreier Tage auf einer Fläche von nur wenigen
Morgen einige dreißig Stück getödtet. Gewiſſe Haidegegenden in Norddeutſchland ſind geradezu
verrufen wegen der Menge dieſer Giftſchlangen; in der Nähe Berlins gibt es brüchige Wald-
ſtellen, welche von den graſenden Frauen der Kreuzotter halber nur mit hohen Stiefeln begangen
werden. Jm reinen Hochwalde findet man ſie nicht; iſt jedoch der Boden hier mit Haide bedeckt, ſo
meidet ſie ſelbſt den Hochbeſtand nicht, wandert auch da, wo ſie zeitweilig nicht vorkam, allgemach
ein, wenn ſich der Boden derart verändert, daß ſie Sicherung und Beute findet. „Auf dem Thüringer-
walde“, ſagt Lenz, „war früherhin ihre Vermehrung dadurch ſehr gefördert worden, daß man den
Boden da, wo hohe Bäume gefällt waren und eine neue Ausſaat ſtattfinden ſollte, in großen Schollen
umlegte, unter welchen ſich dann alsbald Eidechſen und Mäuſe, zuletzt auch Kreuzottern anſiedelten.
Ein ſolches Verfahren iſt jetzt bei unſerer Waldwirthſchaft gänzlich aufgegeben; man pflanzt in die
entblößten Stellen junge, aus Baumſchulen entnommene Stämmchen feſt ein, die Höhlungen fallen
weg, und ſo hat ſich die Menge des Otterngezüchtes alsbald ganz auffallend vermindert.“

Die eigentliche Wohnung unſerer Schlange iſt eine vorgefundene Höhlung im Boden unter dem
Gewurzel der Bäume oder im Geſtein, ein Maus- oder Maulwurfsloch, ein verlaſſener Fuchs-
oder Kaninchenbau, eine Kluſt und ein ähnlicher Schlupfwinkel, in deſſen Nähe womöglich ein kleines,
freies Plätzchen ſich findet, auf welchem ſie ihren wärmebedürftigen Leib den Strahlen der Sonne
ausſetzen kann. Wenn ſie nicht die Paarungsluſt erregt und zum Umherwandern treibt, findet man
ſie übertages ſtets in der Nähe des gedachten Schlupfwinkels, nach welchem ſie bei Gefahr zurückkehrt,
ſo eilig ihre Schlaftrunkenheit und Trägheit ihr Dies geſtatten. Bei herannahendem Gewitter ſoll
ſie, nach den Beobachtungen unſeres Lenz, ebenfalls zuweilen kleine Streifzüge antreten; die Regel
aber iſt, daß ſie ſich bei Tage niemals weit von der Höhle entfernt.

Lenz iſt der Anſicht, daß die Kreuzotter ein echtes Tagthier ſei, „da wenige Thiere ſich ſo
anhaltend wie ſie dem Sonnenſcheine ausſetzen“, fügt vorſtehenden Worten jedoch hinzu, daß ſich
ſchwerer angeben läßt, wie ſie ſich des Nachts verhalte. „Daß die Ottern in lauen oder ſchwülen
Nächten über der Erde bleiben oder ſich doch nur unter Mos oder Erde verkriechen, bezweifle ich
nicht. Jch habe meine Gefangenen bei Mondſchein ganz leiſe beſchlichen und gefunden, daß

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[290/0316] Die Schlangen. Vipern. Spießottern. erweitert. Die Färbung der Regenbogenhaut iſt gewöhnlich ein lebhaftes Feuerroth, bei dunklen Weibchen ein lichtes Röthlichbraun. Unter den Spielarten hat die dunkle, welche das Volk vorzugsweiſe Höllennatter zu nennen pflegt, eine gewiſſe Bedeutung erlangt, weil ſie lange Zeit als beſondere Art (Vipera prester) angeſehen wurde. Den ſorgfältigeren Beobachtern mußte jedoch bald auffallen, daß alle Höllen- nattern Weibchen waren, und als nun endlich Linck eine trächtige Höllennatter erhielt und fand, daß die Jungen ſich in keiner Hinſicht von anderen Kreuzottern unterſchieden, konnte es keinem Zweifel mehr unterliegen, daß man es nur mit einer Spielart zu thun hatte. Die Kreuzotter verbreitet ſich über den größten Theil Europas; denn ſie fehlt nur im höchſten Norden und, wie es ſcheint, im äußerſten Süden unſeres Erdtheils. Außerdem findet man ſie in Mittelaſien, nach Norden hin bis zum Jeniſei, obſchon, ſoviel bis jetzt bekannt, nur in gewiſſen Gegenden. Jn den Alpen ſteigt ſie nach den Angaben von Schinz und Tſchudi bis in einen ſechs- bis achttauſend Fuß über dem Meere gelegenen Gürtel empor, tritt alſo noch ſehr oft oberhalb der Laubholzgrenze auf und gefällt ſich demnach in einer Gegend, in welcher ſie ſich höchſtens drei Monate im Jahre ihres Daſeins erfreuen kann, drei Viertheile ihres Lebens aber winterſchlafend verbringen muß. Bedingung zu ihrem Wohlbefinden iſt, daß ſie gute Schlupfwinkel, genügende Nahrung und Sonnenſchein hat; im übrigen ſcheint ſie keine beſonderen Anſprüche zu machen an die Oertlichkeit, welche ihre Wohnung gewähren ſoll. Steinige, mit Gebüſch überwucherte Halden, bebuſchte Fels- wände, Haide, Laub- und Nadelholzdickichte, in denen jedoch der Sonne zugängliche freie Plätze nicht fehlen dürfen, insbeſondere aber Moorgegenden, bieten ihr Alles, was ſie zum Leben bedarf. An ſolchen Orten begegnet man ihr hier und da in erſchreckender Anzahl: im Brennerſtädter Forſte im Lüneburgiſchen wurden beim Heumachen innerhalb dreier Tage auf einer Fläche von nur wenigen Morgen einige dreißig Stück getödtet. Gewiſſe Haidegegenden in Norddeutſchland ſind geradezu verrufen wegen der Menge dieſer Giftſchlangen; in der Nähe Berlins gibt es brüchige Wald- ſtellen, welche von den graſenden Frauen der Kreuzotter halber nur mit hohen Stiefeln begangen werden. Jm reinen Hochwalde findet man ſie nicht; iſt jedoch der Boden hier mit Haide bedeckt, ſo meidet ſie ſelbſt den Hochbeſtand nicht, wandert auch da, wo ſie zeitweilig nicht vorkam, allgemach ein, wenn ſich der Boden derart verändert, daß ſie Sicherung und Beute findet. „Auf dem Thüringer- walde“, ſagt Lenz, „war früherhin ihre Vermehrung dadurch ſehr gefördert worden, daß man den Boden da, wo hohe Bäume gefällt waren und eine neue Ausſaat ſtattfinden ſollte, in großen Schollen umlegte, unter welchen ſich dann alsbald Eidechſen und Mäuſe, zuletzt auch Kreuzottern anſiedelten. Ein ſolches Verfahren iſt jetzt bei unſerer Waldwirthſchaft gänzlich aufgegeben; man pflanzt in die entblößten Stellen junge, aus Baumſchulen entnommene Stämmchen feſt ein, die Höhlungen fallen weg, und ſo hat ſich die Menge des Otterngezüchtes alsbald ganz auffallend vermindert.“ Die eigentliche Wohnung unſerer Schlange iſt eine vorgefundene Höhlung im Boden unter dem Gewurzel der Bäume oder im Geſtein, ein Maus- oder Maulwurfsloch, ein verlaſſener Fuchs- oder Kaninchenbau, eine Kluſt und ein ähnlicher Schlupfwinkel, in deſſen Nähe womöglich ein kleines, freies Plätzchen ſich findet, auf welchem ſie ihren wärmebedürftigen Leib den Strahlen der Sonne ausſetzen kann. Wenn ſie nicht die Paarungsluſt erregt und zum Umherwandern treibt, findet man ſie übertages ſtets in der Nähe des gedachten Schlupfwinkels, nach welchem ſie bei Gefahr zurückkehrt, ſo eilig ihre Schlaftrunkenheit und Trägheit ihr Dies geſtatten. Bei herannahendem Gewitter ſoll ſie, nach den Beobachtungen unſeres Lenz, ebenfalls zuweilen kleine Streifzüge antreten; die Regel aber iſt, daß ſie ſich bei Tage niemals weit von der Höhle entfernt. Lenz iſt der Anſicht, daß die Kreuzotter ein echtes Tagthier ſei, „da wenige Thiere ſich ſo anhaltend wie ſie dem Sonnenſcheine ausſetzen“, fügt vorſtehenden Worten jedoch hinzu, daß ſich ſchwerer angeben läßt, wie ſie ſich des Nachts verhalte. „Daß die Ottern in lauen oder ſchwülen Nächten über der Erde bleiben oder ſich doch nur unter Mos oder Erde verkriechen, bezweifle ich nicht. Jch habe meine Gefangenen bei Mondſchein ganz leiſe beſchlichen und gefunden, daß

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/316>, abgerufen am 22.12.2024.